BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10029 21. Wahlperiode 15.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 07.08.17 und Antwort des Senats Betr.: G20 – Einsatz von Reizstoffen durch die Polizei (II) Die Anwendung von Pfefferspray und Tränengas durch Polizeibeamtinnen und -beamte als Mittel zur Ausübung unmittelbaren Zwangs ist mit gravierenden und zugleich schwer abschätzbaren gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Personen verbunden. Für Hamburger Polizeibeamten/-innen richtet sich der Einsatz von Pfefferspray nach dem Hamburgischen Landesrecht sowie laut Antwort des Senats in Drs. 20/197 ergänzend nach der Vorschrift für den täglichen Dienst der Polizei der Freien und Hansestadt Hamburg (PDV 350-HH). „Dabei schließt es als Einsatzmittel und damit als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt die Lücke zwischen einfacher körperlicher Gewalt und dem Einsatz „schärferer“ Zwangsmittel wie etwa der Schusswaffe“ (Drs. 20/197). Laut Antwort des Senats in Drs. 21/9602 sind „Einsatzmittel im Sinne der Fragestellung (Einsatz von Reizstoffen über Abschussvorrichtungen) sind nach Vorgabe des Polizeiführers der Hamburger BAO nicht einzusetzen; über diese Verfahrensweise werden alle Einsatzkräfte in Einsatzbesprechungen und durch ihre Abschnittsleiter in Kenntnis gesetzt.“ Während des G20-Gipfels in Hamburg kam es offensichtlich zu Missachtungen dieser Vorgabe des Hamburger Polizeiführers; neben dem Pfefferspray- Einsatz sind weitere Einsatzmittel und -techniken dokumentiert. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Einsatz von Reizstoffen als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt richtet sich nach den Vorschriften der Zwangsanwendung. Entsprechend darf und wird von der Polizei nur in entsprechenden Fällen von dem Einsatz von Reizstoffen Gebrauch gemacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz von Reizstoffen in erster Linie in Situationen erfolgt, in denen ansonsten andere Zwangsmittel wie körperliche Gewalt, Schlagstockeinsatz oder gegebenenfalls auch der Schusswaffengebrauch drohen. Der Einsatz von Reizstoffen kann hier das Verletzungsrisiko deutlich begrenzen und ist insofern das mildere Mittel. Der Einsatz von Reizstoffen mittels Abschussvorrichtungen – sogenannte Mehrzweckpistolen (MZP) – ist grundsätzlich nach den Vorschriften der Zwangsanwendung auch in Hamburg zulässig; die Polizei Hamburg setzt diese jedoch nicht ein. Der Polizeiführer hatte die Einsatzführer auswärtiger Kräfte entsprechend angehalten, diese Einsatzmittel in Hamburg nicht zu verwenden. Aufgrund des Einsatzverlaufes entschieden sich auswärtige Kräfte jedoch in einigen Situationen mit massivem Störerkontakt zum Einsatz der MZP, weil sie dies in Abwägung der Weisung des Poli- Drucksache 21/10029 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 zeiführers und der eingetretenen Gefahrenlage für geboten ansahen. Eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem Polizeiführer erfolgte vor dem Hintergrund der jeweiligen dynamischen Entscheidungssituation nicht. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Reizstoffe sind bei der Hamburger Polizei im Einsatz (bitte aufgliedern nach Typen, Fabrikaten, Herstellern der Reizstoffe und bei Pfefferspray auch nach synthetischer und natürlicher Ware)? Siehe Drs. 21/8091. a. Welche weiteren Reizstoffe waren während des G20-Gipfels in Hamburg im Einsatz durch welche Einheiten welcher Länderpolizeien beziehungsweise der Bundespolizei? Für die Beantwortung wären Abfragen sämtlicher eingesetzter Polizeieinheiten der Länder und des Bundes sowie die anschließende Durchsicht, Auswertung und Aufbereitung der Daten erforderlich. Dieses ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Welche Reizstoffsprühgeräte und Abschussvorrichtungen für welche Reizstoffwurfkörper sind bei der Hamburger Polizei im Einsatz (bitte aufgliedern nach Reizstoff, Reizstoffmenge und -konzentration, Einsatzreichweite , Sprühbilddurchmesser, Mindestzahl von 1-Sekunden-Strahlstößen )? Siehe Drs. 21/8091. a. Welche weiteren Reizstoffsprühgeräte und Abschussvorrichtungen für welche Reizstoffwurfkörper waren während des G20-Gipfels in Hamburg im Einsatz durch welche Einheiten welcher Länderpolizeien ? Siehe Antwort zu 1.a. b. Wie viele MZP wurden durch welche Einheiten welcher Länderpolizeien beziehungsweise der Bundespolizei mitgeführt? c. Wie oft wurden MZP durch welche Einheiten welcher Länderpolizeien beziehungsweise der Bundespolizei eingesetzt? d. Wie viele Tränengasgranaten mit welchen Substanzen wurden im Rahmen des Einsatzes der BAO Michel von welchen Einheiten welcher Länderpolizeien beziehungsweise der Bundespolizei abgeschossen ? Valide Daten im Sinne der Fragestellung liegen der zuständigen Behörde derzeit noch nicht vor; dies ist Gegenstand der noch nicht abgeschlossenen Nachbereitung des Einsatzes der Sicherheitsbehörden zum G20-Gipfel. Eine vorläufige Erhebung im Sinne der Fragestellung bezüglich des Einsatzes der MZP ergab nachstehenden derzeitigen Sachstand: Beweissicherungs- und Festnahme Hundertschaft Sachsen - 22 x MZP Unterstützungskommando Bayern - 18 x MZP Beweissicherungs- und Festnahme Hundertschaft Hessen - 2 x MZP Beweissicherungs- und Festnahme Hundertschaft Rheinland-Pfalz- 4 x MZP Beweissicherungs- und Festnahme Hundertschaft Thüringen - 21 x MZP Im Weiteren wurde nach derzeitigem Erkenntnistand ein CS-Wurfkörper durch die Beweissicherungs- und Festnahme Hundertschaft Sachsen eingesetzt. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.a. 3. Muss im Rahmen der polizeilichen Amtshilfe durch andere Länderpolizeien die Nutzung weiterer Hilfsmittel körperlicher Gewalt, zum Beispiel Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10029 3 Reizstoffsprühgeräte und Reizstoffabschussvorrichtungen von der zuständigen Behörde genehmigt werden? a. Wenn nein, warum nicht? b. Wenn ja, welche wurden wann genehmigt? c. Welche Konsequenzen zieht der Senat, falls nicht genehmigte Hilfsmittel zum Einsatz kamen? Eine rechtliche Notwendigkeit besteht nicht. Der Einsatz von Waffen und Hilfsmittel der körperlichen Gewalt durch Polizeien anderer Länder und des Bundes richtet sich nach den gesetzlichen Grundlagen jenes Landes, in welchem sie im Rahmen der Amtshilfe tätig werden. Jedes Land verfügt in eigener Zuständigkeit über die Ausstattung seiner Polizei. Diese Ausstattung wird regelhaft mitgeführt, kommt allerdings nur dann zum Einsatz, wenn die Normen des jeweiligen Landes dies zulassen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Wann wurden die Regeln für den Einsatz von Reizstoffen und dessen Dokumentation zuletzt in welcher Weise geändert? Siehe Drs. 21/8091. 5. Wann und wo wurden beim G20-Gipfel welche Reizstoffe eingesetzt? Wann und welche durch Wasserwerfer? Gemäß Polizeidienstvorschrift (PDV) 350 HH besteht für die einschreitenden Beamten die Verpflichtung, einen Reizstoffeinsatz an die einsatzführende Dienststelle zu melden und in einem Bericht aktenkundig zu machen. Vorgesetzte haben die Pflicht, den Einsatz von Zwangsmitteln im Rahmen der Dienstaufsicht zu bewerten. Darüber hinaus siehe Antwort zu 1.a. 6. Bitte den aktuellen Bestand an Reizstoffsprühgeräten (RSG) bei der Polizei Hamburg darstellen. Siehe Drs. 21/9602. a. Wie viele Einheiten welcher Reizstoffe wurden seit dem 23.03.2015 beschafft (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Für die Polizei ist die Zahl der beschafften Einheiten nachstehender Tabelle zu entnehmen : Jahr RSG 2 RSG 3 RSG 4 2017 (Stichtag 08.08.) 200 3.240 634 Darüber hinaus siehe Drs. 21/8091. b. Wie viele Einheiten welcher Reizstoffe wurden beim G20-Gipfel durch welche beteiligten Polizeieinheiten verbraucht und wie viele Einheiten welcher Reizstoffe müssen nach dem Einsatz von den beteiligten Polizeieinheiten aufgefrischt werden? Die Polizei führt keine Statistiken im Sinne der Fragestellung. Darüber hinaus siehe Antwort zu 1.a. 7. Welche Einsätze von Reizstoffen im Rahmen des G20-Einsatzes wurden durch Dienstvorgesetzte im Nachhinein als unnötig oder falsch bewertet ? 8. Welche nicht rechtmäßigen Einsätze von Reizstoffen (insbesondere Pfefferspray) werden von der Polizei Hamburg derzeit untersucht (nicht nur gegen Demonstrierende, sondern auch Journalisten/-innen, Umstehende oder Anwohner/-innen)? In acht der gegenwärtig 60 beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) anhängigen Ermittlungsverfahren kam es zum Einsatz von Reizstoffen durch Polizeibedienstete. Drucksache 21/10029 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Ob dieser Einsatz von Reizstoffen den Verdacht einer Straftat erfüllt, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Die Sichtung, Sicherung und Bewertung von Videos, Bildern und Berichten aus öffentlich zugänglichen Quellen sowie der Abgleich mit bereits beim DIE anhängigen Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Nach gegenwärtigem Stand ist noch keine abschließende Aussage über die Anzahl von Sachverhalten möglich, bei denen der Einsatz von Reizstoffen durch Polizeibeamte erfolgte. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. und Drs. 21/10015. 9. Am Samstagabend kam es im Schanzenviertel zur Verletzung von circa 130 Polizeibeamten/-innen aus Hessen durch Reizgas. Die Version der Polizei, die Beamten/-innen seien angegriffen worden, wird durch Medienberichte in Zweifel gezogen. Über welchen Ermittlungsstand kann der Senat derzeit berichten? a. Durch welches Reizgas wurden die Beamten/-innen verletzt? b. Wurde es durch Sprühflaschen oder Wurfkörper eingesetzt? c. Ist es zutreffend oder wahrscheinlich, dass ein Wurfkörper der Polizei zurückgeworfen wurde und auf diese Weise die Beamten/-innen verletzt wurden? Der Polizei ist bekannt, dass es zu Verletzungen von Polizeibeamten aus Hessen durch Reizgas gekommen ist. Dieser Umstand ist Gegenstand der Ermittlungsarbeit der Sonderkommission (SOKO) „Schwarzer Block“, weitere Angaben dazu sind derzeit nicht möglich. 10. Welche weiteren Hilfsmittel körperlicher Gewalt werden von der Hamburger Polizei eingesetzt? Gemäß der PDV 350 HH können von der Polizei neben Reizstoffsprühgeräten und Wasserwerfern folgende Hilfsmittel der körperlichen Gewalt eingesetzt werden: Fesseln Spuckschutzhauben Technische Sperren Diensthunde und Dienstpferde a. Welche weiteren Hilfsmittel körperlicher Gewalt waren während des G20-Gipfels in Hamburg im Einsatz durch welche Einheiten welcher Länderpolizeien? Die Ergebnisse einer vorläufigen Erhebung im Sinne der Fragestellung sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen: Land/Bundespolizei Wasserwerfer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen , Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen , Bundespolizei Sonderwagen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen , Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig- Holstein, Thüringen, Bundespolizei Diensthunde Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen , Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein, Thüringen Dienstpferde Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachen Darüber hinaus siehe Antwort zu 1.a. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10029 5 11. Wie ist die Aussage des Einsatzleiters, in Hamburg werde „alles an Polizeiequipment zu sehen sein, was es gibt“ (https://www.nnn.de/ 17064691), vor dem Hintergrund des Einsatzes von Reizgas, zu verstehen ? Die Aussage machte deutlich, dass die bei den Polizeien vorhandene Ausstattung, soweit sie für die Gewährleistung der Sicherheit während des Gipfels in Hamburg notwendig war, zur Verfügung stand. Ein Bezug im Sinne der Fragestellung bestand nicht.