Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 12. März 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/8419 19. Wahlperiode 14.03.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/8016 – Entschädigung für Opfer der sogenannten Zwangsgermanisierung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Zehntausende von Kindern wurden während der Nazi-Herrschaft ihren Eltern weggenommen und zwangsweise „germanisiert“. Sofern sie als „rassebiologisch wertvoll“ galten, wurden sie in Heime des Lebensborn oder zu – meist faschistisch eingestellten – Pflegeeltern gebracht. Zu den körperlichen Misshandlungen , die viele erlitten haben, gesellen sich schwer wiegende und bis heute anhaltende seelische Traumata. Den Betroffenen wird bis heute eine Entschädigung für das erlittene Unrecht verwehrt. Die Bundesregierung machte auf Bundestagsdrucksache 17/12433 wie auch auf Bundestagsdrucksache 18/9649 deutlich, dass sie zwar Projekte zur Erinnerungsarbeit unterstütze, aber keine Entschädigungsregelung für Opfer der Zwangsgermanisierung beabsichtigte. Vor dem Verwaltungsgericht Köln scheiterte im vergangenen Jahr ein Kläger mit dem Versuch, Entschädigungsleistungen nach den AKG-Härterichtlinien (Allgemeines Kriegsfolgengesetz) zu erwirken (8 K 2202/17). Der Kläger war 1942 als Sechsjähriger von der SS verschleppt und über den „Lebensborn“ von einem reichsdeutschen Ehepaar adoptiert worden. Der Mann hat nie erfahren, wer seine leiblichen Eltern waren. § 1 der Härterichtlinien definiert den Kreis der Anspruchsberechtigten als „durch NS-Unrecht geschädigte Personen, die wegen ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von Gruppen angefeindet wurden und denen deswegen Unrecht zugefügt wurde.“ Das Gericht folgte der Argumentation der Bundesregierung, der Betroffene sei von den Nazis nicht „angefeindet“ worden. Seine Zwangsgermanisierung sei vielmehr Folge „einer positiven Bewertung der rassischen Merkmale“ gewesen, auch wenn diese „platt und unsinnig“ gewesen seien. Das Gericht führte aber auch aus: „Dass dem Kläger durch seine zwangsweise ‚Germanisierung‘ ganz erhebliches Unrecht angetan worden ist, steht für die Kammer unzweifelhaft fest.“ Die Bundesregierung hat es bislang vermieden, diese Vorgänge ausdrücklich als Unrecht zu bezeichnen. In der Antwort der Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8419 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12433 sprach sie davon, die beschriebenen Maßnahmen der Nazis seien als „Ausdruck der rassistischen Volkstumspolitik“ der Nazis zu bewerten . Ein Antrag der Fraktion DIE LINKE., im Haushaltsgesetz 2019 einen „Fonds zur Entschädigung von Opfern der sogenannten Zwangsgermanisierung“ mit einem Baransatz in Höhe von 2,5 Mio. Euro auszustatten, wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. bei Enthaltung der AfD abgelehnt (Bundestagsdrucksache 19/4626, S. 67). Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ergibt sich aus dem Urteil sowie aus der ablehnenden Haltung des Deutschen Bundestages Handlungsbedarf. Die – aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller – existierende Gerechtigkeitslücke könnte von der Bundesregierung beispielsweise durch eine Umformulierung oder Neuauslegung der Härterichtlinien geschlossen werden. Denkbar erscheint zum einen, eine Zwangsgermanisierung sehr wohl als eine Form der „Anfeindung“ zu betrachten – den Betroffenen wurde schließlich kein Gefallen getan, sondern sie wurden auf schwer wiegende Weise ihrer Rechte beraubt . Alternativ könnte die Formulierung in § 1 lauten: „Personen, denen wegen ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von Gruppen Unrecht zugefügt wurde“. Schließlich wäre auch eine konkretisierte exemplarische Nennung der Zwangsgermanisierung in Satz 2 denkbar. Die Fragestellerinnen und Fragesteller halten es jedenfalls für einen nicht hinnehmbaren Widerspruch, den Betroffenen gegenüber einerseits einzuräumen, dass sie Opfer von NS-Unrecht wurden, ihnen aber andererseits keine Entschädigung zu gewähren. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Mit dem Thema Entschädigung von Opfern der sogenannte Zwangsgermanisierung hat sich der Deutsche Bundestag in den vergangenen Jahren bereits mehrfach befasst. So war die entschädigungsrechtliche Anerkennung von „Zwangsgermanisierten“ als NS-Opfer Gegenstand einer Kleinen Anfrage im Jahre 2013. Auf die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/12433 wird verwiesen. Im Rahmen eines Petitionsverfahrens hat der Deutsche Bundestag im Jahr 2014 der Beschlussempfehlung zugestimmt, individuelle Entschädigungsleistungen nicht zu unterstützen. Der Petitionsausschuss hat das schwere Schicksal der Betroffenen zutiefst bedauert und seine Anteilnahme zum Ausdruck gebracht. Der Petitionsausschuss hat festgestellt, dass das Schicksal eines zur „Zwangsgermanisierung “ verschleppten Kindes als solches keinen Tatbestand einer speziellen Wiedergutmachungsregelung erfüllt, soweit es um die Tatsache der Verschleppung als solche geht. Die Betroffenen könnten jedoch als Ausgleich für erlittene physische und psychische Gesundheitsschäden unter Umständen Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz geltend machen, wenn die Voraussetzungen im konkreten Einzelfall vorliegen. Der Petitionsausschuss hat es ausdrücklich für wünschenswert und geboten gehalten, das Schicksal der Betroffenen – etwa im Rahmen eines Projektes der Erinnerungskultur – aufzuarbeiten. Dadurch könnte das von den Betroffenen erlittene Unrecht moralisch gewürdigt und anerkannt werden. Diese Empfehlung hat die Bundesregierung aufgegriffen. Mit der Projektarbeit ist die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) beauftragt . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/8419 Weiterhin war das Schicksal der Betroffenen im September 2016 Gegenstand einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Auf die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/9649 wird verwiesen. Im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltes für das Haushaltsjahr 2019 auf Bundestagsdrucksache 19/4626 sprach sich die Fraktion DIE LINKE. für einen neuen Titel „Fonds zur Entschädigung von Opfern der sogenannte Zwangsgermanisierung“ mit einem Baransatz in Höhe von 2,5 Mio. Euro aus. Der Antrag wurde abgelehnt. Ziel des Antrags war es, in jedem Einzelfall eine Entschädigung in Höhe von 2 556 Euro zu zahlen. In der Höhe entspricht dieser Betrag der Einmalleistung nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-Härterichtlinien ). Der Antrag ging in einer Schätzung von weniger als 1 000 Antragstellerinnen und Antragstellern aus. Nach der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses aus dem Jahr 2014 bewegt sich die Zahl der Opfer nach Schätzungen zwischen 250 bis zu mindestens 50 000. In den Sitzungen am 8. März und 16. Mai 2017 wurde im Haushaltsausschuss der Antrag der Fraktion DIE LINKE. zur Anerkennung der „Zwangsgermanisierten“ als neue Gruppe von NS-Opfern im Sinne der AKG-Härterichtlinien behandelt und abgelehnt. Die Bundesregierung befindet sich hinsichtlich der Bewertung des Schicksals der „Zwangsgermanisierten“ mithin in Übereinstimmung mit der Beschlusslage im Deutschen Bundestag. Ein Betroffener hat Anfang 2017 Klage beim Verwaltungsgericht Köln auf Zahlung einer einmaligen Beihilfe in Höhe von 2 556 Euro nach den AKG-Härterichtlinien erhoben. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klage mit Urteil vom 2. Juli 2018 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster eingelegt. Über den Antrag auf Zulassung der Berufung hat das OVG noch nicht entschieden. Die Bundesregierung wird auch künftig die weitere Entwicklung aufmerksam begleiten . 1. Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung bislang entschieden, den Betroffenen der Zwangsgermanisierung keine Entschädigung zu gewähren, sondern lediglich Erinnerungsprojekte zu fördern (Bundestagsdrucksachen 17/12433 und 18/9649)? Welche konkreten Gründe sprechen aus ihrer Sicht gegen eine finanzielle Entschädigungsregelung? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 2. Stellen die sogenannten Zwangsgermanisierungen aus Sicht der Bundesregierung eine Form von NS-Unrecht dar (falls nein, bitte begründen)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8419 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln, es sei unzweifelhaft, dass dem Kläger „ganz erhebliches Unrecht“ angetan worden sei (falls nein, bitte begründen)? Es ist nicht Sache der Bundesregierung, die Gerichtentscheidung zu kommentieren . Im Übrigen ist das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängig. 4. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller, es sei nicht hinnehmbar, den Betroffenen einerseits einzuräumen , dass sie Opfer von NS-Unrecht wurden, ihnen aber andererseits keine Entschädigung zu gewähren (bitte begründen), und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 5. Inwiefern können die sogenannten Zwangsgermanisierungen nach Einschätzung der Bundesregierung, insbesondere hinsichtlich der Tatbestände der Entführung, der Misshandlungen und der möglichen Traumatisierungen, durchaus als „Anfeindung“ im Sinne der AKG-Härterichtlinien aufgefasst werden? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und das laufende Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster wird verwiesen. 6. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, a) die AKG-Härterichtlinien künftig dahingehend auszulegen, dass auch Zwangsgermanisierungen als „Anfeindung“ verstanden werden, b) die AKG-Härterichtlinien dahingehend umzuformulieren, dass auch Betroffene der Zwangsgermanisierung als Leistungsberechtigte erfasst werden , c) andere Maßnahmen zu treffen, um den Betroffenen der Zwangsgermanisierung Zugang zu finanziellen Entschädigungsleistungen zu eröffnen? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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