BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10494 21. Wahlperiode 02.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 26.09.17 und Antwort des Senats Betr.: Flüchtlinge und duale Ausbildung in Hamburg Senatsvertreter haben in den vergangenen Monaten im Sozialausschuss mehrfach erläutert, dass die Bereitschaft von Flüchtlingen, eine duale Berufsausbildung aufzunehmen, gering sei und sich das Interesse der Flüchtlinge vorwiegend auf eine universitäre Ausbildung oder eine sofortige Arbeitsaufnahme konzentriere. Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: Um die Integration zu fördern und um den Fachkräftebedarf zu decken, ist es Ziel des Senats, Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, einen Berufsabschluss zu erwerben. Als Fachkraft ist die Chance auf eine dauerhafte Integration und ein Leben ohne staatliche Unterstützung sehr viel höher als bei Helfertätigkeiten. Außerdem werden in Hamburg sehr viel mehr Fachkräfte als Helfer gesucht. Alle Akteure, insbesondere die Jugendberufsagentur und W.I.R, sind deshalb angehalten, jugendlichen und jungerwachsenen Geflüchteten, aber auch Älteren bei geeigneten Bedingungen individuell die Vorteile einer Berufsausbildung aufzuzeigen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Geflüchteten in der Regel aus Ländern kommen, in denen eine Berufsausbildung wie in Deutschland gar nicht existiert. Diesen Ansatz verfolgt auch das zum 1. Februar 2016 als Regelangebot eingeführte dualisierte ausbildungsvorbereitende Bildungsangebot mit integrierter betrieblicher Sprachförderung für schulpflichtige neu zugewanderte Jugendliche ab 16 Jahren AvM-Dual. Ziel ist eine zügige Integration in Ausbildung und Arbeit. Grundlegend hierfür ist der Spracherwerb, die Dualisierung der Lernorte und die kontinuierliche Begleitung am Lernort Betrieb durch betriebliche Integrationsbegleiter. Dies ermöglicht erstens eine systematische und enge Verzahnung des individuellen Spracherwerbs im Betrieb mit den schulischen Unterrichtsangeboten, zweitens eine intensive berufliche Orientierung und Kenntnis des dualen Ausbildungssystems durch praktische Erfahrungen und drittens eine bessere Integration in Gesellschaft, unter anderem indem die neu zugewanderten Jugendlichen Werte und Normen im Betrieb kennenlernen und im Unterricht reflektieren können. Am Übergang von AvM-Dual in Ausbildung werden die Schülerinnen und Schüler durch ihre betrieblichen Integrationsbegleiter und Lehrerinnen und Lehrer unterstützt. Wie für AvDual ist auch für AvM-Dual ein systematisches Übergangsmanagement durch die Jugendberufsagentur Hamburg (JBA) aufgebaut worden. Dabei ist der Übergang in Ausbildung das prioritäre Ziel. Die Auswertung der Übergänge des ersten Durchgangs des Piloten AvM im Sommer 2016 bestätigt die Wirksamkeit dieses Konzept. Mit Stichtag 18. September 2017 befanden sich 2.252 Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang AvM-Dual. Für alle Schülerinnen und Schüler, die sich zurzeit in der Praktikumsphase befinden, stellt die Hamburger Wirtschaft ausreichend Praktikumsplätze zur Verfügung. Im Übrigen siehe Drs. 21/9286. Drucksache 21/10494 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf Grundlage von Angaben des Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (Agentur) wie folgt: 1. Wie groß ist aktuell das Interesse von Flüchtlingen in Hamburg eine duale Berufsausbildung zu absolvieren? Gibt es dabei bestimmte Präferenzen hinsichtlich bestimmter Ausbildungsberufsfelder aufseiten der Flüchtlinge? Vonseiten des Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit erfolgt eine monatliche öffentlich zugängliche Auswertung der Abgänge in Ausbildung im Migrationsmonitor. Zum Interesse gibt es keine statistischen Auswertungen. Allerdings ist festzustellen, dass sich die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz, das heißt derjenigen, die nach Einschätzung der Berufsberatung eine Ausbildung aufnehmen könnten, im Ausbildungsjahr 2016/2017 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hat. Auch der Anteil der vermittelten Geflüchteten stieg gegenüber dem Vorjahr um 48 Prozent (https://statistik.arbeitsagentur.de/nn_32022/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/ Rubrikensuche_Form.html?view=processForm&resourceId=210368&input_=& pageLocale=de&topicId=1095966&year_month=201708&year_month.GROUP= 1&search=Suchen). 2. Wie viele Kunden des Programms W.I.R work and integration for refugees konnten bisher in eine duale Ausbildung vermittelt werden? (Bitte unter Angabe des Stichtags in absoluten Zahlen und relativem Anteil angeben für die insgesamt in Ausbildung vermittelten W.I.R-Kunden sowie die Kunden aus der zu beobachtenden Stichprobe.) 3. Wie viele der seit 2015 bei der Hamburger Agentur für Arbeit/Jobcenter registrierten Ausländer im Kontext Migration/Flucht konnten bisher in eine duale Ausbildung vermittelt werden? (Bitte unter Angabe des Stichtags in absoluten Zahlen und relativem Anteil der Jobcenter-Kunden mit dem Kontext Migration/Flucht angeben.) 4. Wie viele der seit 2015 bei der Hamburger Jugendberufsagentur registrierten Ausländer im Kontext Migration/Flucht konnten bisher in eine duale Ausbildung vermittelt werden? (Bitte unter Angabe des Stichtags in absoluten Zahlen und relativem Anteil der Jugendberufsagentur- Kunden mit dem Kontext Migration/Flucht angeben.) Zum Stichtag Februar 2017 befanden sich 722 Geflüchtete aus den acht Hauptasylherkunftsländern in Ausbildung. Im Februar 2016 waren erst 454 Geflüchtete (Februar 2015: 312 Geflüchtete) aus den acht Hauptasylherkunftsländern in Ausbildung. Dies macht deutlich, dass es Geflüchteten zunehmend gelingt, eine Ausbildung aufzunehmen . Eine spezifische Auswertung für Kundinnen und Kunden der Jugendberufsagentur ist nicht möglich. Eine spezifische Auswertung der Vermittlungen in Ausbildung der W.I.R-Kunden insgesamt wird seitens der Agentur statistisch nicht abgebildet. Für W.I.R liegen nur die Ergebnisse einer Stichprobe von 981 Kundenprofilen vor. Bis zum Stichtag 30.06.2017 wurden von den dort erfassten Geflüchteten insgesamt 23 Personen in eine Ausbildung vermittelt. Dies entspricht einem Anteil von 2,3 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den in der Stichprobe erfassten Geflüchteten auch die Altersgruppe der über 25-Jährigen vertreten ist, die über teilweise langjährige Berufserfahrungen beziehungsweise akademische Abschlüsse verfügen und der prozentuale Anteil insofern nicht aussagekräftig ist. Neben der Aufnahme einer Berufsausbildung kommt daher für diese Zielgruppe bei einer vollständigen Anerkennung der mitgebrachten Qualifikationen die direkte Vermittlung in qualifizierte Beschäftigung (oft über den Weg eines Praktikums) infrage oder die Durchführung von Kompetenzfeststellungen, Aufnahme von Anpassungsqua- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10494 3 lifizierungen oder auch eines weiterführenden Studiums in einer in Hamburg gesuchten Branche. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Zahlen wieder. Bis zum oben genannten Stichtag befanden sich 226 Geflüchtete dieser Stichprobe in Arbeit (23 Prozent) und 167 in Praktika (17 Prozent). Insgesamt konnten damit über 42 Prozent der in der Stichprobe erfassten Geflüchteten bereits Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt sammeln . Im Übrigen siehe Drs. 21/10399. 5. Falls der Senat die Fragen 1. – 3. nicht beantworten kann: Welche Kenntnisse hat der Senat über die Vermittlung von Flüchtlingen, die seit 2015 nach Hamburg gekommen sind, in Ausbildung – insbesondere in die duale Berufsausbildung? Welche Erfolge und Schwierigkeiten sind bei der Vermittlung von Flüchtlingen in Ausbildungen bekannt? Um eine duale Ausbildung absolvieren zu können, sind in den meisten Fällen vorbereitende Maßnahmen notwendig (zum Beispiel Perspektiven für junge Flüchtlinge (PerjuF), Einstiegsqualifizierung). Notwendig sind ebenso deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2, um am Unterricht in den Berufsschulen erfolgreich teilnehmen zu können. In der Regel müssen zusätzlich noch Sprachkurse in Deutsch besucht werden , sodass sich der gesamte Zeitraum bis zum Beginn der Ausbildung weiter verzögern (sechs Monate bis ein Jahr) kann. Dem Instrument der Einstiegsqualifizierung (EQ) gemäß § 54a SGB III kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Dabei handelt es sich um ein Betriebspraktikum für einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten, das direkt auf die Aufnahme einer Ausbildung vorbereitet und in Hamburg auch Geduldeten eine Ausbildungsperspektive eröffnet. Die Behörde für Schule und Berufsbildung bietet für die Zielgruppe der Geflüchteten in einer EQ eine ergänzende berufsbezogene Sprachförderung an. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) unterstützt den Verein „Ausbildungsförderung der Hamburger Wirtschaft e.V.“ (Träger sind Handels- und Handwerkskammer Hamburg sowie der Unternehmensverband Nord/UV Nord), der betriebliche Praktikumsplätze akquiriert und den Unternehmen geeignete Jugendliche für die EQ vermittelt. Nach Angaben des Vereins konnten bisher von den geplanten 400 Plätzen für alle jungen Erwachsenen allein 100 Plätze mit jungen Geflüchteten besetzt werden . Um junge Geflüchtete im Qualifizierungsprozess bis zur Aufnahme einer Ausbildung zu begleiten und zu unterstützen, wurde mit dem aus Mitteln des europäischen Sozialfonds und der BASFI geförderten Projekt „Chancengenerator“ eine individuelle Begleitstruktur bereitgestellt. Es sollten 400 Jugendliche begleitet werden, nach Angaben des Trägers wurden bereits 434 Personen aufgenommen (Stand: 38. KW). 6. Welche Kenntnisse hat der Senat darüber, in welche Ausbildungsberufe (Branchen) Flüchtlinge in Hamburg bisher erfolgreich vermittelt werden konnten? Aus welchen Gründen ist die Vermittlung von Flüchtlingen in diese Ausbildungsberufe/Branchen erfolgreicher als in anderen Bereichen ? Vonseiten des Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit erfolgt eine monatliche öffentlich zugängliche Auswertung der Abgänge in Ausbildung – Migrationsmonitor: https://statistik.arbeitsagentur.de/nn_32022/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/ Rubrikensuche_Form.html?view=processForm&resourceId=210368&input_=& pageLocale=de&topicId=1095966&year_month=201708&year_month.GROUP= 1&search=Suchen. Eine Filterung nach Bundesland und Rechtskreis ist möglich. Eine Auswertung der einzelnen Branchen ist jedoch nicht möglich. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. Drucksache 21/10494 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 7. Welche Strategien verfolgt der Senat, um Flüchtlinge gezielt auf die duale Ausbildung aufmerksam zu machen? Gibt es zu diesem Zweck besondere Aktivitäten? Wenn ja, welche und mit welcher Wirkung? Wenn nein, warum nicht? In der ersten arbeitsmarktlichen Beratung der Agentur im Ankunftszentrum wird das Thema duale Ausbildung bereits von Beginn an erläutert. Auch in den Folgegesprächen wird dieses Thema immer wieder aufgegriffen. Kunden unter 25 mit Ausbildungswunsch und entsprechenden Voraussetzungen werden direkt in die Jugendberufsagentur gesteuert. Hinzu kommen zahlreiche Veranstaltungen, wo das Thema Ausbildung für geflüchtete Menschen vorgestellt wird (zum Beispiel Marktplatz der Begegnungen, Markt Forum Flüchtlingshilfe, Veranstaltungen mit Arbeitgeber zum Thema Ausbildung durch den gemeinsamen Arbeitgeberservice, gAG-S). Beim Thema Integration von Geflüchteten wird immer explizit auf Arbeit und Ausbildung verwiesen . Monatlich gibt es eine Infostunde für Geflüchtete als Angebot der Berufsberatung. In W.I.R wird ebenfalls in Ausbildung vermittelt. Neben der Beratung finden Gruppeninformationen und Bewerbertrage auch für Ausbildungsplätze statt. 8. Wie gestaltet sich aktuell die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die Ausbildungsplätze anbieten und den Institutionen beziehungsweise Programmen der Stadt, die Flüchtlinge in Ausbildung vermitteln? In den Gremien des Fachkräftenetzwerks sind mit den beiden Kammern und dem Unternehmensverband auch Wirtschaftsvertreter einbezogen, dort werden mit allen beteiligten Partnern auch Strategien zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter diskutiert . Auf der operativen Ebene berät der gAG-S und unterstützt alle Unternehmen, die Ausbildungsplätze anbieten oder diesen Schritt in Betracht ziehen, und vermittelt geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Über die Jugendberufsagentur und den Unternehmensservice W.I.R mit zwischenzeitlich drei Standorten in Hamburg (Millerntorplatz , Harburg und Bergedorf) kooperiert der gAG-S mit den Partnerinstitutionen und steht Unternehmen auch über diese Kanäle als Ansprechpartner zur Verfügung.