Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 22. März 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/8739 19. Wahlperiode 26.03.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Omid Nouripour, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/8155 – Rückführungsstrategien für inhaftierte Kämpfer und Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates mit deutscher Staatsangehörigkeit V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Wegen möglicher oder erwiesener Unterstützung, Mitgliedschaft oder Beteiligung an terroristischen Taten des sogenannten Islamischen Staates (IS) befinden sich in Syrien, im Irak und anderen Staaten auch deutsche Staatsangehörige bzw. Personen mit einem deutschen Aufenthaltstitel in „Gewahrsam/Flüchtlingslagern “ bzw. „Haft“, über die laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 19. Februar 2019 vom Referat 511 des Auswärtigen Amts eine Liste geführt wird. In Haft befinden sich auch Frauen und ihre zum Teil minderjährigen Kinder (Tagesschau , 3. Februar 2019), die in Syrien oder dem Irak in den vergangenen Kriegsjahren geboren wurden. Gegen eine Vielzahl der aus Deutschland stammenden Jugendlichen und Erwachsenen ermittelt gleichzeitig der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Tagesschau, 22. Januar 2019). Ob die Bundesregierung eine Strategie hinsichtlich der Rückführung der in Syrien und im Irak inhaftierten deutschen Staatsangehörigen verfolgt, ist bisher nicht bekannt. Die Frage ist nach Einschätzung der fragestellenden Fraktion aber aus mehreren Gründen relevant: Zum einen könnte sich die Rückkehr dieser Personen auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken. Zum anderen ist die Situation der inhaftierten Kinder und Jugendlichen zu bedenken, die bei rechtzeitiger Rückkehr gute Chancen hätten, in Deutschland auf einen Lebensweg gebracht zu werden, der frei von Radikalisierung und menschenverachtender Ideologie ist. Nicht zuletzt steht die Thematik auch im Kontext der europäischen und internationalen Diskussion über die Rückholung eigener Staatsangehöriger aus ehemaligen IS-Gebieten in Syrien und dem Irak. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8739 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Beantwortung der Fragen 1b und 1d kann aus Gründen des Staatswohls nicht offen erfolgen. Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Nachrichtendienste des Bundes sowie Einzelheiten zur nachrichtendienstlichen Erkenntnislage sind im Hinblick auf die künftige Erfüllung des gesetzlichen Auftrags aus § 1 Absatz 2 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) besonders schutzwürdig . Eine Veröffentlichung von Einzelheiten betreffend solche Erkenntnisse würde zu einer Schwächung der dem Bundesnachrichtendienst (BND) zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Informationsgewinnung führen und ließe Rückschlüsse auf Aufklärungsschwerpunkte zu. Insofern könnte die Offenlegung entsprechender Informationen für die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig sein. Deshalb sind die entsprechenden Informationen als Verschlusssache gemäß der VSA mit dem VS-Grad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Antwort zu den Fragen 6a und 6b aus Geheimhaltungsgründen nicht für die Öffentlichkeit erfolgen kann. Die Einstufung als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ ist in diesem konkreten Fall im Hinblick auf das Staatswohl erforderlich. Nach § 2 Absatz 2 Nummer 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (VSA) sind Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein können, entsprechend einzustufen. Bei der offenen Verwendung der Informationen kann ein Rückschluss auf Einzelpersonen möglich sein, was wiederum Rückschlüsse auf den Stand der Ermittlungen in einzelnen Ermittlungsverfahren nach sich ziehen würde. Dies kann für die wirksame Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Bundeskriminalamtes sowie der zuständigen Landeskriminalämter und somit für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig sein. Daher werden die Informationen, entsprechend eingestuft, dem Deutschen Bundestag gesondert übermittelt.* 1. Wie viele der aus Deutschland zum sog. Islamischen Staat ausgereisten Personen befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung noch in Syrien, dem Irak und welchen anderen Staaten (bitte nach Staaten aufschlüsseln und bitte auch Schätzungen angeben, falls keine genauen Zahlen bekannt sind)? Derzeit liegen Informationen zu mehr als 1 050 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien bzw. Irak gereist sind. Etwa die Hälfte der ausgereisten Personen befindet sich aktuell noch im Ausland. Auf Grund der unübersichtlichen Lage vor Ort – vor allem in Syrien – ist häufig nicht gesichert bekannt, wo sich die ausgereisten Personen aufhalten und ob sie sich dem sogenannten „Islamischen Staat“ oder anderen islamistischen Organisationen , Vereinigungen und Zusammenschlüssen ggf. auch zum Kampf gegen den „Islamischen Staat“ angeschlossen haben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in Anbetracht der besonderen Ausstrahlungs- und der Anziehungskraft des „Islamischen Staates“ sich viele der ausgereisten Personen im sogenannten „Kalifat“ niederließen. * Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat Teile der Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/8739 a) Wie viele dieser Personen verfügen neben der deutschen noch über weitere Staatsangehörigkeiten (bitte nach Staaten aufschlüsseln), und wie viele dieser Personen haben in Deutschland einen anderen, und wenn ja, welchen Aufenthaltstitel? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Darüber hinaus kann jedoch ergänzt werden, dass in der Gesamtschau mehr als die Hälfte der ausgereisten Personen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. b) Wie viele dieser Personen befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung in den o. g. Staaten noch auf freiem Fuß? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. c) Wie viele dieser Personen befinden sich jeweils in Gefängnissen in Syrien , im Irak oder welchen anderen Staaten, und in welchen Städten befinden sich diese, und welchen Staaten bzw. Machthabern unterstehen die Haftanstalten? Im Irak befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung mit Stand vom 15. März 2019 elf Personen in Haft, davon drei in Erbil (Autonome Region Kurdistan ) und acht in Bagdad (irakische Zentralregierung). In Syrien befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung mit Stand vom 15. März 2019 61 Personen in Haft oder haftähnlichem Gewahrsam. Mehrheitlich unterstehen die Haftanstalten bzw. Örtlichkeiten des Gewahrsams der Syrian Democratic Forces (SDF). Eine Unterteilung nach Städten kann nicht vorgenommen werden, da hierzu keine belastbaren Daten vorliegen. Darüber hinaus befinden sich nach Kenntnis der Bundesregierung in Griechenland eine und in der Türkei drei Personen in Haft. d) Wie viele dieser Personen befinden sich in den Händen der Syrian Democratic Forces (SDF)? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. e) Wie viele dieser Personen sind männlich beziehungsweise weiblich (bitte soweit möglich nach Frage 1a und 1b aufschlüsseln)? Die Antwort bezieht sich auf in Gewahrsam befindliche bzw. inhaftierte Personen , da hierzu valide Angaben getätigt werden können. Demnach handelt es sich mit Stand vom 15. März 2019 um 43 Frauen und 32 Männer. f) Wie viele dieser Personen sind minderjährig? Bzgl. minderjähriger deutscher Staatsangehöriger in irakischer Haft wird auf Antwort zu Frage 4 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8739 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung seit der Antwort auf die Kleine Anfrage vom 9. Januar 2018 auf Bundestagsdrucksache 19/387 aus Deutschland zum sog. Islamischen Staat ausgereist, und wie viele sind im gleichen Zeitraum wieder nach Deutschland zurückgekehrt? Zum Ende des Jahres 2018 lagen Informationen zu mehr als 1 050 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien bzw. Irak gereist sind. Etwa ein Drittel dieser ausgereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Da Ausreisen oftmals erst mit einer zeitlichen Verzögerung bekannt werden, kann aus dem Anstieg der Angaben im Vergleich zu der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/387; auf die damalige Kleine Anfrage nicht geschlussfolgert werden, dass seit dem 1. Dezember 2017 90 Personen aus Deutschland in Richtung Syrien bzw. Irak ausgereist sind. Derzeit werden Ausreisesachverhalte nur noch vereinzelt nachträglich bekannt. Neue Ausreisesachverhalte in Richtung Syrien bzw. Irak sind aktuell nicht bekannt und auch nur noch in Einzelfällen zu erwarten. 3. Inwiefern liegen nach Kenntnis der Bundesregierung Analysen zum Radikalisierungsgrad und zur Gewaltbereitschaft der (potentiellen) Rückkehrerinnen und Rückkehrer, insbesondere den Fragen 1 und 2 Genannten, vor? Ausreisende in Jihad-Gebiete und entsprechend rückkehrende Personen stellen eine Personengruppe dar, die im Rahmen der sicherheitsbehördlichen Bearbeitung naturgemäß einen besonderen Stellenwert haben. Die Radikalisierungsverläufe und -hintergründe von nach Syrien/Irak ausgereisten Personen wurden analysiert und müssen bei Rückkehr unter Einbeziehung des dort Erlebten neu bewertet werden. Hierbei sind von der kompletten Desillusionierung und Abkehr der Personen von islamistischen Ideologien bis hin zur massiven Steigerung des Radikalisierungsgrades bzw. der Gewaltbereitschaft alle Szenarien möglich. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz das Risikobewertungsinstrument „Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer TE (RADAR-iTE)“ entwickelt. RADAR-iTE ermöglicht eine weitgehend einheitliche und standardisierte polizeiliche Einschätzung des Personenpotenzials im Bereich des islamistischen Terrorismus und die Priorisierung polizeilicher Maßnahmen in Bund und Ländern. Die Risikobewertung wird mit Hilfe eines Risikobewertungsbogens mit standardisierten Fragen und Antwortkategorien durchgeführt. Die im Risikobewertungsbogen enthaltenen Fragen bilden sowohl risikosteigernde als auch -senkende Merkmale ab. Nach festgelegten Regeln wird die bewertete Person einer dreistufigen Risikoskala zugeordnet. Diese unterscheidet zwischen einem hohen, einem auffälligen und einem moderaten Risiko für die Begehung einer schweren Gewalttat in Deutschland. Gemäß einer Studie des BKA zeichnet sich für die Gruppe der Rückkehrer ein heterogenes Bild ab. Die Spannbreite reicht von Mitläufern, deren szenetypische Aktivitäten nach Rückkehr deutlich abnahmen und/oder nicht mehr feststellbar waren, bis hin zu gewaltaffinen Personen mit erheblichen polizeilichen Vorerkenntnissen . Zum Zeitpunkt der Ausreise gehörte die Mehrheit der Rückkehrer als Mitläufer bzw. Aktivisten der islamistischen Szene an. Nach Wiedereinreise Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/8739 wurde ein Rückgang der aktiven Szenetätigkeit im Sinne von Rekrutierungs-, Werbungs- und/oder Unterstützungsaktivitäten beobachtet. Einer erkennbar kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus/Terrorismus stehen Rückkehrer nur in wenigen Einzelfällen offen gegenüber. In den meisten Fällen muss von einer weiterhin bestehenden islamistischen Grundhaltung ausgegangen werden, die unter bestimmten Umständen eine kurzfristige Mobilisierung zulässt. Männliche Rückkehrer sind in der Regel kampferprobt und militärisch ausgebildet und stellen somit eine besondere Gefahr dar, da sie ihr Know-how für Gewalthandlungen einsetzen könnten. Kollektive oder individuelle Gewaltausbrüche von Rückkehrern sind daher einzukalkulieren. Des Weiteren wird auf die IMK-Studie zur Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind (Stand 2016), verwiesen . Bspw. geht aus dieser Studie hervor, dass von mehr als jeder vierten ausgereisten Person (27 Prozent) bekannt ist, dass sie vor ihrer Ausreise salafistisch agitierte und auch ihr persönliches Umfeld zu beeinflussen versuchte. Aktuell startet im Bundeskriminalamt das Projektvorhaben „Rückkehrer aus dem sogenannten Islamischen Staat“. Ziel des Projektes ist die Untersuchung der (De-)Radikalisierungsverläufe von rückgekehrten Personen, die ursprünglich aus Deutschland nach Syrien bzw. Irak ausgereist sind, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, wie sich das Nähe-Distanz-Verhältnis zu salafistischen Milieus/Gruppierungen nach der Rückkehr entwickelt. Das Projektvorhaben stellt insofern eine Fortführung der o. g. Studie mit thematischer Fokussierung auf die Gruppe der Rückkehrer dar. Die Mindestlaufzeit beträgt 2,5 Jahre. 4. Wie viele Kinder von IS-Angehörigen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder deutschem Aufenthaltstitel halten sich nach Schätzungen der Bundesregierung aktuell in Syrien bzw. dem Irak auf? Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse zu mindestens 59 Kindern mit mutmaßlich deutscher Staatsangehörigkeit vor, die sich in Syrien befinden. In Irak hat die Bundesregierung mit Stand vom 15. März 2019 Kenntnis von drei Kindern von mutmaßlichen IS-Anhängern mit deutscher Staatsangehörigkeit oder deutschem Aufenthaltstitel. a) Wie schätzt die Bundesregierung die Chancen ein, möglichst bald alle Kinder deutscher Staatsbürger, die sich in Syrien bzw. dem Irak befinden, nach Deutschland überführen zu können? b) Inwiefern hält die Bundesregierung die Rückführung zum Wohl der Kinder für notwendig, und inwiefern ist das Wohl der Kinder auch für die Art der Rückkehr und bei der Unterbringung in Deutschland maßgeblich? Die Fragen 4a und 4b werden gemeinsam beantwortet. In Syrien ist die deutsche Botschaft geschlossen. Eine konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen ist daher nicht möglich. Unabhängig davon prüft die Bundesregierung auch in Abstimmung mit ihren Partnern mögliche Optionen , um deutschen Staatsangehörigen, auch in humanitären Fällen, eine Rückführung nach Deutschland zu ermöglichen. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8739 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode In Irak unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen der Mütter und Angehörigen zur Rückführung dieser Kinder. c) Inwieweit plant die Bundesregierung, die betroffenen Jugendämter im Umgang mit zurückkehrenden Kindern zu unterstützen? d) Welche staatlichen Auffangsysteme plant die Bundesregierung insbesondere den rückkehrenden Minderjährigen anzubieten? e) Welche Maßnahmen zur Integration und gegebenenfalls Deradikalisierung plant die Bundesregierung für betroffene Kinder und Jugendliche? Die Fragen 4c bis 4e werden gemeinsam beantwortet. Der Umgang mit Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und Irak erfordert einen ganzheitlichen sowie lokalen Ansatz, der Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration, wo dies möglich ist, einbezieht. Die Zuständigkeit liegt in erster Linie auf Landes- bzw. lokaler Ebene. Die Bundesregierung unterstützt die Anstrengungen durch eine Vielzahl an Maßnahmen, etwa im Rahmen des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus. So können im Rahmen eines Modellprojekts des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dort der Beratungsstelle Radikalisierung, in Länderkoordinierungsstellen aus dem Bereich Deradikalisierung besonders betroffener Länder sog. „Rückkehrkoordinatorinnen und Rückkehrkoordinatoren“ eingerichtet werden . Ihre Aufgaben sind im Wesentlichen die Vernetzung und Koordinierung der zuständigen Akteure, einschließlich der Jugendämter, bis auf die lokale Ebene. Die Einschätzung einer konkreten Kindeswohlgefährdung erfolgt nach den Vorschriften des Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Die Ausführung des SGB VIII ist gemäß Artikel 30, 83 des Grundgesetzes (GG) Aufgabe der Länder. Auf Grundlage eines Beschlusses der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) aus dem Mai 2018 lässt die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend - und Familienbehörden (AGJF) derzeit eine Orientierungshilfe auf Grundlage von Handlungseckpunkten zum Themenbereich „Kindeswohl“ im Kontext von (islamistisch) „radikalisierten Familien“ erstellen mit dem Ziel, vor Ort Hilfestellung und weiterführende Hinweise zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung , für präventive und intervenierende Maßnahmen sowie zur Kooperation mit anderen Institutionen zur Verfügung zu stellen. Die Orientierungshilfe richtet sich vor allem an die Fachkräfte der Jugendämter. Ein weiteres Ziel ist es, die Aufgaben und Kompetenzen der Kinder- und Jugendhilfe bei anderen Behörden und Institutionen darzulegen und besser bekannt zu machen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/8739 5. Wie schätzt die Bundesregierung aktuell die Chancen ein, in Syrien dem Irak, oder anderen Staaten festgehaltene deutsche Staatsbürger oder Inhaber eines deutschen Aufenthaltstitels zeitnah nach Deutschland zu überführen? a) Welche dortigen und hiesigen administrativen Hürden stehen je einer Rückführung der vorgenannten Personengruppe aus Syrien (bisher bzw. gegenwärtig) entgegen, und wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, diese zu überwinden? b) Welche dortigen und hiesigen administrativen Hürden stehen je einer Rückführung der vorgenannten Personengruppe aus dem Irak und anderer o. g. Aufenthaltsstaaten (bisher bzw. gegenwärtig) entgegen, und wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, diese zu überwinden? Die Fragen 5 bis 5b werden gemeinsam beantwortet. Zu Syrien wird auf die Antwort zu den Fragen 4a bis 4b verwiesen. Irak übt bisher seinen Strafverfolgungsanspruch auch gegen ausländische mutmaßliche IS Unterstützer, die sich in Irak befinden, aus. Eine Rückkehr ausländischer mutmaßlicher IS Unterstützer in ihre Heimatländer setzt deswegen die Zustimmung der irakischen Behörden voraus. c) Welche Bundesministerien sind in welcher Weise involviert in der Frage der Rückführung? In die Frage der Rückführung sind das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz involviert, die sich dazu austauschen und abstimmen. 6. Gegen wie viele in den ehemaligen IS-Gebieten befindliche Personen der vorgenannten Personengruppe wurde nach Kenntnis der Bundesregierung bereits ein Ermittlungsverfahren in Deutschland oder im jeweiligen Staat des aktuellen Aufenthalts oder anderswo wegen Mitgliedschaft beim sog. IS oder wegen Teilnahme an bzw. Unterstützung von IS-Aktivitäten eingeleitet (bitte nach Staat differenzieren und die Straftatbestände, die den jeweiligen Schwerpunkt des Ermittlungsverfahrens bilden, sowie Länder auflisten), und wenn ja, könnten sie nach Erkenntnis der Bundesregierung nach ihrer Rückkehr in Untersuchungshaft genommen werden? a) Wie viele potentielle Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus den ehemaligen IS-Gebieten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bisher aufgrund ihrer Mitgliedschaft beim sog. IS oder wegen Teilnahme an bzw. Unterstützung von IS-Aktivitäten im jeweiligen Staat des aktuellen Aufenthalts oder anderswo angeklagt (bitte nach Staat differenzieren und nach den maßgeblichen Straftatbeständen sowie Ländern aufschlüsseln)? b) Wie viele potentielle Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus den ehemaligen IS-Gebieten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bisher aufgrund ihrer Mitgliedschaft beim sog. IS oder wegen Teilnahme an bzw. Unterstützung von IS-Aktivitäten im jeweiligen Staat des aktuellen Aufenthalts oder anderswo verurteilt (bitte nach Staat differenzieren und nach den maßgeblichen Straftatbeständen sowie Ländern aufschlüsseln)? Die Fragen 6 bis 6b werden gemeinsam beantwortet. Beim Generalbundesanwalt werden derzeit gegen folgende sich in Gewahrsam befindliche deutsche Staatsangehörige Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer terroristischen Vereini- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8739 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gung im Ausland gemäß §§ 129a, b des Strafgesetzbuches (StGB) oder der Begehung von Kriegsverbrechen gemäß § 9 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) geführt: Insgesamt, davon 30 in Syrien, davon: 22 wegen §§ 129a, § 129b StGB 20 wegen § 9 VStGB 2 in Irak, davon: 8 wegen §§ 129a, § 129b StGB 7 wegen § 9 VStGB 1 Gegen 16 dieser Personen liegen Haftbefehle vor. Es wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung in der Regel nur in solchen Fällen Kenntnis über Ermittlungsverfahren im Ausland erlangt, wenn es sich um einen deutschen Staatsangehörigen handelt, der sich im Ausland in Haft befindet und konsularisch betreut werden möchte. Da die in Ermittlungsverfahren erhobenen Tatvorwürfe häufig vertraulich oder nur sehr allgemein übermittelt werden, kann die Bundesregierung zu dieser Frage keine verlässlichen Angaben machen. Zu nichtdeutschen Personen mit gültigem Aufenthaltstitel liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Zu etwaigen Ermittlungsverfahren, die in der Zuständigkeit der Länder geführt werden, nimmt die Bundesregierung aufgrund der Kompetenzordnung des Grundgesetzes keine Stellung. Weiterhin wird auf die Vorbemerkung verwiesen. c) Inwiefern droht nach Erkenntnissen der Bundesregierung inhaftierten deutschen Kämpfern und Mitgliedern des sog. Islamischen Staates die Todesstrafe (bitte nach Personen und Ort der Inhaftierung aufschlüsseln)? Nach Kenntnis der Bundesregierung droht in Irak für die Unterstützung terroristischer Vereinigungen ein Strafmaß von lebenslang bis zur Todesstrafe. d) Inwiefern gewährleistet die Bundesregierung juristischen Beistand für die inhaftierten deutschen Kämpfer und Mitglieder des sog. Islamischen Staates ? Aufgabe der deutschen Auslandsvertretungen nach § 7 des Gesetzes über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (KonsG) ist die konsularische Betreuung deutscher Inhaftierter im Ausland. Im Ausland inhaftierte deutsche mutmaßliche IS Unterstützer werden – sofern sie das wünschen – konsularisch betreut. Dies umfasst auch die Unterstützung bei der Suche und Beauftragung eines Wahlverteidigers. In Syrien ist die deutsche Botschaft geschlossen. Eine konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen ist dort daher nicht möglich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/8739 7. Inwiefern haben oder werden die deutschen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden Kontakt zu den hiesigen Familien der IS-Kämpferinnen und IS-Kämpfer bzw. Rückkehrerinnen und Rückkehrer aufnehmen? Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die sich in Deutschland aufhaltenden Familienangehörigen, soweit sie bekannt sind, durch die örtlich zuständige bzw. ermittlungsführende Dienststelle kontaktiert wurden. 8. Inwiefern haben sich deutsche Sicherheitsbehörden bereits in der Vergangenheit mit der Situation in Deutschland lebender Familien beschäftigt, deren Angehörige in den letzten Jahren zum sog. Islamischen Staat ausgereist sind? Im Sinne eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes sind Maßnahmen der Deradikalisierung bzw. der Reintegration anzuwenden. Hierbei erfolgt die Zusammenarbeit insbesondere auf Länder- und kommunaler Ebene. Eine zentrale Rolle im ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes in der Terrorismusbekämpfung der Bundesregierung spielt die Beratungsstelle Radikalisierung im BAMF (BS). Die BS im BAMF sowie die in deren Beratungsnetzwerk befindlichen zivilgesellschaftlichen Akteure beschäftigen sich seit dem Jahr 2012 mit dem näheren sozialen Umfeld radikalisierter oder radikalisierungsgefährdeter Personen. So sind bundesweit mehr als 70 Berater vor Ort – darunter befinden sich Sozialpädagogen , Politikwissenschaftler, Islamwissenschaftler und Psychologen. Insgesamt wurden bundesweit mehr als 2 500 Fälle bearbeitet. Dabei werden mitunter auch Familien beraten, deren Angehörige zum sog. „Islamischen Staat“ ausgereist sind. Im Rahmen ihrer Tätigkeit nimmt die Beratungsstelle im BAMF telefonische Anfragen entgegen und übermittelt die Ratsuchenden im Einzelfall zur individuellen und bedarfsorientierten Weiterberatung und Betreuung an regionale Kooperationspartner . Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder verweisen anlassbezogen im Rahmen der eigenen Zuständigkeit auf das Beratungsnetzwerk des BAMF. Daraufhin besteht für die Angehörigen die Möglichkeit, sich eine professionelle Unterstützung und Hilfe zu holen. 9. Inwiefern müssen nach Kenntnis der Bundesregierung IS-Rückkehrerinnen und IS-Rückkehrer nach der Rückkehr nach Deutschland mit einem Ermittlungsverfahren auf Grundlage des Völkerstrafrechts rechnen (Tagesschau, 22. Januar 2019)? Alle Rückkehrer, die Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen haben , müssen in Deutschland mit einer Strafverfolgung rechnen, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte hierfür bestehen (§ 152 Absatz 2 der StPO). Dies folgt aus dem Legalitätsprinzip (vgl. § 160 Absatz 1 der StPO). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8739 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Wie bewertet die Bundesregierung die Drohung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, die inhaftierten deutschen Kämpfer und Mitglieder des sog. Islamischen Staats bei mangelnder Kooperation der Herkunftsstaaten freizulassen (vgl. DIE WELT, 17. Februar 2019)? Die Bundesregierung hat die Aussage des US-Präsidenten Donald Trump zur Kenntnis genommen. Sie führt Gespräche mit den USA und europäischen Partnern über das weitere Vorgehen im Umgang mit in Syrien festgehaltenen deutschen terroristischen Kämpfern. 11. Wie viele Personen werden nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland derzeit im Bereich Islamismus je als sogenannte Gefährder bzw. als sogenannte relevante Personen eingestuft, und wie viele davon sind jeweils Rückkehrer aus den ehemaligen IS-Gebieten? Aktuell werden 748 Gefährder und 485 Relevante Personen gezählt. Davon liegen bei über 100 Gefährdern und etwa 60 relevanten Personen Erkenntnisse vor, dass sie aus den ehemaligen IS-Gebieten zurückgekehrt sind. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333