BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10099 21. Wahlperiode 22.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 14.08.17 und Antwort des Senats Betr.: Gewalt in der Pflege Seit Wochen berichtet die „Hamburger Morgenpost“ über Missstände in Pflegeeinrichtungen , zuletzt über einen Fall der derzeit vor dem Amtsgericht Wandsbek verhandelt wird. Ein Pflegehelfer soll in Tonndorf eine demente 84-jährige Frau misshandelt haben („Hamburger Morgenpost“ vom 11.08.2017). Die Pflegedienstleistung und der Heimleiter hätten Verdachtshinweise ignoriert, sodass die Altenpflegerin Silke H. schließlich Handyaufnahmen erstellte, um dem ein Ende zu setzen. Der Angeklagte ist indes über eine Zeitarbeitsfirma weiter in der Pflege tätig.1 2012 hat der Senat beschlossen, das Konzept zur „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt im Alter anzureichern . (…) Ein besonderer Schwerpunkt ist auf die Gewalt in der Pflege zu legen“2, so der Senat. Insbesondere praxistaugliche Konzepte zur Gewaltprävention und Früherkennung sollten erstellt werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des MDK-Nord wie folgt: 1) Wie viele Fälle von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten im Pflegebereich sind in der internen Erhebung des Landeskriminalamtes Hamburg in den vergangenen fünf Jahren erfasst worden? Bitte nach Jahren, Deliktsform und Art der Pflege (ambulant/stationär) aufschlüsseln. Eine interne Statistik im Sinne der Frage wird beim Landeskriminalamt Hamburg nicht geführt. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Straftaten im Pflegebereich werden in der PKS nicht gesondert erfasst. Zur Beantwortung dieser Frage wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Polizei erforderlich. Die Auswertung von mehreren hunderttausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 1 Quelle: http://www.mopo.de/hamburg/mutmassliche-misshandlung-einer-84-jaehrigen-siestoppte -den-altenpfleger-des-grauens-28149598. 2 Vergleiche Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege, Seite 1, abrufbar unter: http://www.hamburg.de/ contentblob/4274734/dbbb4867c799ec64728871d78e2a6c8a/data/opferschutz-konzept.pdf. Drucksache 21/10099 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2) Welche Konzepte zur Gewaltprävention und Früherkennung wurden zwischenzeitlich erprobt? In der Rahmenplanung der pflegerischen Versorgungsstruktur bis 2020 (Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz 2015) werden erprobte Konzepte zur Gewaltprävention aufgeführt und den Einrichtungen und Diensten zur Anwendung empfohlen. Die Betreuungsstelle Hamburg – Beratungsstelle für rechtliche Betreuung und Vorsorgevollmacht – bietet mit der Fachstelle Pflege ohne Zwang Informationsveranstaltungen und Beratung für Bürgerinnen und Bürger, Dienste und Einrichtungen zum Thema freiheitsentziehende Maßnahmen und zu Alternativen an. Der Arbeiter-Samariter-Bund Landesverband Hamburg e.V. hat ein Programm zur Prävention von Gewalt in der Pflege entwickelt. Im Übrigen liegen der zuständigen Behörde keine Kenntnisse über Trägeraktivitäten vor. 3) Welche Erkenntnisse liegen durch das Hamburger Beschwerdetelefon Pflege vor? a) Wie viele Erstkontakte gab es in den letzten fünf Jahren? Bitte jeweils die Durchschnittswerte für Tag, Woche und Monat angeben. Für das Beschwerdetelefon Pflege werden die Erstkontakte monatlich und jährlich ausgewertet. Die Werte sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Erstkontakte Jahr 2012 Jahr 2013 Jahr 2014 Jahr 2015 Jahr 2016 Gesamt 343 342 347 279 279 Mittelwert monatlich 28,6 28,5 28,9 23,3 23,3 Mittelwert wöchentlich 6,60 6,58 6,67 5,37 5,37 Mittelwert täglich 0,94 0,94 0,95 0,76 0,76 Quelle: Auswertung BGV 2017 b) Gab es in den letzten fünf Jahren signifikante Veränderungen hinsichtlich der Art der Beschwerden? Nein. c) Sind Beschwerden zu grundlegenden Versorgungsleistungen (Körperpflege , Flüssigkeitsversorgung und Ernährung, Hygiene der Pflegeeinrichtungen) im genannten Zeitraum zurückgegangen? Die Beschwerden werden vom Beschwerdetelefon Pflege statistisch nicht in der gefragten Differenzierung erfasst, sondern in den folgenden übergeordneten Kategorien : Beschwerde über ambulanten Dienst, Grundsicherungs- und Sozialamt, Wohn-/Pflegeeinrichtung (Heim), Kasse, medizinischen Dienst der Krankenversicherung, Pflegestützpunkt, Sonstiges. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10099 3 d) Gibt es bestimmte Pflegeeinrichtungen, die im genannten Zeitraum auffällig geworden sind beziehungsweise deren Namen gehäuft bei Beschwerden über grundlegende Versorgungsleistungen fallen? Falls ja, auf wie viele Einrichtungen trifft dies zu? e) In wie vielen Fällen sind durch das Beschwerdetelefon Pflege bislang weitere Institutionen eingeschaltet worden? Beschwerden mit einer gesundheitlichen Gefährdung oder mit dem Verdacht einer Gefährdung werden grundsätzlich in allen Fällen zur Weiterbearbeitung an die Wohn- Pflege-Aufsicht weitergeleitet. Außerdem wird die für die Einrichtung oder den Dienst federführend zuständige Pflegekasse informiert. Bei etwa 500 vollstationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sehr unterschiedlicher Größe ist eine sinnvolle Auswertung der Meldungen in Bezug auf die Einrichtungen nicht möglich. 4) Wie oft hat die Lenkungsgruppe in den letzten fünf Jahren Beschwerden übergeordnet weiterverfolgt? Das Beschwerdetelefon Pflege ist seit 1. Januar 2015 Teil des Pflegestützpunktes Hamburg-Mitte. Die Lenkungsgruppe wurde von einem Koordinierungsausschuss abgelöst. Dieser dient der inhaltlichen Steuerung des Pflegestützpunktes Hamburg- Mitte einschließlich des Beschwerdetelefons Pflege. Die Weiterverfolgung von Beschwerden erfolgt durch zuständige Dienststellen, wie zum Beispiel die Wohn- Pflege-Aufsicht in den Bezirksämtern oder durch Pflegekassen. 5) Welche Empfehlungen sind durch den Landespflegeausschuss innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgt? Der Landespflegeausschuss hat in den letzten fünf Jahren folgende Empfehlungen beschlossen: Einführung eines Umlageverfahrens zur Finanzierung der Ausbildung in Berufen der Altenpflege und der Gesundheits- und Pflegeassistenz in Hamburg zur Beteiligung der Träger von Einrichtungen der Langzeitpflege am Netzwerk Palliative Geriatrie, zur vereinfachten Pflegedokumentation, zur Rahmenplanung der pflegerischen Versorgungsstruktur bis 2020, zur Sektorenübergreifenden Gesundheits- und Pflegekonferenz, zum Runden Tisch Dekubitus. 6) In wie vielen Einrichtungen in Hamburg, in denen wiederholt Mängel im Bereich der Versorgungsqualität festgestellt wurden, sind durch die Landesverbände der Pflegekassen Kündigungen von Versorgungsverträgen innerhalb der letzten fünf Jahre ausgesprochen worden? Durch die Landesverbände der Pflegekassen sind in den letzten fünf Jahren vier Versorgungsverträge mit stationären Pflegeeinrichtungen und 13 Versorgungsverträge mit ambulanten Pflegediensten gekündigt worden. 7) Angesichts der eingangs beschriebenen Erfahrung: Wie wird sichergestellt , dass die Heimaufsicht im Dienste der Gepflegten agiert? Welche Handlungsmöglichkeiten hat eine Heimaufsicht im Falle des Verdachts auf Misshandlung von Schutzbefohlenen? In Fällen, in denen die Wohn-Pflege-Aufsicht Anhaltspunkte für Gewalt in der Pflege hat, wird unmittelbar eine anlassbezogene Prüfung (§ 30 Hamburgisches Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz – HmbWBG) durchgeführt. Wird bei diesen Prüfungen ein Mangel festgestellt, hat die Wohn-Pflege-Aufsicht nach §§ 32 – 35 HmbWBG verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Diese sind: Mängelbeseitigungsvereinbarungen , Anordnungen zur Beseitigung von Mängeln, Aufnahmestopp , Beschäftigungsverbote (dem Betreiber wird dabei untersagt, eine bestimmte Person weiter zu beschäftigen) oder Untersagung des Betriebs der Einrichtung. Drucksache 21/10099 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Sofern der Wohn-Pflege-Aufsicht Hinweise auf strafbare Handlungen vorliegen, wird der Vorgang an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. 8) Wie viele Zeugen von Gewalt haben sich in den letzten fünf Jahren an eine Wohn-Pflege-Aufsicht gewandt? Wie wird mit den Meldungen weiter verfahren? Welche Handlungsmöglichkeiten haben Wohn-Pflege-Aufsichten ? In den letzten fünf Jahren gab es neun Zeugen von Gewalt, die sich an die Wohn- Pflege-Aufsichten gewandt haben. Eine entsprechende Meldung wird als Beschwerde gewertet, der unmittelbar im Rahmen einer Anlassprüfung nachgegangen wird. Die Handlungsmöglichkeiten sind im HmbWBG festgelegt, siehe Antwort zu 7). 9) Der MDK stellt in seinem Jahresbericht von 2016 fest: „trotz erkennbarer positiver Entwicklung hinsichtlich der Erfassung bestehender Gefährdungspotenziale (Dekubitus, Kontraktur, Ernährungsrisiko) zeigen sich weiterhin in fast jeder 5. Einrichtung gravierende Mängel“.3 Die Quellenangabe ist nicht zutreffend. Diese Aussage findet sich im 4. Pflege- Qualitätsbericht des MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen) nach § 114a Absatz 6 SGB XI aus dem Jahre 2014. a) Hält der Senat die einmalige Überprüfung von Pflegeeinrichtungen im Jahr für ausreichend? Ja. Werden Mängel festgestellt, erfolgen bei Bedarf weitere Prüfungen. b) Erfolgen darüber hinaus anlassbezogene Überprüfungen? Ja. c) Erfolgen die Überprüfungen mit Vorankündigung? Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen erfolgen entsprechend § 114a SGB XI in stationären Pflegeeinrichtungen grundsätzlich unangemeldet, in ambulanten Pflegeeinrichtungen werden sie am Tag zuvor angekündigt. Anlassprüfungen erfolgen unangemeldet . d) Wie werden Schwerpunkte für Prüfungen seitens des MDK Nord festgesetzt? Prüfungen erfolgen auf der Grundlage der gesetzlichen Vorgaben. Grundlagen der Prüfung sind die Richtlinien des GKV Spitzenverbandes (Qualitätsprüfungsrichtlinien – QPR). Schwerpunkt ist die Überprüfung der Ergebnisqualität bei den pflegebedürftigen Menschen. e) Welche Fortbildungen erhalten Pflegefachgutachter des MDK Nord? Wie viele Fortbildungen haben Pflegegutachter durchschnittlich absolviert ? Gutachter des Fachbereichs Qualitätssicherung und Beratung von Pflegeeinrichtungen erhalten zu prüfungsrelevanten Aspekten und pflegerelevanten Themen regelmäßige Fortbildungen. Nahezu alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen auch über eine TQM-Auditor-Qualifikation. Am Standort Hamburg hatten die Gutachter im Durchschnitt 22 Stunden Fortbildung. Zusätzlich erfolgen zweimal im Jahr Gutachtertagungen und regelmäßige Teambesprechungen . 10) Wie wird sichergestellt, dass die vorgegebenen Personalschlüssel von den Pflegeeinrichtungen dauerhaft eingehalten werden? 3 Vergleiche Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK): Jahresbericht 2016, Seite 4, abrufbar unter: https://mdk-nord.de/PresseMedien/Documents/mdknord 2016Rueckblick-Ausblick2017.pdf. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10099 5 Die dauerhafte Einhaltung der vorgegebenen Personalschlüssel wird regelmäßig im Zuge der individuellen Verhandlung der Entgelte durch die Pflegekassen und den Träger der Sozialhilfe sichergestellt. Gibt es bei Prüfungen durch die Wohn-Pflege-Aufsicht Hinweise auf zu geringen Personaleinsatz , werden die Menge des eingesetzten Personals vor Ort überprüft und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergriffen, siehe Antwort zu 7). 11) Welche Flexibilität besteht hinsichtlich der Anpassung der Vorgaben für Personalschlüssel in der Pflege seitens des Senats? Die Pflegepersonalschlüssel sind im Rahmenvertrag über die vollstationäre pflegerische Versorgung gemäß § 75 SGB XI für die Freie und Hansestadt Hamburg vereinbart (§ 18 Absatz 2 LRV). Die letzte Anpassung erfolgte zum 01.01.2017 im Zuge der Umsetzung des Pflege-Stärkungs-Gesetzes (PSG 2). Dabei wurde die bisherige Pflegepersonalmenge insgesamt um rund 8 Prozent erhöht. Eine Anpassung der Personalschlüssel kann im Rahmen einer Neuverhandlung des Rahmenvertrages erfolgen. 12) Wird über die Rahmenverträge des Senats mit den Pflegeeinrichtungen sichergestellt, dass Pflegehelfer beziehungsweise geringfügig Beschäftigte in Persönlichkeit und Qualifikation für die Tätigkeit in der Pflege geeignet sind? Falls nein, warum erachtet der Senat es als nicht notwendig, Vorgaben zu machen, die denen der Pflegefachkräfte entsprechen? Ja, denn gemäß § 18 Absatz 8 LRV hat der Träger der Pflegeeinrichtung beim Einsatz von Pflegehilfskräften sicherzustellen, dass Pflegefachkräfte die fachliche Überprüfung des Pflegebedarfs, die Anleitung der Hilfskräfte und die Kontrolle der geleisteten Arbeit gewährleisten. Außerdem ist in der Wohn- und Betreuungspersonalverordnung vorgeschrieben, dass die Betreiber sicherzustellen haben, dass das eingesetzte Personal persönlich und fachlich geeignet ist (§ 4 Absatz 1, §§ 13, 19, 26). 13) Welche Fortbildungsbedarfe für Pflegepersonal sind im vergangenen Jahr erhoben worden? Wie unterscheiden sich diese von den vorherigen Fortbildungsbedarfen? Die genauen Fortbildungsbedarfe werden jeweils individuell von den Pflegeeinrichtungen erhoben und realisiert. Eine statistische Erfassung der Fortbildungsbedarfe erfolgt nicht. 14) Welche Zielvorgaben existieren derzeit zwecks Anhebung der Qualitätsstandards ? Betreiber von Wohneinrichtungen haben ein Personal- und Qualitätsmanagement durchzuführen, das darauf ausgerichtet ist, die Leistungen der Wohneinrichtung kontinuierlich zu verbessern (§ 14 Absatz 1 HmbWBG). 15) Welche niedrigschwelligen Gesprächs- und Beratungsangeboten gibt es in Hamburg zu Gewalt in der Pflege respektive im Alter beziehungsweise befinden sich in Planung? Betroffene können sich an das Beschwerdetelefon Pflege, die Pflegestützpunkte, die Wohn-Pflege-Aufsicht und die Kranken- und Pflegekassen wenden. Die Angebote der Beratungseinrichtungen der Opferhilfe stehen allen Bürgern zur Verfügung. Das Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Eppendorf bietet Beratung und Begutachtung für Opfer von körperlicher Gewalt an.