BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/10986 21. Wahlperiode 21.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 14.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Geschlechteraspekt in der Präventionsarbeit In der Präventionsarbeit sowie in der Terrorismusbekämpfung waren Frauen als Gefährderinnen bis vor Kurzem kaum im Blick (vergleiche http://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/231380/ gender-reflektierte-praeventionsarbeit). Auch der Senat hat in seinem Konzept „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus auch in Zukunft fortsetzen“ (Drs. 21/2196) die Radikalisierung von Mädchen und Frauen knapp erwähnt, aber feststellen müssen, dass zu diesem Thema wenige Erkenntnisse zum tatsächlichen Ausmaß des Phänomens vorliegen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche frauenspezifischen Präventionsprojekte und -stellen für religiös motivierten Extremismus gibt es in Hamburg? 2. Welche frauenspezifischen Präventionsprojekte und -stellen sind noch geplant (in welchen Bereichen und Institutionen)? Die Entwicklung von mädchen-/frauenspezifischen Präventionsmaßnahmen ist eine Querschnittsaufgabe in allen Fachaufgaben der Regelsysteme sowie der im Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalsierung vertretenen Präventionsprojekte. Inhaltlich umfassen diese Angebote Informationen zum Islam im Allgemeinen, aber auch zu geschlechterspezifischen Themen wie Frauenbilder, Rolle der Frau, Umgang mit Diskriminierung und Ressentiments. Siehe hierzu Drs. 21/5139, Drs. 21/9538, Drs. 21/10107, Drs. 21/10592. Die Aufgaben der Regelsysteme werden durch ergänzende Maßnahmen flankiert: Die vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) angebotenen präventiven Schülerprojekte sind primär-präventiv ausgerichtet und werden daher mit der ganzen Klasse durchgeführt. Es ist dabei möglich, temporär in geschlechterhomogenen Gruppen zu arbeiten, wenn es inhaltlich sinnvoll ist. Daher werden die durchführenden Teams, sofern organisatorisch möglich, gemischtgeschlechtlich besetzt. Insbesondere die Module des Projektes „Wie wollen wir leben?“ wie auch Angebote des Trägers „Arbeit und Leben Hamburg“ gehen auf geschlechtersensible Fragestellungen ein. In der Elterngruppe der Beratungsstelle Legato wird die Thematik unter den Aspekten „Zugang und Motive von Mädchen in die salafistische Szene“ sowie „Frauenbild innerhalb der salafistischen Szene“ behandelt. Im Rahmen des Peer-Projektes des Fachrates Islamische Studien e.V. wurde im September 2017 planmäßig ein weiteres Bildungs- und Gesprächsangebot nur für Drucksache 21/10986 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Mädchen und Frauen in der Gemeinde Muslimisches Integrationszentrum e.V. in Rothenburgsort gestartet. Im Rahmen der Partnerschaften für Demokratie (Bundesprogramm „Demokratie leben!“) St. Georg, Mümmelmannsberg und Wilhelmsburg wurden in St. Georg folgende frauen-/mädchenspezifischen Einzelmaßnahmen gefördert: - Empowerment muslimische Mädchen, - Mädchengruppe Masjid Rahma Familienverein e.V., - International Women´s Empowerment Conference, - Frauen-Dialogforum. Darüber hinaus wurde in St. Georg ebenfalls im Rahmen der Partnerschaft für Demokratie die „St. Georger Erklärung – Gegen Gewalt an Frauen“ verabschiedet. Stadtteilbezogene Arbeitskreise in Wandsbek entwickeln Strategien zur Förderung der Akzeptanz von pluralen Lebensentwürfen. Ferner gibt es in mehreren Unterkünften Projekte mit Beratungs- und Empowerment-Angeboten zur Stärkung des Selbstbewusstseins geflüchteter Frauen. Die Justizbehörde prüft gegenwärtig in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Legato , inwieweit die bereits bestehenden geschlechtsunabhängigen Programme im Justizvollzug durch frauenspezifische Präventionsprojekte zu ergänzen sind. Die genannten Aufgaben und Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der bisherigen Praxiserfahrungen, neuer Erkenntnisse aus der Radikalisierungs- und Präventionsforschung sowie der aktuellen Lageeinschätzungen der beteiligten Fachbehörden regelmäßig aktualisiert und weiterentwickelt. 3. Welche Schritte ist der Senat seit der Veröffentlichung des Senatskonzeptes gegen gewaltbereiten Salafismus (Drs. 21/2196) bis zum jetzigen Zeitpunkt gegangen, um die selbst genannten „Erkenntnislücken“ zur Radikalisierung von Mädchen und Frauen zu füllen? a. Welche Untersuchungen und Forschungen wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt über die Radikalisierung von Mädchen und Frauen in Hamburg gemacht? b. Mit welchen Frauen und Frauengruppen wurde Kontakt hergestellt (vergleiche Drs. 21/2196, Seite 19), um weitere Erkenntnisse zum Thema zu erzielen? c. Welche Erkenntnisse liegen bis zum jetzigen Zeitpunkt zu geschlechtsspezifischen Motivlagen und Radikalisierungsprozessen vor? d. Welche Gegenstrategien beziehungsweise -maßnahmen wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt entwickelt? e. Welche interdisziplinäre Zusammenarbeit oder Arbeitskreise gibt es in Hamburg zu dem Thema? Im Sinne der Fragestellung ist eine auf Hamburg begrenzte Forschung nicht sinnvoll: Die Zielgruppe der radikalisierungsgefährdeten beziehungsweise radikalisierten Mädchen und Frauen ist zahlenmäßig gering, der Zugang zu ihnen für empirische Forschung kaum möglich; die extremistischen Szenen sind zudem überregional vernetzt. Die Innenministerkonferenz ist mit der Thematik „Salafismus: Frauen und Minderjährige “ befasst und verfolgt das Ziel, Erkenntnislücken zu schließen und Handlungsstrategien weiterzuentwickeln. Aus der bisherigen Forschung und Beratungsarbeit ist eine zentrale Erkenntnis, dass es den „einen“ Radikalisierungsverlauf nicht gibt. Hierbei wirkt eine Vielzahl individueller Faktoren zusammen. Dabei spielen neben familiären und sozialen Aspekten genderspezifische Themen wie Frauenbilder, Rolle der Frauen, Diskriminierungserfahrung eine wichtige Rolle. Die Radikalisierung von Mädchen und Frauen erfolgt nach bisherigen Kenntnissen oft im Verborgenen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/10986 3 Die Beratungsstelle Legato berät Mädchen und Frauen, wenn diese sich aus der Ideologie und Szene lösen möchten. Über den fachlichen Austausch mit Legato im Rahmen des Präventionsnetzwerkes fließen Erkenntnisse, soweit sie generalisierbar sind, in den weiteren Diskurs mit allen Netzwerkmitgliedern ein. In den Begleitausschüssen im Rahmen der Partnerschaften für Demokratie St. Georg, Mümmelmannsberg und Wilhelmsburg werden Einzelmaßnahmen hinsichtlich des Genderaspekts diskutiert. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 2.