BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10490 21. Wahlperiode 02.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 26.09.17 und Antwort des Senats Betr.: G20 – Polizeilich gesicherte Beweismittel Während des G20-Gipfels erlebte Hamburg den größten Polizeieinsatz seiner Geschichte. Nicht wenige Maßnahmen dieses Polizeieinsatzes sind bis heute umstritten, so zum Beispiel der Einsatz bei der „Welcome-to-hell- Demo“ und die Fragen, warum die Polizei sich am Freitagabend aus dem Schulterblatt herausgezogen und dann später Sondereinsatzkräfte eingesetzt hat. Die Vertreter der Polizei rechtfertigten ihr Vorgehen insbesondere in der Nacht auf Samstag im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft unter anderem mit der „Bewaffnung“ (IAP 21/20, Seite 98) der Gipfelgegner/- innen. Da ist von „illegale(r) Pyrotechnik, Batteriefeuerwerke(n), Krähenfüße (n), selbstpräparierte(n) Feuerlöscher(n) (Seite 15) beziehungsweise von einem „Hinterhalt“ die Rede. Die wesentlichen Beweise für diese Tatsachenbehauptungen sind sie bisher schuldig geblieben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den Ereignissen rund um den G20-Gipfel handelte sich um einen äußerst komplexen und von einer Vielzahl von Einzelvorgängen geprägten Einsatzanlass, an dem unterschiedliche Kräfte beteiligt waren. Die Aufarbeitung der Einsatzgeschehnisse bedarf daher der sorgfältigen Analyse, die entsprechende Zeit erfordert. Die Vertreter des Senats hatten daher in der Sitzung des Innenausschusses am 19.Juli 2017 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Schilderungen und Darstellungen ausschließlich auf Basis der zu diesem frühen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse erfolgen mussten. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf die erforderliche Unterscheidung zwischen Erkenntnissen vor den Einsätzen und Erkenntnissen nach den Einsätzen. So begründeten sich die in der Vorbemerkung der Fragestellerin dargestellten Erkenntnisse vor dem Einsatz zu „illegaler Pyrotechnik, Feuerlöscher und Krähenfüße“ unter anderem auf den Ergebnissen einer Durchsuchung in Rostock. Nicht zugelassene Pyrotechnik wurde darüber hinaus in großem Umfang im Einsatzverlauf eingesetzt. Die bei der Polizei eingerichtete Sonderkommission (SoKo) „Schwarzer Block“ bearbeitet gegenwärtig eine Vielzahl an Ermittlungsvorgängen. Hiervon umfasst ist die Auswertung von über 2.000 Vorgängen mit den entsprechenden Asservaten sowie mehrerer Terabyte Daten. Die Auswertung dauert an und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Daten Im Sinne der Fragestellungen können insoweit nur genannt werden, als sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt gesichert vorliegen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Am 6. Juli 2017 kam es in Hamburg zu einer Durchsuchung: Welche Gegenstände, die zur Bewaffnung dienen (können), wurden beschlagnahmt ? In welcher Anzahl jeweils? Drucksache 21/10490 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der Einsatzabschnitt Kriminalpolizeiliche Maßnahmen (EA KPM) führte über die Dauer der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Michel eine unbekannte Anzahl von Durchsuchungen durch; so auch am 6. Juli 2017. Eine Beantwortung der Frage ist aufgrund der nicht ausreichenden Konkretisierung des erfragten Sachverhaltes nicht möglich; im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Am Morgen des 7. Juli 2017 in Altona soll laut Aussage des Polizeipräsidenten Meyer ein Molotowcocktail „auf einen Streifenwagen“ geworfen worden sein, der Streifenwagen „brannte ab“ (IAP 21/20; Seite 67) beziehungsweise „fing sofort Feuer“ (IAP 21/20, Seite 84). In der polizeilichen Abschlussmeldung der BAO „Michel“ für den 7.7.2017 ist zu der Zeit in Altona nur von einem „Molotow-Cocktail“ die Rede, der auf einen „FuStw“ Funkstreifenwagen geworfen wurde, „jedoch nicht zündete“ (vergleiche Abschlussmeldung BAO Michel 7.51 Uhr). Welche Version entspricht den Tatsachen und wie konnte es zu der Verbreitung der jeweils anderen Version kommen? Welche Beweise wurden sichergestellt ? Am 7. Juli 2017 gegen 07.45 Uhr ist am Bahnhof Altona auf drei Fahrzeuge der Bundespolizei aus einer größeren Personengruppe heraus mindestens ein Molotowcocktail geworfen worden. Ein Molotowcocktail zerplatzte an einer nahen Mauer und brannte ab. Entgegen den zunächst bei der Polizei Hamburg vorliegenden Erkenntnissen, ist es nach den Erkenntnissen der SoKo „Schwarzer Block“ nicht zu einem Brand der Fahrzeuge gekommen. In einem der angegriffenen Fahrzeuge saß ein Polizeibeamter der Bundespolizei; der Beamte wurde durch den Angriff verletzt. Alle drei angegriffenen Funkstreifenwagen wurden mit Schlagwerkzeugen erheblich beschädigt. Die Polizei hat Reste zerbrochener Glasflaschen, zum Teil mit öligen Anhaftungen, ölige Anhaftungen auf dem Lack der Fahrzeuge und Pflastersteine sichergestellt. 3. Wie viele „Molotowcocktails, Gehwegplatten, Steine, Eisenstangen“ (Innenausschussprotokoll 21/20, Seite 54), die aus der Nacht auf den 8. Juli 2017 stammen, wurden jeweils auf den Dächern welcher Häuser im Schulterblatt als Beweismittel gesichert? Bitte nach den einzelnen Gegenständen differenzieren. Nach derzeitigem Kenntnisstand: keine; im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Laut Senat in Schriftlicher Kleiner Anfrage 21/10331 wurden erst am 12. Juli 2017 systematisch Beweismittel in den Höfen und auf den Dächern im Schulterblatt gesichert. Warum so spät? Die Polizei Hamburg hatte anlässlich der Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel an unterschiedlichsten Orten eine Vielzahl kriminalpolizeilicher Maßnahmen getroffen. Dieses hat zeitweise einen großen Teil der im EA KPM zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen gebunden; daher konnten einige Tatorte nicht zeitnah aufgesucht werden. Die Gründe bezüglich der von der Fragestellung umfassten Örtlichkeiten sind nicht mehr nachvollziehbar; im Übrigen siehe Drs. 21/10331. 5. Laut Einsatzabschnittsführer Intervention wurden die SEKs am Schulterblatt 1 „von der rechten Gerüstseite mit Eisenstangen, großen Steinen, Paletten“ (IAP 21/20, Seite 56) beworfen. Welche Gegenstände wurden in welcher Anzahl an dem Ort als Beweismittel gesichert? Wenn keine, warum nicht? Nach derzeitigem Kenntnisstand: keine; im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4. sowie Wortprotokoll Nummer 21/20 des Innenausschusses und Drs. 21/10331. 6. Der Leiter des Einsatzabschnitts Kriminalpolizeiliche Maßnahmen, Herr Hieber, äußerte im Innenausschuss, dass es Hinweise darauf gab, dass „im Rahmen von Plünderungen Metallteile entwendet worden waren und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10490 3 diese als selbstgemachte Eisenspeere bereitgelegt worden waren“. Um welche Plünderungen handelt es sich? a. Was genau wurde entwendet? b. Wie viele „selbstgemachte Eisenspeere“ sind beschlagnahmt worden ? c. Was ist unter „selbstgemachten Eisenspeeren“ zu verstehen? Bitte genau beschreiben. Die der Polizei vorliegenden Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung lassen zum jetzigen Zeitpunkt Rückschlüsse auf konkrete Tatörtlichkeiten oder die Beschaffenheit der genannten Eisenspeere nicht zu. Nach derzeitigem Kenntnisstand liegen der Polizei Beweismittel, die die damals vorliegenden Hinweise bestätigen, nicht vor; im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. In der oben genannten Innenausschusssitzung begründete der Polizeiführer den nicht erfolgten Einsatz von Räumpanzern und Wasserwerfern damit, dass „Stahlseile in Aktion gebracht worden sind, die wir morgens schon sichergestellt haben“ (IAP 21/20, Seite 51). Inwiefern muss diese Aussage mittlerweile korrigiert werden? a. Wie viele Stahlseile wurden an welchen Orten am Morgen des 7. Juli 2017 sichergestellt? Wie dick sind sie jeweils beziehungsweise wozu geeignet? b. Wie viele weitere Stahlseile wurden in der Nacht auf den 8. Juli an welchen Orten sichergestellt? Wie dick sind sie jeweils beziehungsweise wozu geeignet? c. Liegen irgendwelche Beweise (Videos, Fotos oder anderes) über Stahlseile im Schulterblatt in der Nacht zum Samstag vor? d. Inwiefern waren „sie in Aktion“ beziehungsweise mussten abgebaut werden? Wo waren sie mit welcher vermuteten Absicht angebracht? Die Polizei hat am Morgen des 7. Juli 2017 bei Überprüfungen von Personen in der Straße Rondenbarg drei mehrere Meter lange Stahlseile in den Stärken 2 und 3 mm sichergestellt. Der Polizeiführer ging in seiner Lagebeurteilung aufgrund dieser Tatsache und der Erfahrungen, die er in zurückliegenden Castor-Einsätzen gemacht hat, davon aus, dass Stahlseile, wie die am Morgen sichergestellten, zur Störung polizeilicher Maßnahmen verwendet werden. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand wurden in der Nacht auf den 8. Juli keine weiteren Stahlseile sichergestellt, anderweitige Beweise über die Verwendung von Stahlseilen liegen gegenwärtig nicht vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Polizeisprecher Timo Zill sprach im Interview mit N24 in der Nacht auf den 8. Juli davon, dass die Polizei Personen im Schanzenviertel beobachten konnte, die „im großen Stil Molotowcocktails vorbereitet“ hätten. Hat die Polizei am Freitagabend im Schanzenviertel Beweise für Molotowcocktails sichern können? a. Wenn ja, was genau? Zur Herstellung von wie vielen geeignet? Der Polizei lagen Berichte von eingesetzten Kräften aus dem Schanzenviertel vor, denen zufolge Molotowcocktails vorbereitet werden. Nach den Erkenntnissen der Polizei ist am Abend des 7. Juli 2017 in der Lerchenstraße ein Molotowcocktail geworfen worden, der auf der Straße brannte. Ob weitere Molotowcocktails eingesetzt wurden, gegebenenfalls aus welchem Grund diese nicht festgestellt wurden und warum keine Molotowcocktails und für die Herstellung benötigten Materialien sichergestellt wurden, ist Gegenstand der Nachbereitung beziehungsweise Ermittlungen. b. Wenn nein, warum nicht? Entfällt. Drucksache 21/10490 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 9. Die Liste der Gegenstände, die im oben genannten Innenausschuss von der Polizei genannt wurden, um die Gewaltbereitschaft einiger Gipfelgegner /-innen zu verdeutlichen und ihr Einsatzkonzept für die Nacht von Freitag auf Samstag zu begründen, ist lang. Wie viele a. „selbstgefertigte eiserne Speere“ (IAP 21/20, Seite 13) b. „illegale Pyrotechnik, c. Batteriefeuerwerke, d. Krähenfüße, e. selbstpräparierte Feuerlöscher, f. verstärkte Front- und Seitentransparente, g. Farbsprays als taktische Einsatzmittel beziehungsweise „Bewaffnung “ (b. – g.: IAP 21/20, Seite 15) h. Drahtseile (IAP 21/20, Seite 45), i. Stahlkugeln, j. Präzisionszwillen, k. Brandsätze (i. – k.: IAP 21/20, Seite 15), l. Funkgeräte (IAP 21/20, Seite 17 und Seite 77), m. Eisenstangen (IAP 21/20, Seite 54), n. sonstige zur Bewaffnung dienende Gegenstände wurden an welchen Tagen und an welchen Orten sichergestellt? Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Die Polizei Hamburg erfasst sichergestellte und beschlagnahmte Gegenstände in einem elektronischen Verwahrbuch (EVB). Eine Recherche zu allen im Zeitraum 5. bis 8. Juli 2017 sichergestellten und beschlagnahmten Gegenständen führte zu 1.659 registrierten Asservaten; diese umfassen alle in diesem Zeitraum bei der Polizei Hamburg registrierten Asservate. Die Asservatenbezeichnung kann bei der Erfassung frei gewählt werden; Angaben über Anzahl, Art, Beschaffenheit eines Asservates sind dabei regelmäßig nicht enthalten . Zu der auf Basis der Asservatenbezeichnungen erhobenen Anzahl der Einträge in der EVB siehe folgende Tabelle: Nr. Asservatenbezeichnung Einträge EVB 9.a. Eisenspeere - 9.b./c. Pyrotechnik/Feuerwerk 50 9.d. Krähenfüße 3 9.e. Feuerlöscher 3 9.f. Front- und Seitentransparent 5 9.g. Spraydose 16 9.h. Drahtseil/Seil 3 9.i. Stahlkugel 2 9.j. Zwillen 2 9.k. Molotowcocktail 5 9.l. Funkgerät 2 9.m. Zeltstangen 3 9.n. sonstige zur Bewaffnung dienende Gegenstände* 103 * unter anderem Teleskopschlagstock, Messer, Pfefferspray, Stein, Schusswaffe Für eine differenziertere Beantwortung der Fragestellung wäre eine Einzelauswertung aller den 1.659 Asservaten zugeordneten Vorgängen bei der Polizei erforderlich, dies Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10490 5 ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 10. Wie viele Beamte/-innen wurden während des G20-Einsatzes durch Stahlkugeln oder andere mutmaßliche Zwillen-Geschosse getroffen, wie viele davon sind verletzt worden? Welche Verletzungen sind verursacht worden? Der Polizei ist es in der Dynamik des Einsatzgeschehens nicht immer möglich, Ursachen für Einwirkungen auf Einsatzkräfte und -mittel zu identifizieren. Belastbare Übersichten über die Ursachen von Verletzungen der Einsatzkräfte existieren daher nicht. Im Sinne der Fragestellung sind die im Folgenden dargestellten Verletzungen bekannt: Ein Beamter wurde durch Beschuss mit einer Stahlkugel an der Schulter schwer verletzt. Ein Beamter hatte eine tiefe Wunde am Unterschenkel erhalten, die nach ärztlicher Einschätzung durch Zwillenbeschuss hervorgerufen wurde.