Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 23. April 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9724 19. Wahlperiode 25.04.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/9096 – Open Innovation, Projektwirtschaft und Scrum V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In ihrer Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage „Staatliche Regularien für Freelancer“ auf Bundestagsdrucksache 19/6936 erkennt die Bundesregierung an, dass es sich bei Digitalisierungsprojekten häufig um agile Projekte handelt. Insgesamt gewinnen agile Projektmethoden und damit die Themen Open Innovation und Projektwirtschaft rasant an Bedeutung. Mit 85 Prozent ist Scrum (Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwareentwicklung) laut einer aktuellen Studie der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (GPM) aus 2017 derzeit die meistgenutzte agile Projektmethode deutscher Unternehmen. Scrum trägt vor allem dem hohen Tempo der technischen Entwicklung Rechnung. Anders als bei „klassischen“ Methoden wird nicht erst ein ausgefeiltes Lastenheft entwickelt, das es im Verlaufe des Projektes abzuarbeiten gilt. Vielmehr steht lediglich eine grobe Idee am Anfang, das heißt, ein wesentlicher Teil der Anforderungen und der Lösungsansätze ist zu Beginn noch unklar. Anschließend wird der komplexe Entwicklungsprozess in kleine Einheiten aufgeteilt, um diese Unklarheiten Stück für Stück im Laufe des Projekts durch Zwischenergebnisse zu ersetzen. Anhand dieser Zwischenergebnisse lassen sich die fehlenden Anforderungen und Lösungstechniken effizienter finden als durch eine allumfassende, abschließende, abstrakte Klärungsphase zu Beginn. In Scrum wird neben dem „Produkt“ auch die Planung iterativ und inkrementell entwickelt. Der langfristige Plan wird dabei kontinuierlich verfeinert und verbessert. Diese Projektmethoden erzeugen nachweislich schnellere und bessere Ergebnisse und erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit . Scrum-Projekte sind komplex und können deshalb vonseiten der Firmen häufig nicht allein mit eigenen, festangestellten Mitarbeitern realisiert werden. Hier sind die hoch qualifizierte Expertise und das projektspezifische Wissen von externen Spezialisten, z. B. Solo-Selbständigen, essenziell. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Open Innovation bzw. Projektwirtschaft. Die schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis einerseits und der Selbständigkeit im Rahmen von Dienst- oder Werkverträgen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/9724 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode andererseits werden im Rahmen von agilen Projekten besonders virulent: Aufgrund der hohen Komplexität und der typischerweise dynamischen und interaktiven Strukturen besteht – systembedingt – ein hoher Grad an Kommunikation, Austausch und enger Zusammenarbeit. Aber genau dies kann nach aktuellem Kenntnisstand z. B. im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens und gemäß den aktuellen dort angewandten Kriterien schnell problematisch werden und ungerechtfertigter Weise als scheinselbstständig klassifiziert werden. Dies führt zu einer latenten Rechtsunsicherheit beim Einsatz von selbständigen Experten. In Anbetracht der internationalen Konkurrenz und der hohen Geschwindigkeit, in welcher die digitale Transformation fortschreitet, stehen die deutschen Unternehmen unter erheblichem Druck. 1. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass die agilen Projektund Arbeitsmethoden im Rahmen der vorgegebenen Strukturen des Arbeitsund Sozialrechts kaum präzise abbildbar sind, so dass die in diesen Projekten dringend benötigten selbständigen Experten nicht oder mit kaum vertretbarem Aufwand eingesetzt werden können? Was unternimmt sie, um diesem Sachverhalt in Statusfeststellungsverfahren gerecht zu werden? Agile Projekt- und Arbeitsmethoden zeichnen sich in der Praxis durch eine große Bandbreite unterschiedlicher Ausgestaltungen aus. Pauschale Aussagen zu arbeits - oder sozialversicherungsrechtlichen Bewertungen können daher nicht getroffen werden. 2. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass sich die latente Rechtsunsicherheit als echter Standortnachteil auswirkt, da sie zu enormen Compliance-Anstrengungen, Koordinierungs- und Absprachemaßnahmen führt und damit zu Kosten und Zeitverlust im besten Fall und Absage bzw. Nichtangehen von Projekten im schlimmsten Fall? Der Bundesregierung liegen keine Analysen, Studien oder sonstige fundierte Erkenntnisquellen vor, nach denen sich die angeführte latente Rechtsunsicherheit als echter Standortnachteil auswirkt. 3. Werden die Prüfer der Clearingstelle, die die Aufgabe haben, gemäß § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen , mit Blick auf die in der gelebten Praxis überwiegend eingesetzten Scrum-Verfahren geschult? Wenn nein, plant die Bundesregierung, eine solche Schulung einzuführen? Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund), bei der die Clearingstelle angesiedelt ist, werden die Prüfer der Clearingstelle im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht in SCRUM-Verfahren geschult. Die Entscheidung über Schulungsmaßnahmen treffen die Sozialversicherungsträger als juristische Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung im Rahmen der Umsetzung ihres gesetzlichen Auftrags eigenständig. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/9724 4. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung bis wann, um der Wirtschaft einen rechtssicheren Rahmen für die agile Zusammenarbeit von internen und externen Fachkräften zu geben? Hat die Bundesregierung hierbei eine Vorstellung, wie drängende Fragen wie z. B. die Zulässigkeit der Arbeit in gemischten Teams, die Rolle von Solo-Selbstständigen im Rahmen von Scrum oder auch zur Qualifikation von Zuweisungen im Backlog als Konkretisierung des Auftrags bzw. als Weisung schnell und verbindlich geklärt werden können? Die Bundesregierung plant derzeit insoweit keine Änderung des Rechtsrahmens zur arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Feststellung des Erwerbsstatus. 5. Mit welcher Begründung ist es für die Bunderegierung hinnehmbar, dass zahlreiche sozial- wie arbeitsgerichtliche Gerichtsentscheidungen bei den maßgeblichen Kriterien für die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit bereits die agile Projektorganisation mit deren neuen Aspekten berücksichtigen, der Gesetzestext jedoch den Bedingungen längst überholter Zeiten entspricht und noch immer das althergebrachte Kriterium der „Eingliederung in die Arbeitsorganisation“ (vgl. § 7 Absatz 1 SGB IV sowie § 611a Absatz 1 Satz 1 BGB „persönliche Abhängigkeit “) für die besagte Abgrenzung vorsieht bzw. voraussetzt? Warum ändert der Gesetzgeber die maßgeblichen Vorschriften nicht ab und passt sie an die neuen Gegebenheiten und moderne, zukunftsgerichtete Erwerbsformen (flexibler werdende Modelle wie flexible Arbeitszeitmodelle, mobiles Arbeiten und agile Arbeitsmethoden) an? Plant die Bundesregierung dies? Wenn ja, bis wann? Wenn nein, warum nicht? In § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wurden die in der Rechtsprechung angewandten Grundsätze zur Abgrenzung des Arbeitsvertrages von anderen Vertragsverhältnissen gesetzlich niedergelegt. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist gemäß § 611a Absatz 1 Satz 5 BGB eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Das Gleiche gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch für die Einstufung eines Rechtsverhältnisses als Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Eine solche Regelung ist zukunftsoffen und flexibel: Auch die Änderungen der Arbeitswelt im Rahmen der Digitalisierung und die Besonderheiten im IT-Bereich können durch eine solche wertende Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden. 6. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass deutsche Unternehmen sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch mit Blick auf Kosten und Ergebnisse von Innovationsvorhaben insbesondere im Bereich der Digitalisierung weltweit Schritt halten können und wettbewerbsfähig bleiben, wenn die dafür notwendigen Organisationsformen wie etwa Scrum hierzulande erhebliche rechtliche Unwägbarkeiten und Unsicherheiten bergen? Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass deutsche Unternehmen im Bereich der Digitalisierung weltweit nicht schritthalten könnten und hierbei ein Zusammenhang mit erheblichen rechtlichen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten im Hinblick auf neue Formen der Zusammenarbeit bestehe . Gegen eine solche Annahme spricht, dass die genannten Methoden erfolgreich in deutschen Unternehmen praktiziert werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333