BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10107 21. Wahlperiode 22.08.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Grunwaldt und Dennis Gladiator (CDU) vom 15.08.17 und Antwort des Senats Betr.: Wie effektiv ist die Salafismus-Prävention des Senats? Laut des Landesamtes für Verfassungsschutz befinden sich derzeit rund 1.355 Islamisten in der Stadt, davon 730 Salafisten und 360 Dschihadisten. Damit gewinnt das Thema Salafismus-Prävention immer mehr an Bedeutung. Zumal die Zahlen dramatisch steigen, was ein Blick in den Verfassungsschutzbericht 2014 offenbart. Darin werden „nur“ 955 Islamisten, 400 Salafisten und 240 Dschihadisten angeführt. Im Bericht des Jahres 2011 war sogar von „nur“ von 200 Salafisten und 40 Dschihadisten die Rede. Ungefähr 70 Dschihadisten zogen in den vergangenen Jahren bereits von Hamburg in Länder wie Syrien oder den Irak, um dort für den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Und der Messerstecher von Barmbek beruft sich ebenso auf diese Ideologie. All das zeigt, wie wichtig es ist, eine derartige Radikalisierung durch Prävention zu verhindern beziehungsweise die Aufmerksamkeit so auf das Thema zu lenken, dass Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter, Freunde und Nachbarn die Anzeichen zeitnah erkennen und auch Unterstützungsangebote bekommen, an die sie sich mit der Bitte um Hilfe wenden können. Im Juni 2016 verkündete der Senat, dass er beschlossen habe, in den Jahren 2017 und 2018 jeweils 4 Millionen Euro in die Prävention von Salafismus und gewaltbereiten religiösen Extremismus zu investieren. Drs. 21/9538 gibt einen Überblick, welche Projekte aktuell unterstützt werden. Allerdings stellt sich die Frage, warum die Anzahl der Islamisten, Salafisten und Dschihadisten ständig rasant weiter steigt, obwohl der Senat seit Jahren die Mittel bei der Präventionsarbeit aufstockt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Senat hat wiederholt zu seinen Strategien und Ansätzen im Bereich der Prävention von religiös begründetem Extremismus berichtet – zuletzt am 30. Juni 2017 in Drs. 21/9538. Im Übrigen siehe Drs. 20/13460 und 21/5039 sowie 21/9440 und 21/9985. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Im Bereich der Salafismus-Prävention erwähnt der Senat immer wieder verschiedene Arbeitsschwerpunkte und damit verbundene Maßnahmen, ohne jedoch eine klar strukturierte Gesamtübersicht zu bieten. Welche Arbeitsschwerpunkte gibt es derzeit, welche Projekte mit jeweils welchen Zielen, Maßnahmen und VZÄ fallen jeweils unter die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte, bei jeweils welchem Kosten, getragen von jeweils welcher Produktgruppe? Zum Kostenrahmen für die Umsetzung der in Drs. 21/5039 genannten Arbeitsschwerpunkte der Behörden und Ämter einschließlich der von ihnen verantworteten Projekte siehe insbesondere Drs. 21/9538. Drucksache 21/10107 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anlage 1 stellt ergänzend die in den Behörden und Ämtern eingesetzten Vollzeitäquivalente dar (VZÄ). Eine gesonderte Erfassung von Arbeitsanteilen bezogen auf Maßnahmen oder Tätigkeiten erfolgt nicht, sodass Angaben zu Vollzeitäquivalenten und Kosten im Sinne der Fragestellung nicht möglich sind. Anlage 2 stellt für die Projekte ergänzend die VZÄ-Anteile dar. 2. Laut Drs. 21/9538 soll das Konzept „Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und andere extremistische Gefangene im Hamburger Justizvollzug “ umgesetzt werden. Wie ist hier der Stand der Umsetzung und was sehen die weiteren Planungen hierzu vor? Ab der zweiten Jahreshälfte 2017 soll zudem ergänzend das neue Projekt der Justizbehörde mit AMA e.V. „Legato – Islamismusprävention im justiziellen Feld (Legato PräJus)“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gestartet werden. Was ist hier das Ziel, wer die Zielgruppe , welche Maßnahmen sind vorgesehen und wie viele VZÄ werden hierfür benötigt? Die Zuständigkeiten und der Informationsfluss bei der Erkennung, Erfassung und Beobachtung extremistischer Entwicklungen bei Gefangenen sowie im Umgang mit bereits radikalisierten Personen im Justizvollzug wurden geregelt und werden dem Konzept entsprechend umgesetzt. Als präventive Maßnahme werden in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder, der JVA Fuhlsbüttel und der Untersuchungshaftanstalt Gesprächsgruppen für muslimische Gefangene angeboten. Die Stellen für Bezugsbetreuerinnen und Bezugsbetreuer in der JVA Billwerder und der JVA Fuhlsbüttel als weitere Ansprechpersonen für gefährdete oder radikalisierte Gefangene sowie für einen Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler („Integrationscoach“) mit koordinierenden Aufgaben wurden ausgeschrieben. Die Auswahlverfahren sind abgeschlossen . Die Einstellungsverfahren laufen. Die Ausweitung der Beratungs- und Ausstiegsangebote der Beratungsstelle Legato auf den Justizvollzug erfolgt im Rahmen des Projekts „Legato – Islamismusprävention im justiziellen Feld (Legato PräJus)“. Im Übrigen siehe Drs. 21/9440. Im Weiteren wird die Ausweitung der offenen Gesprächsgruppen für muslimische Gefangene auf den Jugendvollzug der JVA Hahnöfersand geprüft. Das Projekt „Legato PräJus“ zielt auf die Entwicklung und Umsetzung einer durchgehenden Beratung und Ausstiegsbegleitung von gefährdeten und extremistischen Personen im Justizvollzug sowie im Rahmen von Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe und die gemeinsame Qualifizierung von Bediensteten der genannten Bereiche ab. Zur Zielgruppe gehören jugendliche und erwachsene Gefangene aller Hamburger JVAs bis 27 Jahre sowie Probanden der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe dieser Altersgruppen. Zu den Modulen beziehungsweise Maßnahmen des Projekts zählen die Fortbildung von Bediensteten, die Beratung der Anstalten beziehungsweise der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe im Umgang mit der Zielgruppe, die Entwicklung und Umsetzung präventiver Gruppenangebote und die Mitwirkung an der Fallarbeit einschließlich der Arbeit mit Angehörigen, soweit dies im Einzelfall angezeigt ist. Die Laufzeit des Projekts im Förderbereich „Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe“ des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ ist bis zum 31. Dezember 2019 begrenzt. Der Finanzierungsplan des Trägers „Ambulante Maßnahmen Altona (AMA) e.V.“ sieht im Jahr 2017 drei VZÄ für das Projekt vor. Projektstart war im Juli dieses Jahres. 3. Die Beratungsstelle Legato betreibt Ausstiegsberatung und ist zugleich Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung. a) Wie viele Mitarbeiter bei wie vielen VZÄ beschäftigt Legato derzeit und was sind die jeweiligen Aufgabengebiete? Mit Stand August 2017 sind acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projekt mit den Aufgaben Projektleitung/Beratung, fachliche Leitung/ Beratung und Beratung befasst – im Übrigen siehe Drs. 21/9440. b) Welche Sprachen sprechen die Mitarbeiter jeweils? Siehe Drs. 21/9985. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10107 3 c) Wie viele Beratungsgespräche hat Legato im Jahr 2016 und im ersten Halbjahr 2017 geführt? Im Jahr 2016 wurden 290 und im ersten Halbjahr 2017 345 Beratungsgespräche geführt. d) Um wie viele von Radikalisierung Betroffene ging es jeweils im Jahr 2016 und 2017 im Rahmen der Beratung? Was war der Hintergrund dieser Personen (Schüler, Migrant, Flüchtling und so weiter)? Im Zeitraum 2016 bis 30. Juni 2017 fanden 285 Beratungen zu vermuteten Radikalisierungsfällen statt. Eine Erfassung nach Kategorien wie Schülerinnen/Schüler, Migrantinnen /Migranten und Geflüchtete erfolgt nicht. e) Von welcher Person ging in den Jahren 2016 und 2017 die Bitte um Unterstützung durch Legato aus (Eltern, Lehrer, Freunde, Sozialarbeiter , der Betroffene selbst)? Ratsuchende sind etwa je zur Hälfte Angehörige und Fachkräfte (Lehrerinnen/Lehrer, Beschäftigte des Allgemeinen Sozialen Dienstes – ASD, Beschäftigte von Flüchtlingseinrichtungen ) – im Übrigen siehe Drs. 21/9440. f) Welche Maßnahmen wurden ergriffen, welche Erfolge daraufhin erzielt? Der Kontakt zu Legato erfolgt in aller Regel nicht durch radikalisierte Personen selbst, sondern durch deren Familie, das soziale Umfeld oder Fachkräfte (siehe Drs. 21/5039 und 21/9440). Legato klärt die konkreten Fragestellungen von Angehörigen und anderen Kontaktpersonen und berät diese, wie sie soziale Bindungen wieder aufbauen oder stärken können. In den Fällen, in denen diese Stärkung der sozialen Bindungen gelingt, kann ein Fortschreiten der Isolation und der Radikalisierung der jungen Menschen unterbrochen oder gestoppt werden. Entsprechende Distanzierungs- und Deradikalisierungsprozesse sind langwierig und verlaufen insofern nicht linear. Zur systemisch angelegten Arbeitsweise der Beratungsstelle Legato siehe im Übrigen Drs. 21/5039. g) Reisten Personen, deren Radikalisierung Grund für die Kontaktaufnahme zu Legato war, in eines der Kampfgebiete der Dschihadisten aus? Wenn ja, wie viele wann wohin und ist bekannt, was aus ihnen wurde ? Die Arbeit der Beratungsstelle Legato ist erfolgreich: Das Ziel, weitere Radikalisierungen von jungen Menschen zu verhindern und deren Distanzierung zu fördern, wird erreicht. Nach Kenntnis der Beteiligten kam es in keinem der Fälle, in denen Legato beraten hat, zu Ausreisen in Kampfgebiete. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt keine Statistik zu Ausreisefällen, die nach ihren Informationen Bezug zur Beratungsstelle Legato haben. Belastbare Daten im Kontext der Fragestellung liegen den zuständigen Behörden nicht vor. h) In Drs. 21/9538 heißt es, dass die Beratungsstelle Legato bisher keine Rückkehrer beraten habe, da „die entsprechenden Anforderungen wie keine Beteiligung an Gewaltstraftaten, glaubhafte und nachhaltige Distanzierung von der Ideologie und dem sozialen Milieu sowie psychische Stabilität nicht vorlagen“. War aber nicht eine Zusammenarbeit mit Rückkehrern angedacht, um von Radikalisierung bedrohte Personen umfassender beraten zu können? Wenn ja, wie sehen hier die aktuellen Planungen aus? Wenn nein, warum findet eine solche Zusammenarbeit nicht statt? Die in der Frage zitierten Anforderungen für Legato waren in keinem Einzelfall erfüllt. Dass die strengen Anforderungen aufgrund von Risiken des Einsatzes von Rückkeh- Drucksache 21/10107 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 rern in die Beratungsarbeit gerechtfertigt sind, hat sich nach aktueller fachlicher Einschätzung der zuständigen Behörden und der bundesweiten Erfahrungen von Beratungsprojekten bestätigt. Die Polizei sucht Rückkehrer, von denen sie Kenntnis erhält, abhängig von Bewertung der individuellen Situation der Betroffenen auf und prüft weitere Maßnahmen. i) Die Arbeit der Beratungsstelle Legato wird derzeit extern durch das Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg evaluiert. Zu wann soll das Ergebnis vorliegen und unter welchen Gesichtspunkten wird Legato untersucht? Die Evaluation umfasst das fachliche Konzept, strukturelle Gesichtspunkte (finanzielle, räumliche, organisatorische und personelle Ressourcen und Potenziale) sowie die Arbeitsprozesse der Beratungsstelle Legato. Ergebnisse werden voraussichtlich im 1. Quartal 2018 vorliegen. 4. Die Behörde für Inneres und Sport hat für Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften die Kompakt-Information „Salafismus“ herausgegeben. Wie wird sichergestellt, dass auch alle Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften diese erhalten? Wie oft wurde diese gedruckt und wie an wen verteilt? Ist die Information zudem online einsehbar? Wenn ja, unter welchem Link? Es wurden insgesamt 7.000 Exemplare in zwei Auflagen gedruckt. Im Übrigen siehe Drs. 21/9985. 5. Seit Januar 2017 erhalten Schura-Moscheen Unterstützung bei dem Aufbau von Mädchenarbeit und genderspezifischen Fortbildung. a) Wie sieht diese Unterstützung aus? Wenn es sich um finanzielle Unterstützung handelt, wie hoch ist diese? Gibt es personelle Unterstützung? Wenn ja, wie gestaltet sich diese? Bitte jeweils nach Moschee und Art der Unterstützung auflisten. b) Welche Voraussetzungen müssen die geförderten Moscheen erfüllen , um Unterstützung zu erhalten? Die Koordinierungsstelle Prävention und Lotsenberatung der SCHURA unterstützt Moscheegemeinden, sofern sie der SCHURA angehören, durch - die Sensibilisierung der Gemeinden für genderspezifische Angebote zur Prävention von Radikalisierung, - die Beratung und Information zum Aufbau einer Mädchenarbeit in den Gemeinden, - Qualifizierungsmaßnahmen für Gemeindeverantwortliche zur Mädchenarbeit, - den Aufbau einer eigenen Mädchenarbeit in Kooperation mit der Beratungsstelle Legato. Für diese Aufgaben wurden die personellen Ressourcen der Koordinierungsstelle um eine halbe Stelle aufgestockt. Im Übrigen s. Drs. 21/5139. c) Was ist in diesem Zusammenhang unter Mädchenarbeit zu verstehen und wie soll so Salafismus verhindert werden? d) Die Zusammenarbeit wird nur als ein Beispiel für den Themenschwerpunkt „Prävention und Intervention bei Mädchen und jungen Frauen“ angeführt. Welche weiteren Maßnahmen gibt es noch? Im Bereich der Prävention von religiös begründetem Extremismus empfehlen Expertinnen und Experten übereinstimmend Ansätze, die genderbezogene Aspekte berücksichtigen , die Medienkompetenz von Mädchen und jungen Frauen fördern und ihrem Empowerment dienen. Dazu gehört die Sichtbarmachung von Religionsverständnis- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10107 5 sen, die sich von salafistischen Deutungsangeboten unterscheiden. Dies ermöglicht Mädchen und jungen Frauen, die in ihren Familien nicht beziehungsweise kaum religiös sozialisiert wurden, reflektierte Zugänge zum Islam im Allgemeinen, aber auch zu geschlechterspezifischen Themen wie Frauenbilder, Rolle der Frau, Umgang mit Diskriminierung und Ressentiments zu entwickeln. Im Übrigen siehe Drs. 21/5139. Zu den dort aufgeführten Maßnahmen kommt aktuell das Peer-Projekt des Fachrates für Islamische Studien e.V. hinzu, das in der Moscheegemeinde der Kocatepe-Camii in Bergedorf ein Bildungsangebot für Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 – 22 Jahren umsetzt. Im Herbst 2017 soll ein vergleichbares Angebot für Mädchen und junge Frauen in einer weiteren Moscheegemeinde starten. 6. Bei den Beratungsstellen empower und amira wurde im Rahmen eines laut Drs. 21/9538 „gestiegenen Beratungsbedarfs bei Muslimen und Geflüchteten“ im Bereich „Antimuslimischer Rassismus“ Personal aufgestockt . a) Von wie vielen Mitarbeitern (VZÄ) auf wie viele erfolgte wann die Aufstockung? Die Beratungsstelle empower ist 2017 von 1,35 VZÄ auf 3,08 VZÄ aufgestockt worden . Die Aufstockung der Beratungsstelle amira mit derzeit 1,35 VZÄ um eine Vollzeitstelle befindet sich aktuell in der Umsetzung. b) Wieso gibt es bei Muslimen und Flüchtlingen einen gestiegenen Beratungsbedarf? Wie genau sieht dieser in der Praxis aus? Bitte erläutern. Die Beratungsstellen empower und amira verzeichneten seit Ende 2015/Anfang 2016 einen quantitativ und qualitativ gestiegenen Beratungsbedarf. Die Anzahl von Beratungsanfragen im Kontext rassistischer Vorfälle und Diskriminierung von Betroffenen, Fachkräften und freiwillig Engagierten in der Flüchtlingsarbeit ist deutlich gestiegen. Dies deckt sich mit Erfahrungen der islamischen Religionsgemeinschaften und Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden (vergleiche Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz http://www.hamburg.de/contentblob/8873924/ a0a91c9416c772101e55f1a69109443c/data/verfassungsschutzbericht-2016- pressefassung-vom-01-juni-2017.pdf) sowie mit Ergebnissen von Studien, wie beispielsweise „Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland“ der Universität Leipzig aus 2016, die eine anwachsende Fremden- und Muslimfeindlichkeit konstatieren (https://www.boell.de/sites/default/files/ buch_mitte_studie_uni_leipzig_2016.pdf). In qualitativer Hinsicht weisen ratsuchende Geflüchtete, zu denen auch viele Muslime gehören, in der Regel einen erhöhten Unterstützungsbedarf auf, der durch komplexere und zeitintensiver Beratungsprozesse gekennzeichnet ist, unter anderem bedingt durch den oft notwendigen Einsatz von Sprachmittlern. 7. Welche landesfinanzierten Projekte sind für die zweite Jahreshälfte 2017 zur Salafismus-Prävention durch den Abbau von Muslimfeindlichkeit geplant? Welche Ziele verfolgen sie jeweils und wer führt diese Maßnahmen durch? Siehe Drs. 21/9538. Darüber hinaus laufen derzeit Auswahlverfahren für neue Projekte des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben im Bundesprogramm „Demokratie leben“, um die sich auch Träger aus Hamburg beworben haben. Nach Kenntnisstand vom 18.08.2017 befinden sich folgende Projekte im Bewilligungsverfahren beim Bundesamt: Das Projekt Bildmachen des Trägers Ufuq wendet sich an Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren und fördert die aktive Nutzung von Online-Medien in der Begegnung mit religiös-extremistischen Ansprachen. Es fördert das Interesse von Jugendlichen, eigene Online-Inhalte zu gestalten und dabei Bezüge zu persönlich Drucksache 21/10107 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 relevanten Themen und lokalen Zusammenhängen herzustellen. Das Projekt beschränkt sich damit nicht auf Online-Diskurse, sondern sensibilisiert und stärkt Jugendliche in ihrem alltäglichen Handeln. Das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation e.V. hat einen Zuschlag für ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Deradikalisierung im Sozialraum“ erhalten. Ziele sind der Abbau von Muslimfeindlichkeit, Demokratieförderung, Konfliktmoderation bei interkulturellen Konflikten, Verantwortungsübernahme im Sozialraum durch die Akteure selbst, Wissens- und Kompetenzvermittlung, Arbeit mit Vorurteilen und Entwicklung von Handlungsstrategien sowie Stabilisierung einer toleranten Grundhaltung für verschiedene Lebensweisen und Bedürfnisse. 8. Gibt es Erkenntnisse, welche Rolle Muslimfeindlichkeit bei der Radikalisierung der derzeit 1.400 Islamisten in Hamburg gespielt hat? Hierzu liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. Generell ist in der Forschung bekannt, dass zu den Faktoren von Radikalisierungsprozessen individuelle oder kollektive Diskriminierungserfahrungen von Muslimen gehören können (vergleiche zum Beispiel http://library.fes.de/pdf-files/dialog/12034-20151201.pdf und http://www.ufuq.de/zur-bedeutung-von-diskriminierungserfahrungen-undgesellschaftlicher -marginalisierung-in-religioesen-radikalisierungsprozessen/); im Übrigen siehe Drs. 21/5039. 9. Wurde in Hamburg schon nach den Ursachen der Radikalisierung der letzten Jahre geforscht? Wenn ja, durch wen und mit welchen Erkenntnissen? Die zuständigen Behörden befassen sich fortlaufend mit nationalen und internationalen Forschungsergebnissen zu den Ursachen von Radikalisierung, und stehen hierzu in einem engen Austausch mit nationalen und internationalen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten. Siehe hierzu auch Drs. 21/5039 und 21/9781. Die Expertise der in Hamburger Behörden tätigen Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftler und anderer Fachkräfte im Bereich Radikalisierung wird dadurch kontinuierlich erweitert und vertieft. Zahlreiche Anfragen aus dem In- und Ausland belegen die erfolgreiche Umsetzung von Forschungsergebnissen in Planungen und in die Praxis. Beispielhaft hierfür stehen auf Bundes- und Landesebene Erkenntnisse durch die Mitwirkung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), die Federführung oder Mitwirkung in Arbeitsgruppen, Unterarbeitsgruppen und anderen Gremien der Sicherheitsbehörden und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Auf internationaler Ebene werden zum Beispiel aus der Zusammenarbeit mit The Radicalisation Awareness Network (RAN) der Europäischen Kommission Forschungsergebnisse analysiert und für die Prävention von religiös begründetem Extremismus in Hamburg genutzt. Aktuell hat sich die für die Prävention von religiös begründeten Extremismus zuständige Behörde beispielsweise mit Vorträgen am Deutschen Präventionstag am 19./20. Juni 2017, dem größten europäischen Kongress zur Kriminalprävention sowie angrenzender Präventionsbereiche, aktiv beteiligt und wertet Erkenntnisse aus dem Dialog von Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen für die Prävention im Bereich des religiös begründeten Extremismus in Hamburg aus (http://www.praeventionstag.de/nano.cms/news/details/2277). Eine zentrale generelle Erkenntnis aus der Forschung und Beratungsarbeit ist, dass es den „einen“ Radikalisierungsverlauf nicht gibt. Vielmehr spielen eine Reihe individueller Faktoren hierfür eine Rolle. So sind Kinder und Jugendliche, die stabile soziale Bindungen in Familie, Schule, Peergroup und so weiter erleben sowie Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren, resilienter gegenüber extremistischen Ideologien. Persönliche, jugendspezifische und familiär bedingte Krisen, die nicht oder nicht gut bewältigt werden können, können zu einer Empfänglichkeit extremistischer Ideologien führen. 10. Ist der in Drs. 21/5039 angekündigte Leitfaden zum Umgang mit Rückkehrern inzwischen veröffentlicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10107 7 Wenn ja, wann und wo ist er einsehbar? Und wie viele Rückkehrer gab es in den letzten Jahren 2015, 2016 und 2017 jeweils? Vergleiche Drs. 21/9538. Der Leitfaden wurde von den Angehörigen-Beratungsstellen in Norddeutschland für Multiplikatoren und Fachkräfte entwickelt und ist nicht für eine breite Veröffentlichung vorgesehen. In Hamburg ist er auf Anfrage bei der Beratungsstelle Legato erhältlich. Zur Anzahl der Rückkehrer siehe Drs. 21/9604. Da den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über den Zeitpunkt von Ausreise und Rückkehr zum Teil erst nachträglich bekannt werden und eine in jedem Einzelfall belastbare Aussage nicht möglich ist, erfolgt keine Aufschlüsselung nach Jahren. 11. In Drs. 21/5039 wurde bereits betont, dass die Mehrbedarfe der Behörden im Bereich der Salafismus-Prävention nicht aus den Einzelplänen gedeckt werden können. Es war die Einwerbung von zentralen Mitteln (Drs. 21/1395) eingeplant. Diese zentralen Mittel sind allerdings bereits in den Vorjahren überwiegend für die reine Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge aufgebraucht worden, zudem sind die für das Jahr 2017 hier vorgesehenen 178 Millionen Euro laut Informationen des Finanzsenators im Haushaltsausschuss bereits jetzt schon verbraucht. Wie soll die Finanzierung der Mehrbedarfe erfolgen, wenn hierfür voraussichtlich kein Geld mehr da ist? Über die Verwendung der Mittel aus dem Produkt Zuwanderung in der PG 283.01 im Einzelplan 9.2 im Haushaltsjahr 2017 wird wie im Vorjahr nach Bedarf entschieden, wenn in den Einzelplänen veranschlagte Mittel nicht auskömmlich sein sollten (siehe auch Drs. 21/8487).Insofern ist das entsprechende Verfahren noch nicht abgeschlossen . Drucksache 21/10107 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 8 Anlage 1 Fachbehörden, Bezirksämter Produktgruppe/n VZÄ, Umsetzungsstand 8/2017 Einzelplan 4.0 GESAMT 5,09 Behörde für Arbeit, Soziales, Familie 255.01 Service 1 und Integration 255.03 Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft 3,84 254.02 Kinder- und Jugendar-beit 0,25 Einzelplan 8.1 GESAMT 6,4 Behörde für Inneres und Sport 275.12 LKA * 6,4 273.01 LfV ** k.A. Einzelplan 2.0 GESAMT 4 Justizbehörde 236.01 Justizvollzug 0 234.01 Staatsanwaltschaften 4 Einzelplan 3.1 GESAMT 2 Behörde für Schule und Berufsbildung 239.02 LI 1 241.05 HIBB 1 Einzelplan 1.2 Bezirksamt Hamburg-Mitte 20702 Sozialraummanagement 0,5 Einzelplan 1.3 Bezirksamt Altona 21102 Sozialraummanagement 0,5 Einzelplan 1.6 Bezirksamt Wandsbek 22302 Sozialraummanagement 0,5 Einzelplan 1.8 Bezirksamt Harburg 23102 Sozialraummanagement 0,5 *: Ohne bestandsfinanzierte Stellen, die nicht darstellbar sind, Besetzung von 2 VZÄ zum 01.09.2017 sowie 1 VZÄ zum 01.10.2017 in den Bereichen Auswertung/Analyse, Befragung und Informationsbeschaffung und Zuverlässigkeitsprüfung **: Keine Angabe aus sicherheitsrelevanten Erwägungen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10107 9 Anlage 2 Projekte (Stand 8/2017) Träger VZÄ Modellprojekt SelbstSicher- Sein Basis & Woge e.V. 2,05 Modellprojekt Al Wasat - Die Mitte Islamisches Wissenschafts- und Bildungsinstitut e.V. 2,25 Modelprojekt Think Social Now 2.0 - Verantwortung übernehmen im Internet Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V. 2,73 Koordinierungsstelle Prävention und Lotsenberatung SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. 1 Koordinierungsstelle Prävention und Lotsenberatung Alevitische Gemeinde Hamburg e.V. 0,5 Qualifizierung von Jugendlichen /Peers in Moscheen Fachrat Islamische Studien e.V. 0,48 LEGATO - Systemische Ausstiegsberatung - Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung Vereinigung Pestalozzi gGmBH in Kooperation mit Ambulante Maßnahmen Altona (AMA) e.V. 5,35 Projekt Jugendphase und Salafismus Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. 0,37 Offene Gesprächskreise zur sozialen und persönlichen Stabilisierung muslimischer Gefangener SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. Honorarmittel Qualifizierung / Beratung Fachkräfte Justiz Verschiedene Referenten; Institut für Psychologie & Bedrohungsmanagement Honorarmittel Wie wollen wir leben? ufuq e.V. Honorarmittel Dialog macht Schule Dialog macht Schule GmbH Honorarmittel Politische Bildung Arbeit und Leben Hamburg Honorarmittel Dialog in der Schule - Islam im Gespräch Fachrat Islamische Studien e.V. Honorarmittel