BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10686 21. Wahlperiode 24.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Thering (CDU) vom 16.10.17 und Antwort des Senats Betr.: Hat der Senat klammheimlich sein Versprechen von 25-Prozent- Radverkehrsanteil kassiert? Oder: „Liebling, ich habe die Fahrradstadt geschrumpft.“  Ein zeitgemäßer Mix aus Autos, Bahnen, Bussen, Fähren und Fahrrädern ist von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Ausgestaltung der Mobilität in Hamburg. Dies gilt für Hamburg als Herz einer Metropolregion mit über 5 Millionen Einwohnern und Hafenstandort von Weltrang umso mehr. Intelligent und effizient gesteuerte Pendler- und Güterverkehre sind von elementarer Bedeutung für Wohlstand und Wirtschaftskraft in unserer Stadt. Moderne Mobilität bedeutet zugleich die Berücksichtigung von Lärmschutz, Klimaschutz , Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit bei der Verkehrsplanung. Kein anderes Verkehrsmittel erfüllt speziell diese Kriterien so gut wie das Fahrrad, das generationenübergreifend eine gesunde, günstige und flexible Fortbewegung ermöglicht. Zur Förderung des Radverkehrs hat der CDU-geführte Senat im Januar 2008 die bis heute gültige Radverkehrsstrategie für Hamburg (Drs. 18/7662) beschlossen. Diese zielte vor allem auf die Schaffung eines modernen Fahrradleihsystems („StadtRAD Hamburg“), auf die Bereitstellung einer attraktiven Infrastruktur wie Radrouten, auf Angebote zur Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger sowie ausreichende Abstellmöglichkeiten ab und definierte vor diesem Hintergrund das Ziel, den Radverkehrsanteil (Anteil des Verkehrsträgers „Fahrrad“ bei der Verkehrsmittelwahl, Stichwort „Modal Split“) bis 2015 auf 18 Prozent zu steigern. Dem lag seinerzeit ein 2002 gemessener Radverkehrsanteil von 9 Prozent zugrunde. Ob dieses Ziel zwischenzeitlich erreicht wurde, ist bis heute unklar. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die dafür in der Bundesrepublik als Referenz dienende Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) letztmalig im Jahr 2008 entsprechende Ergebnisse geliefert hat. Demnach lag der Anteil das Radverkehrs am Modal Split in Hamburg damals bei 12 Prozent. Neuere Zahlen dürften mittlerweile vorliegen, weil die Datenerhebung für die Folge-Studie im letzten Monat abgeschlossen wurde.1 Eingedenk dessen wird nicht nur interessant zu sehen sein, ob der frühere CDU-Senat seine Ziele eingehalten hat, sondern vor allem, wie es um die radverkehrspolitischen Ziele des aktuellen rot-grünen Senats bestellt ist: 1 http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/erhebungen.html. Drucksache 21/10686 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ‐ Im Koalitionsvertrag von SPD und GRÜNEN aus dem Jahr 2015 steht: „Die Koalitionspartner einigen sich darauf, den Radverkehrsanteil in den zwanziger Jahren auf 25 Prozent zu steigern.“2 ‐ Beim 2016 geschlossenen „Bündnis für den Radverkehr“3 wurde vereinbart : „Ihr attraktiver Ausbau ist notwendig, um die Fahrradnutzung auf allen Entfernungsklassen und damit den Radverkehr am Modal-Split in Richtung 25 % zu steigern.“ ‐ In der vom Senat Ende Juni 2017 beschlossenen zweiten Fortschreibung des Luftreinhalteplans4 steht: „Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, die Angebote für den Radverkehr deutlich und zügig zu verbessern und einen Radverkehrsanteil am Modal Split von 25 % zu erreichen.“ Es ist erkennbar, dass seit 2015 erstens die Zielerreichung an sich verwässert und zweitens der Zeitpunkt der Zielerreichung sogar komplett getilgt wurde. Diese vom Senat anscheinend bewusst in Kauf genommene Sprachkonfusion gipfelte in den Einlassungen der Senatsvertreter in der Sachverständigenanhörung (am 12. September 2017) und der Öffentlichen Anhörung (am 4. Oktober 2017) zum Luftreinhalteplan in den gemeinsamen Sitzungen des Umwelt- und des Verkehrsausschusses. Verbandsvertreter und Vertreter der CDU hatten den Senat mit der Tatsache konfrontiert, dass im Luftreinhalteplan bis 2025 mit einem deutlich geringeren Radverkehrsanteil gerechnet wird. In der Sitzung vom 4. Oktober 2017 versuchte Verkehrsstaatsrat Rieckhof (SPD) hiervon abzulenken, indem er sagte, dass vom Senat „weder im Jahr 2020 noch 2025 ein 25-Prozent-Anteil vorgeschrieben“ werden soll und dass es „eine Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger selbst ist zu entscheiden , welches Verkehrsmittel sie nutzen“. Bei diesen Aussagen handelt es sich allerdings um politische Binsenweisheiten. Dadurch wurde daher umso mehr der Verdacht genährt, dass sich SPD und GRÜNE in Senat und Bürgerschaft mittlerweile klammheimlich vom 25-Prozent-Ziel und damit von der zentralen Marke bei der Radverkehrsförderung verabschiedet haben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) wie folgt: 1. Mit welchem Radverkehrsanteil in Hamburg wird im Rahmen der zweiten Fortschreibung des Luftreinhalteplans im Basis-Szenario a) bis 2020, b) bis 2025 aus welchen Gründen gerechnet und welche Annahmen sowie Daten liegen diesen Werten jeweils zugrunde? 2. Mit welchem Radverkehrsanteil in Hamburg wird im Rahmen der zweiten Fortschreibung des Luftreinhalteplans im Kombi-Szenario a) bis 2020, b) bis 2025 2 http://www.hamburg.de/contentblob/4479010/0e0dc965584486bf76aa1a974471f843/data/ download-koalitionsvertrag-2015.pdf, siehe Seite 36. 3 http://www.hamburg.de/contentblob/6315730/f29870c0255816d649d9e6da5ce484dd/data/ buendnis-fuer-den-radverkehr-download.pdf, siege Seite 5. 4 http://www.hamburg.de/contentblob/9024022/7dde37bb04244521442fab91910fa39c/data/ d-lrp-2017.pdf, siehe Seite 10. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10686 3 aus welchen Gründen gerechnet und welche Annahmen sowie Daten liegen diesen Werten jeweils zugrunde? Siehe Bericht „2. Fortschreibung Luftreinhalteplan; Gesamtdokumentation der Verkehrsmodellberechnungen “ des Büros ARGUS Stadt- und Verkehrsplanung, veröffentlicht im Hamburger Transparenzportal: http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/ 2-fortschreibung-luftreinhalteplan-gesamtdokumentation-derverkehrsmodellberechnungen 1. Darüber hinaus geht die zuständige Behörde davon aus, dass sich die Wirkung der zahlreichen Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs insbesondere in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre entfalten wird und die Verlagerungseffekte auf das Verkehrsmittel Fahrrad dann weiter zunehmen werden. 3. Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und GRÜNEN steht: „Die Koalitionspartner einigen sich darauf, den Radverkehrsanteil in den zwanziger Jahren auf 25 Prozent zu steigern.“ a) Erachtet es der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde auf Basis der aktuellen Fakten- und Datenlage als realistisch, dass der Radverkehrsanteil in den Zwanzigerjahren wirklich auf 25 Prozent steigt? Wenn ja, auf welcher Fakten- und Datenlage beruht diese Annahme ? Wenn nein, warum, nicht? Siehe Drs. 21/253. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. a) bis 2. b). b) Verfolgt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde weiterhin das Ziel, den Radverkehrsanteil in den Zwanzigerjahren auf 25 Prozent zu steigern? Wenn nein, warum nicht? Ja. 4. Im Bündnis für den Radverkehr wurde vereinbart: „Ihr attraktiver Ausbau ist notwendig, um die Fahrradnutzung auf allen Entfernungsklassen und damit den Radverkehr am Modal-Split in Richtung 25 % zu steigern.“ a) Bis wann soll dieses Ziel nach der Logik des Bündnisses für den Radverkehr erreicht werden? b) Erachtet es der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde auf Basis der aktuellen Fakten- und Datenlage als realistisch, dass der Radverkehrsanteil bis zu dem unter 4. a) genannten Zeitpunkt „in Richtung 25 %“ gesteigert wird? Wenn ja, auf welcher Fakten- und Datenlage beruht diese Annahme ? Wenn nein, warum, nicht? c) Verfolgt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde weiterhin das Ziel, den Radverkehrsanteil bis zu dem unter 4. a) genannten Zeitpunkt „in Richtung 25 %“ zu steigern? Wenn nein, warum nicht? 5. In der vom Senat Ende Juni 2017 beschlossenen zweiten Fortschreibung des Luftreinhalteplans steht: „Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, die Angebote für den Radverkehr deutlich und zügig zu verbessern und einen Radverkehrsanteil am Modal Split von 25 % zu erreichen.“ a) Bis wann soll dieses Ziel nach der Logik des Luftreinhalteplans erreicht werden? Drucksache 21/10686 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b) Erachtet es der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde auf Basis der aktuellen Fakten- und Datenlage als realistisch, bis zu dem unter 5. a) genannten Zeitpunkt „einen Radverkehrsanteil am Modal Split von 25 % zu erreichen“? c) Verfolgt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde weiterhin das Ziel, bis zu dem unter 5. a) genannten Zeitpunkt „einen Radverkehrsanteil am Modal Split von 25 % zu erreichen“? 6. Welchen Radverkehrsanteil strebt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde nach aktuellem Stand a) bis 2020, b) bis 2025, c) bis 2030 an? Siehe Antworten zu 3. 7. Liegen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Rohdaten a) der aktuellen bundesweiten MiD-Stichprobe vor? b) der aktuellen Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? 8. Liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde die Rohdaten a) der aktuellen bundesweiten MiD-Stichprobe vor? b) der aktuellen Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? 9. Liegen dem HVV die Rohdaten a) der aktuellen bundesweiten MID-Stichprobe vor? b) der aktuellen Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? 10. Liegen einem Gremium oder mehreren Gremien der Metropolregion Hamburg (Regionsrat, Lenkungsausschuss, Facharbeitsgruppen) die Rohdaten a) der aktuellen bundesweiten MID-Stichprobe (Befragungszeitraum) vor? b) der Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? 11. Liegen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) Teilergebnisse oder das Gesamtergebnis der Hamburger MiD- Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? Wenn ja, a) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Allgemeinen? b) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Speziellen hinsichtlich des Radverkehrsanteils? Wenn nein, in welcher Kalenderwoche werden die Ergebnisse vorliegen ? 12. Liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde Teilergebnisse oder das Gesamtergebnis der Hamburger MiD-Stichprobe Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10686 5 inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung “ vor? Wenn ja, a) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Allgemeinen? b) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Speziellen hinsichtlich des Radverkehrsanteils? Wenn nein, in welcher Kalenderwoche werden die Ergebnisse vorliegen ? 13. Liegen dem HVV Teilergebnisse oder das Gesamtergebnis der Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor? Wenn ja, a) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Allgemeinen? b) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Speziellen hinsichtlich des Radverkehrsanteils? Wenn nein, in welcher Kalenderwoche werden die Ergebnisse vorliegen ? 14. Liegen einem Gremium oder mehreren Gremien der Metropolregion Hamburg (Regionsrat, Lenkungsausschuss, Facharbeitsgruppen) Teilergebnisse oder das Gesamtergebnis der Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung “ vor? Wenn ja, a) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Allgemeinen? b) wie lauten die Hamburger Ergebnisse im Speziellen hinsichtlich des Radverkehrsanteils? Wenn nein, in welcher Kalenderwoche werden die Ergebnisse vorliegen ? Nach Auskunft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wurde die mehr als einjährige Erhebungsphase der Studie „Mobilität in Deutschland“ im September des Jahres 2017 abgeschlossen. Aus Datenschutzgründen dürfen weder die Rohdaten der regionalen noch die der bundesweiten Erhebungen übermittelt werden. Somit liegen bei keiner der genannten Stellen Rohdaten, Teilergebnisse oder das Gesamtergebnis der Hamburger MiD-Stichprobe inklusive der Hamburger Aufstockung beziehungsweise „regionalen Verdichtung“ vor. Die Rohdaten müssen zunächst durch den Auftragnehmer wirksam anonymisiert werden. Dieser Prozess wird derzeit durch den Auftragnehmer aufgenommen. Zugleich beginnen die Auftragnehmer mit der aufwändigen Gewichtung und Hochrechnung der Rohdaten, um das unterschiedliche Antwortverhalten von bestimmten Bevölkerungsgruppen auszugleichen und so zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen. Diese Arbeiten sollen im 2. Quartal des Jahres 2018 abgeschlossen sein. Erst dann übermittelt der Auftragnehmer repräsentative bundesweite und regionale Ergebnisse. Die Übergabe des Gesamt-Ergebnisberichts mit bundesweiten Ergebnissen und der wirksam anonymisierten Datensätze soll im 3. Quartal des Jahres 2018 erfolgen.