BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1057 21. Wahlperiode 21.07.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Jörg Hamann (CDU) vom 14.07.15 und Antwort des Senats Betr.: Bereitschaft zur Einbürgerung In Hamburg lassen sich jährlich viele tausend Ausländer einbürgern. Im Jahr 2001 wurde mit 9.832 Einbürgerungen ein Höchstwert nach der Wiedervereinigung erreicht. Im letzten Jahr waren es 6.492 (-13,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr).1 Die Bereitschaft zur Einbürgerung (das sogenannte ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial) ist aber – abhängig von der bisherigen Staatsangehörigkeit – auf Bundesebene sehr unterschiedlich ausgeprägt. So haben sich letztes Jahr beispielsweise 11,5 Prozent der seit mindestens zehn Jahren in Deutschland lebenden Afghanen und 6,1 Prozent der Rumänen einbürgern lassen, hingegen aber nur 0,7 Prozent der Italiener oder 1,6 der Türken.2 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Hamburger ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die mindestens 16 Jahre alt sind und die zeitlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen, gab es 2011 bis 2015 pro Jahr? 2. Wie hoch war jeweils die Anzahl der Beratungsgespräche, der beantragten und erfolgten Einbürgerungen sowie das sogenannte ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial (= das Verhältnis von erfolgten Einbürgerungen zur Zahl jener Ausländerinnen und Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in Hamburg leben und damit alle Voraussetzungen erfüllen) der zehn größten Ausländergruppen in Hamburg jährlich seit 2011? Im Sinne des Begriffs „ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial“ legt das Statistische Bundesamt einen mindestens zehnjährigen Inlandsaufenthalt als Voraussetzung einer Einbürgerung zugrunde. Die Zahlen der Personen, die diese Voraussetzung erfüllen, sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Siehe auch: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/MigrationIntegrati on/Einbuergerungen2010210137004.pdf?__blob=publicationFile. Zeitraum Zahl der Personen vor 01.07.2001 86.724 01.07.2001 - 30.06.2002 90.538 1 https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabellen/12511*. 2https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/06/ PD15_237_12511.html. Drucksache 21/1057 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zeitraum Zahl der Personen 01.07.2002 - 30.06.2003 93.404 01.07.2003 - 30.06.2004 97.473 01.07.2004 - 30.06.2005 101.547 Nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) sind die zeitlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung im Regelfall nach acht Jahren erfüllt. Die Gesamtzahl der Vorgespräche, Anträge und erfolgten Einbürgerungen sowie die Hauptherkunftsländer eines Jahrgangs sind den folgenden Übersichten zu entnehmen (Quelle: Einwohner-Zentralamt): Jahr Vorgespräche Anträge Einbürgerungen 2011 9.420 5.249 5.639 2012 12.154 7.164 5.736 2013 10.849 7.247 7.329 2014 9.737 6.839 6.492 2015 (1. Halbjahr) 4.871 3.503 2.922 Eine höhere Zahl von Einbürgerungen gegenüber den Anträgen in einem Jahr ergibt sich aus im Vorjahr eingeleiteten und im Erfassungsjahr abgeschlossenen Einbürgerungen . Zu den Vorgesprächen wird nur die Gesamtzahl statistisch erfasst, nicht aber das jeweilige Herkunftsland der Einbürgerungsinteressierten; Angaben hierzu liegen nicht vor. Die Hauptherkunftsländer der Antragsteller: Herkunftsland/Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 Türkei 1.344 1.442 1.046 745 339 Afghanistan 759 1.049 878 747 397 Iran 346 474 377 315 188 Polen 225 359 412 407 228 Ghana 146 243 210 226 149 Russische Föderation 237 325 201 191 100 Togo 140 156 94 82 42 China 89 - 101 76 49 Ukraine 181 - 179 254 115 Griechenland - 110 107 114 54 Bulgarien 67 - - - - Indien - 133 - - - Kroatien 1.344 1.442 1.046 745 339 Die Hauptherkunftsländer der Eingebürgerten: Herkunftsland/Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 Türkei 1.447 1.345 1.344 951 435 Afghanistan 759 894 1.175 1.121 429 Iran 429 390 502 355 181 Polen 245 256 441 462 189 Ghana 158 120 248 261 149 Russische Föderation 185 283 280 203 94 Togo 162 101 129 95 - China 87 97 86 99 - Ukraine 212 225 266 228 123 Griechenland - 109 140 92 72 Bulgarien 74 - - - Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1057 3 Herkunftsland/Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 Indien - - - - 76 Kroatien - - - - 56 Die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und sich seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet aufhalten, ist der nachfolgenden Fortschreibung zu entnehmen. Ob die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann nur im Rahmen der individuellen Antragsprüfung festgestellt werden: Staatsangehörigkeit/Aufenthalt von mindestens 10 Jahren 2001 2002 2003 2004 2005 Türkei 39.920 40.814 41.513 42.155 42.739 Afghanistan 5.489 5.830 5.939 6.110 6.228 Iran 3.788 3.917 4.028 4.177 4.293 Polen 13.937 14.696 15.449 16.396 18.240 Ghana 2.801 2.951 3.130 3.289 3.444 Russische Föderation 3.123 3.638 4.153 4.690 5.135 China 1.147 1.384 1.625 1.930 2.158 Bosnien-Herzegowina 3.383 3.439 3.462 3.479 3.499 Griechenland 5.429 5.578 5.709 5.798 5.882 Kroatien 4.749 4.813 4.867 4.893 4.917 3. Falls es große Unterschiede beim ausgeschöpften Einbürgerungspotential gibt: warum existieren sie? Die dem sogenannten ausgeschöpften Einbürgerungspotenzial in der oben angeführten Ausarbeitung des Statistischen Bundesamtes zugrunde liegende vereinfachende Annahme, dass nach zehnjährigem Inlandsaufenthalt alle Anforderungen für eine Einbürgerung erfüllt sind, wird, wie das Statistische Bundesamt ausdrücklich einräumt, nicht jedem Einzelfall gerecht. Tatsächlich ist anzunehmen, dass ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger trotz eines mindestens zehnjährigen Inlandsaufenthaltes in einer nicht unerheblichen – statistisch nicht erfassten – Zahl eine oder mehrere der weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen (siehe § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 bis 7 StAG) nicht erfüllen und deshalb von einer Einbürgerung Abstand nehmen. Weitere persönliche Beweggründe, nicht an einem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit interessiert zu sein, können insbesondere bei fehlender Kontaktaufnahme der Betroffenen und Offenbarung ihrer Beweggründe von der zuständigen Behörde nicht belastbar ergründet werden. Aus Gesprächen mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist allerdings bekannt, dass viele nicht ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben möchten, was nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 StAG grundsätzlich erforderlich ist. 4. Welche Gründe liegen nach Einschätzung des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde dem Rückgang der Einbürgerungen in Hamburg im letzten Jahr zugrunde? Der Senat wies bereits 2013 in seinem Integrationskonzept mit dem Titel „Teilhabe, Interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt“ (siehe Drs. 20/7049) darauf hin, dass die Anzahl der Beratungsgespräche und die Anzahl der Einbürgerungsanträge aufgrund des bereits seinerzeit hohen Niveaus einen degressiven Verlauf nehmen wird. Dementsprechend hat der Senat Zielwerte für 2015 bestimmt, die unter den Vergleichswerten für 2011 und 2012 liegen. Der erwartete Trend hat sich bestätigt; zum Stand der Zielerreichung 2013 und 2014 siehe auch Drs. 20/12843. 5. Vergleicht man die Einbürgerungszahlen in Hamburg seit 19903, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Ende 2011 gestartete Einbürgerungsinitiative des Senats kaum Auswirkungen hatte. Bis auf die sehr niedrigen Zahlen in den Jahren 2008/2009, die aber laut Senat4 vor 3 https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabellen/12511*. 4 http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3742332/2013-01-17-bis-pm-einbuergerungen/. Drucksache 21/1057 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 allem auf Rechtsänderungen im Bund zurückzuführen waren, gab es im Durchschnitt pro Jahr (1990 bis 2007) rund 6.200 Einbürgerungen. Sieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Initiative als Erfolg? Wenn ja, worin genau liegt er? Ja. Die Einbürgerungsinitiative hat eine große Zahl von Personen, die für eine Einbürgerung infrage kommen, bewogen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Nachdem in den Jahren 2007 bis 2011 durchschnittlich 4.673 Einbürgerungsanträge gestellt und 4.294 Einbürgerungen vollzogen wurden, betrug im Zeitraum von 2012 bis 2014 die durchschnittliche Zahl der Einbürgerungsanträge 7.111 und die der vollzogenen Einbürgerungen 6.519. Damit hat die Einbürgerungsinitiative maßgeblich zur Erreichung des integrationspolitischen Ziels beigetragen, Personen die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung und politische Teilhabe zu ermöglichen (siehe Drs. 20/7049). Nach der in der Antwort zu 1. und 2. angegebenen Ausarbeitung des Statistischen Bundesamtes nimmt Hamburg bei der sogenannten Einbürgerungsquote und dem sogenannten ausgeschöpften Einbürgerungspotenzial im Ländervergleich eine Spitzenposition ein. Bei dem Vergleich von Einbürgerungszahlen früherer Jahre sind im Übrigen die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, so zum Beispiel die Normierung eines Einbürgerungsanspruchs im Jahre 1990 ohne förmliche Sprachnachweise oder die Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltszeiten von 15 auf acht Jahre, die im Jahre 2000 zu der hohen Zahl von 12.231 Einbürgerungsanträgen führte. Im Jahre 2007 hingegen hat es verschärfende Änderungen gegeben, insbesondere im Hinblick auf förmlich nachzuweisende Deutschkenntnisse sowie Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung, die sich unmittelbar reduzierend auf die Einbürgerungszahlen der Folgejahre ausgewirkten. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die deutschen gesetzlichen Bestimmungen beziehungsweise die höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung zu beachten; auch Rechtsänderungen im ausländischen nationalen Recht können erhebliche Auswirkungen haben (zum Beispiel hinsichtlich der Anforderungen an die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit). So ist zum Beispiel die Zahl eingebürgerter türkischer Staatsangehöriger deutlich angestiegen, nachdem sich im Jahre 1995 die türkische Gesetzgebung im Hinblick auf erb- oder vermögensrechtliche Angelegenheiten ehemaliger türkischer Staatsangehöriger erheblich verändert hatte. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 6. Gibt es Überlegungen, die Initiative umzugestalten oder anderweitige Konsequenzen zu ziehen? Wenn ja, wie beziehungsweise welche? Die Briefaktion des Ersten Bürgermeisters ist abgeschlossen. Von Dezember 2011 bis März 2015 wurden insgesamt 184.191 Datensätze ausgewertet und 145.192 Briefe an insgesamt 154.192 Adressaten versendet. Die Differenz zu den Adressaten ergibt sich aus der Tatsache, dass Minderjährige unter 16 Jahren nicht gesondert angeschrieben wurden. Die übrigen Datensätze hatten sich bei genauerer Betrachtung als nicht geeignet herausgestellt, da die Betroffenen zum Beispiel mittlerweile verzogen, verstorben oder eingebürgert waren oder einen Einbürgerungsantrag gestellt hatten. Das von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration geförderte Projekt Einbürgerungslotsen wird zunächst bis Ende 2016 fortgeführt und weiterentwickelt (siehe Drs. 20/8962). Im Übrigen sind die Überlegungen zur weiteren Förderung der Einbürgerungsbereitschaft noch nicht abgeschlossen.