Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 28. März 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/8878 19. Wahlperiode 02.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/8381 – Förderungswürdigkeit des Projekts „genderDynamiken“ V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In Deutschland befindet sich der Frauenanteil im universitären Fachbereich Physik auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau (vgl. hierzu z. B. Beverly Hartline: International Gender Issues in Physics, Vortrag auf der 3. IUPAP International Conference on Women in Physics, 8. bis 10. Oktober 2008, Seoul/Südkorea). Dieser Befund ist nicht überraschend; er korrespondiert mit einer aktuellen Studie, deren Hauptergebnisse zeigen, dass in Ländern mit geringerem Gleichstellungsniveau relativ mehr Frauen unter den MINT-Absolventen waren als in Ländern mit einem hohen Gleichstellungsniveau von Männern und Frauen. Dieses Ergebnis wird als „paradox“ qualifiziert, denn geschlechtergerechte Länder böten Mädchen und Frauen mehr Bildungs- und Aufstiegschancen und förderten das Engagement von Mädchen und Frauen in MINT-Fächern (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik ). Im Weiteren erbrachte die Studie erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die innere Einstellung, wobei Jungen oft eine höhere „Selbstwirksamkeit“, mehr Freude und ein breiteres Interesse an der Wissenschaft zeigten als Mädchen (unter „Selbstwirksamkeit“ – ein Begriff, den der US-amerikanische Psychologen Albert Bandura prägte – versteht die kognitive Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können). Diese Unterschiede waren in Ländern mit einem höheren Maß an Gleichberechtigung – paradoxerweise – größer und korrespondierten mit der persönlichen akademischen Stärke der Studierenden (Gijsbert Stoet/David C. Geary: „The Gender-Equality Paradox in Science, Technology, Engineering, and Mathematics Education“, Psychological Science, Bd. 29, Nr. 4, April 2018, S. 581-593, Übersetzung durch die Fragesteller. Im Original, S. 591: „We also found that boys often expressed higher self-efficacy, more joy in science, and a broader interest in science than did girls. These differences were also larger in more gender-equal countries and were related to the students’ personal academic strength.“). Die Bundesregierung fördert dennoch nach Auffassung der Fragesteller weiter fragwürdige Forschungsvorhaben wie das Verbundprojekt „genderDynamiken“ (Förderkennzeichen 01FP1235/36/37/38) der Freien Universität Berlin und der TU Berlin (= Technische Universität Berlin). Im Rahmen des Projekts „Ge- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8878 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode schlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft. Forschungsbasierte Handlungsempfehlungen am Beispiel der Physik“ wurde dort von November 2012 bis Juni 2015 untersucht, welche „nicht geschlechtsneutralen“ und „ein- und ausschließende Mechanismen“ zu einem geringeren Frauenanteil in der Physik führen. Die Ergebnisse wurden in der Studie „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft . Forschungsbasierte Handlungsempfehlungen am Beispiel der Physik“ (Berlin 2015) publiziert. Die Ergebnisse und „forschungsbasierten Handlungsempfehlungen“ dieses Projekts , die auf gerade einmal 17 Seiten Platz finden, sind aus Sicht der Antragsteller fragwürdig. So wird unter anderem auf die mangelhafte „Work-Life-Balance “ von Physikern und Physikerinnen hingewiesen, die als unzureichend beschrieben wird, oder darauf, dass die Karriere- und Lebensplanung des wissenschaftlichen Mittelbaus durch die prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft beeinträchtigt werde und dass die Betreuungsrelationen verbessert werden müssten. Darüber hinaus wird empfohlen, Gleichstellungsbeauftragte mit mehr Kompetenzen auszustatten (S. 19), eine Frauenförderung auch zu finanzieren, wenn die Frauenquote bereits hoch ist (z. T. über 50 Prozent; S. 19 f.), „gendersensibilisierende “ Fortbildungsmaßnahmen zu fördern, damit die „Bevorzugung von Frauen“ als gerechtfertigt betrachtet werde (S. 20 f.), oder die angeblich (latent) sexistische Fachkultur zu ändern (S. 21). Die Forderungen und Feststellungen, die in dieser Studie unter Punkt 8 („Förderung einer egalitären Wissenschaftskultur“, S. 21) erhoben werden, sind aus Sicht der Fragesteller wissenschaftlich zutiefst fragwürdig. So ist u. a. die Rede davon, dass es „neben der stillschweigenden Durchsetzung asymmetrischer Formen geschlechtlicher Arbeitsteilung“ zu „sexistischen Zuschreibungen und Abwertungen der Kompetenzen von Frauen, etwa in Teamsitzungen und Laborsituationen “ kommen kann (S. 21). Nachprüfbare Belege für diese oder andere Behauptungen wie „Lesben und Schwule in der Physik befürchten, dass Heteronormativität und Homophobie ihre wissenschaftliche Anerkennung gefährden und eine erfolgreiche Karriere behindern“ (S. 21) bleiben die Autorinnen indes schuldig. Damit steht die Frage im Raum, ob und inwieweit die Autorinnen mit dieser Untersuchung den Förderrichtlinien dieses Projekts entsprochen haben, und ob seitens der Bundesregierung die Absicht besteht, dieses Projekt oder ähnlich ausgerichtete Projekte weiter zu fördern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der o. g. Studie über das „Gender Equality Paradox“, deren Ergebnisse es aus Sicht der Antragsteller angezeigt sein lassen, die Förderung derartiger Gender-Projekte seitens der Bundesregierung umgehend einzustellen. 1. Aufgrund welcher Überlegungen kam die Bundesregierung zu dem Entschluss , das Projekt „genderDynamiken“ zu fördern? 2. Mit welcher Fördersumme wurde das Projekt seitens der Bundesregierung gefördert? a) An welche Förderkriterien war das Projekt gebunden? b) Welche Instanz hat über die Vergabe der Fördergelder für dieses Projekt entschieden? Die Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet. Das Verbundvorhaben der Technischen Universität Berlin und der Freien Universität Berlin „genderDynamiken. Fallstudien zur Verschränkung von Fachkulturen und Forschungsorganisationen am Beispiel der Physik (genderDynamiken )“ wurde von 2012 bis 2015 im Rahmen der Förderrichtlinie „Frauen an die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/8878 Spitze“ („Richtlinien zur Förderung von Forschungsvorhaben zum Themenschwerpunkt ‚Frauen an die Spitze‘“ im Rahmen des Förderbereichs „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“ in der modifizierten Fortführung vom 26. Juni 2009) gefördert. Die Kriterien, die bei der Auswahl des geförderten Projekts zugrunde gelegt wurden, ergeben sich aus der Förderrichtlinie „Frauen an die Spitze“. Im Einzelnen sind das: – Innovationsgehalt des Konzepts, – fachliche Qualität der Skizze, – Wirtschaftlichkeit des Konzepts sowie – zu erwartende Nachhaltigkeit/Verstetigung. Über die Förderfähigkeit des Vorhabens „genderDynamiken“ hat das zuständige Fachreferat im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Regelungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO), insbesondere §§ 23, 44 und der jeweiligen Ausführungs- bzw. Verwaltungsvorschriften (VV-BHO) in Verbindung mit den Nebenbestimmungen für Zuwendungen der Projektförderung entschieden. Die Bundesregierung hat die Förderlinie „Frauen an die Spitze“ initiiert und in ihrem Rahmen die Förderung des Verbundvorhabens „genderDynamiken“ ermöglicht, um mit einer zukunftsorientierten Förderpolitik die Schaffung von Voraussetzungen anzustoßen, die es ermöglichen, dass Frauen in Wissenschaft und Forschung in allen Bereichen und auf allen Ebenen, vor allem in Führungspositionen, gleichberechtigt vertreten sind. Das Vorhaben wurde mit Bundesmitteln in Höhe von 554 551,30 Euro gefördert . 3. Hat die Bundesregierung Kenntnis über die Gesamtfördersumme für dieses Projekts? a) Falls ja, wie hoch war die Gesamtfördersumme? b) Wie hoch war die Fördersumme aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds der EU? c) Falls nein, warum nicht? Die Gesamtfördersumme für das Verbundvorhaben betrug 1 021 186,34 Euro. Der Anteil aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds an der Gesamtfördersumme betrug 466 635,04 Euro. 4. Inwieweit entsprechen aus Sicht der Bundesregierung die in der Studie präsentierten Ergebnisse und „forschungsbasierten Handlungsempfehlungen“ den Förderkriterien? a) Falls den Förderkriterien aus Sicht der Bundesregierung entsprochen wurde, an welchen Kriterien macht die Bundesregierung dies fest? b) Falls den Förderkriterien aus Sicht der Bundesregierung nicht entsprochen wurde, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus diesem Befund ggf. gezogen? Die Erfüllung der Förderkriterien war Voraussetzung für eine Förderung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Die Ergebnisse des Vorhabens wurden entsprechend der in der Vorhabenbeschreibung des Antrags dargestellten Vorgehensweise und den dort enthaltenen Arbeits- und Verwertungsplänen in eigener Verantwortung der Zuwendungsempfänger publiziert. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/8878 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie, nach denen Frauen implizit unterstellt wird stärker unter Leistungsdruck, hoher Arbeitsbelastung und hartem Wettbewerb zu leiden als Männer, stärker unter der prekären Beschäftigung zu leiden als Männer, stärker auf eine bessere Betreuungsrelation angewiesen zu sein als Männer ? Falls die Bundesregierung diese Ergebnisse nicht teilt, warum nicht? Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Befunde, die die von den Projektverantwortlichen im Ergebnis ihrer Untersuchungen festgestellten spezifischen Belastungsszenarien speziell für Frauen stützen, finden sich auch in den beiden bisher von der Bundesregierung veröffentlichten Gleichstellungsberichten (Bundestagsdrucksache 17/6240 vom 16. Juni 2011 sowie Bundestagsdrucksache 18/12840 vom 21. Juni 2017). 6. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Handlungsempfehlung, wonach eine Frauenförderung auch dann weiter erfolgen soll, wenn der Frauenquote bereits Genüge getan wurde? Falls die Bundesregierung diese Forderung nicht teilt, warum nicht? 7. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Handlungsempfehlung, wonach die „Bevorzugung von Frauen“ keinesfalls als nicht gerechtfertigt betrachtet werden dürfe und diese Auffassung durch „Sensibilisierungsmaßnahmen“ zu entkräften sei? Falls nein, warum teilt die Bundesregierung diese Handlungsempfehlung nicht? Die Fragen 6 und 7 werden gemeinsam beantwortet. Die Handlungsempfehlungen aus dem Vorhaben werden von der Leitung des Vorhabens verantwortet und sind nicht an die Bundesregierung gerichtet. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die in der Studie erhobene Behauptung, nach der dem Fachbereich Physik eine latent sexistische Kultur (S. 21) unterstellt wird? a) Falls ja, kann die Bundesregierung Gründe für diese Auffassung angeben? b) Falls nein, warum teilt die Bundesregierung diese Behauptung nicht? Die Verantwortung für sämtliche Ergebnisse des Vorhabens, nicht nur die publizierten , liegt bei den Projektverantwortlichen. Die Projektergebnisse sollen den Akteurinnen und Akteuren im Wissenschaftssystem, z. B. bei ihrem eigenverantwortlichen Bemühen um eine geschlechtersensible Ausgestaltung von Fachkulturen , zur Verfügung stehen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/8878 9. Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung bisher aus den „forschungsbasierten Handlungsempfehlungen“ des Projekts „genderDynamiken “ gezogen? a) Falls die Bundesregierung Schlussfolgerungen gezogen hat, welcher Art sind diese Schlussfolgerungen? b) Falls die Bundesregierung bisher keine Schlussfolgerungen gezogen hat, warum ist das nicht erfolgt? Die forschungsbasierten Handlungsempfehlungen des Vorhabens sind nicht an die Bundesregierung gerichtet, sondern sollen den Akteurinnen und Akteuren im Hochschulbereich zur Verbesserung von Organisationskulturen und -strukturen in der Wissenschaft sowie zur Förderung der Chancengerechtigkeit in den Naturwissenschaften zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung nimmt hierauf keinen Einfluss. 10. Inwieweit bestehen seitens der Bundesregierung Pläne, das Projekt „gender- Dynamiken“ fortzuführen? a) Falls ja, wie weit sind diese Planungen vorangeschritten? b) Falls nein, warum plant die Bundesregierung keine Fortführung dieses Projektes? Das Verbundvorhaben „genderDynamiken“ ist abgeschlossen. Pläne zu dessen Fortführung bestehen seitens des Zuwendungsempfängers sowie seitens des Zuwendungsgebers nicht. 11. Inwieweit ist der Bundesregierung die o. g. Studie von Gijsbert Stoet und David C. Geary: „The Gender-Equality Paradox in Science, Technology, Engineering , and Mathematics Education“ (2018) bekannt? a) Falls ja, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung ggf. aus dieser Studie im Hinblick auf die Gleichstellungspolitik gezogen? b) Falls die Bundesregierung aus dieser Studie bisher keine Konsequenzen gezogen hat, warum nicht? Der Bundesregierung sind zahlreiche Studien bekannt, die das Berufswahlverhalten von Frauen und Männern beleuchten. Auf Basis dieser Erkenntnisse ist insgesamt festzuhalten, dass die Berufswahl komplexen Entscheidungswegen folgt und gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine maßgebliche Rolle spielen. Gleichstellungspolitisch erscheint es wichtig, dass Frauen und Männer darin bestärkt werden, sich bei der Berufswahl nicht von klischeehaften Geschlechtervorstellungen einschränken zu lassen, sondern ihren persönlichen Interessen und Fähigkeiten folgen. Aus Sicht der Bundesregierung ist insbesondere für Jugendliche eine klischeefreie Berufs- und Studienwahlorientierung für die freie Entfaltung ihrer individuellen Talente und Begabungen weiterhin notwendig und unterstützenswert . Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland garantiert die Freiheit der Wahl des Berufes, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333