BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10881 21. Wahlperiode 14.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Thering (CDU) vom 07.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Phantomphänomen „Schwarzstehen“ am Bahnsteig – Wie erfolgreich ist die „Bahnsteigkarte“ des HVV? Auf seiner Website führt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) in der „Übersicht Einzel- und Tageskarten“ unter der Rubrik „Zusatzkarten“ unter anderem die sogenannte Bahnsteigkarte an.1 Diese kostet 30 Cent und ist „gültig 1 Stunde für die Haltestelle, an der sie gelöst wurde“. Bahnsteigkarten an sich sind ein Relikt aus den frühen Tagen des Eisenbahnzeitalters . Dem Vorsitzenden der Bolschewiki-Partei, Lenin (Wladimir Iljitsch Uljanow), wird diesbezüglich folgender Ausspruch zugerechnet: „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte!“2 Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden an Bahnhöfen und Haltestellen in der BRD nach und nach die sogenannten Bahnsteigsperren zurückgebaut und die Bahnsteigkarten abgeschafft. Ab Anfang der 1970er- Jahre erfolgte diese Entwicklung auch in der DDR. In Deutschland haben heutzutage nur noch der HVV und der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) die Bahnsteigkarte in ihren Tarifbestimmungen verankert. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Gemäß § 6 Absatz 2 der Beförderungsbedingungen der Hamburger Verkehrsverbundes GmbH wird für den Aufenthalt innerhalb der abgegrenzten Bahngebiete, wie zum Beispiel Bahnsteige und deren Zugänge, ein gültiger Fahrausweis oder eine gültige Bahnsteigkarte benötigt. Die Bahnsteigkarte berechtigt innerhalb von einer Stunde nach ihrer Ausgabe zum Betreten des fahrkartenpflichtigen Bereichs der Haltestelle, an der sie gelöst wurde. Die Bahnsteigkarte ist bis zum Verlassen des an jeder Haltestelle deutlich markierten fahrkartenpflichtigen Bereichs aufzubewahren und dem Betriebspersonal auf Verlangen zur Prüfung vorzuzeigen oder auszuhändigen. Im großstädtischen Verkehr mit seinen hohen Fahrgastzahlen eignen sich zwecks Erreichung eines hohen Wirkungsgrades bei Fahrkartenprüfungen im besonderen Maße Kontrollen beim Abgang von den Bahnsteigen und dem Verlassen des fahrkartenpflichtigen Bereichs der Haltestelle. Die Ausgabe von Bahnsteigkarten stellt sicher, dass Personen, die nicht mit den Verkehrsmitteln fahren wollen, aber den Bahnsteig betreten möchten, zum Beispiel zur Begleitung von Fahrgästen von oder zu den Zügen, nicht in den Verdacht der Beförderungserschleichung geraten. Dies ist insbesondere bei Kontrollen an stark frequentierten Haltestellen von Bedeutung, damit auch bei starkem Fahrgastaufkommen die Kon- 1 http://www.hvv.de/fahrkarten/einzelkarten-tageskarten/uebersicht/index.php, letzter Zugriff: 6.11.2017. 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnsteigsperre, letzter Zugriff: 6.11.2017. Drucksache 21/10881 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 trolle aller Fahrgäste schnell und effizient erfolgen kann. In der Praxis wird diese Regelung von den Fahrgästen sehr gut akzeptiert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Hamburger Verkehrsverbund GmbH (HVV), der Hamburger Hochbahn AG (HOCHBAHN) und der Deutschen Bahn AG (DB AG) wie folgt: 1. Wie viele HVV-Bahnsteigkarten wurden seit 2011 insgesamt gelöst und wie viele davon an Haltestellen in Hamburg? Bitte jahresweise aufschlüsseln und auch für das laufende Jahr angeben. HVV-Tarifgebiet insgesamt: Jahr Hochbahn S-Bahn 2011 5327 4368 2012 4691 3529 2013 4367 528 2014 4995 - 2015 4920 4004 2016 5521 3479 2017 5205 2724 Hamburg: Jahr Hochbahn S-Bahn 2011 4230 3924 2012 3975 3055 2013 3776 442 2014 4422 - 2015 4310 4004 2016 4981 3474 2017 4644 2723 Bei der DB AG können nur die Automatenverkäufe für die Zeiträume der Jahre 2011 bis Februar 2013, beziehungsweise der Jahre 2015 bis Oktober 2017 angegeben werden. Es erfordert eine sehr aufwändige manuelle Auswertung der Daten, welche in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. 2. Welches waren seit 2011 jeweils die zehn Haltestellen in Hamburg, wo die meisten HVV-Bahnsteigkarten gelöst wurden, und wie viele Bahnsteigkarten waren dies dort jeweils? Bitte jahresweise aufschlüsseln. Siehe Anlage. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 3. Wie haben sich die Einnahmen aus den insgesamt gelösten HVV- Bahnsteigkarten seit 2011 entwickelt und wie stellt sich diese Entwicklung für die an Haltestellen in Hamburg gelösten Bahnsteigkarten dar? Bitte jahresweise aufschlüsseln und auch für das laufende Jahr angeben . HOCHBAHN: Jahr Verkauf aus Fahrkartenautomaten (Anzahl) Verkauf an anderer Servicestelle (Anzahl) Erlöse in Euro Gesamt Hamburg Gesamt Hamburg 2011 5.327 4.230 27 1.598,10 1.269,00 2012 4.691 3.975 34 1.407,30 1.192,50 2013 4.367 3.776 120 1.310,10 1.132,80 2014 4.995 4.422 27 1.498,50 1.326,60 2015 4.920 4.301 19 1.476,00 1.293,00 2016 5.521 4.981 36 1.656,30 1.494,30 2017 5.205 4.644 31 1.561,50 1.393,20 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10881 3 S-Bahn: Jahr Verkauf aus Fahrkartenautomaten (Anzahl) Verkauf an anderer Servicestelle (Anzahl) Erlöse in Euro Gesamt Hamburg Gesamt Hamburg 2011 4.368 3.924 30 1.310,40 1.177,20 2012 3.529 3.055 25 1.058,70 916,50 2013 528 442 21 158,40 132,60 2014 N.N. N.N. N.N. - - 2015 4.004 4.004 28 1.201,20 1.201,20 2016 3.479 3.474 29 1.043,70 1.042,20 2017 2.724 2.723 31 817,20 816,90 Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 4. Wie wird es geahndet, wenn sich eine Person auf einem Bahnsteig an einer Haltestelle im Einzugsbereich des HVV aufhält und keine Bahnsteigkarte (und auch kein sonstiges HVV-Ticket) besitzt? Der Fahrgast hat gemäß § 9 Absatz 1 der Beförderungsbedingungen des Hamburger Verkehrsverbundes ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 60 Euro zu zahlen, wenn er bei Prüfungen in einem abgegrenzten Bahngebiet weder einen gültigen Fahrausweis noch eine gültige Bahnsteigkarte vorzeigt. Das erhöhte Beförderungsentgelt ist auch dann zu zahlen, wenn jemand ein Fahrzeug ohne gültigen Fahrausweis oder ein abgegrenztes Bahngebiet ohne gültigen Fahrausweis oder gültige Bahnsteigkarte verlässt. 5. Wie viele Verstöße wegen Nichtlösens von Bahnsteigkarten wurden seit 2011 im Einzugsbereich des HVV insgesamt sowie auf Hamburger Gebiet festgestellt? Bußgelder in welcher Höhe wurden dadurch verhängt und gegebenenfalls gezahlt? Wie viele Widersprüche wurden gegen entsprechende Bußgeldbescheide eingelegt und wie viele dieser Widersprüche waren erfolgreich? Bitte jahresweise aufschlüsseln und auch für das laufende Jahr angeben. Bei den Fahrkartenprüfungen wird nicht danach unterschieden, ob der Fahrgast keinen gültigen Fahrausweis vorweisen kann oder keine gültige Bahnsteigkarte besitzt. Statistische Daten darüber, wie viele Verstöße wegen des Nichtlösens von Bahnsteigkarten festgestellt wurden, liegen demzufolge nicht vor. 6. Wann wurde die Bahnsteigkarte in das Tarifsystem des HVV aufgenommen ? Die Bahnsteigkarte wurde mit Inkrafttreten des HVV-Gemeinschaftstarifs am 1. Dezember 1966 aus den vormals unternehmenseigenen Tarifen übernommen. 7. Inwiefern hat sich die Aufnahme der Bahnsteigkarte in das Tarifsystem des HVV aus heutiger Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde gelohnt? 8. Inwiefern hat sich die Aufnahme der Bahnsteigkarte in das Tarifsystem des HVV aus heutiger Sicht des HVV gelohnt? 9. Erachtet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die HVV- Bahnsteigkarte als zeitgemäß? 10. Erachtet der HVV die Bahnsteigkarte als zeitgemäß? Siehe Vorbemerkung. 11. Wie hat sich der Tarif für die HVV-Bahnsteigkarte seit 2011 entwickelt? Bitte jahresweise aufschlüsseln. Seit dem Jahr 2011 liegt der Preis für eine Bahnsteigkarte unverändert bei 30 Cent. 12. Kann die HVV-Bahnsteigkarte auch online beziehungsweise per App gelöst werden? Drucksache 21/10881 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein, warum nicht? Nein. Dies könnte zu Missbrauch führen, weil ein Fahrgast online eine Bahnsteigkarte anstatt einer regulären Fahrkarte kaufen könnte, um sich bei Kontrollen durch die Fahrkartenprüfdienste beim Verlassen der Haltestelle mit der Bahnsteigkarte auszuweisen . 13. Wird die HVV-Bahnsteigkarte auch in das geplante „Check-in/Be-out“- System integriert? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Der Erwerb einer Bahnsteigkarte ist im Check-in/Be-out-Verfahren nicht möglich, weil im Check-in/Be-out-Verfahren ausschließlich Personenfahrten innerhalb des Tarifgebietes abgerechnet werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 12. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10881 5 Anlage Zu Frage 2: Hamburger Hochbahn AG: 2011: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Horner Rennbahn 345 2 Hauptbahnhof 258 3 Jungfernstieg 227 4 Wandsbek Markt 220 5 Landungsbrücken 147 6 Niendorf Markt 131 7 Wartenau 111 8 Steinfurther Allee 101 9 Volksdorf 101 10 Ohlsdorf 96 2012: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Horner Rennbahn 356 2 Wandsbek Markt 249 3 Hauptbahnhof 242 4 Jungfernstieg 181 5 Ohlsdorf 141 6 Niendorf Markt 139 7 Wartenau 136 8 Barmbek 117 9 Langenhorn Markt 110 10 Landungsbrücken 102 2013: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Hauptbahnhof 300 2 Wandsbek Markt 205 3 Jungfernstieg 179 4 Horner Rennbahn 167 5 Niendorf Markt 139 6 Ohlsdorf 126 7 Barmbek 108 8 Langenhorn Markt 100 9 Überseequartier 92 Drucksache 21/10881 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 10 Wartenau 87 2014: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Horner Rennbahn 300 2 Hauptbahnhof 228 3 Schlump 191 4 Merkenstraße 176 5 Eppendorfer Baum 163 6 Langenhorn Markt 163 7 Wandsbek Markt 150 8 Jungfernstieg 148 9 Niendorf Markt 132 10 Ohlsdorf 111 2015: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Horner Rennbahn 240 2 Jungfernstieg 236 3 Wandsbek Markt 235 4 Langenhorn Markt 215 5 Hauptbahnhof 197 6 Schlump 179 7 Fuhlsbüttel 142 8 Habichtstraße 142 9 Ohlsdorf 141 10 Lutterothstraße 140 2016: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Wandsbek Markt 442 2 Hauptbahnhof 271 3 Horner Rennbahn 261 4 Jungfernstieg 234 5 Niendorf Markt 202 6 Barmbek 189 7 HafenCity Universität 189 8 Habichtstraße 179 9 Lutterothstraße 173 10 Mundsburg 170 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10881 7 2017: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Mundsburg 123 2 Wandsbek Markt 92 3 Hauptbahnhof 60 4 Horner Rennbahn 58 5 Lutterothstraße 48 6 Ohlsdorf 42 7 Barmbek 40 8 Habichtstraße 36 9 Sierichstraße 36 10 Landungsbrücken 35 Für das Jahr 2017 ist die Aufstellung aufgrund eines Systemwechsels nur bis einschließlich März abrufbar. S-Bahn: 2011: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Hauptbahnhof 628 2 Blankenese 592 3 Reeperbahn 406 4 Harburg Rathaus 232 5 Dammtor 186 6 Hamburg-Harburg 172 7 Altona 160 8 Veddel 102 9 Stadthausbrücke 91 10 Bergedorf 71 2012: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Hauptbahnhof 356 2 Reeperbahn 324 3 Harburg Rathaus 302 4 Blankenese 166 5 Altona 145 6 Harburg 112 7 Dammtor 110 8 Berliner Tor 82 9 Klein Flottbek 78 Drucksache 21/10881 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 8 Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 10 Veddel 75 2013: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Harburg Rathaus 50 2 Reeperbahn 50 3 Hauptbahnhof 46 4 Altona 33 5 Blankenese 28 6 Veddel 19 7 Harburg 18 8 Dammtor 16 9 Eidelstedt 15 10 Berliner Tor 12 2015: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Harburg Rathaus 962 2 Reeperbahn 287 3 Hauptbahnhof 248 4 Pinneberg 200 5 Holstenstraße 154 6 Blankenese 151 7 Harburg 108 8 Dammtor 102 9 Elbgaustraße 99 10 Bergedorf 92 2016: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Harburg Rathaus 512 2 Reeperbahn 457 3 Hauptbahnhof 287 4 Blankenese 148 5 Harburg 147 6 Dammtor 109 7 Bergedorf 98 8 Holstenstraße 96 9 Altona 94 10 Berliner Tor 83 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10881 9 2017: Nr. Haltestelle Anzahl der Bahnsteigkarten 1 Reeperbahn 479 2 Harburg Rathaus 355 3 Hauptbahnhof 241 4 Harburg 104 5 Blankenese 97 6 Landungsbrücken 89 7 Pinneberg 84 8 Dammtor 81 9 Holstenstraße 79 10 Bergedorf 75