Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 17. April 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9611 19. Wahlperiode 23.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, Daniela Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/8973 – Kohlekraftwerke mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen als Verursacher extremer regionaler Wetterereignisse V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Ultrafeinstaub steht unter anderem in Verdacht, meteorologische Prozesse zu beeinflussen, und so zu extremen, wenigstens örtlich auftretenden Wetterereignissen zu führen. Grund hierfür ist, dass, wenn diese Partikel als Kondensationskerne in Wolken geraten, diese zunächst die einzelnen Wolkentröpfchen kleiner werden lassen und es länger dauert, bis sich Regentropfen bilden können . Dadurch wird die räumliche und zeitliche Verteilung sowie die Intensität von Niederschlägen beeinflusst (vgl. www.kit.edu/kit/pi_2018_160_kraftwerkeerzeugen -mehr-ultrafeinstaub-als-verkehr.php). Davon abgesehen steht aus Kohlekraftwerken emittierter Ultrafeinstaub im Verdacht , aufgrund seiner verglichen mit gewöhnlichem Feinstaub circa 100-mal kleineren Partikelgröße in seiner Wirkung besonders schädlich für die menschliche Gesundheit zu sein. Die negativen gesundheitlichen Effekte der Partikel nehmen zu, je kleiner diese sind (vgl. Helmholtz Zentrum München, Aerosolforschung an der GSF, 2005, S. 1, 64 f.). Sie können die Barriere zwischen Lunge und Blut überwinden und alle Organe erreichen (vgl. Aerosolforschung in der GSF, S. 25 ff., S. 44 ff., S. 66; Feinstaub in der Schweiz 2013, S. 27 f.). Dieser Effekt belastet in Gebieten, in denen Ultrafeinstäube durch Kraftwerke ausgestoßen werden, Natur und Mensch noch zusätzlich zu jenen Fein- und Ultrafeinstäuben , welche etwa aus gewöhnlichen, fossilen Verbrennungsmotoren im Straßenverkehr, Flugzeugen und der industriellen Landwirtschaft emittiert wird. Neuere Kohlekraftwerke verfügen über spezielle Filter, welche ursprünglich vor allem deshalb eingeführt wurden, um dem sauren Regen entgegenzuwirken. Neuere deutsch-australische Untersuchungen (vgl. https://journals.ametsoc.org/ doi/pdf/10.1175/BAMS-D-18-0075.1) kommen zu dem Ergebnis, dass die mit diesen Filtern ausgestatteten Kohlekraftwerke eine der wesentlichen Quellen von problematischen, ultrafeinen Stäuben darstellen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9611 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Kleine Anfrage bezieht sich auf eine Presseinformation des Karlsruher Instituts für Technologie vom 11. Dezember 2018. Diese Presseinformation selbst verweist auf einen Aufsatz in der Fachzeitschrift der „American Meteorlogical Society“ zu Messflügen zur Untersuchung der unteren Troposphäre in unterschiedlichen Regionen der Erde (http://dx.doi.org/10.1175/BAMS-D-18-0075.1). Gemäß dem Aufsatz fanden sich unter bestimmten, im Aufsatz beschriebenen meteorologischen Bedingungen Häufungen von sehr kleinen Partikeln unter 0,1 Mikrometer (engl. „ultra fine particles“, UFP) in einer Art, die so in früheren, vor 1990 vorgenommenen Atmosphärenuntersuchungen nach Auswertung der zu diesen Untersuchungen vorliegenden Literatur nicht vorgefunden worden waren. Der Aufsatz erläutert, dass diese Phänomene in räumlicher Nähe zu großen Kraftwerken oder anderen Industrieanlagen festgestellt worden sind. Dieses Resultat war Anlass für die Aufstellung der Hypothese, dass für dieses Phänomen die zwischenzeitlich mit hochwirksamen Abgasreinigungseinrichtungen nachgerüsteten großen Industrieanlagen – allen voran Kohlekraftwerke, Raffinerien und Stahlwerke – als wahrscheinliche Ursache in Frage kommen. Eine Untersuchung der identifizierten wahrscheinlichen Quellen selber fand dagegen nicht statt. Die Vermutung, nach der die Abgasreinigungseinrichtungen zur Reduzierung von Stickstoffoxiden (SCR, selektive katalytische Reduktion) in den Kraftwerken die maßgebliche Ursache für die Bildung von UFP darstellen, wird von der Bundesregierung sehr zurückhaltend bewertet: Diese Vermutung lässt außer Acht, dass in den meisten mit SCR-Einrichtungen ausgestatteten Kraftwerken nach der SCR-Einrichtung noch Elektrofilter und nasse Abgasentschwefelungseinrichtungen nachgeschaltet sind, die die Emissionen von Partikeln und Aerosolbildnern wie Ammoniak wirksam mindern. Die Kraftwerke Schkopau, Lippendorf, Spremberg und Boxberg, auf die sich die Abbildung 6 und der dazu gehörige Text des Aufsatzes beziehen, gar nicht mit SCR-Einrichtungen ausgestattet sind. 1. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Ausstoßmenge von ultrafeinen Partikeln aus mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken in Deutschland? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Anzahl von emittierten UFP aus Kohlekraftwerken in Deutschland vor. Die installierten Messeinrichtungen überwachen kontinuierlich die Emissionskonzentration von Gesamtstaub im Reingas der Anlagen. Ein Rückschluss auf die Anzahl von Partikeln mit einem Durchmesser unter 0,1 Mikrometer ist nicht möglich. 2. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum anteiligen Verhältnis und zur Beschaffenheit von ultrafeinen und sonstigen Partikeln aus mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken in Deutschland? Nach Kenntnis der Bundesregierung besteht der im Reingas feststellbare Gesamtstaub bei den mit Elektrofiltern ausgestatteten deutschen Kraftwerken im Wesentlichen aus Partikeln mit einem aerodynamischen Durchmesser zwischen 0,01 Mikrometer und weniger als 10 Mikrometer (PM10), mit Schwerpunkten im Bereich unter 2,5 Mikrometer Durchmesser (PM2,5). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/9611 3. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu (lokalen und überregionalen ) meteorologischen Auswirkungen von ultrafeinen Partikeln aus mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken in Deutschland? 4. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu gesundheitlichen Auswirkungen von ultrafeinen Partikeln, die von mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken in Deutschland ausgestoßen werden, bzw. generell hierzu? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Bundesregierung liegen in Bezug auf Kohlekraftwerke keine Erkenntnisse über die spezifische Wirkung von UFP im Hinblick auf meteorologische oder gesundheitliche Auswirkungen vor. 5. Umfassen aktuell anzuwendende Messprogramme die Nachweisführung von Ultrafeinstäuben? a) Wenn nein, warum nicht, und wie wird die Bundesregierung hier kurzfristig Abhilfe schaffen? b) Wenn ja, was sind die Ergebnisse dieser Messungen (vgl. auch Fragen 1 und 2) Nach Ansicht der Bundesregierung liegen keine ausreichenden Erkenntnisse vor, die eine erhöhte Belastung durch UFP in Bodennähe im Umfeld von Kohlekraftwerken belegen. Vereinzelt wurden erhöhte UFP-Konzentrationen von mehreren 10 000 Partikeln pro Kubikzentimeter über Zeiträume von mehreren Minuten gemessen (https://dx.doi.org/10.5194/acp-11-12917-2011, https://dx.doi.org/10.1175/ BAMS-D-18-0075.1). Zur Messung Ultrafeiner Partikel in der Außenluft wurde 2008 der Messverbund GUAN (German Ultrafine Aerosol Network) anlässlich eines Umweltforschungsvorhabens des Bundesumweltministeriums gegründet. Diese Förderung ermöglichte Qualitätssicherungsmaßnahmen und eine einheitliche Aufbereitung und synoptische Interpretation der Messdaten. Darüber hinaus hat das Umweltbundesamt in Eigenleistung eigene Infrastruktur an seinen Messstationen geschaffen , die Daten an GUAN liefern (Umweltforschungsstation Zugspitze, Messstelle Schauinsland, Messstelle Waldhof, Messstelle Neuglobsow, Experimentalstation Langen). Seit 2008 liefert GUAN Daten zu insgesamt 17 Messstationen in Deutschland (Koordinierung durch TROPOS, http://wiki.tropos.de/ index.php/GUAN). Allerdings befindet sich keine der Messstationen in unmittelbarer Nähe zu einem der im Aufsatz genannten großen Kohlekraftwerke. Zu den gemessenen Parametern gehören die Partikelanzahlgrößenverteilung sowie die Massenkonzentration an Rußpartikeln. Insgesamt sind 17 über Deutschland verteilte Messstationen beteiligt (Gefahrstoffe-Reinhaltung der Luft, 75(11/12), S. 479 bis 488 und https://dx.doi.org/10.5194/essd-8-355-2016). Zwischen verkehrsnahen, städtischen und ländlichen Messstationen gibt es eine deutliche und konsistente Abnahme bezüglich der Anzahlkonzentration der UFP. Der Langzeitmittelwert der UFP-Anzahlkonzentration reicht von Hintergrundwerten um 1 000 Partikel pro Kubikzentimeter an Bergstationen bis in den Bereich von 10 000 Partikeln pro Kubikzentimeter an verkehrsnahen Messstellen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9611 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Trendanalysen der letzten Jahre zeigen eine Abnahme der Anzahlkonzentration der UFP in deutschen Städten. Dies wird als Ergebnis der generellen Erneuerung der Fahrzeugflotte sowie zusätzlicher emissionsmindernder Maßnahmen wie zum Beispiel den vermehrten Einsatz von Dieselpartikelfiltern gedeutet. 6. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller erwähnten Forschungsergebnisse, welche einen direkten Zusammenhang von durch mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken ausgestoßenem Ultrafeinstaub, Bodeninversions- bzw. Kondensationsprozessen und regionalen Wetterereignissen plausibel erscheinen lassen , und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Die hier erwähnten Forschungsergebnisse sind durch die Bundesregierung nicht verifizierbar, weil hierzu keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Mögliche Konsequenzen können somit aktuell nicht gezogen werden. 7. Wird die Bundesregierung eigene Untersuchungen und/oder Messungen durchführen bzw. in Auftrag geben, welche geeignet sind die vorliegenden Erkenntnisse zu überprüfen, und dem Vorsorgeprinzip – auch in klimatischmeteorologischer Hinsicht – Rechnung zu tragen, und falls nein, warum nicht? In Deutschland existiert bereits ein Netzwerk zur Beobachtung von UFP, das von TROPOS in Leipzig koordiniert wird. Die Veranlassung eigener Untersuchungen ist daher nicht erforderlich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen . 8. Wie bewertet die Bundesregierung Studien und wissenschaftliche Aussagen wie jene des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), welche darlegen , dass die Abschaltung von Kohlekraftwerken generell einen positiven, verringernden Effekt auf die Häufigkeit von Extremwetterphänomenen hätte, weil so behindernde Einflüsse auf den so genannten Jetstream verringert würden (vgl. Studie „Projected changes in persistent extreme summer weather events: The role of quasi-resonant amplification“, http://advances. sciencemag.org/content/4/10/eaat3272)? Eine Bewertung der Bundesregierung ist nicht möglich, da hierzu keine gesicherten wissenschaftlichen Ergebnisse vorliegen. 9. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus diesen neuerlichen Erkenntnissen hinsichtlich ihrer Energiepolitik, dem gegenwärtigen Anteil von Kohlekraftwerken im derzeitigen Energiemix und der angedachten Restlaufzeit von mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen ausgestatteten Kohlekraftwerken ? Die Bundesregierung ist bestrebt der Fragestellung durch eine Begrenzung der Emissionen von Aerosolbildnern Rechnung zu tragen. Die Thematik ist jedoch grundsätzlich nicht auf Großfeuerungsanlagen beschränkt. Die Bundesregierung betrachtet den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung getrennt. Grundlage ist der Abschlussbericht der Kommission für Wachstum , Strukturwandel und Beschäftigung. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/9611 10. Inwieweit wurden Maßnahmen zur Reduzierung von Ultrafeinstaub-Emissionen im Rahmen des Sevilla-Prozesses zur Ausarbeitung des aktuellen BVT-Merkblatts (BVT = beste verfügbare Techniken) für Großfeuerungsanlagen (LCP BREF) diskutiert? Der Durchführungsbeschluss (EU) 2017/1442 zu den Schlussfolgerungen über die Besten Verfügbaren Techniken für Großfeuerungsanlagen und das zugehörige BVT-Merkblatt (LCP BREF) verhalten sich nicht zu UFP-Emissionen. Die Begrenzung der UFP-Emissionen erfolgt allgemein über die Festlegung von einheitlichen Emissionsbandbreiten für Gesamtstaub. 11. Welche technischen Möglichkeiten stehen nach Kenntnis der Bundesregierung zur Verfügung, um die Ultrafeinstaub-Emissionen aus Kohlekraftwerken mit modernen Rauchgasreinigungsanlagen zu reduzieren, und wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, diese als BVT im LCP BREF festzuschreiben ? Der Bundesregierung sind keine am Markt verfügbaren Techniken speziell zur Minderung der UFP-Emissionen aus Kohlekraftwerken bekannt. 12. Sind nach Ansicht der Bundesregierung vor dem Hintergrund der in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Studien weitere emissions- und immissionsbezogene gesetzliche Regelungen zu Ultrafeinstaub erforderlich? a) Wenn ja, welche Regelungen plant die Bundesregierung? b) Wenn nein, warum nicht? Unter Verweis auf den von den Fragestellern zitierten Artikel „Ultrafine Particles in the Lower Troposphere“ (http://dx.doi.org/10.1175/BAMS-D-18-0075.1) erscheinen zunächst vertiefte Untersuchungen zu den meteorologischen Mechanismen erforderlich. Unabhängig davon erscheint in Bezug auf gesundheitliche Aspekte aufgrund der langreichweitigen Verteilung von Ultrafeinstäuben grundsätzlich ein harmonisierter Ansatz auf europäischer oder internationaler Ebene zielführender. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333