BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10003 21. Wahlperiode 08.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 02.08.17 und Antwort des Senats Betr.: Aufenthalt und Radikalisierung des Attentäters von Barmbek Nach der folgenschweren Messerattacke des 29. Juli 2017 in Barmbek ergeben sich Fragen, die vor allem die Historie des Aufenthaltes des Attentäters in Deutschland betreffen und die Bemühungen, die bisher erfolgt waren, um seine Ausreise zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wieso konnte der Attentäter im Jahre 2015 entgegen den Dublin- Bestimmungen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat nach Deutschland reisen und dies zudem ohne Ausweispapiere? Die Dublin-III-Verordnung verhindert nicht die illegale Weiterreise von Personen. Der Betroffene reiste illegal am 23. März 2015 in die Bundesrepublik ein und meldete sich in Dortmund als Asylsuchender. 2. Wieso wurde der Attentäter nicht gemäß Dublin-Verordnungen in einen anderen EU-Mitgliedstaat zurückverwiesen? Die Prüfung, ob bereits in einem anderen Mitgliedsstaat ein Asylantrag gestellt wurde und eine Überstellung somit in Betracht kommen könnte, obliegt allein dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Nach Kenntnis der zuständigen Ausländerbehörde war die hierfür vorgesehene Frist zum Zeitpunkt der Beantragung einer Überstellung nach Norwegen abgelaufen. Das Überstellungsgesuch wurde daraufhin von Norwegen abgelehnt. 3. Wieso wurde in Deutschland entgegen den Dublin-Bestimmungen ein Asylverfahren durchgeführt? Aufgrund der fehlenden Überstellungsmöglichkeit nach Norwegen hat das BAMF entschieden , das Asylverfahren durchzuführen. Der Asylantrag wurde im November 2016 nach § 29 AsylG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in das Herkunftsland (Palästinensische Autonomiegebiete/Gaza) angedroht. Zugleich wurde das Vorliegen von Abschiebungsverboten dorthin vom BAMF geprüft und verneint. 4. Wieso wurde nicht bereits in den EU-Staaten, in denen sich der Attentäter zuvor aufhielt, eine Rückführung eingeleitet? Schließlich war seine Identität bekannt und er verfügte über eine Geburtsurkunde? Der Senat sieht davon ab, die Verwaltungspraxis auswärtiger Staaten zu bewerten. 5. Wann genau erhielt der Attentäter den negativen Bescheid seines Asylverfahrens in Deutschland? Gemäß Mitteilung an die zuständige Ausländerbehörde gilt der Bescheid des BAMF am 25. November 2016 als zugestellt. Drucksache 21/10003 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 6. Seit wann genau war der Attentäter ausreisepflichtig? Mit Eintritt der Bestandskraft des ablehnenden Bescheids am 3. Dezember 2016 war der Betroffene ausreisepflichtig. 7. Wieso konnte der Täter, der im Besitz einer Geburtsurkunde war, nicht ohne weiteren Passersatz ausreisen, zumal die palästinensischen Behörden einer Aufnahme offenbar zustimmten? Die palästinensische Mission in Berlin hat der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt , dass die Identität nicht angezweifelt werde, gleichwohl aber die Prüfung der Dokumente auf Echtheit abgewartet werden müsse. Diese Prüfung findet vor Ort in den palästinensischen Autonomiegebieten statt. Im Übrigen würden die Fluggesellschaften den Transport ohne gültige Einreisepapiere verweigern, die Zielländer eine Einreise ohne gültige Einreisepapiere stets verweigern . Eine Geburtsurkunde ist kein gültiges Einreisepapier. 8. Wie gestaltete sich genau das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren ? War das Verfahren schließlich in einem Zustand, in dem konkret mit dem Erhalt von Passersatzpapieren zu rechnen war, die eine Abschiebung ermöglicht hätten? Da der Betroffene stets bekräftigt hat, freiwillig ausreisen zu wollen, wäre nach Erhalt der entsprechenden Passersatzpapiere vor einer Abschiebung zunächst die freiwillige Ausreise ermöglicht worden. Im Übrigen siehe Drs. 21/9986. 9. Aus welchen Gründen und wann genau war der Attentäter den Behörden als möglicher Islamist aufgefallen? Zum Beschuldigten lagen der Polizei Hamburg drei Hinweise aus 2016 vor hinsichtlich radikaler Äußerungen, religiöser Auffälligkeit und verbaler Aggressivität. Inwieweit sich aus den Hinweisen eine islamistische Radikalisierung hätte ablesen lassen, ist Gegenstand des aktuell laufenden Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwaltschaft . Darüber hinaus hatte die Polizei Hamburg 2016 Kontakt mit der Wohneinrichtung f &w fördern und wohnen AöR im Kiwittsmoor. Im Zuge dessen wurde auch über den Beschuldigten gesprochen. Im Übrigen ist die genannte Frage Gegenstand einer verwaltungsinternen Aufbereitung des Sachverhaltes, die noch nicht abgeschlossen ist. Darüber hinaus siehe auch Drs. 21/9986. 10. Hätte es unter den gegebenen Umständen Möglichkeiten gegeben, den Attentäter vor der Tat in Haft zu nehmen? Wenn ja, aufgrund welcher Vorschriften? 11. Falls es die Möglichkeit der Inhaftierung gab, weshalb ist diese nicht erfolgt? Nein. Und es lagen auch weder die Voraussetzungen für Abschiebungshaft (§ 62 Absatz 3 AufenthG) noch für Ausreisegewahrsam (62b AufenthG) vor. 12. Weshalb ist die vom Verfassungsschutz angeregte Untersuchung durch den sozialpsychiatrischen Dienst nicht erfolgt? Diese Frage ist Bestandteil einer verwaltungsinternen Aufarbeitung des Sachverhaltes , die noch nicht abgeschlossen ist. 13. Hält der Senat vor dem Hintergrund der Tat eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen hinsichtlich des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber und/oder Gefährder für erforderlich? Am 29. Juli 2017 ist das Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht in Kraft getreten, das eine Reihe von Neureglungen beinhaltet, durch die Abschiebungen künftig erleichtert und die Überwachung von Gefährdern verbessert werden sollen. Es sieht unter anderem vor, dass Abschiebungshaft für vollziehbar Ausreisepflichtige, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann angeordnet werden kann, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10003 3 Darüber hinaus wird die aufenthaltsrechtliche Überwachung von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern erweitert, indem unter bestimmten Voraussetzungen Meldepflichten (§ 56 AufenthG) oder eine elektronische Aufenthaltsüberwachung („Fußfessel “) angeordnet werden können. Inwieweit diese Regelungen künftig zur Anwendung kommen können, ist einzelfallbezogen zu prüfen.