BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10740 21. Wahlperiode 30.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 23.10.17 und Antwort des Senats Betr.: Ausweitung der beschleunigten Verfahren in der Hamburgischen Justiz ? Die Strafprozessordnung ermöglicht in Strafverfahren die Durchführung von sogenannten beschleunigten Verfahren (§§ 417 fortfolgende StPO), um eine zeitnahe Verhandlung und Erledigung von Fällen mit einfachem Sachverhalt und klarer Beweislage zu erreichen. In vielen Fällen, in denen die Beantragung eines beschleunigten Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft möglich ist, sitzen die Beschuldigten in Untersuchungshaft. Dies betrifft zum Beispiel Personen ohne festen Wohnsitz, die eines Laden- oder Taschendiebstahls beschuldigt werden. Insbesondere auch im Hinblick auf die angespannte Belegungssituation in den Hamburger Untersuchungshaftanstalten ist eine vermehrte Nutzung der Möglichkeit von beschleunigten Verfahren wünschenswert . Neben der Möglichkeit der Untersuchungshaft können Tatverdächtige , bei denen die Einleitung eines beschleunigten Verfahrens wahrscheinlich ist, gemäß § 127b StPO in Hauptverhandlungshaft genommen werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die prozessualen Möglichkeiten zur Beschleunigung von Strafverfahren sind sinnvolle Instrumente bei der Verfolgung kleinerer Delikte, insbesondere auch gegenüber Straftätern ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Die Herbeiführung der zeitnahen Sanktionierung einer Straftat wird grundsätzlich als positiv erachtet. Die zuständige Behörde ist schon aus Gründen der Ressourcenschonung bemüht, diese Verfahrensweise in der Praxis auszuweiten, entsprechende Überlegungen – unter Beteiligung von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht – sind noch nicht abgeschlossen. Jedoch ist der Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens aus strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Gründen begrenzt, denn neben prozessökonomischen Aspekten ist auch die Pflicht der Gerichte zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten auf eine effektive Verteidigung und ein faires Verfahren im Blick zu behalten. So ist eine Sache regelmäßig nur dann zur sofortigen Verhandlung geeignet, wenn der Beschuldigte sich glaubhaft (das heißt gestützt durch andere Beweismittel) geständig zeigt oder die Beweislage im Übrigen einfach ist. Dies kann beispielsweise dann zweifelhaft sein, wenn mehrere Zeugen zu hören, Sachverständigengutachten einzuholen oder Videoaufnahmen auszuwerten sind (letzteres ist gerade bei Ladendiebstahlsvorwürfen nicht selten der Fall) oder wenn weitere Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung beigezogen werden sollen. Regelmäßig stellt sich bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen der Erlass eines Strafbefehls zur Festsetzung von Geld- oder zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen als noch ressourcenschonendere Verfahrenserledigung dar. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/10740 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wie viele Anträge auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft im 4. Quartal des Jahres 2016 sowie in den ersten drei Quartalen des Jahres 2017 gestellt? Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren in folgendem Umfang gestellt: Anträge im beschleunigten Verfahren 4. Quartal 2016 100 1. Quartal 2017 117 2. Quartal 2017 82 3. Quartal 2017 für dieses Quartal liegen noch keine Daten vor. 2. Wie viele beschleunigte Verfahren wurden vor den Amtsgerichten in Hamburg im 4. Quartal des Jahres 2016 sowie in den ersten drei Quartalen des Jahres 2017 durchgeführt? Das Amtsgericht Hamburg hat nach Anträgen auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren in folgendem Umfang verhandelt: Verfahren im beschleunigten Verfahren 4. Quartal 2016 93 1. Quartal 2017 126 2. Quartal 2017 119 3. Quartal 2017 85 Der Umstand, dass die Anzahl der Anträge im jeweiligen Quartal nicht immer mit der Zahl der durchgeführten Verfahren übereinstimmt, hat seinen Grund darin, dass einerseits das Gericht dem Antrag nicht folgen muss (vergleiche § 419 Absatz 3 StPO), andererseits der Erhebungszeitpunkt für Antrag und Verfahrensabschluss nicht notwendigerweise in dasselbe Quartal fällt. 3. Wie viele der Personen, gegen die ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt wurde, befanden sich a. jeweils in den Jahren 2015, 2016 und 2017 in Untersuchungshaft gemäß §§ 112 fortfolgende StPO? b. im 4. Quartal 2016 sowie in den ersten drei Quartalen des Jahres 2017 in Hauptverhandlungshaft gemäß § 127b StPO? Eine statistische Erfassung zur Frage, wie viele der Personen, gegen die ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt wurde, sich zuvor in Haft befanden, erfolgt nicht. Für die Beantwortung der Frage 3. a. müsste beim Amtsgericht Hamburg eine händische Durchsicht derjenigen Akten erfolgen, in denen der Angeklagte aus der Haft vorgeführt wurde. Für das Jahr 2016 handelt es sich um 762 Haftverfahren, für das Jahr 2017 bislang um 570 Verfahren. Eine Auswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Hinzu kommt, dass sich die Akten im Geschäftsgang an unterschiedlichen Orten befinden, sodass kein Zugriff auf einen aussagekräftigen Aktenbestand möglich ist. Zwischen dem 4. Quartal 2016 und dem 3. Quartal 2017 sind zwei Fälle der Hauptverhandlungshaft gemäß § 127b StPO registriert. 4. In der Antwort des Senats auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/7487 wird darauf verwiesen, dass die zuständige Behörde die Möglichkeit der Ausweitung von beschleunigten Verfahren in der Praxis prüft; mittlerweile sind neun Monate vergangen. Wurde diese Prüfung zwischenzeitlich abgeschlossen? Falls ja, welche konkreten Maßnahmen wurden getroffen? Falls nein, weshalb nicht und wann wird dies der Fall sein? Siehe Vorbemerkung. 5. Laut eines Berichts von WDR online vom 13.12.2016 beschäftigen sich an bestimmten Amtsgerichten in Nordrhein-Westfalen einzelne Richter Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10740 3 ausschließlich mit beschleunigten Verfahren. Inwiefern zieht die zuständige Behörde eine solche Vorgehensweise beispielsweise für einzelne Abteilungen Hamburger Amtsgerichte in Betracht? Pläne für eine Konzentration von beschleunigten Verfahren auf bestimmte Abteilungen der Amtsgerichte bestehen nicht und werden von der gerichtlichen Praxis auch nicht für sinnvoll gehalten. 6. Gerade in Anbetracht des Umstandes, dass die Haftplatzkapazitäten in Hamburgs Justizvollzugsanstalten äußerst knapp sind, ist es unverhältnismäßig , dass mutmaßliche Täter, die sich beispielsweise lediglich wegen des Verdachts des Ladendiebstahls in Untersuchungshaft befinden , teilweise mehrere Monate in der Untersuchungshaftanstalt auf ihren Prozess warten, der dann mit Einstellungen nach § 153a StPO endet. Gerade für diese Tatverdächtigen ist das beschleunigte Verfahren nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich. Ist der zuständigen Behörde bekannt, wie viele Untersuchungshaftgefangene sich aktuell wegen des Verdachts des Diebstahls (ohne Wohnungseinbruchsdiebstahl) in der UHA oder der JVA Billwerder befinden? Falls ja, wie viele sind dies? 7. Wie bewertet die zuständige Behörde die Wirkung des beschleunigten Verfahrens auf das Verhalten der Angeklagten sowie auf die Abschreckung potenzieller Täter? Zum Stichtag 24. Oktober 2017 befanden sich 115 Untersuchungshäftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder und 104 Untersuchungshäftlinge in der UHA Hamburg, bei denen – möglicherweise neben weiteren Delikten – Diebstahlsvorwürfe gemäß §§ 242, 243 und 244 StGB (ohne Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß § 244 Absatz 1 Nummer 3 StGB) als Tatvorwurf notiert war. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.