BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10833 21. Wahlperiode 10.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 02.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Hat der Senat alle Kinder im Blick, die aus unterschiedlichen Gründen ihrer Schulpflicht nicht nachkommen können? Der Senat antwortet in meiner Schriftlichen Kleinen Anfrage (Drs. 21/6781), dass der Wunsch von Eltern, ihre Kinder zu Hause unterrichten zu lassen, kein Grund für eine Befreiung von der Schulpflicht darstellt. Um verifizieren zu können, vor welchem Hintergrund solcherart von Schulpflichtverletzungen stattfinden, braucht es aus meiner Sicht eine intensivere Ursachenforschung. Ich frage den Senat: Gemeinsam mit anderen Kindern oder Jugendlichen der eigenen Altersgruppe zur Schule zu gehen, ist Pflicht und Recht aller jungen Hamburgerinnen und Hamburger. Die Hamburger Schulen sind auch darauf eingestellt, dass manche Schülerinnen und Schüler aus gesundheitlichen Gründen besondere Angebote oder eine besondere Gestaltung des Schulalltages benötigen. Dies kann die Befreiung von einzelnen Unterrichtsfächern, besondere Aufgabenstellungen in der laufenden Unterrichtsarbeit und Nachteilsausgleich bei Klassenarbeiten und Prüfungen umfassen und kann nur im Einzelfall im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, ihren Sorgeberechtigten und gegebenenfalls Ärzten entschieden werden. Diese Einzelfälle werden nicht statistisch erfasst. Schülerinnen und Schülern, die krankheitsbedingt für längere Zeit die Schule nicht besuchen können, insbesondere weil sie stationär behandelt werden, werden durch den Haus- und Krankenhausunterricht (siehe § 12 Absatz 5 Hamburgisches Schulgesetz ) unterstützt, um nach Möglichkeit den Anschluss an die Lerngruppe nicht zu verlieren . Hierfür kann ein Antrag auf Mobilen Unterricht beim Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit (BBZ) gestellt werden. In jedem Einzelfall werden individuelle Vereinbarungen im Rahmen der Erkrankung des Schülers beziehungsweise der Schülerin getroffen. Wer aus gesundheitlichen Gründen die Schule nicht besuchen kann, verletzt die Schulpflicht nicht und muss keine Zwangsmaßnahmen befürchten. Daten über gesundheitliche Auffälligkeiten und die Medikation von Schülerinnen und Schülern werden in den Schulen und der zuständigen Behörde nur dann erhoben, wenn es für schulische Zwecke erforderlich ist. Sehr viel mehr Schülerinnen und Schüler leiden unter gesundheitlichen Auffälligkeiten und nehmen Medikamente ein, als den Schulen bekannt ist, für ihre Zwecke bekannt sein muss und aus datenschutzrechtlichen Gründen bekannt sein darf. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Schüler/-innen an den staatlichen Hamburger Schulen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand 1.11.2017) laut Zentralem Schülerregister (ZSR) länger als sechs Wochen von der Schulpflicht befreit und Drucksache 21/10833 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 aus welchen Gründen jeweils? (Bitte, nach Schulformen getrennt, in absoluten Zahlen und in Prozent in einer Excel-Tabelle angeben.) a. In welchen Jahrgangstufen befinden sich diese Schüler/-innen jeweils? (Bitte entsprechend in der Tabelle zu 1. angeben.) Eine Auswertung nach einzelnen Schulformen und Jahrgangsstufen ist mittels des ZSR nicht möglich, da diese Datenbank der Überwachung der Schulpflicht der einzelnen Schülerinnen und Schüler und nicht statistischen Zwecken dient. In der Anlage sind die Zahlen bezogen auf alle Schulen Hamburgs und Schülerinnen und Schüler in allen Jahrgangsstufen dargestellt. 2. Wie viele Schüler/-innen an den staatlichen Hamburger Schulen waren jeweils in den Schuljahren 2014/2015, 2015/2016 und 2016/2017 laut Zentralem Schülerregister (ZSR) länger als sechs Wochen von der Schulpflicht befreit und aus welchen Gründen jeweils? (Bitte, nach Schulformen getrennt, in absoluten Zahlen und in Prozent in einer Excel- Tabelle angeben.) a. In welchen Jahrgangstufen befanden sich diese Schüler/-innen jeweils? (Bitte entsprechend in der Tabelle zu 2. angeben.) Siehe Antwort zu 1. Sinnvolle Auswertungen für vergangene Zeitpunkte sind mittels des ZSR nicht möglich , da die entsprechenden Informationen nur für jeden einzelnen Schüler aufgerufen werden können. 3. In der Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage (Drs. 21/6781) führt der Senat mehrere Gründe für die Befreiung von der Schulpflicht an. Zum Beispiel: „Befreiung aus wichtigem Grund, bei hinreichendem Grund oder gleichwertiger Förderung“ oder „Ohne Angabe“ oder „Sonstige “. Bitte diese drei Kategorien in der aktuellen Schriftlichen Kleinen Anfrage näher spezifizieren und ausführen. Siehe Dienstanweisung Zentrales Schülerregister vom 27.02.2015 (MBlSch S. 1 fortfolgende ): http://www.hamburg.de/contentblob/4461196/ 2f2d517b49a80e57517c5bab16354951/data/mbl-01-2015.pdf sowie die Anlage. Der sachliche Hintergrund der jeweiligen Befreiungs- oder Beurlaubungstatbeständen ergibt sich aus den in der Dienstanweisung zitierten Vorschriften des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG). 4. Wie groß ist gegenwärtig die Anzahl der Schüler/-innen an staatlichen Hamburger Schulen (Stand 1.11.2017), die aus psychischen Gründen ihrer Schulpflicht nicht nachkommen können, und in welcher Jahrgangsstufe befinden sie sich? (Bitte, nach Schulformen getrennt, in absoluten Zahlen und in Prozent in einer Excel-Tabelle angeben.) a. Wie hoch war die Anzahl der Schüler/-innen an staatlichen Hamburger Schulen, die aus psychischen Gründen ihrer Schulpflicht nicht nachkommen konnten, in den Schuljahren 2014/2015, 2015/2016 und 2016/2017, und in welcher Jahrgangsstufe befanden sie sich? (Bitte entsprechend in der Tabelle zu 4. angeben.) Die Diagnose von psychischen Erkrankungen ist niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern und -psychiaterinnen sowie Fachinstitutionen vorbehalten. Weder in den Schulen noch bei Meldungen von Schulpflichtverletzungen werden die Art der Erkrankung von Schülerinnen und Schüler laut ärztlicher Diagnose erfasst. Schülerinnen und Schüler, die „krankgeschrieben“ sind, können aus eben diesen Gründen ihrer Schulpflicht nicht nachkommen. Sie verletzen also nicht ihre Schulpflicht, sondern können ärztlich bescheinigt wie andere erkrankte Schülerinnen und Schüler aus gesundheitlichen Gründen nicht am Regelunterricht teilnehmen. 5. Wie geht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde mit „Fällen “ von Schülern/-innen um, die aus psychischen Gründen ihrer Schul- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10833 3 pflicht nicht nachkommen können, welche konkreten Maßnahmen werden diesbezüglich getroffen? (Bitte nennen und jeweils erläutern.) Siehe Antwort zu 4. und Vorbemerkung. 6. Bezogen auf Frage 5.: Gibt es dabei Einzelentscheidungen oder folgt die Behörde bestimmten regelhaften Vorgaben und wenn ja, welchen genau? (Bitte erläutern und Fundort der Vorgaben nennen und diese als Datei anfügen.) 7. Wie häufig wurden im abgefragten Zeitraum bezogen auf diese Schüler -/-innengruppe (siehe Frage 4.) Zwangsmaßnahmen gegen Eltern und/oder deren Kinder angewendet? Wenn es diese gab, in welcher Form jeweils? (Bitte für jedes Schuljahr, nach Schulformen getrennt, in absoluten Zahlen und in Prozent in einer Excel-Tabelle angeben.) Siehe Vorbemerkung. 8. Wie hoch ist die Zahl der Schüler/-innen, die gegenwärtig (Stand 31.10.2017) in psychiatrischer Behandlung sind? (Bitte, nach Schulformen getrennt, mit Angabe der Jahrgangsstufe in absoluten Zahlen und in Prozent in einer Excel-Tabelle angeben.) Der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständigen Behörde (BGV) liegen keine Daten über die Anzahl der Schülerinnen und Schüler vor, die in psychiatrischer Behandlung sind. Die Hamburger Krankenhausstatistik erfasst die Belegungsdaten der in den Hamburger Plankrankenhäusern behandelten Fälle beziehungsweise Patientinnen und Patienten. Danach wurden im Jahr 2016 in den kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilungen der Hamburger Plankrankenhäuser insgesamt 1.881 vollstationäre Fälle behandelt. Hinzu kommen 410 teilstationär behandelte Patientinnen und Patienten. Darüber hinaus haben die psychiatrischen Institutsambulanzen der Fachabteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburger Plankrankenhäusern im Jahr 2015 rund 5.800 Fälle (Quartale) abgerechnet (Angaben der Hamburger Krankenhäuser mit Fachabteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie). Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Gab/gibt es Schüler/-innen, die aufgrund von Schulabsentismus inhaftiert waren/sind? Wenn ja, wie hoch war/ist deren Anzahl und in welchem Alter waren/sind sie jeweils? (Bitte für die Schuljahre 2014/2015, 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018 (Stand 31.10.2017) in absoluten Zahlen in einer Excel- Tabelle angeben.) Gemäß § 98 Absatz 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) kann Jugendarrest – nicht Haft – gegen eine Jugendliche beziehungsweise einen Jugendlichen oder eine Heranwachsende beziehungsweise einen Heranwachsenden verhängt werden, wenn diese beziehungsweise dieser eine gegen sie beziehungsweise ihn festgesetzte Geldbuße nicht zahlt und auch einer jugendrichterlichen Anordnung gemäß § 98 Absatz 1 OWiG nicht nachkommt. Die erfragten Daten werden in der Form statistisch nicht erfasst und können daher nicht nach Schuljahren differenziert angegeben werden. Auch das Alter der Arrestantinnen und Arrestanten wird hier bei Schulordnungswidrigkeiten nicht gesondert statistisch nachgehalten. Hierzu müssten die Akten händisch ausgewertet werden, was in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Dies vorausgeschickt, wird die Frage wie folgt beantwortet: Kalenderjahr  Arrestantritte  2014  37  2015  46  2016  45  2017 (Stand 31.10.2017)  21  Drucksache 21/10833 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Quelle: Daten der Justizbehörde 10. Wie hoch war/ist die Zahl der Familien, die das Sorgerecht aufgrund von Schulabsentismus verloren haben? (Bitte für die Schuljahre 2014/2015, 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018 (Stand 31.10.2017) in absoluten Zahlen in einer Excel-Tabelle angeben.) Es wird statistisch nicht erfasst, ob ein Sorgerechtsentzug aufgrund von Schulabsentismus erfolgt. In der Verfahrenssoftware forumSTAR wird lediglich der Gegenstand „Elterliche Sorge“ erfasst. Zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 31. Oktober 2017 sind vor den Hamburger Familiengerichten insgesamt 14.588 Verfahren mit diesem Gegenstand anhängig gemacht worden. Eine händische Auswertung der Verfahrensakten im Hinblick darauf, ob ein Sorgerechtsentzug erfolgt ist, und wenn ja, ob dieser auf Schulabsentismus beruht, ist in der für die Beantwortung von Parlamentarischen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 11. Hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde (hier auch Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz) Kenntnis darüber, wie viele Schüler/-innen Medikamente wie Methylphenidat, beziehungsweise Ritalin einnehmen, um der Schulpflicht nachkommen, beziehungsweise dem Unterrichtsgeschehen folgen zu können? Wenn ja, bitte für die Schuljahre 2014/2015, 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018 (Stand 31.10.2017) mit Angabe von Schulform und Jahrgangsstufe in absoluten Zahlen in einer Excel-Tabelle angeben. Der für Gesundheit zuständigen Behörde liegen hierzu keine Daten vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. a. Wenn nein, wie bewertet der Senat die Erhebung des Verbandes der Ersatzkassen vor einigen Jahren, die besorgniserregende Zahlen dazu vorlegte. „In keinem Bundesland schlucken so viele Kinder Medikamente gegen das Zappelphilipp-Syndrom wie in Hamburg! Pro 1000 Kinder bekommen fast 19 diese Psycho-Pillen – das sind doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt.“ (Quelle: http://www.mopo.de/5008572.) 12. Welche Reaktion gab es seitens des Senates beziehungsweise der zuständigen Fachbehörden bezüglich des vor circa drei Jahren erhobenen Ergebnisses, dass 5.000 gesetzlich versicherte Hamburger Kinder und Jugendliche diesen Wirkstoff täglich schlucken, also pro 1.000 Kinder in Hamburg 18,6 Prozent durchschnittliche Tagesdosen verordnet werden, 50 Prozent mehr als im bundesweiten Durchschnitt? (Bitte ausführlich schildern.) a. Sollten es keine Reaktionen gegeben haben, warum nicht? Fühlt sich der Senat beziehungsweise fühlen sich die betroffenen Behörden nicht zuständig? Wenn dem so ist, warum? (Bitte sachlich und fachlich begründen.) Hierzu liegen der für Gesundheit zuständigen Behörde keine aktuellen Daten vor. Im Übrigen siehe Drs. 20/8834. Ziffer aus der Dienstanweisung ZSR Kurzbeschreibung Anzahl der SuS Ziffer A II 1 und 2 Hamburgische SuS, die eine Schule in einem anderen Bundesland besuchen 556 Ziffer A III 1a Beurlaubung vom Unterricht für mehr als sechs Wochen bis zu einem Jahr wegen Schüleraustausches oder Besuch einer vergleichbaren Schule im Ausland 274 Ziffer A III 1d Beurlaubung zur Teilnahme an einer außerschulischen Qualifizierungsmaßnahme bspw. einer Produktionsschule 308 Ziffer A III 2a Befreiung aus wichtigem Grund bei hinreichendem Unterricht oder gleichwertiger anderweitiger Förderung 40 Ziffer A III 2b Befreiung von der Schulpflicht nach §39 Absatz 2 Satz 2 HmbSG wegen Ausbildung im öffentlichen Dienst 2 Ziffer A III 2c Feststellung, dass wegen andauerndem Aufenthalts außerhalb Hamburgs der Schulbsuch am Aufenthaltsort erfolgt (gilt nicht für Gastschülerinnen und -schüler nach Ziffer A II und Auslandsaufenthalte nach Ziffer A III 1a) 267* Ziffer A III 2f Zurückstellung vom Schulbesuch (§ 38 Absatz 3 HmbSG) 322 Ziffer A III 3a oder 3b Ruhen der Schulpflicht wegen Niederkunft oder Wehroder Zivildienst 150 sonstige in der Dienstanweisung ZSR genannte Gründe 121 Ziffer A I 5 vom VSK-Besuch befreite SuS nach §28 a III Satz 1 HmbSG (vor Beginn der tatsächlichen Schulpflicht)** 401 Gesamt 2441 Quelle: Interne Daten der zuständigen Behörde, Stand: 03.11.2017 Aktuelle Befreiungen von der Schulpflicht (Stand: 03.11.2017) ** Es handelt sich um Kinder, bei denen im Rahmen der 4,5 Jährigen Testung ein Sprachförderbedarf festgestellt wurde und diese vom Besuch einer Vorschulklasse befreit sind, da sie eine Kita besuchen. * Die Zahl wird sich im Laufe des Schuljahres vermutlich auf rund 900 erhöhen. Die aktuellen Auslandsschulbescheinigungen liegen zuzeit noch nicht vollständig vor bzw. wurden noch nicht verarbeitet. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10833 5 Anlage 10833ska_text 10833ska_Antwort_Anlage