BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10311 21. Wahlperiode 15.09.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 07.09.17 und Antwort des Senats Betr.: Immer wieder Gewalt in Hamburgs überlastetem Justizvollzug Am 1. Mai 2016 wurde ein Beamter der Justizvollzugsanstalt Billwerder von einem Gefangenen angegriffen und durch Faustschlag in das Gesicht verletzt (Drs. 21/4309), worüber das „Hamburger Abendblatt“ und „Die Welt“ berichteten. Im September 2016 schrieb ein Vollzugsbediensteter einen Brandbrief an „Die Zeit“ (vergleiche Drs. 21/6092): „Die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel steht kurz vor einem Kollaps, Zustände, wie sie jetzt vorherrschen, haben 1990 zu einer Revolte geführt“, heißt es in einem anonymen Schreiben, dass Bedienstete an „Die Zeit“ schickten. „Die JVA Fuhlsbüttel steht vor einem Kollaps. (…) Die Sicherheit der Bediensteten und Gefangenen ist in Frage gestellt. (…) Die ehemals gut geführte Anstalt versinkt im Chaos. (…) Es ist eine Frage der Zeit, wann es in der JVA Fuhlsbüttel zum Super-GAU kommt.“ Weitere Opfer von Gewalt wurden Bedienstete der JVA Hahnöfersand am 3.11.2016 (Drs. 21/6562). Sie erlitten unter anderem Prellungen des Kopfes, Schürfwunden und eine Zerrung, wobei der Senat den offenkundigen Personalmangel einräumte, nämlich eine Unterschreitung der Sollstärken in der JVA in der Zeit zwischen dem 31.10.2016 und dem 03.11.2016 in acht Schichten. Am 31.01.2017 kam es zu einem Angriff durch einen vorgeführten Gefangenen im Gerichtssaal des Landgerichts Hamburg (Drs. 21/7772) bei dem der Gefangene versuchte, die Zeugin mit einer selbst gebauten Waffe zu töten. Ein Skandal, über den die gesamte Presse berichtete. Erst am 25.06.2017 kam es schließlich in der JVA Fuhlsbüttel während der Freistunde zu einer Schlägerei von zwölf bis 18 rivalisierenden arabischen beziehungsweise nordafrikanischen und albanischen Gefangenen (Drs. 21/9876). Die Gewalt hinter Gittern geht anscheinend immer weiter. Gestern, am 06.09.2017, soll es einen Angriff eines Gefangenen mit einem Brotmesser gegeben haben. Er soll einen anderen Gefangenen schwer verletzt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Außerordentliche Vorkommnisse – wozu auch Tätlichkeiten gegenüber Mitgefangenen und Bediensteten gehören – gehören seit jeher zum Alltag der vollzuglichen Praxis. Drucksache 21/10311 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Auch unterliegt der Vollzug ständigen Veränderungen aufgrund nur schwer voraussehbarer Ereignisse, schwankender Häftlingszahlen oder kurzfristig veränderter Zusammensetzung der Gefangenen. Die zuständige Behörde beobachtet die gegenwärtige Situation im Justizvollzug kontinuierlich. Eine generelle Steigerung des Aggressionspotenzials bei den Gefangenen kann nicht festgestellt werden. Mit dem Anstieg der Gefangenenzahlen geht jedoch auch ein Anstieg von tätlichen Übergriffen einher. Zu beobachten ist, dass Gewalt gegen Bedienstete in der Regel die Folge der Anwendung unmittelbaren Zwangs darstellt und es sich nicht um zielgerichtete Angriffe handelt (siehe auch Drs. 21/8178 und 21/6562). Die zuständige Behörde arbeitet kontinuierlich mit Nachdruck an der ständigen Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen im Justizvollzug: Die Personalbedarfsplanung wird jährlich fortgeschrieben. Elementarer Bestandteil der mittel- und langfristigen Verbesserung der Situation ist die kontinuierliche Ausbildung von bis zu 100 Anwärterinnen und Anwärtern im Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) pro Jahr. Die Ausbildungsanstrengungen wurden im Jahr 2013 wieder aufgenommen und werden seit 2015 deutlich verstärkt. Insgesamt werden seit dem Jahr 2017 155 Auszubildende in acht Lehrgängen gleichzeitig ausgebildet. Um eine hinreichende Anzahl und Qualität von Bewerbungen für die gesteigerten Ausbildungskapazitäten im AVD zu erhalten, werden die Rekrutierungsmaßnahmen überprüft. Die Planungen zur Neustrukturierungen des Justizvollzuges sind Bestandteil der ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation im Justizvollzug. Im Rahmen des breit angelegten Prüfungsprozesses im Projekt Justizvollzug 2020 hat sich herauskristallisiert, dass es zwei gute Lösungen gibt, wie der Hamburger Justizvollzug zukünftig aufgestellt werden kann. Zusätzlich werden die Sanierung und der Ausbau des offenen Vollzuges in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor vorangetrieben. Um auf zukünftige Belegungsschwankungen im geschlossenen Männervollzug reagieren zu können, ist die Sanierung des D-Flügels der JVA Fuhlsbüttel erforderlich . Hierzu wird derzeit eine Kostenberechnung erstellt. Nach Abschluss der Sanierung im März 2018 wird die Wiederinbetriebnahme des B-Flügels der UHA erfolgen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Stimmt es, dass ein Gefangener in der JVA Billwerder am 6.9.2017 Opfer eines körperlichen Angriffs eines oder mehrerer Insassen wurde? Falls ja, a. wie stellt sich der Sachverhalt im Einzelnen dar? b. welche Verletzungen haben die Beteiligten erlitten? c. welche Erkenntnisse liegen über den Hintergrund des Vorfalls vor? d. welche Erkenntnisse liegen über die Gefangenen vor? e. welche Maßnahmen wurden daraufhin jeweils von wem ergriffen? f. wegen welcher Delikte waren die Delinquenten verurteilt worden? Am 6. September 2017 gegen 17.25 Uhr hat in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder ein Gefangener einen Mitgefangenen, der auf der Station des Hafthauses mit der Ausgabe des Abendbrotes beschäftigt war, unvermittelt angegriffen und im Gesicht verletzt. Der Geschädigte erlitt eine Schnittverletzung an der Wange. Zunächst wurde von einem Bediensteten der Station, auf der sich der Vorfall ereignet hat, ein Alarm ausgelöst. Die Insassen der Station wurden von den alarmierten Bediensteten unter Verschluss genommen. Der Beschuldigte wurde auf Anordnung des Wachhabenden unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf die Arrest- und Sicherungsstation verbracht, wo er auf Anordnung des zuständigen Vollzugsleiters Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10311 3 gemäß § 74 Absatz 2 Nummer 5 des Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes (HmbSt- VollzG) in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht wurde. Die medizinische Erstversorgung des Geschädigten erfolgte im unmittelbaren Anschluss an das Tatgeschehen in der JVA Billwerder. Gegen 17.55 Uhr erfolgte die Zuführung des Geschädigten in ein Krankenhaus, wo die Schnittwunde genäht wurde. Der Geschädigte konnte noch am selben Tag in die JVA Billwerder zurückkehren. Die Aufsichtsbehörde wurde von der stellvertretenden Anstaltsleiterin informiert. In Tatortnähe konnte ein Messer sichergestellt werden, welches als Tatmittel in Betracht kommt. Der Kriminaldauerdienst wurde informiert und nahm die Ermittlungen auf. Erkenntnisse zum Motiv und Hintergrund der Tat liegen der JVA Billwerder nicht vor. Die polizeilichen Ermittlungen dauern an. Der Beschuldigte verbüßte zur Tatzeit eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Beschuldigte sollte nach Vollverbüßung seiner Haftstrafe am 8. September 2017 entlassen werden. Aktuell befindet er sich aufgrund dieses Vorfalls in Untersuchungshaft . Zuvor befand sich der Beschuldigte bereits einmal in Haft in der JVA Billwerder, wo er Ende 2015 nach Vollverbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten wegen Einbruchsdiebstahls und Diebstahls entlassen wurde. Der Beschuldigte musste im Verlauf seiner aktuellen Haftzeit in der JVA Billwerder dreimal diszipliniert werden. In zwei Fällen wurden Strafanzeigen wegen Körperverletzung zum Nachteil von Mitgefangenen erstattet. Der Geschädigte befindet sich zur Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr wegen gemeinschaftlichen räuberischen Diebstahls in 13 Fällen, Erschleichung von Leistungen in vier Fällen und Beleidigung in der JVA Billwerder. Das Strafende ist für Anfang 2018 notiert. Der Geschädigte war auf der Station als Hausarbeiter tätig. 2. Wie hat sich die Anzahl der Tätlichkeiten gegen Bedienstete sowie der Tätlichkeiten gegen Gefangene in den einzelnen Justizvollzugsanstalten seit Juni 2016 jeweils monatlich entwickelt? Bitte pro JVA und Monat darstellen. Tätlichkeiten gegen Bedienstete: Monat JVA Billwerder JVA Fuhlsbüttel JVA Glasmoor JVA Hahnöfersand Sozialtherapeutische Anstalt Untersuchungs - haftanstalt Juni 16 1 - - 1 - 3 Juli 16 - - 1 - - - August 16 - 1 - - - 1 September 16 - - 1 - 1 - Oktober 16 - - - - - 2 November 16 - - - 1 - 2 Dezember 16 - - - 1 - 4 Januar 17 1 - - 1 - 2 Februar 17 - - - - - 1 März 17 1 - - - - 2 April 17 - - - - - 1 Mai 17 - - - 1 - - Juni 17 1 - - - - - Juli 17 - - - - 1 - August 17 1 - - - 1 - Tätlichkeiten gegen Gefangene: Monat JVA Billwerder JVA Fuhlsbüttel JVA Glasmoor JVA Hahnöfersand Sozialtherapeutische Anstalt Untersuchungs - haftanstalt Juni 16 5 - - 7 - - Juli 16 6 - - 6 1 - Drucksache 21/10311 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Monat JVA Billwerder JVA Fuhlsbüttel JVA Glasmoor JVA Hahnöfersand Sozialtherapeutische Anstalt Untersuchungs - haftanstalt August 16 2 - - - 1 1 September 16 5 - - 6 - 1 Oktober 16 6 - - 6 - 1 November 16 - - - 3 - 1 Dezember 16 2 1 1 4 - 1 Januar 17 5 - - 1 - - Februar 17 2 - - 1 - - März 17 5 - - 2 1 1 April 17 3 - - 1 - - Mai 17 4 - - 4 1 2 Juni 17 8 - 1 3 - 3 Juli 17 9 1 - 7 - - August 17 3 1 - 5 2 -