BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10750 21. Wahlperiode 30.10.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 24.10.17 und Antwort des Senats Betr.: Gefährdungseinschätzung Die Sondersitzung des Innenausschusses zur Messerattacke am 28. Juli 2017 in Barmbek thematisierte unter anderem die Gefährdungseinschätzung. Demnach werden „anhand von Verdachtskriterien und entsprechenden Verhaltensweisen und Verhaltensmuster(n) (…) Menschen betrachtet (…).“, um letztendlich eine Prognose darüber zu stellen, ob von diesen Personen eine bestimmte Gefahr ausgehe, eine Straftat zu begehen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie lauten die bundesweiten Richtlinien zur Einstufung als Gefährder/- in? Gibt es Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Kategorien wie etwa linksextrem, rechtsextrem und islamistisch? Wenn ja, worin bestehen diese? Wenn nein, warum wurden keine Unterscheidung vorgenommen? Die Definition eines Gefährders ist für alle Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) anwendbar. Beim Zuordnen der Gefährder erfolgt eine Unterscheidung in die Phänomenbereiche PMK -links-, PMK -rechts-, PMK -ausländische Ideologien-, PMK -religiöse Ideologien- und PMK -nicht zuzuordnen-. Im Übrigen siehe Drs. 21/8652. 2. Welche Verhaltensweisen und -muster sowie Persönlichkeitskategorien dienen zur Einstufung als Gefährder/-in? 3. Welches sind die Verdachtskriterien und Persönlichkeitskategorien für eine Einstufung als gewaltbereite Salafisten/-in? 4. Wie und durch wen wurden diese Verhaltensweisen und -muster erarbeitet ? Die Einstufung zum Gefährder erfolgt auf Basis der in Drs. 21/8652 genannten Definitionen , nach Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls. Bestimmte Verhaltensweisen und -muster sowie Persönlichkeitskategorien sind keine Bestandteile dieser Einstufung. Einstufungen als „gewaltbereiter Salafist“ im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht vorgenommen. Als Salafisten werden Anhänger einer Strömung des sunnitischen Islamismus bezeichnet, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch As-salaf als salih) beziehen und die Rückkehr zu den damaligen Herrschafts- und Rechtsformen anstreben. Als gewaltbereit wird eine Person oder eine Gruppe eingestuft, die für sich selbst gewalttätiges Handelns zur Durchsetzung politischer Ziele als legitimes Mittel ansieht. Die vorgenannten Definitionen und Einstu- Drucksache 21/10750 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 fungen basieren auf langjährigen Erfahrungswerten des Verfassungsschutzverbundes und wurden anlässlich zahlreicher Fachtagungen entwickelt und vereinbart. 5. Wie viele Personen befinden sich derzeit in Hamburg mit der Einstufung als Gefährder/-in? Bitte nach Alter, Geschlecht und Stadtteil des Wohnsitzes aufschlüsseln. Derzeit befinden sich drei männliche Personen im Sinne der Fragestellung in Hamburg . Diese sind 17, 19 und 25 Jahre alt und befinden sich in Haft. 6. Wie viele Taten im Bereich religiöser Extremismus/Salafismus gab es seit 2016 bis zum jetzigen Zeitpunkt? Bitte nach Geschlecht, Alter und Tatvorwurf aufschlüsseln. Laufende Nr. Deliktbezeichnung Anzahl Tatverdächtige (TV) Geschlecht / Alter TV 2016 1 § 241 Strafgesetzbuch (StGB) Bedrohung 1 m / 19 2 § 241 StGB Bedrohung unbekannt 3 § 223 StGB Körperverletzung unbekannt 4 § 129b StGB kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 1 m / 17 5 § 145 StGB Missbrauch von Notrufen 1 m / 29 6 § 241 StGB Bedrohung unbekannt 7 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten 1 m / 23 8 § 224 StGB Gefährliche Körperverletzung 1 m / 29 9 § 129b StGB kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 1 m / 26 10 § 129b StGB kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland 1 m / 23 11 § 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 1 m / 18 12 § 253 StGB Erpressung unbekannt 13 § 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 1 m / 17 14 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt 15 § 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unbekannt 16 § 252 StGB räuberischer Diebstahl unbekannt 17 § 131 StGB Gewaltdarstellung unbekannt 18 § 303 StGB Sachbeschädigung unbekannt 19 § 130 StGB Volksverhetzung 1 m / 22 20 § 20 Vereinsgesetz (VereinsG) Zuwiderhand-lungen gegen Verbote unbekannt 21 § 125 a STGB Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs unbekannt 22 § 306 StGB Brandstiftung unbekannt 23 § 20 VereinsG Zuwiderhandlungen gegen Verbote unbekannt 24 § 303 StGB Sachbeschädigung unbekannt 25 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt 26 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt 27 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt 28 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10750 3 Laufende Nr. Deliktbezeichnung Anzahl Tatverdächtige (TV) Geschlecht / Alter TV 2016 29 § 26 Versammlungsgesetz (VersammlG) Nichtangemeldete Versammlung 1 m / 46 30 § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten unbekannt 31 § 26 VersammlG Nichtangemeldete Ver-sammlung unbekannt 2017 1 § 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 2 m / 23, m / 25 2 § 129a StGB Bildung terroristischer Vereini-gungen 1 m / 24 3 § 241 StGB Bedrohung unbekannt 4 § 130 StGB Volksverhetzung 1 m / 28 5 § 224 StGB Gefährliche Körperverletzung unbekannt Bei den Fallzahlen 2017 handelt es sich um vorläufige Zahlen, die ständigen Veränderungen unterliegen und keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. a. Wie viele wurden aufgeklärt? Das Landeskriminalamt (LKA) hat in 14 Ermittlungsverfahren mindestens einen Tatverdächtigen ermittelt. b. In wie viele der aufgeklärten Fällen waren die Straftäter/-innen zuvor als Gefährder/-in eingestuft? In keinem. In zwei Fällen erfolgten Einstufungen der Person als Gefährder im Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie- zeitgleich mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren . 7. Als weiterer Schritt innerhalb der Gefährdungseinschätzung wird das Instrument der Personenkonferenz benannt. a. Welche Stellen und Personen nehmen an den Personenkonferenzen teil? Neben der Einstufung von Gefährdern findet auch ein Einschätzen von Personen statt, von denen eine Gefährlichkeit ausgehen könnte. Zur Bearbeitung der Einschätzungen werden in Einzelfällen auch sogenannte interdisziplinäre Fallkonferenzen mit anderen ebenfalls involvierten Stellen und Institutionen geführt. b. Wie viele Personenkonferenzen hat es bis zum jetzigen Zeitpunkt in Hamburg gegeben? Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung dieser Frage wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten der Abteilung Staatschutz (LKA 7) bei der Polizei erforderlich. Die Auswertung von mehreren Tausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. c. Wie sieht der konkrete Ablauf einer Personenkonferenz aus? Der Ablauf orientiert sich am Einzelfall und wird mit den teilnehmenden Institutionen und Behörden abgestimmt. d. Sind die Ergebnisse öffentlich? Wenn ja, wo können diese eingesehen werden? Wenn nein, warum nicht? Nein. Die Ergebnisse werden sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch aus Gründen einer potenziellen Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden nicht veröffentlicht. Drucksache 21/10750 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 8. In der Sondersitzung des Innenausschusses wurde „von der Einführung neuer Maßnahmen und Instrumente“ gesprochen. a. Welche neuen Maßnahmen und Instrumente sind damit gemeint? Und wann werden sie eingeführt? Der Leiter des LKA hat am 8. August 2017 eine Dienstanweisung zum „Bewertungsprozess von Hinweisen auf sich radikalisierende/verhaltensauffällige Personen mit islamistischem Hintergrund“ erlassen. Für die Erstbewertung der eingehenden Hinweise wurde beim LKA eine Arbeitsrate Zentrale Hinweisaufnahme (ZHA) eingerichtet. b. Welche Kosten werden für die Einführung veranschlagt? Wie werden diese Maßnahmen und Instrumente finanziert? Die der Polizei im Sinne der Fragestellung entstehenden Kosten werden nicht gesondert erhoben und sind generell von den im Haushalt der Polizei zur Verfügung stehenden Mitteln gedeckt. 9. In der Innenausschusssitzung vom 09.08.2017 wurde angekündigt, dass es eine erneute Überarbeitung von 400 Altfällen geben soll. a. Wie viele Fälle wurden bis jetzt der Erstdurchsicht unterzogen? b. Wie viele Fälle wurden priorisiert? c. In welche unterschiedlichen Kategorien werden die Fälle unterteilt? Alle 390 Altfälle wurden bei der Erstsichtung einer Vorpriorisierung unterzogen. Hiervon wurden 83 Fälle priorisiert bearbeitet. Seit der Umsetzung der LKA-Anweisung vom 8. August 2017 sind weitere 166 Hinweise bei der ZHA eingegangen, die ebenfalls priorisiert bearbeitet werden. Die Vorgänge wurden beziehungsweise werden in vier Kategorien eingestuft: Stufe 0: kein Hinweis auf eine sich radikalisierende/verhaltensauffällige Person mit islamistischem Hintergrund Stufe 1: konkreter Hinweis auf bevorstehende Gewalttaten Stufe 2: Annahme bevorstehender Gewalttaten Stufe 3: Hinweis auf Verhaltensauffälligkeit d. Welcher Zeitraum wurde für die Bearbeitung der 400 Altfälle angesetzt ? Bei der Bearbeitung der Altfälle handelt es sich um Einzelfallprüfungen, die ganz individuelle Zeitaufwendungen erfordern. Die Prüfungen werden kontinuierlich fortgesetzt; angestrebt wird, alle Altfälle bis Ende 2017 abschließend zu bearbeiten.