Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 27. März 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/8842 19. Wahlperiode 29.03.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Doris Achelwilm, Cornelia Möhring, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/8314 – Arbeit geschlechtergerecht und diskriminierungsfrei bewerten V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit der Equal Pay Day in Deutschland begangen wird, bekommt die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern regelmäßig öffentliche Aufmerksamkeit. Alljährlich Ende März werden Ursachen diskutiert sowie Maßnahmen zur Schließung der Lücke gefordert. Einer der Ansätze der Bundesregierung ist eine Verringerung der horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes, also die starke Aufteilung des Arbeitsmarktes in „typisch weibliche“ und „typisch männliche“ Berufszweige . So verfolgen etwa die „Nationalen Kooperationen zur Berufs- und Studienwahl“ das Ziel, eine Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterstereotypen als nationale Strategie zu verankern und so zu mehr Chancengleichheit und zu mehr Vielfalt beizutragen. Dem liegt die Annahme zugrunde, eine auf engen Geschlechterrollen und unzulänglicher Information beruhende Wahl unterbezahlter Berufe insbesondere junger Frauen führe mittelbar (und sozusagen selbstverschuldet) zum geringeren Entgelt. Doch vieles weist auf eine umgekehrte Kausalität hin: Der Frauenoder Männeranteil in einem Berufszweig bedingt die Bewertung und infolgedessen auch die Bezahlung einer Tätigkeit. Bereits 1906 schrieb die Ökonomin Alice Salomon: „Tatsächlich bot sich und bietet sich noch heute die Frauenarbeit den Unternehmern aber fast immer billiger als gleichwertige männliche Arbeit dar. Gerade die Billigkeit der Frau hat ihr Eingang auf dem Arbeitsmarkt verschafft.“ Der Comparable-Worth-Index (CW-Index) ist ein Messinstrument, das berufliche Anforderungen und Belastungen per Statistik geschlechterneutral sichtbar macht. Auf diese Weise können Berufe aus unterschiedlichen Bereichen miteinander vergleichbar gemacht werden. Dabei werden auch psychosoziale und körperliche Belastungen erfasst. So hat die Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) vom Juni 2018 „Comparable – Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps?“ ergeben, dass Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen einen ebenso hohen CW-Index erreichen wie Ingenieure in der Elektronik und Telekommunikation. Dabei liegt der Durchschnittsstundenlohn in der ersten Gruppe bei 17,78 Euro brutto und Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8842 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode der Frauenanteil bei 94 Prozent. In der männlich dominierten Vergleichsgruppe liegen der Durchschnittsverdienst bei 30,13 Euro pro Stunde und der Frauenanteil bei lediglich 8 Prozent. Dabei kann der CW-Index auch über die Geschlechterdiskriminierung hinaus Ungleichheiten bei der Arbeitsbewertung aufdecken. So bleiben etwa Lokomotivführer und Elektroinstallateure hinter der Bezahlung anderer gleichwertiger „Männerberufe“ zurück. Frauen profitieren besonders stark von Tarifverträgen, weil diese weniger diskriminierungsanfällig sind. Dennoch liegen auch Tarifverträgen mitunter keine geschlechtsneutralen Arbeitsbewertungen zugrunde. Nach dem Entgelttransparenzgesetz, dessen Evaluierung die Bundesregierung für Juli 2019 angekündigt hat, ist im Falle eines Tarifvertrags nur eine Überprüfung innerhalb derselben Tarifgruppe möglich. Die ungleiche Bezahlung gleichwertiger Tätigkeiten ermöglicht das Gesetz daher gerade nicht. Die Unterbewertung frauentypischer Arbeit findet in der breiten Bevölkerung keine Unterstützung. Nach einer durch das Bundesministerium für Familie, Senioren , Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Untersuchung aus dem Jahr 2015 halten 89 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer das erheblich geringere Gehaltsniveau im Bildungs- und Sozialbereich (in dem überwiegend Frauen erwerbstätig sind) im Vergleich zu anderen Branchen für nicht akzeptabel . 1. Wie hoch ist der aktuelle Gender Pay Gap in Deutschland? Für das Jahr 2018 hat das Statistische Bundesamt einen sogenannten unbereinigten Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern in Höhe von 21 Prozent ermittelt . Der sogenannte bereinigte Verdienstabstand wurde letztmalig für das Jahr 2014 in Höhe von 6 Prozent berechnet. 2. Welche Ursachen bedingen nach Kenntnis der Bundesregierung die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern? Hinter der sogenannten unbereinigten Entgeltlücke stehen wirksame Rollenstereotype , strukturelle Hemmnisse und Anreize sowie unterschiedliche Aufstiegschancen von Frauen und Männern. Insbesondere führen eine geschlechtsspezifische Berufswahl, eine geringere Präsenz von Frauen in Führungspositionen, familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und länger andauernde Teilzeittätigkeit sowie nicht zuletzt die traditionell schlechtere Bezahlung von sogenannten typischen Frauenberufen zu unterschiedlichen durchschnittlichen Entgelten von Frauen und Männern. Dahinter stehen Aber auch bei gleicher formaler Qualifikation und im Übrigen gleichen Merkmalen beträgt der statistisch messbare Entgeltunterschied nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 6 Prozent (sog. bereinigte Entgeltlücke). Auch wenn der statistisch nicht erklärte Teil der Entgeltlücke nicht mit Entgeltdiskriminierung in dieser Höhe gleichzusetzen ist, handelt es sich um ein klares Indiz dafür, dass eine zumeist mittelbare Entgeltbenachteiligung besteht und die praktische Anwendung des Gebots, gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu zahlen, in der Praxis nicht verwirklicht ist. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/8842 3. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit geschlechtergerechter Arbeitsbewertung von der „Devaluationshypothese“? Die Devaluationshypothese ist ein Ansatz aus der Soziologie, um den empirisch beobachteten Zusammenhang zwischen der geringen Bezahlung von Berufen und einem hohen Frauenanteil in diesen Berufen zu erklären. Die Devaluationshypothese geht davon aus, dass Berufe, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, gering entlohnt werden, weil die vermeintlich geringe berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit von Frauen auf diese Berufe übertragen und damit weiblich konnotierte Arbeit kulturell entwertet wird. 4. Welche Berufszweige haben nach Kenntnis der Bundesregierung im historischen Verlauf eine finanzielle Auf- oder Abwertung im Zusammenhang mit einer Verschiebung der geschlechtlichen Segregationslinien erfahren? Der Bundesregierung liegen keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, die sich mit der finanziellen Auf- oder Abwertung von Berufszweigen im historischen Verlauf im Zusammenhang mit einer Verschiebung der geschlechtlichen Segregationslinien befassen. 5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Arbeitsbewertung in Deutschland transparent und geschlechtsneutral erfolgt, oder sieht sie dies als erstrebenswertes Ziel, zu dessen Erreichen neben den unmittelbar verantwortlichen Sozialpartnern auch eine gesellschaftliche Debatte zur Aufwertung typischer Frauenberufe erforderlich ist? 6. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Sozialpartner dabei zu unterstützen, ihren Tarifverträgen geschlechtsneutrale Arbeitsbewertungen zugrunde zu legen? Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung sieht in einer transparenten und geschlechtergerechten Arbeitsbewertung einen wichtigen Beitrag für die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes zwischen Frauen und Männern, insbesondere für die Bekämpfung von mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Arbeits- und Tätigkeitsbewertungen werden in der Regel von den Sozialpartnern vorgenommen und in Tarifverträgen festgelegt. Studien zeigen, dass die berechnete Entgeltlücke dort deutlich kleiner ist, wo Tarifverträge verbindlich gelten. Tarifverträge helfen somit, die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern zu verringern. Den Tarifvertragsparteien wird durch die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) garantierte Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum samt autonomer Regelungsbefugnis eingeräumt. Die Bundesregierung unterstützt die Sozialpartner bei der Anwendung geschlechtergerechter Arbeitsbewertungsverfahren durch Informationsmaterialien, zum Beispiel durch die Bereitstellung des übersetzten Leitfadens der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für genderneutrale Tätigkeitsbewertung oder der Broschüre „Die EVA-Liste zur Evaluierung von Arbeitsbewertungsverfahren“. Dem Equal Pay Day 2019, der unter dem Motto „WertSache Arbeit“ steht und von der Bundesregierung gefördert wird, stellt zudem einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte über die Aufwertung typischer „Frauenberufe“ dar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8842 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, eine im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt anstehende Neubewertung von Tätigkeiten geschlechtergerecht und diskriminierungsfrei zu gestalten, und wie will sie diesen Prozess unterstützen? Die Digitalisierung ist ein wichtiger Faktor, der Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt vorantreibt. Damit verbunden sind auch veränderte Tätigkeiten und Anforderungen an Beschäftigte. Es zeichnet sich beispielsweise ab, dass im Zuge der Digitalisierung Formen des interdisziplinären, kooperativen und vernetzten Arbeitens zunehmen. Kommunikative und soziale Kompetenzen sind in diesen Arbeitsformen von besonderer Bedeutung, wodurch sich ihr Stellenwert bei Anforderungsprofilen und in Bewertungssystemen erhöhen könnte. Die Gestaltung des digitalen Wandels in der Arbeitswelt ist insgesamt eine gemeinsame Aufgabe von Unternehmen, Beschäftigten, Sozialpartnern und Politik. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. 8. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Studie des Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) vom Juni 2018 „Comparable Worth – Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps“? Die Studie zeigt in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext, dass berufliche Anforderungen und Belastungen in den Bereichen Wissen und Können, Verantwortung sowie psycho-soziale und physische Anforderungen nicht über alle Berufe gleich bewertet und bezahlt werden. Auch bei gleichwertigen Anforderungen und Belastungen scheinen Berufe, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, oftmals geringer bewertet und bezahlt zu werden als Berufe, in denen mehrheitlich Männer tätig sind. Insofern liefert die Studie ein weiteres Argument zur Aufwertung der sozialen Berufe, die von der Unterbewertung von Anforderungen und Belastungen nach Ergebnissen dieser Studie stark betroffen sind. 9. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller , dass die Comparable-Worth-Studie mit dem CW-Index erstmals statistisch gezeigt hat, dass die Arbeitsleitung von Frauen im Durchschnitt geringer entlohnt wird als die von Männern? Die Bundesregierung sieht in der Comparable-Worth-Studie einen interessanten wissenschaftlichen Beitrag zur Ursachenforschung des Gender Pay Gaps. Die Studie ergänzt weitere wissenschaftliche und statistische Untersuchungen, die sich mit dem Gender Pay Gap und der Entlohnung von Arbeitsleistung befassen. 10. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller , dass die genannte Studie außerdem zeigt, dass diese geschlechterdifferente Entlohnung von Anforderungen und Belastungen zu einem nicht unerheblichen Teil für den Gender Pay Gap mitverantwortlich ist? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 11. Hat die Bundesregierung Kenntnis von dem durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegebenen Gutachten „Mittelbare Geschlechtsdiskriminierung bei der Besoldung von Grundschullehrkräften nach A 12“ aus dem Jahr 2016, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus ihm? Die Bundesregierung hat Kenntnis von dem Gutachten. Die Besoldung von Grundschullehrkräften fällt jedoch in die Zuständigkeit der Länder. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/8842 12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Anforderungen und Belastungen an Grund- und Hauptschullehrkräfte im Wesentlichen mit denen von Gymnasiallehrkräften vergleichbar sind, so dass eine unterschiedliche Eingruppierung nicht gerechtfertigt werden kann? Wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Die Vergütung von Grundschul-, Hauptschul- und Gymnasiallehrkräften fällt in die Zuständigkeit der Länder. 13. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen in der Vergangenheit in Behörden, die dem Bundesgleichstellungsgesetz unterfallen, in Bereichen mit einem Frauenüberhang Männer eingestellt oder befördert wurden, obwohl Bewerbungen gleich oder höher qualifizierter Frauen vorlagen? Der Bundesregierung sind keine Fälle bekannt. 14. Hält es die Bundesregierung auf mittelbare Sicht für denkbar und wahrscheinlich , dass es in Deutschland zu einer strukturellen Diskriminierung von Männern kommen wird? Die Bundesregierung kann dazu keine Einschätzung abgeben; eine Antwort wäre rein spekulativ. 15. Gibt es bereits Bereiche, in denen eine Unterrepräsentanz von Männern auf deren strukturelle Diskriminierung zurückzuführen ist? Der Bundesregierung sind keine Bereiche bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333