Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 12. April 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9468 19. Wahlperiode 16.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/8821 – Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In vielen Ländern der Welt sind Frauen und Mädchen von weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) bedroht oder betroffen. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird damit ein bei Mädchen oder Frauen vorgenommener Eingriff beschrieben, bei dem die äußeren Genitalien vollständig oder in Teilen entfernt, zugenäht oder verletzt werden und es sich dabei nicht um eine medizinisch begründete Maßnahme handelt. In den meisten Fällen ist weibliche Genitalverstümmelung ein religiös oder kulturell motivierter Eingriff. In Deutschland sind laut einer empirischen Studie des Bundesfamilienministeriums etwa 50 000 Frauen und Mädchen betroffen und bis zu 5 700 Frauen und Mädchen gefährdet (2017, www.netzwerk-integra.de). Die Schmerzen und die Folgen des Eingriffs sind schwerwiegend. Während und unmittelbar nach einem Eingriff erleiden betroffene Frauen und Mädchen neben den körperlichen auch starke psychische Schäden. Zu den langfristigen Folgen gehören unter anderem chronische Infektionen, Nierenschäden, Sterilität, Nervenfaserwucherungen, Hypersensibilität, Zystenbildungen sowie soziale Verhaltensstörungen und Traumata. Die Schmerzen des Eingriffs und die physischen sowie psychischen Folgen einer Genitalverstümmelung können nie wieder unwirksam gemacht werden. Der Eingriff selbst sowie die Folgen können sogar zum Tod führen. Auch die Geburt eines Kindes kann bei einer an den Genitalien verstümmelten Frau den Tod zur Folge haben. Die betroffenen Frauen haben oftmals Angst vor medizinischen Untersuchungen, weshalb sie erst kurz vor einer anstehenden Geburt ärztliche Hilfe aufsuchen. Medizinische Vorkehrungen und fachspezifisches Wissen für entsprechende Eingriffe können in der Kürze der Zeit nicht eingeholt werden, was die Möglichkeit weiterer Komplikationen mit sich bringt. Gemäß § 226a des Strafgesetzbuchs (StGB) ist weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland strafbar und gemäß § 5 Absatz 9a auch im Ausland, wenn der Täter oder die Täterin zur Tatzeit die deutsche Staatsangehörigkeit besaß oder wenn das Opfer zur Tatzeit seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Dabei ist explizit zu beachten, dass für den Straftatbestand als solcher nicht relevant ist, ob die Betroffene danach verlangt oder ihr Einverständnis zu dem Eingriff Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9468 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode gegeben hat. Gemäß § 228 des Strafgesetzbuchs (StGB) ist weibliche Genitalverstümmelung auch dann strafbar, wenn die Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vorgenommen wird, da die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Die verbreitete Praxis der Ausreise einer Frau oder eines Mädchens mit dem Zweck der Durchführung von Genitalverstümmelung , d. h. Beschneidungen bei beispielsweise urlaubsbedingten Auftenhalten im Herkunftsland (auch „Ferienbeschneidung“ genannt), sollte mit der im Juli 2017 in Kraft getretenen Änderung des Paßgesetzes erschwert werden. Demnach droht Personen der Entzug des deutschen Passes, wenn sie Mädchen oder Frauen mit dem Ziel der Genitalverstümmelung ins Ausland begleiten wollen . Eine Voraussetzung zur erfolgreichen Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelung ist es, die Wirksamkeit der gesetzlichen Änderung im Paßgesetz (§ 7 Absatz 1 des Paßgesetzes – PaßG) zu überprüfen. Informationen über das Auftreten weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland sind darüber hinaus die Voraussetzung für die Verbesserung des Schutzes vor einem Eingriff und die zielgerichtete Hilfe nach einem Eingriff. 1. Werden Fälle weiblicher Genitalverstümmelung im In- und Ausland in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst? Wenn ja, wie viele Fälle wurden seit Inkrafttreten der Änderung des Paßgesetzes (§ 7 Absatz 1 PaßG) am 24. Juli 2017 erfasst (bitte nach Inland und Ausland aufschlüsseln)? Wenn nein, warum werden diese Fälle nicht erfasst? Fälle weiblicher Genitalverstümmelung werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) unter dem PKS-Straftatenschlüssel 222040 „Verstümmelung weiblicher Genitalien § 226a StGB“ erfasst. Dabei erfolgt in der PKS eine ausgangsstatistische Erfassung. Das bedeutet, dass die Fälle erst zu dem Zeitpunkt in die PKS einfließen, wenn sie von Seiten der Polizei ausermittelt und an die Staatsanwaltschaft übergeben worden sind. Eine Erfassung erfolgt nur in den Fällen, in denen der bzw. die Tatverdächtige in Deutschland gehandelt hat. Im Berichtsjahr 2018 wurden in der PKS vier Fälle weiblicher Genitalverstümmelung erfasst; im Berichtsjahr 2017 wurde kein Fall erfasst. 2. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung seit Inkrafttreten der Änderung des Paßgesetzes (§ 7 Absatz 1 PaßG) am 24. Juli 2017 bekannt, in denen einer Person der Pass entzogen wurde, weil der Verdacht bestand, dass eine Ausreise dem Zweck der weiblichen Genitalverstümmelung dienen soll? Der Bundesregierung sind bislang keine Fälle bekannt. 3. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung seit Inkrafttreten der Änderung des Paßgesetzes (§ 7 Absatz 1 PaßG) am 24. Juli 2017 bekannt, in denen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das in § 226a des Strafgesetzbuchs (StGB) beschriebene Verbot weiblicher Genitalverstümmelung eine Anzeige ermittelt wurde? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/9468 4. Wird das Paßgesetz (§ 7 Absatz 1 PaßG) zur Bekämpfung von weiblicher Genitalverstümmelung bei Aufenthalten im Herkunftsland, u. a. während der Ferienzeit (sog. Ferienbeschneidung), nach Einschätzung der Bundesregierung erfolgreich umgesetzt (bitte begründen)? Welche Pläne hat die Bundesregierung ggf., um die Umsetzung zu verbessern ? Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem die tatbestandlichen Voraussetzungen der Passentziehung wegen drohender Ferienbeschneidung erfüllt waren und gleichwohl keine Passentziehung erfolgt wäre. Insofern geht die Bundesregierung von einer erfolgreichen Umsetzung aus. 5. Hat die Bundesregierung und insbesondere die „Arbeitsgruppe zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland“ seit Inkrafttreten der Änderung des Paßgesetzes (§ 7 Absatz 1 PaßG) am 24. Juli 2017 weitere Maßnahmen zum Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung bei Aufenthalten im Herkunftsland, u. a. während der Ferienzeit (sog. Ferienbeschneidung ), konzipiert und umgesetzt? Wenn ja, um welche Maßnahmen handelt es sich dabei? Wenn nein, warum nicht? In der Bund-Länder-NRO-Arbeitsgruppe zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland (AG) wurden die in anderen EU-Staaten bereits verwendeten Schutzbriefe, in denen von staatlicher Seite u. a. über die Strafbarkeit der Durchführung weiblicher Genitalverstümmelung im Ausland informiert wird, vorgestellt und intensiv diskutiert. Anhand der Empfehlungen der AG wird die Bundesregierung die Übertragbarkeit auf den deutschen Kontext prüfen. 6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass Ärzte, Hebammen und anderes medizinisches Personal über weibliche Genitalverstümmelung aufgeklärt und fortgebildet werden müssen, um Prävention und Hilfe für Betroffene erfolgreich gewährleisten zu können? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und anderes medizinisches Personal durch ihre Ausbildung auf verschiedene Behandlungssituationen vorbereitet sind, so auch auf den Umgang mit weiblicher Genitalverstümmelung. Darüber hinausgehende Aufklärung und Fortbildung kann dazu beitragen, diese Kenntnisse zu vertiefen. 7. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang Ärzte, Hebammen und anderes medizinisches Personal über weibliche Genitalverstümmelung aufgeklärt und fortgebildet werden? Die ärztliche Fortbildung fällt in die Zuständigkeit der Länder, die diese auf die Ärztekammern übertragen haben. Die Bundesärztekammer hat im Jahr 2005 auf Anregung des Bundesministeriums für Gesundheit durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“ erarbeitet und 2016 zuletzt aktualisiert. Die Empfehlungen enthalten Hinweise für behandelnde Ärztinnen und Ärzte, insbesondere zur Rechtslage, zu präventiven Maßnahmen sowie zum Umgang mit betroffenen Frauen. Sie sind unter folgendem Link abrufbar: www.bundesaerztekammer.de/ presse/pressemitteilungen/news-detail/baek-empfehlungen-zum-umgang-mitpatientinnen -nach-weiblicher-genitalverstuemmelung-ueberarbeitet/. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9468 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Bundesärztekammer hat mitgeteilt, dass die Ärztekammern alle Ärztinnen und Ärzte über die Ärzteblätter auf die Empfehlungen und das Thema Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung aufmerksam machen. Inhaltlich hat die Bundesärztekammer mitgeteilt, dass die Genitalverstümmelung als Querschnittsthema in der ärztlichen Fortbildung, vorrangig in gynäkologischen , pädiatrischen und psychiatrischen Veranstaltungen, behandelt wird. Außerdem bieten die Fort- und Weiterbildungs-Akademien der Ärztekammern Fortbildungsreihen zum Thema Genitalverstümmelung an. Auch werden spezifische interprofessionelle Informationsveranstaltungen zu dieser Thematik von weiteren Organisationen, u. a. wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden , teilweise unter Beteiligung von Hebammenverbänden, angeboten. Für die Fort- und Weiterbildung von Hebammen und von Angehörigen der anderen reglementierten Gesundheitsfachberufe sind die Länder zuständig. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer sowie die dort aufgeführten weiteren Informationsquellen sind frei zugänglich und können von Hebammen und von Angehörigen der anderen reglementierten Gesundheitsfachberufe ebenfalls genutzt werden. 8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass Lehrkräfte in Schulen und Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen über weibliche Genitalverstümmelung aufgeklärt und fortgebildet werden müssen, um Prävention und Hilfe für Betroffene erfolgreich gewährleisten zu können? 9. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob Lehrkräfte in Schulen und Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen über weibliche Genitalverstümmelung aufgeklärt und fortgebildet werden, und wenn ja, in welchem Umfang ? Die Fragen 8 und 9 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Fortbildung von Lehrkräften in Schulen und Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen ist gemäß Artikel 30, 83 des Grundgesetzes (GG) Aufgabe der Länder . In der Bund-Länder-NRO-Arbeitsgruppe zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland werden Fortbildungsmaßnahmen für spezielle Berufsgruppen zu weiblicher Genitalverstümmelung regelmäßig erörtert. Im Hinblick auf einen effektiven Schutz ist die Vermittlung von Kenntnissen über weibliche Genitalverstümmelung ein wichtiger Baustein. 10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass Aufklärung über weibliche Genitalverstümmelung inhaltlicher Bestandteil von Integrationskursen sein muss? 11. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob Aufklärung über weibliche Genitalverstümmelung inhaltlicher Bestandteil von Integrationskursen ist, und wenn ja, in welchem Umfang? Die Fragen 10 und 11 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Gemäß § 43 AufenthG dient der Integrationskurs der Vermittlung von ausreichenden Deutschkenntnissen und von Kenntnissen der Rechtsordnung der Geschichte und der Kultur in Deutschland. Diese Kenntnisse werden anhand von Themen vermittelt, die für die Mehrheit der Teilnehmenden in ihrem Alltag relevant sind, z. B. Wohnen, Arbeit, Mobilität, Gesundheit, Bildung und Erziehung etc. im Sprachkurs sowie z. B. Werte des Grundgesetzes (einschließlich des Rech- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/9468 tes auf körperliche Integrität) oder Prinzipien des Zusammenlebens in einer demokratischen Gesellschaft im Orientierungskurs. Die konkrete Aufklärung über weibliche Genitalverstümmelung ist kein expliziter inhaltlicher Bestandteil des Integrationskurses als Erstintegrationsangebot. 12. Existiert nach Kenntnis der Bundesregierung eine Liste der Ärzte in Deutschland, die spezialisiert sind auf die medizinischen Bedürfnisse von Mädchen oder Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind? Wenn nein, warum nicht? Und wenn ja, a) wer verwaltet diese Liste, b) wie häufig wird diese Liste aktualisiert, und c) wo steht diese Liste zur Verfügung? Nach Kenntnis der Bundesregierung existiert eine solche Liste nicht. Die von der Bundesregierung beteiligte Bundesärztekammer führt allerdings aus, dass die Ärzteschaft sich intensiv mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) befasst hat. Die Bundesärztekammer hat in den vergangenen Jahren viel Aufklärungsarbeit zu diesem Thema geleistet. So wurde zum Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung am 6. Februar 2018 erneut auf die schwerwiegenden medizinischen und psychischen Folgen hingewiesen. Im Jahr 2016 wurden die „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“ herausgegeben (siehe Antwort zu Frage 7). Diese Empfehlungen sind auch in englischer und französischer Sprache verfügbar. Hier finden sich auch Kontaktdaten zu zwei Kliniken in Deutschland, die sich auf chirurgische Eingriffe bei Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung spezialisiert haben. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass auch weitere Kliniken über Ärztinnen und Ärzte verfügen, die von FGM betroffene Patientinnen chirurgisch versorgen können. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333