BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10106 21. Wahlperiode 22.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 15.08.17 und Antwort des Senats Betr.: Waffenfund bei Neonazi – Was ermittelt die Polizei? Am Donnerstag, dem 03.08.2017, wurden von der Hamburger Polizei in der Wohnung des verstorbenen Neonazis Lutz H. unter anderem mehrere scharfe Waffen plus Munition, NS-Propaganda und Ölbilder unter anderem von Joseph Goebbels und Ernst-Otto Remer gefunden. Anstatt die Materialien und Akten gründlich zu untersuchen, mögliche Verbindungen des Lutz H. in die Neonaziszene auszumachen und so weitere Straftaten aufzuklären, wurde die Nachlassverwalterin nach Angaben der „tageszeitung“ dazu aufgefordert , Computer-Dateien und private Akten des Lutz H. umgehend zu entsorgen . Einem Bericht des „Stern“ zufolge soll das LKA jetzt aber doch ermitteln. Wie sich später herausstellte, war Lutz H. der Polizei bereits bekannt und erhielt letztes Jahr schon eine Geldstrafe per Strafbefehl wegen illegalen Waffenbesitzes. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Erkenntnisse über Lutz H. hatten Polizei und Justiz bereits vor dem Waffenfund am 03.08.? a. Bei welcher Gelegenheit zu welchem Zeitpunkt war Lutz H. auffällig geworden wegen illegalen Waffenbesitzes? Weswegen genau, wegen illegalen Besitzes welcher Waffe(n) erhielt er die Geldstrafe? b. Wurden bei dem Auffinden der Handfeuerwaffe noch weitere Auffälligkeiten (zum Beispiel Gegenstände wie NS-Propaganda, weitere Waffen, Bilder von Nazis/Neonazis) festgestellt? Wenn ja, wieso wurden diese nicht konfisziert und die Wohnung nicht genauer untersucht? In den entsprechenden Datenbanken der Strafverfolgungsbehörden sind – ungeachtet eines weiteren Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen eines Verkehrsverstoßes – die nachfolgenden Verfahren erfasst: Am 22. April 2007 trug der Betroffene in Hamburg im öffentlichen Verkehrsraum für andere wahrnehmbar einen Aufnäher mit einem Hakenkreuz. Das Amtsgericht Hamburg-Barmbek verhängte mit Strafbefehl vom 28. August 2007 eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 Euro wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Am 26. Februar 2015 wurden im Rahmen eines Feuerwehreinsatzes in der Wohnung des Verstorbenen mehrere Schusswaffen an der Wand festgestellt. Die zuständige Dienststelle des Landeskriminalamtes (LKA) nahm diese in Augenschein . Es handelte sich hierbei mit einer Ausnahme um ordnungsgemäß Drucksache 21/10106 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 unbrauchbar gemachte Waffen, die sämtlich nicht unter waffenrechtliche Strafvorschriften fielen. Ein sichergestelltes Gewehr war nur teilweise unbrauchbar gemacht, wobei ausweislich eines hierzu eingeholten Gutachtens das Gewehr im vorgefundenen Zustand weder geladen noch damit geschossen werden konnte. Im Rahmen des Einsatzes wurden auch mehrere strafrechtlich nicht relevante NS- Devotionalien festgestellt. Das wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz geführte Verfahren wurde vor diesem Hintergrund gemäß § 153 Absatz 1 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Von der Sicherstellung von Gegenständen mit Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen (Bilder, Symbole) wurde abgesehen , da insofern nach Aktenlage keine Hinweise für ein strafbares Verhalten festzustellen waren. Am 20. September 2016 wurde erneut im Rahmen eines Feuerwehreinsatzes Waffen in der Wohnung festgestellt. Es handelte sich um nicht schussfähige Dekorationswaffen (siehe 26. Februar 2015) und frei erwerbliche Schreckschusswaffen. Zusätzlich wurden ein erlaubnispflichtiger Revolver, der mit erlaubnispflichtiger Munition geladen war, und zwei pyrotechnische Patronen sichergestellt. Bei dem folgenden Polizeieinsatz wurden erneut nationalsozialistische Kennzeichen festgestellt , die jedoch nach Aktenlage keine strafrechtliche Relevanz aufwiesen. Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg verhängte mit Strafbefehl vom 29. Dezember 2016 in Verbindung mit dem Beschluss vom 7. Februar 2017 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen unerlaubten Besitzes eines mit Munition geladenen Revolvers. Hinsichtlich zweier pyrotechnischer Patronen wurde die Strafverfolgung gemäß § 154a StPO beschränkt. Das ebenfalls eingeleitete Verfahren zur Prüfung eines Waffen- und Munitionsbesitzverbots (WMBV) dauerte zum Zeitpunkt des Todes an. Die bei der justiziellen Akte befindliche Auskunft des Bundeszentralregisters vom 13. März 2017 weist eine Eintragung auf. Demnach verhängte das Amtsgericht Eberswalde am 7. Januar 2013 eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro wegen unerlaubten Waffenbesitzes. 2. Hatte/hat das Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse über Lutz H. wegen Verbindungen zur rechten beziehungsweise rechtsextremen und militanten Szene in Hamburg? Wenn ja, welche? Sofern dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg Erkenntnisse zu Einzelpersonen vorliegen, ergibt die nach § 18 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG) vorgenommene Abwägung, dass hier die Bekanntgabe der nachrichtendienstlich erhobenen Erkenntnisse dem Interesse des Betroffenen sowie denen des Amtes entgegensteht. Detaillierte Angaben können daher aus Gründen des Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 HmbVerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. 3. Inwiefern hatten die Sicherheitsbehörden vor seinem Tod Kenntnisse über Verbindungen von Lutz H. zur extrem rechten, auch militanten Szene in Hamburg oder andernorts? Wurde in diesem Zusammenhang jemals gegen ihn ermittelt? Erkenntnisse im Sinne der Frage liegen der Polizei nicht vor und Ermittlungen im Sinne der Frage hat die Polizei nicht geführt. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Nach der Selbstenttarnung der Zwickauer NSU-Zelle 2011 haben die Sicherheitsbehörden im Dezember bei zehn Hamburger Neonazis Waffen sichergestellt und ihnen die Waffenbesitzerlaubnis entzogen. War Lutz H. unter ihnen? Wenn nein, warum nicht? Nein. Der Verstorbene war nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10106 3 5. War Lutz H. a. unter den sechs dem Rechtsextremismus zugeordneten Personen mit Haupt- oder Nebenwohnsitz in Hamburg, die über zum Teil mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen; b. unter den bis zu 50 Personen, die hinsichtlich des Besitzes waffenrechtlicher Erlaubnis überprüft wurden oder werden sollten? Nein. 6. Welche Waffen, Munition, NS-Propagandamaterialien und Darstellungen von NS-Verbrechern (wie beispielsweise Goebbels oder Remer) und Neonazis (wie beispielsweise Anders Breivik) haben die Polizeibeamten /-innen Anfang August in der Wohnung des Lutz H. aufgefunden? a. Welcher Dienststelle haben sie die Funde gemeldet, und wie hat diese Dienststelle reagiert? b. Welche Schlussfolgerungen hat die Polizei aus der Kombination eines großen Waffenarsenals mit der offensichtlich extrem rechten Gesinnung ihres verstorbenen Besitzers gezogen, nicht zuletzt nach den Erfahrungen der NSU-Mordserie und den erheblichen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung? In der Wohnung des Verstorbenen wurden 15 erlaubnispflichtige scharfe Schusswaffen , darunter ein Sturmgewehr „AK 47“, eine Maschinenpistole „Scorpion“, acht Pistolen , eine abgesägte Schrotflinte, zwei Schießkugelschreiber mit Laserpointer, drei Stahlruten sowie Magazine für die obigen Schusswaffen sichergestellt. Weiterhin befanden sich 4.622 Patronen erlaubnispflichtiger Munition, die zu den sichergestellten Schusswaffen passen, sowie fünf Patronen Leuchtspurmunition in der Wohnung. Außerdem wurden eine Pistole und ein Revolver sichergestellt, bei denen aktuell untersucht wird, ob sie aufgrund vorgenommener Manipulationen ebenfalls als scharfe Waffen bezeichnet werden müssen. Darüber hinaus hat die Polizei weitere Gegenstände zur Prüfung einer möglichen strafrechtlichen Relevanz sichergestellt. Um einen möglichen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, wird von weiteren Angaben abgesehen. 7. Wie ermittelt die Polizei im Hinblick auf die vorgefundenen Waffen? a. Inwiefern wurden diese gründlich zur Beweissicherung und für Ermittlungsverfahren gegen weitere involvierte Personen gesichtet? b. Inwiefern wurden beziehungsweise wird bei den illegal besessenen Waffen (besonders auch bei den zwei vorgefundenen Waffen, die unter das Kriegswaffengesetz fallen) und Materialien untersucht, von wem und unter welchen Umständen (legaler/illegaler Kauf, Diebstahl von Bundeswehr-/Polizeieigentum, aus dem Ausland et cetera) Lutz H. diese erworben beziehungsweise erhalten hat? c. Inwiefern wurde beziehungsweise wird bei den illegal besessenen Waffen untersucht, von wem diese wann und zu welchem Zwecke benutzt wurden? d. Inwiefern wurde beziehungsweise wird bei den illegal besessenen Waffen untersucht, ob Lutz H. diese selbst, zum Beispiel für Wehrsportübungen , benutzt hat? e. Woher stammt nach den bisherigen Erkenntnissen der „Schießkugelschreiber “? Die für die Ermittlungen zuständige Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt (LKA 7) hat Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz /WaffG eingeleitet. Drucksache 21/10106 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Darüber hinaus sind die erfragten Sachverhalte Gegenstand laufender Ermittlungen. Um einen möglichen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, wird von einer weiteren Beantwortung abgesehen. 8. Inwiefern trifft zu, dass die Polizei die Vernichtung der Nazi-Propagandamaterialien verfügt hat? a. Wie hat sie sichergestellt, dass diese Materialien nicht gegebenenfalls über einen Schwarzmarkt in die Hände der interessierten rechten Szene fallen? Eine Anordnung im Sinne der Fragestellung hat das zuständige LKA 7 nicht erteilt. Die Umstände bezüglich des Zustandekommens des in dem Zeitungsartikel behaupteten Sachverhaltes sind derzeit noch nicht geklärt. 9. Welche weiteren Dokumente, Akten und Computerdateien hat die Polizei in der Wohnung aufgefunden? a. Welche Dokumente, Akten und Computerdateien hat sie sichergestellt und wo befinden sie sich jetzt? Siehe Antwort zu 6. bis 6. b. b. Für welche Dokumente, Akten und Computerdateien wurden Vernichtungsverfügungen erlassen? Wurden diese Materialien vorher gründlich durchsucht zur Beweissicherung und für weitere Ermittlungsverfahren ? Wenn ja, von welchen Behörden? Wenn nein, warum nicht? Siehe Antwort zu 8. und 8. a. c. Wurde das Landesamt für Verfassungsschutz in die Begutachtung der Materialien einbezogen, bevor diese vernichtet wurden? Wenn nein, warum nicht? Das Landesamt für Verfassungsschutz wurde in die Sichtung der sicherzustellenden Materialien mit einbezogen. Im Übrigen siehe Antwort zu 8. und 8. a. 10. Inwiefern ist aus dem aktuellen Ermittlungsstand und den Kenntnisständen der Behörden absehbar, welche Rolle Lutz H. in der rechten Szene spielte? Ist daraus bekannt, in welchen Kreisen er sich aufhielt und mit welchen Gruppen er möglicherweise zusammenarbeitete? 11. Inwiefern ist aus dem aktuellen Ermittlungsstand und den Kenntnisständen der Behörden absehbar, ob Lutz H. seine Waffen und Munition nur hortete oder ob er eine konkrete Verwendung dieser, zum Beispiel für einen Anschlag, plante? 12. Inwiefern wird untersucht, ob Lutz H. selbst auch Waffen an andere weiterverkauft beziehungsweise diese überlassen hat? Liegen den Behörden hierzu Kenntnisse oder Vermutungen vor? Die Fragestellungen betreffen die laufenden Ermittlungen der Polizei. Um einen möglichen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, wird von einer weiteren Beantwortung abgesehen. Im Übrigen siehe Antworten zu 2., 3. und 6. bis 6. b.