BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10879 21. Wahlperiode 14.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Thering (CDU) vom 07.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Überschwemmungsgebiet Berner Au Die Berechnungen des Ingenieurbüros Golder Associates GmbH weisen bezüglich der Simulationsrechnung mit dem Niederschlags-Abflussmodell für die Berner Au einige Unstimmigkeiten auf. Das Ereignis vom 19.08.1994 sollte laut Rechnung gut 40 Prozent größer ausgefallen sein als der 100-Jahres- Wert. Dieser wurde aber weder von den Anwohnern bemerkt noch berichteten die Zeitungen darüber, und die Aufzeichnungen am Pegel Berner Allee zeigten einen Wert, wie er alle zwei – drei Jahre vorkommt. Kurz: Dieses Ereignis hatte in der angegebenen Stärke nicht stattgefunden. Da es aber signifikanten Einfluss auf den 100-Jahres-Wert hat, muss dieser neu berechnet werden. Nachdem Anwohner die BUE auf diesen Widerspruch hingewiesen hatten, kam es nach mehreren Monaten, am 30.08.2017, zu einem Gespräch zwischen vier Vertretern der Behörde sowie drei Anwohnern . Die behördliche Seite führte zuerst aus, dass das Ereignis vom 19.08.1994 durch einen Dateneingabefehler der Niederschlagswerte zu hoch berechnet wurde und präsentierte anstelle des ursprünglichen Abflusswertes von 6,67 cbm/s, nun einen neuen Wert von 3,74 cbm/s. Der neue Wert ist interessanterweise so niedrig, dass dieser in der Presse nicht als katastrophales Ereignis aufgeführt werden musste. Andererseits handelt es sich aber immer noch um den höchsten Wert der Stichprobe. Der zweithöchste Wert ist 3,71 cbm/s vom Juli 2002. Durch eine abgeänderte Auswertung unter Zuhilfenahme einer untauglichen Extremwertverteilung wurde erreicht, dass der 100-Jahres-Wert unverändert blieb, sodass sich an der Ausdehnung des Überschwemmungsgebietes Berner Au auch nichts ändern sollte. Seit etwa neun Monaten forderten die Anwohner die Behörde für Umwelt und Energie (BUE) auf, zu den grundlegenden Berechnungen zum Überschwemmungsgebiet Berner Au eine Validierung vorzulegen, wie es das Regelwerk DWA-M-552 vorsieht. Dies ist jedoch bis heute nicht vollständig erfolgt. Zwar gibt es Ansätze einer Validierung mit dem Pegel Wandsbeker Allee, doch dieser Ort liegt circa 10 km unterhalb des vermeintlichen Überschwemmungsgebietes und circa 92 Prozent des hier vorbeifließenden Wassers kommt aus anderen Zuflüssen und hat mit dem vermeintlichen Überschwemmungsgebiet nichts zu tun. Der einzig vernünftige Ort für eine Validierung wäre der Pegel Berner Allee. Aus einer Senatsantwort auf eine Schriftliche Kleine Anfrage (Drs. 21/9690) geht hervor, dass an diesem Pegel eine Kalibrierung der Rechnung mit einem Ereignis vom Juli 2002 und eine Validierung mit einem Ereignis vom August 2006 vorgenommen wurden. An diesem Pegel gibt es laut Aussage der BUE seit 2001 neben den Tagesmittelwerten auch Aufzeichnungen von den Tagesspitzenwerten des Wasserstandes . Am 27.09. konnte die zuvor erwähnten Anwohner bei dem LSBG die Wasserstandsaufzeichnungen am Pegel Berner Allee einsehen. Mit diesen Wasserstandsspitzenwerten und einer in dem Bericht der EPK-Inge- Drucksache 21/10879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nieure gegebenen Schlüsselkurve, können indirekt gemessene Abflüsse ermittelt werden. Die folgende Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung aller Jahres-Ereignisse, für die sowohl rechnerisch simulierte als auch indirekt gemessene Abflüsse vorliegen. Versuch der Validierung der NA-Rechnung am Pegel Berner Allee Datum Ereignis (Beginn der Simulation) Gemessener Pegelstand, Spitzenwert (m) Indirekt gemessener Abfluss (cbm/s) Mit NA- Modell simulierter Abfluss (cbm/s) Abweichung (%) Bemerkungen 10.08.1994 21.71 1.22 3.74 +205 31.08.2001 21.78 1.49 1.09 -27 10.07.2002 22.20 3.58 3.71 +4 Kalibrierung 10.05.2003 21.72 1.26 0.88 -30 15.09. 2004 21.70 1.19 1.80 +51 15.07. 2005 21.70 1.19 1.84 +55 07.08. 2006 21.66 1.05 1.09 +3 Offizielle Validierung Abweichungen kleiner als 5 Prozent würde man als sehr gut, kleiner als 10 Prozent als ausreichend werten. Größere Abweichungen sind in der Tabelle farbig markiert. Sie sind nicht tolerierbar, denn die anschließende Extremwertstatistik reagiert durchaus empfindlich auf solche Abweichungen. Das Ereignis vom Juli 2002, welches zur Kalibrierung genutzt wurde, weist „zufälligerweise “ eine geringe Abweichung auf. Die anderen aufgelisteten Ereignisse weichen stark ab, nur das vom August 2006 stimmt gut überein. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass es deshalb als „Alibi“ für eine vermeidliche Validierung herhalten muss. Eine Kopie der obigen Tabelle wurde bereits am 17.10. durch die involvierten Anwohner an die BUE sowie an den LSBG übermittelt. Bisher liegt dazu leider keinerlei Antwort vor. Ebenso blieben frühere Diskussionsbeiträge, zum Ausräumen von Fehlern in der Berechnung des Jahrhundert-Ereignisses mit den simulierten Abflüssen, unbeantwortet. Es scheint, dass die Senatsvorlage der BUE zur Ausweisung der zehn neuen ÜSG im Falle der Berner Au deutliche Mängel aufweist und daher als ungenügend einzustufen ist. Die mathematische Begründung ist fehlerhaft, eine Validierung kann offensichtlich nicht erbracht werden und Messungen werden ignoriert und zurückgehalten . Auch wurde eine Ausuferung der Berner Au in dem vermeintlichen ÜSG bisher nicht beobachtet. Dennoch hält die BUE an der endgültigen Festsetzung fest und täuscht damit die Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Länder sind gemäß § 76 Absatz 2 Nummer 1 Wasserhaushaltsgesetz verpflichtet, mindestens die Gebiete, in denen ein Hochwasserereignis statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist, durch Rechtsverordnung festzusetzen. Die Ermittlung der Gebiete erfolgt auf Grundlage naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisse und rechnerischer Ableitungen, insbesondere hydraulischer Modelle. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10879 3 Das Merkblatt M-552 der Deutschen (DWA) Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. „Ermittlung von Hochwasserwahrscheinlichkeiten“ befasst sich mit der Wahrscheinlichkeit von Hochwasserabflüssen. Die maßgeblichen Abflüsse der Berner Au wurden mit einem Niederschlag-Abfluss- Modell (N-A-Modell) ermittelt. Mit dem Einsatz solcher Modelle wird der Empfehlung zur Ermittlung sehr großer Jährlichkeiten gemäß Merkblatt DWA-M 552 gefolgt. Die Kalibrierung und Validierung dieses N-A-Modells ist anhand von Pegeldaten durchgeführt worden. Im Übrigen siehe Antwort Drs. 21/9690. Das Merkblatt DWA-M 552 behandelt nicht die Ermittlung der räumlichen Ausdehnung von Überschwemmungsgebieten mit 2-D-Modellen, welches an den neuen Überschwemmungsgebieten verwendet wurde. Das 2-D-Modell der Berner Au wurde am Ereignis Juli 2002 kalibriert und am Ereignis August 2006 validiert. Die in der Fragestellung aufgeführten Daten in der Tabelle sind nicht umfassend prüfbar und verständlich, da Sachverhalte der N-A-Modelle und 2-D-Modelle vermischt werden. Dementsprechend sind auch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wieso kam es seitens der BUE bis heute zu keiner Reaktion auf die Daten, die durch die involvierten Anwohner übermittelt wurden? Die angesprochenen Daten wurden der Behörde für Umwelt und Energie (BUE) am 17. Oktober 2017 per E-Mail zur Verfügung gestellt. Am 23. Oktober hat die BUE per E-Mail eine Eingangsbestätigung versendet. Die zuletzt gestellten Fragen zur Extremwertstatistik befinden sich noch in der Prüfung und werden nach Ende der Prüfung beantwortet. Insgesamt haben der LSBG und die BUE in mehreren Bürgergesprächen zahlreiche Fragen zur Berner Au beantwortet. 2. Was ist der Grund für diese starken Abweichungen innerhalb der Berechnungen (siehe Tabelle) und wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde diese? Siehe Vorbemerkung. 3. Warum wurde die Validierung nur mit einem Ereignis durchgeführt und warum wurde dafür das Ereignis mit dem geringsten Abflusswert ausgewählt , zumal beides nicht der DWA-M 552 entspricht? 4. Wieso ist bisher keine aussagekräftige Validierung (wie oben erläutert) durchgeführt worden? Die angeführte Validierung bezieht sich auf das 2-D-Modell. Das Merkblatt DWA-M 552 kann hierauf nicht angewendet werden. Das Vorgehen der Kalibrierung und Validierung der 2-D-Modelle entspricht den Erfahrungen des LSBG aus anderen durchgeführten Modellierungen, welche ausreichend genaue und plausible Ergebnisse ergaben. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Ist eine solche Validierung, die sich auf den Pegel Berner Allee gründet, derzeit in Planung? Wenn ja, wann soll diese erfolgen? Wenn nein, warum nicht? Nein, siehe Antwort zu 3. und 4. 6. Wieso werden Messungen und deren Ergebnisse zurückgehalten und der Öffentlichkeit nicht zeitnah dargelegt? Pegeldaten unterfallen der Veröffentlichungspflicht nach § 3 Absatz 1 Nr. 10 HmbTG und werden im Transparenzportal veröffentlicht. In Bezug auf Pegeldaten, die sich auf Drucksache 21/10879 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 die Zeit vor Inkrafttreten des HmTG beziehen, besteht ein Auskunfts- beziehungsweise Herausgabeanspruch nach § 12 HmbTG unter der Maßgabe, dass sie den Behörden als Aufzeichnung vorliegen (§ 2 Absatz 1 HmbTG). Diesem kommt die BUE auf Antrag (§ 11 HmbTG) nach. 7. Aus welchen konkreten Gründen hält die BUE so strikt an der Festsetzung des Überschwemmungsgebietes Berner Au fest? Sind hierzu Änderungen in Planung? Wenn ja, welche und für wann? Siehe Vorbemerkung, Änderungen am Verfahren sind nicht geplant.