BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10828 21. Wahlperiode 10.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz/Leiden des Rechtsstandorts Hamburg – Unzumutbare Verfahrensverzögerungen nun auch beim Hanseatischen Oberlandesgericht ? Wir müssen in unserem Rechtsstaat dafür Sorge tragen, dass unsere Justiz handlungsfähig ist und Urteile in einem angemessenen Zeitraum erlassen werden können. Beim Hanseatischen Oberlandesgericht scheint die ordnungsgemäße Förderung der Verfahren – zumindest bei einigen Senaten – aktuell kaum noch möglich zu sein. Auf Sachstandsanfragen zu 2016 eingereichten Klagen hin teilte das Gericht einem Prozessbevollmächtigten mit, dass bedauerlicherweise wegen zeitlich vorrangig zu bearbeitender Eil- und älterer Verfahren mit einer Förderung der Sachen derzeit nicht gerechnet werden könne. Weiter heißt es dort: „Die Bearbeitungszeiten für beim Senat anhängige Berufungssachen (Hauptsacheverfahren) betragen im Schnitt rund 2 bis 2 1/2 Jahre seit Eingang der Berufung. Bei einigen Rechtsstreitigkeiten besteht auch in Hauptsachen eine besondere Eilbedürftigkeit. Das kann zu einer Verzögerung der Bearbeitung anderer Sachen führen, denn der Senat ist bemüht, die Bearbeitung derartiger Sachen vorrangig in Angriff zu nehmen. Der Senat geht derzeit davon aus, die vorliegende Sache nicht vor 2019 bearbeiten zu können, ist aber bemüht, die Sache schon vorher in Angriff zu nehmen.“ Sollte anschließend noch der Gang zum Bundesgerichtshof beschritten werden , hätte sich die Angelegenheit möglicherweise wegen Zeitablaufs erledigt. Hierbei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Bisweilen teilte der Senat bestimmte Bearbeitungszeiten mit, ohne dass diese dann eingehalten und Verfahren über viele Monate hinausgezögert werden. Dieser Zustand ist inakzeptabel, auch vor dem Hintergrund der Sicherung des Rechtsstandortes Hamburg. Denn der 3. Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist unter anderem zuständig für Kennzeichen- und Wettbewerbsrecht . Das Hanseatische Oberlandesgericht genießt unter anderem im Bereich des Wettbewerbsrechts einen bundesweit hervorragenden Ruf. Wettbewerbsrechtliche Rechtsstreitigkeiten erfordern jedoch zeitnahe Entscheidungen , da es regelmäßig um Unterlassungsansprüche geht, die kurzfristig und schnell vollstreckt werden müssen. Da sie nicht immer im Eilverfahren vorläufig vollstreckt werden können und eine Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung regelmäßig zu teuer und wegen potenzieller Schadensersatzansprüche riskant ist, laufen derartige Ansprüche de facto ins Leere und nach einigen Jahren hat sich die Sache dann häufig durch Zeitablauf erledigt. Auch wenn die Spezialkammern am Landgericht schnell und effektiv arbeiten , bleiben die Verfahren in der zweiten Instanz so am Ende stecken. Derart lange Verfahrensdauern in eiligen Angelegenheiten und mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung haben mit effektivem Rechtsschutz nichts mehr zu tun. Drucksache 21/10828 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zudem wird dadurch der Gerichtsstandort Hamburg im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes akut gefährdet. Parteien ziehen es zunehmend vor, auf andere Gerichtsstandorte, wie zum Beispiel Köln, auszuweichen, was aufgrund des sogenannten fliegenden Gerichtsstands regelmäßig möglich ist. Dort ist die Verfahrensdauer deutlich kürzer. Hinweisen zufolge sei der Ruf nach einem weiteren Senat oder anderer Aufgabenverteilung immer wieder verhallt. Dabei sind gerade solche Verfahren im gewerblichen Rechtsschutz auch für unsere Staatskasse durchaus lukrativ, da die Streitwerte hier selten unter 50.000 Euro, häufig bei bundesweit agierenden Unternehmen auch höher als 250.000 Euro liegen. So leisten unsere Wettbewerbskammern und -senate einen wesentlichen Deckungsanteil der Kosten unserer Rechtsprechung insgesamt. Von höheren Einnahmen würde daher der Gerichtsstandort Hamburg sogar profitieren. Der Reputation unseres Rechtsstandortes Hamburg stünde eine zügige Bearbeitung einhergehend mit der bundesweit anerkannten hohen Qualität gut zu Gesicht. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die zuständige Behörde überprüft ständig die Belastungssituation der einzelnen Gerichte und ist im Austausch mit den Gerichtsleitungen, um die Situation kontinuierlich zu bewerten und gegebenenfalls zu verbessern. Beim Hanseatischen Oberlandesgericht stand dabei die Entwicklung im Bereich der erstinstanzlichen Strafverfahren im Fokus, da es hier die größten Veränderungen gegeben hatte. Mit dem Doppelhaushalt 2017/2018 hat der Senat deshalb die Voraussetzungen für die Einrichtung eines weiteren Strafsenats geschaffen. Da aus den Zivilsenaten auch immer wieder der Strafbereich unterstützt werden musste, bestand die Erwartung, dass diese Maßnahme indirekt auch eine Entlastung für die Zivilsenate bringt. Außerdem sollte das Oberlandesgericht wenigstens teilweise an den Verstärkungen der erstinstanzlichen Gerichte partizipieren, da hierdurch die Erprobung von Richtern von Amts- und Landgericht beim Oberlandesgericht gefördert wird. Tatsächlich liegt auch eine besondere Belastung der Zivilsenate vor, die geprägt ist durch eine hohe Zahl von Kapitalanlagesachen. Beim Oberlandesgericht waren besonders im zweiten Halbjahr 2016 und im ersten Halbjahr 2017 erhöhte Eingangszahlen zu verzeichnen. Ein Abflauen dieser Welle wird erwartet und ist bei den Eingangszahlen des Landgerichts schon erkennbar. Zurzeit wird geprüft, ob die getroffenen Maßnahmen, deren Umsetzung erst im Laufe dieses Jahres abgeschlossen wurde, ausreichend waren oder ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hat sich die personelle Situation bei den Richtern am Hanseatischen Oberlandesgericht seit 2015 entwickelt? Bitte Stellenbestand und Besetzungsumfang in VZÄ jeweils zum Stichtag 30. Juni und 31. Dezember sowie aktuell angeben. Stichtag Stellenbestand Besetzungsumfang in VZÄ 30.06.2015 65,00 63,94 31.12.2015 65,00 63,89 30.06.2016 65,00 63,53 31.12.2016 65,00 63,77 30.06.2017 70,00 68,01 06.11.2017 70,00 69,53 2. Wie stellen sich die Neuzugänge seit 2015 bis zum 3. Quartal 2017 dar? Bitte nach Zivilsenaten, Strafsenaten und weiteren Senaten getrennt darstellen. 3. Wie stellen sich die Erledigungen seit 2015 bis zum 3. Quartal 2017, differenziert nach Urteil, streitigem Urteil, Vergleich, Beschluss nach § 522 Absatz 1 und 2 ZPO, Rücknahme und sonstiger Erledigung dar? Bitte Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10828 3 nach Zivilsenaten, Strafsenaten und weiteren Senaten getrennt darstellen . 4. Wie stellen sich die Bestände am Jahresende in den Jahren 2015 und 2016 sowie zum 3. Quartal 2017 dar? Bitte nach Zivilsenaten, Strafsenaten und weiteren Senaten getrennt darstellen. 5. Wie stellen sich die durchschnittlichen Verfahrensdauern seit 2015 bis zum 3. Quartal 2017 dar, auch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt? Bitte nach Zivilsenaten, Strafsenaten und weiteren Senaten getrennt darstellen. 6. Wie stellen sich die Eingänge pro Richter/in seit 2015 bis zum 3. Quartal 2017 dar, auch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt? Bitte nach Zivilsenaten , Strafsenaten und weiteren Senaten getrennt darstellen. 2015 2016 2017 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal Zivilsache Neuzugänge 2.218 2.597 686 576 * Erledigungen 1.893 2.182 546 553 * darunter streitiges Urteil 498 652 132 168 * gerichtlicher Vergleich 335 344 79 112 * Beschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO 25 35 7 8 * Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO 410 368 115 101 * Rücknahme 487 652 178 145 * Sonstige Erledigung 138 131 35 19 * Bestand am Ende des Berichtszeitraums 2.586 3.001 3.141 3.164 * Durchschnittl. Verfahrensdauer in Monaten 12,4 12,9 11,8 13,3 * Eingänge pro Richter HH 85,8 87,9 - - * Eingänge pro Richter Bund2) 63,7 64,0 - - * Familiensachen Neuzugänge 724 678 178 152 164 Erledigungen 763 732 175 156 161 darunter Beschluss 437 437 109 88 92 gerichtlichen Vergleich 100 95 15 20 19 Rücknahme 182 165 41 39 45 Sonstige Erledigung 44 35 10 9 5 Bestand am Ende des Berichtszeitraums 497 443 446 442 445 Durchschnittl. Verfahrensdauer in Monaten 8,4 8,5 8,5 8,0 7,5 Eingänge pro Richter HH 96,5 95,1 - - - Eingänge pro Richter Bund2) 73,4 69,9 - - - Strafsachen I. Instanz Neuzugänge 2 4 1 2 4 Erledigungen 2 2 2 0 0 darunter Urteil 2 2 2 0 0 Rücknahme 0 0 0 0 0 Sonstige Erledigung 0 0 0 0 0 Bestand am Ende des Berichtszeitraums 1 3 2 4 8 Durchschnittl. Verfahrensdauer in Monaten 5,5 3,2 5,3 0,0 0,0 Eingänge pro Richter HH 1,3 2,7 Revisionsinstanz Neuzugänge 215 214 55 61 54 Erledigungen 211 190 59 62 70 darunter Urteil 5 6 1 1 3 Rücknahme 13 14 5 3 3 Drucksache 21/10828 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 2015 2016 2017 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal Sonstige Erledigung 193 170 53 58 64 Bestand am Ende des Berichtszeitraums 41 65 61 60 44 Durchschnittl. Verfahrensdauer in Monaten 2,6 2,1 4,0 2,5 3,2 Eingänge pro Richter HH 135,2 108,1 Revisionen und Rechtsbeschwerden Eingänge pro Richter Bund 152,7 157,7 ** ** ** * Die Daten für das 3. Quartal 2017 liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor. ** Die Daten des Bundesdurchschnitts werden nur einmal im Jahr ermittelt und liegen somit für das Jahr 2017 erst im Herbst 2018 vor. Darüber hinaus werden keine Daten zur 1. Instanz Strafsachen bei den Oberlandesgerichten ausgewertet. 7. Wie beurteilt die zuständige Behörde den Umstand, dass Parteien in Zivilverfahren bezüglich einer Förderung ihrer Verfahren auf das Jahr 2019 vertröstet werden? Siehe Vorbemerkung.