Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 2. April 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9183 19. Wahlperiode 08.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Dr. Frithjof Schmidt, Gerhard Zickenheiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/8504 – Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzübergreifenden Kontext V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Unterschiede in Vorschriften und Verwaltungsverfahren können in grenzübergreifenden Regionen zu Schwierigkeiten in Bezug auf Gesundheitsversorgung, Arbeitsrecht, öffentlichen Nahverkehr und Wirtschaftsförderung führen. Die grenzübergreifende Zusammenarbeit ist häufig sehr komplex, langwierig und kostspielig. Andererseits darf grenzüberschreitende Zusammenarbeit kein Anreiz für Standardabsenkungen (Forum Shopping) bei Rechtsstaatlichkeit, Datenschutz , Umwelt-, Arbeitnehmerschutz- und Sozialstandards sein. Der Vorschlag über einen Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzübergreifenden Kontext (COM (2018) 373) soll der Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in Grenzregionen dienen. Der freiwillige Mechanismus soll Mitgliedstaaten dabei behilflich sein, praktische und anwendungsbezogene Lösungen in grenznahen Bereichen zu entwickeln. Mithilfe des Mechanismus können die Vorschriften eines Mitgliedstaats in einem Nachbarmitgliedstaat übernommen werden. Diese grenzübergreifende Zusammenarbeit soll nur für zeitlich begrenzte spezifische Projekte oder Maßnahmen gelten, die in einer Grenzregion durchgeführt werden . Der Mechanismus soll auch für Infrastrukturmaßnahmen und Dienstleistungen , die in der grenzübergreifenden Region erbracht werden, gelten. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e r e g i e r u n g Am 29. Mai 2018 hat die Europäische Kommission ein Legislativpaket zur europäischen Strukturfondspolitik vorgelegt. Dieses Legislativpaket beinhaltet u. a. den Vorschlag einer Verordnung (COM (2018) 373) über einen Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse in einem grenzüberschreitenden Kontext. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9183 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Erstmalig wurde der Verordnungsvorschlag am 16. Oktober 2018 im Rahmen einer ersten Orientierungsdebatte in der Ratsarbeitsgruppe (RAG) Strukturförderung beraten. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die große Mehrheit der EU- Mitgliedstaaten dem Verordnungsentwurf kritisch gegenüber steht (Zweifel an der Freiwilligkeit, hoher bürokratischer Aufwand, verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der nationalen Gesetzgebungskompetenz, Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger). 1. Wie bewertet die Bundesregierung bestehende Instrumente für die verbesserte Zusammenarbeit in einem grenzübergreifenden Kontext, und sind die bestehenden Instrumente für eine effektive grenzübergreifende Zusammenarbeit nach Ansicht der Bundesregierung ausreichend? In der praktischen Umsetzung grenzüberschreitender Projekte bedienen sich die Grenzregionen verschiedener Instrumente, z.B. Staatsverträgen, Euroregionen, Interreg-Programmen und Europäischer Verbünde territorialer Zusammenarbeit. Die Bundesregierung bewertet die bestehenden Instrumente in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich als positiv und wirkungsvoll. Bei der Bewertung der bestehenden Instrumente im Hinblick auf eine effektive grenzüberschreitende Zusammenarbeit sind auch die Nachteile, die mit dem jeweiligen Instrument typischerweise verbunden sind – z. B. lange Verhandlungen über das Zustandekommen von Staatsverträgen –, zu berücksichtigen. 2. Ist der Verordnungsvorschlag (COM (2018) 373) nach Ansicht der Bundesregierung hilfreich, wenn die Einrichtung eines Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hürden im grenzübergreifenden Kontext nur auf einer freiwilligen Basis verwendet wird? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Der Vorschlag lässt es hinsichtlich der Frage der Freiwilligkeit an der nötigen Klarheit fehlen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass jeder Mitgliedstaat in vollem Umfang selbst darüber entscheiden muss, ob er die bereits existierenden Instrumente als wirkungsvoll erachtet oder nicht. Die Europäische Kommission dagegen darf die in einem Mitgliedstaat bestehenden Vorgehensweisen zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hindernisse nicht auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und so faktisch über die Einführung eines Mechanismus entscheiden. Sofern der Mitgliedstaat die bereits existierenden Instrumente im Einzelfall als nicht oder nicht ausreichend wirkungsvoll ansehen sollte, könnte die Einrichtung eines Mechanismus zur Überwindung rechtlicher und administrativer Hürden im grenzüberschreitenden Kontext ein geeignetes Instrument sein, um Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu überwinden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/9183 3. Erachtet die Bundesregierung die Einrichtung der grenzübergreifenden Koordinierungsstellen , die in Artikel 5 und 6 des Verordnungsvorschlags vorgeschlagen werden, als sinnvoll? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 4. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland bereits jetzt Koordinierungsstellen , die die Vorgaben und Aufgaben, die in Artikel 5 und 6 des Verordnungsvorschlags aufgeführt sind, erfüllen? Falls ja, welche? Falls nein, wie plant die Bundesregierung die Errichtung dieser Koordinierungsstellen ? Die Fragen 3 und 4 werden gemeinsam beantwortet. Nach Auffassung der Bundesregierung existieren bereits in vielen Grenzregionen zuständige Stellen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Inwieweit es neuer bzw. zusätzlicher Stellen bedarf, muss in den jeweiligen Grenzregionen geklärt und beurteilt werden. Die Prüfung, ob und in welcher Form ein Handlungsbedarf besteht, muss zu einem späteren Zeitpunkt unter Einbindung der Grenzregionen vorgenommen werden. 5. Müssen nach Auffassung der Bundesregierung immer alle vom Mechanismus betroffenen Mitgliedsländer einem neuen Mechanismus in ihrer Grenzregion zustimmen? Auf Basis des vorliegenden Verordnungsvorschlags müssten nach Auffassung der Bundesregierung alle betroffenen Mitgliedstaaten einem neuen Mechanismus in ihrer Grenzregion zustimmen. 6. In welchen Bereichen und Regionen ist nach Auffassung der Bundesregierung ein neuer Mechanismus notwendig, weil bestehende bilaterale Vereinbarungen nach nationalem Verfassungs- bzw. Satzungsrecht nicht ausreichend sind? In allen Bereichen, in denen keine oder keine ausreichenden bilateralen Vereinbarungen nach nationalem Recht bestehen, könnte nach Auffassung der Bundesregierung ein neuer Mechanismus hilfreich sein, bestehende Hindernisse in der grenzübergreifenden Zusammenarbeit zu überwinden. Solche Hindernisse wirken sich vor allem in grenznahen Regionen aus (z. B. bei Einrichtung und Betrieb einer grenzüberschreitenden Straßenbahnlinie). Im Vertrag von Aachen wurde beispielsweise für die deutsch-französische grenzüberschreitende Zusammenarbeit vereinbart, dass „beide Staaten unter Achtung der jeweiligen verfassungsrechtlichen Regeln der beiden Staaten sowie im Rahmen des Rechts der Europäischen Union die Gebietskörperschaften der Grenzregionen sowie grenzüberschreitende Einheiten wie Eurodistrikte mit angemessenen Kompetenzen, zweckgerichteten Mitteln und beschleunigten Verfahren aus[statten], um Hindernisse bei der Umsetzung grenzüberschreitender Vorhaben , insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Umwelt, Gesundheit, Energie und Transport zu überwinden. Sofern kein anderes Instrument es ihnen ermöglicht, Hindernisse dieser Art zu überwinden, können auch angepasste Rechts- und Verwaltungsvorschriften einschließlich Ausnahmeregelungen vorgesehen werden.“ Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9183 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Sollen nach Ansicht der Bundesregierung bereits bestehende bilaterale Regelungen und Mechanismen im grenzübergreifenden Kontext ihre volle Gültigkeit behalten? Grundsätzlich sollten bestehende bilaterale Regelungen ihre volle Gültigkeit behalten . Nach Ansicht der Bundesregierung ist die Gültigkeit der bestehenden bilateralen Regelungen und Instrumente im grenzübergreifenden Kontext beim Hinzukommen eines eventuell neuen Mechanismus im Einzelfall erneut zu beurteilen . 8. Wie bewertet die Bundesregierung Artikel 21 des Verordnungsvorschlags und den darin enthaltenen Verweis, dass sich in der grenzübergreifenden Region wohnhafte Personen an die Gerichte des anderen Mitgliedstaats wenden können, und welche Probleme könnten nach Kenntnis der Bundesregierung daraus resultieren? Nach Ansicht der Bundesregierung darf ein solcher Mechanismus nicht zu Rechtsschutzdefiziten führen. Im Hinblick auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gilt prinzipiell das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip, wonach die Tätigkeit deutscher Behörden im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz grundsätzlich deutscher Gerichtsbarkeit unterliegt. Abweichungen sollten unionsrechtlich nicht vereinbart werden. Darüber hinaus sollte vermieden werden , dass Gerichte in solchen Fällen das Recht eines anderen Mitgliedstaates anwenden müssen. Sonderregelungen zum Rechtsschutz, die einer besonderen Rechtfertigung bedürften, sollten nicht einheitlich – wie in Artikel 21 und 22 des Verordnungsvorschlags vorgesehen – geschaffen werden, sondern allenfalls einzelfallbezogen in den europäischen grenzüberschreitenden Verpflichtungen und Erklärungen. Es besteht zudem kein Anlass, hier Ausnahmen zu den bestehenden Regeln über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu schaffen. 9. Ist nach Einschätzung der Bundesregierung bei dem Verordnungsvorschlag ausgeschlossen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit negative Anreize für Umgehungen (Forum Shopping) bei insbesondere Rechtsstaatlichkeit , Rechtsschutz, Datenschutz, Umwelt-, Arbeitnehmerschutz und Sozialstandards bietet? Der Verordnungsvorschlag geht davon aus, dass in den genannten Bereichen in der Europäischen Union ein ausreichend harmonisiertes Mindestschutzniveau besteht . Für alle genannten Bereiche gilt grundsätzlich, dass der EU-Acquis die nationalen Regelungen in den Mitgliedstaaten stark überformt und prägt. Diese EUrechtlichen Mindeststandards gelten unabhängig davon, welches Recht eines EU- Mitgliedstaates im Einzelfall unter Anwendung des in der Verordnung vorgesehenen Mechanismus für anwendbar vereinbart wird. Es ist allerdings denkbar, dass nationale Regelungen in Einzelbereichen über das EU-Recht hinausgehende Anforderungen festlegen. Je nach Konstellation ist es nach dem vorgeschlagenen Mechanismus denkbar, dass im Einzelfall eines grenzüberschreitenden Vorhabens das Recht des beteiligten Mitgliedstaates zur Anwendung kommen würde, der den niedrigeren Schutzstandard festgelegt hat. Auch hierzu gilt, dass bezüglich des Verordnungsvorschlags zahlreiche offene Fragen hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und Umsetzung sowie der Freiwilligkeit der Anwendung des Mechanismus bestehen, die aus Sicht der Bundesregierung zu klären sind. Negative Auswirkungen auf Standards in einzelnen Rechtsbereichen können nicht ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung sieht die entsprechenden Formulierungen des Verordnungsentwurfes daher grundsätzlich als überarbeitungsbedürftig an. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333