BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10481 21. Wahlperiode 02.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Franziska Grunwaldt und Dennis Gladiator (CDU) vom 25.09.17 und Antwort des Senats Betr.: Wie effektiv ist die Salafismus-Prävention des Senats? (II) Drs. 21/10107 offenbart eine auffällige Entwicklung, die weitere Nachfragen notwendig macht. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften der fachlich zuständigen Beratungsstelle Legato – Systemische Ausstiegsberatung (Legato) wie folgt: 1. Im Jahr 2016 wurden von Legato 290 Beratungsgespräche geführt, im ersten Halbjahr 2017 waren es allerdings bereits 345. Was sind die Hintergründe der starken Zunahme und wie gedenkt Legato beziehungsweise der Senat, darauf zu reagieren? Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 hat viele Menschen alarmiert und für mögliche Radikalisierungen sensibilisiert. Die Bereitschaft, sich wegen wahrgenommener Auffälligkeiten an eine Beratungsstelle zu wenden, ist im Nachgang deutlich gestiegen. Darüber hinaus hat sich die Beratungsstelle Legato im Lauf des Jahres 2016 systematisch bei Einrichtungen vorgestellt, in denen Geflüchtete betreut werden. Beide Entwicklungen haben dazu geführt, dass sich Fachkräfte aus Einrichtungen für Geflüchtete wie auch andere Ratsuchende vermehrt an Legato wenden. Die erhöhte Sensibilität ist begrüßenswert, und Legato unterstützt die Ratsuchenden, um unter anderem religiöse Identitätssuche von Radikalisierung zu unterscheiden. Der Senat hat die Beratungsstelle bereits mehrfach aufgestockt, um den gestiegenen Beratungsbedarf zu decken, siehe hierzu auch Antwort zu 7. 2. „Im Zeitraum 2016 bis 30. Juni 2017 fanden 285 Beratungen zu vermuteten Radikalisierungsfällen statt“, heißt es in Drs. 21/10107. Wie viele von Radikalisierung bedrohte Einzelpersonen verbergen sich dahinter? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Hinter der genannten Zahl stehen ausschließlich von vermuteter Radikalisierung bedrohte Einzelpersonen. Eine Aufschlüsselung der Zahl nach Jahren ist nicht möglich , da Beratungsprozesse unterschiedliche Verläufe nehmen und auch jahresübergreifend stattfinden können. 3. Bei wie vielen dieser von einer vermuteten Radikalisierung bedrohten Personen hat sich der Verdacht auch bestätigt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln . Drucksache 21/10481 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Beratungsstelle berät, wenn die Ratsuchenden einen Beratungsbedarf haben. Die Ratsuchenden wenden sich an Legato, wenn sie in Sorge sind wegen religiös begründeter Einstellungen und Verhaltensweisen bei ihren Angehörigen oder Klienten. In einem Teil der Fälle stellt sich im Laufe des Beratungsprozesses heraus, dass die problematisierten Einstellungen und Verhaltensweisen die Entwicklung des jungen Menschen nicht beeinträchtigen, sie also keinen Radikalisierungsprozess widerspiegeln . Darüber hinaus siehe Antwort zu 2. und Drs. 21/10107. 4. Wie viele der von Radikalisierung bedrohten Personen nahmen ein Beratungsgespräch bei Legato wahr? Wie viele Gespräche wurden jeweils mit ihnen geführt? In 24 Fällen hat Legato mit radikalisierten Personen gearbeitet, dabei wurden jeweils zwei bis 20 Gespräche geführt. Der zentrale Beratungsansatz von Legato besteht allerdings in der systemischen Beratung für Angehörige von radikalisierten jungen Menschen sowie für Fachkräfte. Da die weit überwiegende Mehrheit der radikalisierten Personen keine Beratung wünscht, hat es sich als besonders zielführend erwiesen , über die Bindung zu einem vertrauten Menschen einen Veränderungsprozess anzustoßen. Darüber hinaus siehe auch Antwort zu 2. und Drs. 21/10107. 5. Auch wird in Drs. 21/10107 die Arbeit von Legato gelobt: „Die Arbeit der Beratungsstelle Legato ist erfolgreich: Das Ziel, weitere Radikalisierungen von jungen Menschen zu verhindern und deren Distanzierung zu fördern, wird erreicht. Nach Kenntnis der Beteiligten kam es in keinem der Fälle, in denen Legato beraten hat, zu Ausreisen in Kampfgebiete.“ Gleich danach heißt es aber: „Das Landesamt für Verfassungsschutz führt keine Statistik zu Ausreisefällen, die nach ihren Informationen Bezug zur Beratungsstelle Legato haben.“ a) Ist es demnach zutreffend, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass trotz der Beratung durch Legato Personen ins Kampfgebiet ausgereist sind? Wenn nein, wie ist die Senatsantwort ansonsten zu deuten? Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass trotz der Beratung durch Legato Personen in Kampfgebiete ausgereist sind, auch wenn es diesbezüglich keine positive Feststellung der zuständigen Behörde gibt. b) Wie viele Personen sind seit dem Jahr 2015 nach Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz ins Kampfgebiet ausgereist ? Wie viele hatten davon einen Flucht- oder Migrationshintergrund ? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Im Jahr 2017 sind bisher sechs Personen ausgereist. Im Übrigen siehe Drs. 21/4700, Drs. 21/4714 und Drs. 21/10107. 6. Der Messerstecher von Barmbek hat laut Drs. 21/9985 mehrfach die Beratungsleistung von Legato in Anspruch genommen. a) Wie oft nahm er selbst an einem Gespräch teil? b) Würde der Senat in diesem Fall die in Drs. 21/10107 getätigte Aussage , dass Legato das gesteckte Ziel erreicht habe, ebenfalls verwenden ? Legato führte drei Gespräche mit Ahmad A. Darüber hinaus siehe hierzu das Wortprotokoll Nummer 21/21 der Sitzung des Innenausschusses vom 08. August 2017. 7. Drs. 21/10107 erwähnt, dass „mit Stand August 2017 acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projekt“ tätig seien. Wie viele VZÄ stehen dahinter ? Welche Qualifikation bringen die Mitarbeiter jeweils mit, um die Beratungen durchführen zu können? Die inzwischen neun Mitarbeitenden von Legato entsprechen 5,5 VZÄ. Im Team sind sozialpädagogische, familientherapeutische und religionspädagogische Kompetenzen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10481 3 vereint. Der Großteil des Teams hat eine Zusatzqualifikation in systemischer Beratung . 8. Wie sieht die Unterstützung, die Legato Moscheegemeinden bei dem Aufbau von Mädchenarbeit zukommen lässt, konkret aus? Bitte erläutern . Die Koordinierungsstelle Prävention und Lotsenberatung der SCHURA unterstützt Moscheegemeinden beim Aufbau von Mädchenarbeit, nicht Legato. Dazu gehören folgende Aufgaben: die Sensibilisierung der Gemeinden für genderspezifische Angebote zur Prävention von Radikalisierung, die Beratung und Information zum Aufbau einer Mädchenarbeit in den Gemeinden, Fortbildung/Aktivierung für Gemeindeverantwortliche zur Mädchenarbeit. Legato bietet eine Mädchengruppe an, die in Kooperation mit einer Islamwissenschaftlerin der SCHURA geführt wird. Der Aufbau von Jugendarbeit in Moscheen ist nicht Auftrag von Legato. 9. Weiter heißt es in Drs. 21/10107: „Eine zentrale generelle Erkenntnis aus der Forschung und Beratungsarbeit ist, dass es den „einen“ Radikalisierungsverlauf nicht gibt. Vielmehr spielen eine Reihe individueller Faktoren hierfür eine Rolle …“ Allerdings geht das auf Drs. 20/13460 beruhende Konzept „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ ausschließlich auf Islamfeindlichkeit und Diskriminierung als Ursache für die steigende Zahl von Salafisten ein. Plant der Senat auf Basis seiner eigenen Erkenntnisse aus Drs. 21/10107 eine Überarbeitung seines Gesamtkonzeptes? Wenn ja, zu wann? Wenn nein, warum nicht? Es trifft nicht zu, dass das mit Drs. 20/13460 vorgelegte Senatskonzept ausschließlich Islamfeindlichkeit und Diskriminierung als Ursachen von Radikalisierung ansieht. Vielmehr wurde in der Entwicklung des Konzeptes von Anfang an berücksichtigt, dass Radikalisierung ein komplexes Phänomen mit vielfältigen Ursachen ist. Das Senatskonzept aus Drs. 20/13460 wird zudem laufend weiterentwickelt, wie in Drs. 21/5039 berichtet. Das Gesamtkonzept ist mit seinen Handlungsfeldern bis heute aktuell und beruht auf aus Wissenschaft und Praxis bekannten Erkenntnissen über Radikalisierungsprozesse.