BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10066 21. Wahlperiode 18.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 10.08.17 und Antwort des Senats Betr.: Die neuesten Gesetzespläne von Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks lassen aufmerken: Ist Hamburg auf dem Weg in die von der SPD bundesweit favorisierte einheitliche „Bürgerversicherung“? Als einziges Bundesland prescht Hamburg bei der Gesundheitsversicherung seiner Beamten vor: Ende des Jahres wird die Hamburgische Bürgerschaft über eine Gesetzesvorlage zu entscheiden haben, der zufolge Hamburger Beamte künftig die Wahl haben sollen, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern lassen wollen. Faktisch sollen so mehr Beamte von der kapitalgedeckten Privatversicherung in die umlagefinanzierte gesetzliche Krankenversicherung gelenkt werden. Bislang müssen sich Beamte privat versichern, wenn sie Beihilfe ihres Arbeitgebers erhalten wollen. Versichern sie sich hingegen gesetzlich, beteiligt sich der Arbeitgeber – anders als bei Arbeitgebern in der Wirtschaft – bisher nicht. Die vom Senat geplante Neuregelung, der zufolge auch für gesetzlich Versicherte die Versicherungsbeiträge gezahlt werden sollen, betrifft vor allem Berufsanfänger sowie die rund 2.400 freiwillig gesetzlich versicherten Beamten . Der Verband der Privaten Krankenversicherungen äußert ganz eindeutig seine Kritik: Dieser Schritt sei in Wirklichkeit der Weg zur Einheitskasse und führe damit in Wahrheit weg von der Wahlfreiheit. Der Senat rechnet im ersten Jahr mit erhöhten Kosten von 5,8 Millionen Euro, geht aber davon aus, dass durch dieses Gesetz auf Dauer Kostenneutralität entsteht. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat hat am 8. August 2017 die Einleitung der Anhörung von Gewerkschaften und Verbänden zu einem „Gesetz über die Einführung einer pauschalen Beihilfe zur Flexibilisierung der Krankheitsvorsorge“ beschlossen. Mit dieser Regelung soll ab 1. August 2018 auf Wunsch von Beamtinnen und Beamten statt individueller Beihilfe der hälftige Beitrag zu einer gesetzlichen oder privaten Krankenvollversicherung als pauschale Beihilfe gezahlt werden. Damit erhalten die Beamtinnen und Beamte eine größere Wahlfreiheit. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gibt es andere Bundesländer, die vergleichbare Gesetzespläne verfolgen ? Wenn ja, welche? Drucksache 21/10066 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dies ist dem Senat nicht bekannt. 2. Mit wie vielen zur gesetzlichen Krankenversicherung wechselwilligen und -fähigen Beamten rechnet der Senat – neben den Berufsanfängern und den bereits 2.400 gesetzlich Versicherten in den kommenden drei Jahren? Erfahrungen liegen nicht vor. 3. Wie hoch belaufen sich aktuell die jährlichen Kosten für die gezahlten individuellen Beihilfen? Die Ausgaben für individuelle Beihilfen betrugen 2016 insgesamt 85,15 Millionen Euro für aktive Beamtinnen und Beamte und 183,14 Millionen Euro für Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger (für die Vorjahre vergleiche Personalbericht 2016, Drs. 21/5141, Seite 27 fortfolgende). 4. Wie hoch werden dem Senat zufolge künftig die Kosten für die hälftige Beteiligung der Freien und Hansestadt Hamburg an einer gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte sein? 5. Inwiefern und in welcher Höhe entstehen durch die Wahlmöglichkeit dauerhaft Mehrkosten für die Freie und Hansestadt Hamburg? Die Kosten für die bereits jetzt freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Beamtinnen und Beamten werden auf 5,8 Millionen Euro jährlich geschätzt. Weitere nicht prognostizierbare Mehraufwendungen sind von der Entscheidung neu eingestellter Beamtinnen und Beamten abhängig, eine Krankenvollversicherung abzuschließen und eine pauschale Beihilfe in Anspruch zu nehmen. Diese Aufwendungen werden durch die ansonsten zu gewährenden individuell berechneten Beihilfen gemindert. 6. Welche finanziellen Risiken sieht der Senat für den öffentlichen Haushalt vor dem Hintergrund, dass bei der Beihilfe nur im Krankheitsfall gezahlt wird, bei seinem jetzigen Gesetzesvorhaben jedoch jeden Monat der Arbeitgeberzuschuss vom Hamburger Steuerzahler bezahlt werden muss? Bei der großen Anzahl der Beihilfeberechtigten werden durch die Einführung einer pauschalen Beihilfe signifikante finanzielle Auswirkungen nicht erwartet. 7. Welche Auswirkungen sieht der Senat mittelfristig auf die gesetzlichen und privaten Krankenkassen insbesondere mit Blick auf steigende Beitragssätze in Hamburg zukommen? Keine. Die Entwicklung der Beiträge der gesetzlichen und privaten Krankenkassen ist abhängig von den Gesundheitsausgaben aufgrund der demografischen Entwicklung und der Morbidität. 8. Wie beurteilt der Senat insbesondere das Risiko für die gesetzliche Krankenversicherung, das insbesondere darin bestehen kann, dass Versicherten mit schlechtem Gesundheitszustand bei Gewährung eines Arbeitgeberzuschusses verstärkt ein Anreiz gesetzt wird, sich gesetzlich zu versichern? Mit der Wahlmöglichkeit können sich die Beamtinnen und Beamten entscheiden, wie sie krankenversichert sein wollen. Der Wechsel von der PKV in die GKV ist nur vor dem 55. Lebensjahr und mit bestimmten Vorversicherungszeiten möglich. Da die pauschalisierte Beihilfe in Form des einkommensabhängigen hälftigen Versicherungsbeitrags in der GKV oder bis zur Höhe des hälftigen Versicherungsbeitrags für den Basistarif der PKV gewährt wird, besteht nach Auffassung des Senats kein Risiko für die gesetzlichen Krankenkassen. 9. Welche Auswirkungen sieht der Senat durch dieses Gesetzesvorhaben auf die medizinische Infrastruktur in Hamburg – insbesondere Arztpraxen , Hebammen und Physiotherapeuten – zukommen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10066 3 Keine. Die vielfältige medizinische Infrastruktur in Hamburg wird beeinflusst durch die demografische Entwicklung und Morbidität sowie durch die hohe Zahl von Patientinnen und Patienten aus dem Hamburger Umland. 10. Was bedeutet dieses Gesetzesvorhaben – sollte es in Hamburg realisiert werden – für gesetzlich versicherte Beamte, die das Bundesland wechseln ? Bei einem Wechsel in ein anderes Bundesland gilt das dortige Beihilferecht. Die Gewährung einer pauschalen Beihilfe würde entfallen, sodass wechselnde Beamtinnen und Beamte den GKV- beziehungsweise PKV-Beitrag (wieder) vollumfänglich allein tragen oder sich bei Inanspruchnahme der dortigen Beihilfeleistungen ergänzend in der PKV teilversichern müssten. 11. Welche Verbände und Organisationen hat der Senat für dieses Gesetzesvorhaben im Vorwege angehört? Keine. Nach der Senatsbefassung am 8. August 2017 wurde nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen (§ 53 Beamtenstatusgesetz, § 93 Hamburgisches Beamtengesetz ) das Beteiligungsverfahren mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Berufsverbände eingeleitet. 12. Nach wie vielen Jahren nach Einführung dieses Gesetzesvorhabens rechnet der Senat mit Kostenneutralität und was bedeutet dies für die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen? Siehe Antworten zu 4. und 5. und zu 6. 13. Bestehen weitergehende Pläne im Senat, das duale System im Krankenversicherungssystem aufzuweichen und wenn ja, wie sehen diese aus? Mit der Einführung der Wahlmöglichkeit für Beamtinnen und Beamte ist keine Veränderung des dualen Krankenversicherungssystems verbunden. Vielmehr ist die Einführung der Wahlmöglichkeit für Beamtinnen und Beamte ein Beitrag zum Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungssystemen. 14. Welche beamten- und verfassungsrechtlichen Fragen sind mit diesem Gesetzgebungsvorhaben verbunden und wie gedenkt der Senat, diese Fragen zu berücksichtigen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass er seine verfassungsmäßig vorgegebene Fürsorgepflicht nicht vollständig in ein anderes System delegieren kann? Zum einen ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die zu den durch Artikel 33 Absatz 5 GG geschützten, hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört, durch die beabsichtigte Neuregelung berührt. Grundsätzlich gebietet die Fürsorgepflicht als Grundlage für die Gewährung von Beihilfen des Dienstherrn keine konkrete Form der Ausgestaltung der Beihilfe. Der Dienstherr muss Vorkehrungen treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt der Beamtin beziehungsweise des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheits-, Pflege-, Geburtsoder Todesfälle nicht gefährdet wird. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonstiger geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen (BVerfG Beschluss vom 7.11.2002, -2 BvR 1053/98-, juris, Rz. 29). Vor diesem Hintergrund ist das Vorhaben so ausgestaltet, dass die pauschale Beihilfe nur auf Antrag der Beamtin oder des Beamten gewährt, ihr oder ihm also ein Wahlrecht eingeräumt werden soll. Zum anderen ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen. Dies ist wesentlicher Grund dafür, dass die pauschale Beihilfe nicht nur für Beiträge der GKV, sondern auch für Beiträge zu einer Vollversicherung in der PKV ermöglicht werden soll. 15. Ist dem Senat die Antwort der Landesregierung in Sachsen-Anhalt auf eine Schriftliche Kleine Anfrage (Drs. 7/1702) bekannt, der zufolge das vom Senat geplante Gesetzesvorhaben verfassungswidrig ist und die Drucksache 21/10066 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Beteiligung des Dienstherrn an den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung eine Ungleichbehandlung gegenüber den Beamtinnen und Beamten darstellt, die eine beihilfekonforme private Krankenversicherung abgeschlossen haben? Nein. 16. Hat der Senat andere Möglichkeiten geprüft, um etwaige „Ungerechtigkeiten “ im bestehenden System zu beseitigen? Wenn ja, welche? Der Senat schöpft seine landesrechtlichen Möglichkeiten mit dem Gesetzentwurf aus. 17. Nach Ansicht der Bundesregierung besteht bereits Wahlfreiheit für Beamte. Wodurch begründet sich durch dieses Gesetzesvorhaben nach Ansicht des Senats eine „Verbesserung“ von Wahlfreiheit? Da der GKV-Beitrag bislang allein von der Beamtin oder dem Beamten getragen wird, wollen oder können sich einige Beamtinnen oder Beamte nach Einstellung bei der Freien und Hansestadt Hamburg eine (Weiter-)Versicherung in der GKV nicht leisten. Durch die Gewährung einer pauschalen Beihilfe zu diesen Beiträgen wird eine echte Wahlmöglichkeit eröffnet. 18. Wie sollen konkret die Verbesserungen für Beamte mit Kindern und mit Behinderungen durch das geplante Gesetzesvorhaben aussehen, die heute durch die bestehende Gesetzeslage nicht bestehen? Nach dem geltenden Beihilfesystem erhalten Beamtinnen und Beamte mit einer Vollversicherung in der GKV keine Krankenversicherungsbeiträge erstattet. Mit der Wahl für die pauschalisierte Beihilfe wird zum einen die Hälfte des nachgewiesenen Krankenversicherungsbeitrags in der GKV erstattet. Zum anderen sind in der GKV die Kinder beitragsfrei mitversichert (Familienversicherung) und ist die Höhe des Krankenversicherungsbeitrags einkommensabhängig und im Gegensatz zur PKV ohne Risikozuschläge .