Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 9. April 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9328 19. Wahlperiode 11.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frank Sitta, Renata Alt, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/8726 – „P-Hacking“ und „File Drawer Problem“ bei epidemiologischen Studien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Unter „P-Hacking“ oder dem so genannten Selektionsbias versteht man in der Statistik die Auswahl und Auswertung von Daten in einer Weise, dass nicht signifikante Forschungsresultate über eine Signifikanzschwelle gehoben werden . In der Praxis erfolgt dies meist über eine verzerrende Manipulation des p-Werts, um ihn unter die 5-Prozent-Grenze zu drücken und somit dem Ergebnis eine scheinbare statistische Signifikanz zuzuschreiben. Dies kann z. B. durch das Aufteilen in Gruppen und das Ausschließen von Datensätzen erreicht werden oder durch das Erheben und analysieren von verschiedenen Variablen, ohne am Schluss über die nicht signifikanten Variablen bzw. Analysen zu berichten. Den Begriff „P-Hacking“ hat Professor Uri Simonsohn (University of Pennsylvania ) geprägt, der auch aussagte, dass das Phänomen deswegen immer häufiger vorkomme, weil öfter nach „sehr geringen Effekten in verrauschten Daten gesucht werde“. Eine Plausibilitätsprüfung sei gerade dann, wenn andere Einflüsse eine Wirkung stark überlagern, besonders wichtig (vgl. „Scientific method: Statistical errors“, nature 506, 2014, S. 150 – 152, abrufbar unter www.nature.com/news/scientific-method-statistical-errors-1.14700). In die gleiche Richtung argumentierte Michael Thun, emeritierter Vizepräsident „analytic epidemiology“ bei der American Cancer Society: „With epidemiology you can tell a little thing from a big thing. What’s very hard to do is to tell a little thing from nothing at all“ (vgl. „Epidemiology Faces Its Limits“, Science, Vol. 269, 1995). Zusätzlich ergaben systematische Reviews, dass sich Wissenschaftler oft gar nicht über die sehr begrenzte Aussagekraft des p-Werts im Klaren sind (vgl. nature, 2014, s. o.). Sander Greenland (University of California) behauptete bereits 1995, dass die meisten seiner Kollegen in der Epidemiologie die eigentliche Bedeutung eines 95-Prozent-Konfidenzintervalls nicht verstünden (Science, 1995, s. o.). Ein fehlerhaftes Verständnis führt oft zu einem regelrechtem Absuchen großer Datensätze nach vermeintlichen Signifikanzen, was schließlich zu einer Bestätigung eines „Bias“ führen kann, aber grundsätzlich nicht zu wissenschaftlich aussagekräftigen Resultaten führt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9328 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Unter dem „File Drawer Problem“ oder dem so genannten Publikationsbias versteht man die statistisch verzerrte Darstellung der Datenlage vorhandener wissenschaftlicher Untersuchungen infolge einer bevorzugten Veröffentlichung statistisch signifikanter Ergebnisse bzw. der Nichtveröffentlichung nicht statistisch signifikanter Ergebnisse. Daher tendieren Metastudien grundsätzlich zur Herausarbeitung zu hoher Signifikanzniveaus oder ebenfalls zur Feststellung von Signifikanzen, wo es keine gibt. Insoweit kann der Publikationsbias zu einer Verstärkung des Selektionsbias führen, und soweit es sich bei den ausgewählten Quellstudien einer Metastudie wiederum um Metastudien handelt, kann sich diese Verzerrung der Datenlage weiter potenzieren. Methodenbedingt sind in der Epidemiologie beide Probleme sehr bedeutsam und stellen die Validität epidemiologischer Studien oftmals grundsätzlich infrage . So erklärte Dimitrious Trichopoulos (ehemaliger Vorsitzender der Abteilung für Epidemiologie an der Harvard School of Public Health in Boston): „People don’t take us seriously, and when they do, we may unintentionally do more harm than good“ (Science, s. o.). Kenneth Rothman (Boston University) setzte „alles daran, den Gebrauch von p-Werten durch Autoren einzudämmen, als er im Jahr 1989 das Journal „Epidemiology“ auflegte. Ohne nachhaltigen Erfolg: Mit seinem Ausscheiden im Jahr 2001 begann sofort die Rückkehr der p-Werte“ (nature, 2014, s. o.). John P. A. Ioannidis (Stanford Prevention Research Center) zeigte schließlich u. a. in seinem viel beachteten Artikel „Why most Published Findings Are False“ (2005, abrufbar unter https://doi.org/10. 1371/journal.pmed.0020124), dass Studien, die die hier betrachteten statistischen Signifikanzen aufzeigen sollen, sogar in den allermeisten Fällen „unvermeidlich “ falsch seien. Daran hat sich – wie in späteren Publikationen u. a. von ihm gezeigt – nichts geändert. Durch den Wildwuchs von epidemiologischen Metastudien, die ohne viel Aufwand zu erstellen sind und durch den immer leichter werdenden Rückgriff auf beliebig viele bereits vorhandene und ggf. bereits verzerrte Datensätze sowie durch den Rückgriff auf immer mehr mögliche Variablen durch „Big Data“, wodurch ebenfalls das Auftreten unechter Korrelationen potenziert wird (vgl. Nassim N. Taleb, 2013, „Beware of the big errors of Big Data“, www.wired.com/2013/02/big-data-means-big-errors-people/), dürfte das Problem im Gegenteil derzeit dramatisch zunehmen. Insbesondere aufgrund dieser grundlegenden Probleme sind epidemiologische Studien meist mit großer Vorsicht zu genießen. Insbesondere dann, wenn zum selben Untersuchungsgegenstand neben Studien, die Signifikanzen aufzeigen, auch solche existieren, die gerade keine Signifikanzen aufzeigen, sind nach Ioannides (s. o.) falsch positive Ergebnisse wahrscheinlich. Dies ist beim Untersuchungsgegenstand der Langfristwirkung von Stickstoffdioxid niedriger Konzentration (unter 200 µg/m³) auf die menschliche Gesundheit der Fall, wie alle großen Reviews bestehender Untersuchungen zeigten: – Air Quality Criteria for Oxides of Nitrogen, US Environmental Protection Agency (EPA), 1993: „Most studies did not find any effects, […] the basic conclusion is that there is insufficient epidemiological evidence to make any conclusion about the long- or short-term effects of NO2 on pulmonary function.“ (Volume III, S. 14 – 84). – Nitrogen oxides. Geneva, World Health Organization (WHO), 1997 (Environmental Health Criteria, No. 188), abrufbar unter www.inchem.org/ documents/ehc/ehc/ehc188.htm): „The association between outdoor NO2 and respiratory health is not clear from current research.“ Trotz dieser klaren Aussage gelangten die Wissenschaftler, die sich in fast allen betrachteten Studien an dem Review der EPA unter Spiegelstrich 1 anlehnten, im Widerspruch zur Schlussfolgerung der EPA und zu den eigenen Aussagen in derselben Studie in einer denkwürdigen Rechnung (vgl. Bundestagsdrucksache 19/5054) zum Vorschlag eines Richtwerts von 40 µg/m³, der schließlich die Grundlage des heute gültigen Langfristgrenzwerts bildete. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/9328 – Im „Review of evidence on health aspects of air pollution – REVIHAAP Project“, 2013 wird konstatiert: „NO2 might represent the mixture of traffic -related air pollutants [...] However, some epidemiological studies do suggest associations of long-term NO2 exposures with respiratory and cardiovascular mortality and with children’s respiratory symptoms and lung function.“ Es gebe zwar Hinweise auf eine mögliche Kausalbeziehung: „[…] suggestive of a causal relationship“, eine konkrete Kausalbeziehung abzuleiten trauten sich die Wissenschaftler allerdings nicht. – Die US-EPA kommt 2016 (Integrated Science Assessment for Oxides of Nitrogen – Health Criteria), schließlich ebenfalls mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit, die Einflüsse von NO2 unabhängig von anderen Luftschadstoffen zu erfassen, zum Ergebnis, dass es zwar Hinweise auf Effekte gibt, diese aber nicht ausreichen, um einen kausalen Zusammenhang abzuleiten („Suggestive of, but not sufficient to infer a causal relationship“). Das Fazit der größten Untersuchungen fällt demnach immer ähnlich aus: Es gebe keinen gesicherten Zusammenhang zwischen geringen Dosen von NO2 und gesundheitlichen Auswirkungen, was neben Ungenauigkeiten in der Erfassung der tatsächlichen Belastungssituation insbesondere daran liege, dass es praktisch unmöglich sei, die Wirkung von NO2 von der anderer Luftschadstoffe und weiteren Einflüssen zu extrahieren. Es ist bezeichnend, dass trotz dieser wiederholt festgestellten Unsicherheiten und widersprüchlichen Datenlage Wissenschaftler konkrete Expositions-Wirkungs -Funktionen (EWF) liefern, wie z. B. in der Studie „HRAPIE – Health risks of air pollution in Europe. Recommendations for concentration-response functions for cost – benefit analysis of particulate matter, ozone and nitrogen dioxide“, WHO (2013) oder der Studie „Quantifizierung von umweltbedingten Krankheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid-Exposition in Deutschland“, Umweltbundesamt – UBA (2018). Um zu einer EWF zu gelangen, behelfen sich einige Wissenschaftler mit der Hypothese, für die Schädlichkeit von NO2 gebe es keinen Schwellenwert und daher könnten die Auswirkungen von NO2 in höheren Dosen bis in kleinste Dosen hinein extrapoliert werden. Diese Hypothese macht sich auch das Umweltbundesamt zueigen (s. u.), was insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Körper selbst Stickoxide produziert, nicht nachvollziehbar ist und hier auch näher beleuchtet werden soll. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Das „P-Hacking“ und das „File Drawer Problem“ stellen aus Sicht der Bundesregierung wissenschaftliches Fehlverhalten im Einzelfall dar und sind kein grundlegendes Problem der Epidemiologie. Ein Fehlverhalten Einzelner lässt keine pauschale Beurteilung oder Abwertung einer seit über hundert Jahren etablierten Fachdisziplin, wie der Epidemiologie, zu. Die in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Ausarbeitungen zeigen, dass Datenmanipulationen nicht unentdeckt bleiben und beweisen die Wirksamkeit des Peer-Review-Prozesses. Methodische Grenzen der Epidemiologie sind fachlich kompetenten Personen allgemein bekannt. Aus diesem Grund sollten die epidemiologischen Ergebnisse nicht alleinstehend betrachtet werden, sondern im Kontext der Erkenntnisse der Toxikologie, Medizin und Biowissenschaften interpretiert werden. Eine nach den Regeln der Forschung durchgeführte epidemiologische Studie beinhaltet u. a. auch eine Identifikation und Diskussion der Bias und Unsicherheiten. Die Autorinnen und Autoren der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten vier Studien zu Stickstoffoxiden (NO2) haben sich im Detail mit allen Unsicherheiten Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9328 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode auseinandergesetzt und die Schlussfolgerungen abgewogen und sorgfältig begründet . Die aus dem Kontext gerissenen Zitate der Arbeiten zeigen deswegen keinesfalls Schwächen der Arbeiten auf. 1. Welche Studien, die epidemiologische Untersuchungen beinhalten, haben das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bzw. für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit bzw. für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und das Umweltbundesamt seit 1995 jeweils wann in Auftrag gegeben, und wo sind sie ggf. einsehbar? 2. Wer waren jeweils die Auftragnehmer, und welche Mittel hat die Bundesregierung jeweils ungefähr für die Erstellung dieser Studien aufgewendet? 3. Bei welchen dieser Studien handelt es sich zumindest im Wesentlichen um Metastudien? 4. Welche dieser Studien wurden aus welchen Gründen jeweils ohne Ausschreibung direkt vergeben? 5. Aus welchen dieser Studien wurden direkt oder indirekt Richt- oder Grenzwerte abgeleitet? Die Fragen 1 bis 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Unter einer epidemiologischen Studie werden im Kontext dieser Kleinen Anfrage Studien verstanden, die die Verteilung von Gesundheitsstörungen (Krankheiten, Verletzungen usw.) und krankheitsverursachenden Faktoren in der Bevölkerung oder bei speziellen Gruppen von Menschen untersuchen. Im Sinne dieser Kleinen Anfrage sind epidemiologische Studien also Untersuchungen zur Häufigkeit, Verteilung und Ursachen von Erkrankungen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hat in dem genannten Zeitraum keine eigenen derartigen Studien vergeben. Das Umweltbundesamt (UBA) hat auf der Grundlage einer Abfrage in einschlägigen Datenbanken mit den Suchworten „Epidemiologie“, „epidemiologisch“, „Bevölkerung“, „Fall-Kontroll“, „Kohorte“ und „Beobachtung“ für den Zeitraum von 1995 bis 2019 zehn vom UBA vergebene Vorhaben identifiziert, die epidemiologische Fragestellungen beinhalteten. Die ermittelten Studien sind nachfolgend aufgelistet: Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/9328 Studienname Auftragnehmer Laufzeit Lärmwirkungen von Infraschallimmissionen – Folgevorhaben zur Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall Möhler + Partner Ingenieure AG Beratende Ingenieure für Schallschutz und Bauphysik 2015- 2019 Umgebungslärm & Gesundheit am Beispiel Bremen Epi.Consult GmbH 2011- 2014 Wirkung der Kombinationsbelastung von Lärm und Luftschadstoffen durch Straßenverkehr auf die menschliche Gesundheit Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH 2008- 2012 Nächtlicher Fluglärm als Risikofaktor für kardiovaskuläre und psychische Erkrankungen – Erstellung kausaler Dosis-Wirkungs-Beziehungen Epi.Consult GmbH 2008- 2009 Einfluss der Exposition mit feinen und ultrafeinen Partikeln aus dem Straßenverkehr und der Pollenexposition auf die Entstehung einer Atopie von Kindern IUF – Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung gGmbH 2007- 2009 Globalansatz Umsetzung Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ – Teilvorhaben: Biozidrückstände in Hausstäuben (im Rahmen der Norddeutschen Leukämie- und Lymphomstudie) Universität Oldenburg, Fachbereich 9 Chemie 2002- 2003 Epidemiologische Erfassung des Erkrankungsrisikos beim Baden Universität Tübingen, Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik, Innere Medizin III 1999- 2003 Verkehrslärm und Arteriosklerose – Erhebung der Straßenverkehrslärmbelastung im Rahmen des KORA-Surveys 2000 in Augsburg Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung 1999- 2002 Verkehrslärm als Risikofaktor des akuten Myokardinfarkts Universität Berlin (Humboldt-Univ.), Medizinische Fakultät – Universitätskliniken Charité, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Epidemiologie 1997- 2002 Prospektive epidemiologische Studie zum Risiko frühkindlicher Lebererkrankungen durch Aufnahme von kupferhaltigem Trinkwasser mit der Säuglingsnahrung Universität Göttingen, Zentrum Umweltund Arbeitsmedizin, Abteilung Allgemeine Hygiene und Umweltmedizin 1996- 2001 Bei der erbetenen Benennung der Auftragsvolumina der jeweiligen Vorhaben, ist ggf. der Schutz von Betriebs-/Geschäftsgeheimnissen berührt. Danach wäre die Veröffentlichung der jeweiligen Auftragsvolumina nur möglich, wenn zuvor eine Einwilligung der Auftragnehmer erteilt wurde. Diese konnte aus Zeitgründen nicht eingeholt werden. Für alle o. g. Vorhaben wurden insgesamt rund 3 Mio. Euro verausgabt. Bei Bedarf können detailliertere Daten über die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt werden. Keine dieser Studien beinhaltet eine zusammenfassende Analyse aller zum jeweiligen Thema verfügbaren Einzelstudien. Damit hat das UBA keine Meta-Studien vergeben. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9328 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Grundsätzlich erfolgt die Festsetzung von Grenz- oder Richtwerten nicht allein auf Basis einzelner Ressortforschungsvorhaben, sondern unter Berücksichtigung aller relevanten, evidenzbasierten toxikologisch-gesundheitlichen Daten. Insofern konnten die Forschungsvorhaben des UBA maximal einen Bewertungsbeitrag liefern. Unabhängig davon werden Grenzwerte im Rahmen eines Rechtsetzungsverfahrens von Bundestag und Bundesrat bzw. auf EU-Ebene durch deren Institutionen beschlossen. 6. Inwieweit kann die Bundesregierung bei diesen Studien einen Selektionsoder Publikationsbias oder andere methodische Mängel jeweils ausschließen ? a) Welche Review-Verfahren wurden angewandt? b) Welche Überprüfungsvorgaben zur Qualitätssicherung solcher Studien gibt es beim UBA und dem BMU, wo sind sie ggf. festgeschrieben, und wurden sie jeweils angewandt? Plant die Bundesregierung, angesichts des immer einfacher durchzuführenden „P-Hackings“ aufgrund des leichteren Zugriffs auf Quelldaten durch „Big Data“ darüber hinausgehende Standards zur Validierung solcher Studien einzuführen? Die Fragen 6 und 6b werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Eine Garantie dafür, dass Studien keine methodischen Mängel aufweisen, kann die Bundesregierung nicht geben. Die vom UBA im Rahmen des Ressortforschungsplans in Auftrag gegebenen Forschungsvorhaben werden unter der Bedingung der Anwendung gängiger Qualitätsstandards für das wissenschaftliche Arbeiten in Anlehnung an die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur guten wissenschaftlichen Praxis vergeben. Alle Forschungsvorhaben werden durch eine UBA-Fachbegleitung betreut, die über detaillierte Kenntnisse der jeweiligen Thematik verfügt. Zu deren Aufgaben gehört die Überprüfung der Ergebnisberichte auf fachliche Korrektheit, Vollständigkeit und Verständlichkeit. Werden die Forschungsergebnisse in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht , werden sie zusätzlich im Rahmen eines sogenannten Peer-Review-Verfahrens begutachtet. 7. Inwieweit plant die Bundesregierung, das grundlegende Problem des P-Hackings im Zuge der Überprüfung der NO2-Grenzwerte auf europäischer Ebene zu thematisieren? 8. Sind der Bundesregierung nationale oder internationale Initiativen bekannt, die sich gegen P-Hacking wenden, und welche dieser Initiativen werden von der Bundesregierung ggf. wie unterstützt? Die Fragen 7 und 8 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/9328 Die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis werden permanent weiterentwickelt und überwacht. Als Beispiele können die Leitlinien und Empfehlungen zur Sicherung von guter epidemiologischer Praxis der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie oder der Verfahrensleitfaden zur guten wissenschaftlichen Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft genannt werden. Aus diesen und den in der Vorbemerkung der Bundesregierung genannten Gründen sieht die Bundesregierung keinen Anlass, das P-Hacking auf EU-Ebene zu thematisieren oder nationale oder internationale Initiativen zu unterstützen. 9. Auf welche Studien bezieht sich das Umweltbundesamt bei der Aussage „Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass es für NO2 keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen gesundheitliche Auswirkungen ausgeschlossen werden können“ (vgl. www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/ publikationen/uba_factsheet_krankheitslasten_no2.pdf), und wie wird diese Hypothese dort jeweils verifiziert? Das UBA hat auf der Basis der aktuellen Studienlage festgestellt, dass bislang keine Studien vorliegen, die die Existenz eines Schwellenwertes bei Langzeit- Exposition wissenschaftlich belegen. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. 10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung ggf. aus dieser Feststellung bezüglich der Aussagekraft der lowest-observed-adverse-effect concentration (LOAEC) bei NO2? Die Festlegung eines Schwellenwerts beziehungsweise eines LOAEC erfolgt jeweils für einen spezifischen gesundheitlichen Endpunkt unter Berücksichtigung der Expositionsdauer. Demzufolge ist es möglich, für NO2 insbesondere für Kurzeit -Expositionen einige aussagekräftige, gut begründete LOAECs abzuleiten. 11. Welche weiteren Luftschadstoffe sind der Bundesregierung bekannt, bei denen es nach Studienlage „keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen gesundheitliche Auswirkungen ausgeschlossen werden können“? Aussagen über Schwellenwerte geben immer nur den derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand wieder. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass sich durch weitere wissenschaftliche Forschung und Entwicklung neue Erkenntnisse ergeben. Für die kanzerogene Wirkung von DNA-reaktiven Stoffen kann in aller Regel kein Schwellenwert abgeleitet werden. Zu der Stoffgruppe mit diesen Eigenschaften gehören unter anderem bekannte Luftschadstoffe wie Radon, Benzol oder Benz(a)pyren. 12. Stimmt die Bundesregierung mit der von der Umweltmedizinerin Professor Traidl-Hoffmann (TU München) geäußerten Hypothese überein, dass „jede toxische Substanz in jeder Konzentration schädlich“ sei („Maybrit Illner“ vom 25. Oktober 2018)? Welche Relevanz misst die Bundesregierung vor diesem Hintergrund ggf. noch dem LOAEC bzw. einem LOAEL zu? Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9328 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Stimmt die Bundesregierung mit der von Professor Traidl-Hoffmann in derselben Sendung geäußerten Hypothese überein, dass die „massive“ Zunahme von „Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma, Allergien“ und „Diabetes“ in den letzten Jahrzehnten mit „Umweltschadstoffen, auch Stickoxiden“ zusammenhängen , und wie ist dies ggf. mit der tatsächlichen – auch langfristig positiven – Luftschadstoffentwicklung in Deutschland – auch Stickoxide betreffend – vereinbar? Die Fragen 12 und 13 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung äußert sich nicht zu einzelnen Diskussionsbeiträgen Dritter, vor allem auch dann nicht, wenn der Kontext der Aussage nicht bekannt ist und nicht nachvollzogen werden kann, ob die Aussage korrekt zitiert wurde. 14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus folgender Feststellung im Ergebnisprotokoll der 7. Sitzung des Ausschusses für Innenraumrichtwerte (AIR, Geschäftsstelle angesiedelt im UBA, Fachgebiet II 1.2 „Toxikologie, gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung“) am 3. und 4. Mai 2018 in Berlin „Für eine Ableitung von Langzeitrichtwerten für NO2 in der Innenraumluft liegen aus Sicht des AIR zurzeit keine hinreichend belastbaren epidemiologischen Ergebnisse für NO2 als Einzelsubstanz vor. Im Unterschied zu den Kurzzeitstudien ließ sich aus den Langzeitstudien angesichts der erheblichen Unsicherheiten bzgl. der Expositionsabschätzung und bzgl. der Einflüsse diverser Confounder keine LO(A)EC ermitteln. Aufgrund der Datenlücken kam der AIR überein, von der Festsetzung von Langzeitrichtwerten für Stickstoffdioxid in der Innenraumluft abzusehen“ bezüglich möglicher belastbarer epidemiologischer Ergebnisse für NO2 als Einzelsubstanz im Außenbereich? Derzeit werden die Leitlinien der WHO für Luftqualität und die Luftqualitätsrichtlinie der Europäischen Union überprüft. Diese Ergebnisse bleiben abzuwarten . 15. Inwieweit sind Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen von Innenraumbelastungen auf den Außenbereich und umgekehrt nach Auffassung der Bundesregierung übertragbar? Die Wirkung einer Substanz ist eine intrinsische Eigenschaft und unabhängig davon , ob die Exposition im Innenraum oder in der Außenluft stattfindet. Deshalb können die Ergebnisse von epidemiologischen Studien im Innen- bzw. Außenbereich prinzipiell übertragen werden. Voraussetzung ist aber, dass die jeweils untersuchten Expositionsbedingungen tatsächlich vergleichbar sind. Dies ist im konkreten Einzelfall zu prüfen. 16. Wer nahm an der 7. Sitzung des AIR teil, und wer von den Teilnehmern war ggf. mit der in Frage 14 genannten Protokollfeststellung nicht einverstanden ? Gab es hierzu eine Mehrheitsentscheidung, und wie fiel diese ggf. aus? Die Liste der Mitglieder, ständigen Gäste und Gäste des AIR ist öffentlich zugänglich und ist auf der UBA-Webpage verfügbar. Der AIR erzielt seine Beschlüsse grundsätzlich im Konsens; es gab daher keine Mehrheitsentscheidung. Das Protokoll der 7. Sitzung wurde abgestimmt; es gab keine Einwände. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/9328 Im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Teilnehmenden wird von der Angabe personenbezogener Daten (Anwesenheit ja oder nein) Abstand genommen. 17. Inwieweit hat – wie in der 6. Sitzung angekündigt – eine erwartete „Äußerung der WHO (Projekt REVIHAAP)“ bei der 7. Sitzung eine Rolle gespielt? Haben Vertreter der WHO in der 7. Sitzung hierzu vorgetragen, und wenn ja, welche Empfehlung wurde seitens der WHO ausgesprochen? 18. Inwieweit wurden die Ergebnisse des Projekts „HRAPIE“ in der 7. Sitzung berücksichtigt? Die Fragen 17 und 18 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der AIR leitet Richtwerte auf Grundlage einer eigenständigen Bewertung aktueller toxikologischer und epidemiologischer Studien ab. Zur Bewertung von NO2 wurden alle öffentlich verfügbaren Studien zum Zeitpunkt der Literaturrecherche im September 2018 einbezogen. Wie die Ergebnisse einzelner Studien in der Bewertung berücksichtigt wurden, kann anhand der transparenten Quellenangaben aus der AIR-Veröffentlichung entnommen werden. Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der WHO haben an der Sitzung nicht teilgenommen . Auch wurde seitens der WHO keine Empfehlung ausgesprochen. Das Projekt REVIHAAP wurde im Protokoll der 6. Sitzung lediglich als Quelle für die Information erwähnt, dass eine mögliche Aktualisierung der WHO Air Quality Guidelines bevorsteht. 19. Wie kam das Ergebnis der 8. Sitzung des AIR am 4. und 5. Dezember 2018 bezüglich eines Langzeitrichtwerts für NO2 zustande? a) Sind Medienberichte korrekt, wonach ein Langzeitrichtwert von 40 µg/m³ auch für Innenräume beschlossen wurde (vgl. www.tagesschau.de/inland/ richtwert-stickstoffdioxid-101.html), oder stimmt stattdessen folgendes Zitat: „Einen Langzeitrichtwert hat der AIR nicht festgelegt. Er empfiehlt jedoch, soweit erforderlich, hilfsweise die Anwendung des von der WHO abgeleiteten Leitwertes für die Innenraumluft von 40 μg/m³ bezogen auf ein Jahr“ (www.spiegel.de/forum/auto/scheuer-und-die-stickoxidegrenzwertige -folgefehler-thread-865208-21.html, Bezug nehmend auf die inzwischen nicht mehr auffindbare Seite „www.umweltbundesamt.de/ sites/default/files/medien/2546/publikationen/190130_uba_hg_luftqualitaet. pdf“, S. 22)? Das Zitat gibt die Ergebnisse richtig wieder. b) Wo ist der entsprechende Beschluss inzwischen abrufbar, und warum wurde die Veröffentlichung ggf. zurückgenommen? Die Bekanntmachung wird voraussichtlich im Mai 2019 in der Zeitschrift Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz veröffentlicht werden. Gegenwärtig kann die Veröffentlichung unter folgenden Link eingesehen und heruntergeladen werden: https://link.springer.com/article/10.1007/ s00103-019-02891-4. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9328 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode c) Falls das Zitat in Frage 19a korrekt ist, welchen Unterschied macht ein „festgelegter“ Langzeitrichtwert gegenüber der Empfehlung, „soweit erforderlich , hilfsweise“ den Leitwert von 40 µg/m³ anzuwenden, für die praktische Anwendung des Werts? Die Richtwerte des AIR und der WHO haben lediglich empfehlenden Charakter, weil sie nicht rechtsverbindlich sind. Es gibt insofern keinen Unterschied. d) Welche neuen Erkenntnisse haben zu der Meinungsänderung gegenüber der Feststellung im Ergebnisprotokoll der 7. Sitzung geführt? Eine Meinungsänderung ist aus Sicht der Bundesregierung nicht erkennbar. e) Inwieweit haben die Ergebnisse des Projekts REVIHAAP bzw. des Projekts HRAPIE hier jeweils eine Rolle gespielt? Es wird auf die Antwort zu den Fragen 17 und 18 verwiesen. f) Wer hat an der 8. Sitzung teilgenommen? g) Welche Teilnehmer waren mit der Feststellung des Langzeitrichtwerts bzw. -leitwerts für NO2 nicht einverstanden? h) Gab es eine Mehrheitsentscheidung für die Feststellung eines Langzeitrichtwerts bzw. -leitwerts, wer war ggf. stimmberechtigt, und wie fiel das Abstimmungsergebnis ggf. aus? Die Fragen 19f bis 19g werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333