BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11021 21. Wahlperiode 24.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 16.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Entzug der Freizügigkeit von EU-Bürgern/-innen Laut Schätzung des Senats leben in Hamburg 100.000 EU-Bürger/-innen. Laut EU-Freizügigkeitsrichtlinie gilt die Freizügigkeit nur unter bestimmten Bedingungen und kann auch entzogen werden. Seit einigen Wochen gibt es Hinweise darauf, dass der Entzug der Freizügigkeit und die darauffolgende Ausreiseaufforderung und gegebenenfalls Abschiebung insbesondere bei solchen EU-Bürgern/-innen vorgenommen werden, die wohnungslos in Hamburg leben und sich mit Gelegenheitsjobs oder dem Verkauf von Zeitungen über Wasser halten. Nachdem diesen Personen auch die Aufnahme in das Winternotprogramm verwehrt wird, liegt die Vermutung nahe, dass der Senat Vorgaben macht, die dieser Gruppe das Leben in Hamburg so unangenehm wie möglich machen sollen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Freizügigkeitsrecht, also das Recht von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern auf Einreise und Aufenthalt, ergibt sich bereits unmittelbar aus dem primären Unionsrecht , insbesondere aus Artikel 21 AEUV. Es steht dabei unter dem Vorbehalt der europarechtlichen Durchführungsbestimmungen, insbesondere der Richtlinie 2004/38/EG der sogenannten Freizügigkeitsrichtlinie. Danach genießen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die über einen gültigen Personalausweis oder Pass verfügen , in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht. Für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten müssen grundsätzlich die Freizügigkeitstatbestände nach Artikel 7 der Freizügigkeitsrichtlinie beziehungsweise § 2 Absatz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) vorliegen. Ob dies der Fall ist, kann die Ausländerbehörde nach § 5 Absatz 3 Freizüg G/EU aus besonderem Anlass überprüfen. In den vergangenen Jahren wurde in Hamburg vermehrt der Aufenthalt von Unionsbürgerinnen und -bürgern vornehmlich aus den osteuropäischen Ländern festgestellt, die sich nach diesen Feststellungen offenbar länger in Hamburg aufhielten, dabei aber keinen Wohnsitz begründeten oder vorgesehene andere Übernachtungsmöglichkeiten nutzten, sondern im öffentlichen Raum nächtigten und dem äußeren Anschein nach die Voraussetzungen für die Freizügigkeitstatbestände des § 2 Absatz 2 FreizügG/EU nicht erfüllten. Nach Auffassung der zuständigen Fachbehörde begründet eine länger als drei Monate andauernde Obdachlosigkeit den Anlass zur Überprüfung der Voraussetzungen gemäß § 5 Absatz 3 FreizügG/EU. Denn in diesen Fällen ist zu bezweifeln, dass die Betreffenden sich als Arbeitnehmer oder als Arbeitssuchende auf ein Freizügigkeits- Drucksache 21/11021 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 recht berufen können oder dass sie über ausreichende Existenzmittel gemäß § 4 Freizüg G/EU verfügen, um als Nichterwerbstätige Freizügigkeit zu genießen. In Abstimmung zwischen der Behörde für Inneres und Sport (BIS), der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) sowie der Bezirksämter wurde deshalb vereinbart, solche Personen, bei denen dem äußeren Anschein nach die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Freizügigkeit nicht vorliegen, mit dem Ziel zu überprüfen, die Situation entsprechend zu klären und bei Fehlen der Voraussetzungen für ein Freizügigkeitsrecht den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 4 FreizügG/EU festzustellen und die Personen zur Ausreise aufzufordern. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Unionsbürgerinnen und -bürgern der Zugang zum Winternotprogramm nicht verwehrt wird (siehe auch Drs. 21/6922 und 21/9747). Im Übrigen siehe Drs. 21/9058, 21/9317 und 21/9492. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Inwiefern ist es zutreffend, dass der ausländerbehördliche Umgang mit (wohnungslosen) Unionsbürgern/-innen in Hamburg in den vergangenen sechs Monaten geändert wurde? Die Prüfung des Vorliegens beziehungsweise des Fortbestandes der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 3 FreizügG/EU aus besonderem Anlass wird seit März 2017 bei der Zentralen Ausländerbehörde durchgeführt. Diese Aufgabe wird von Beschäftigten des Ankunftszentrums durchgeführt. a. Inwiefern ist eine politische Entscheidung/Weisung dafür verantwortlich ? Von wem wurde diese ausgesprochen/verfasst? Die Weisung wurde vom Staatsrat der BIS erteilt. b. Inwiefern liegen Anwendungshinweise zum Freizügigkeitsrecht aus Hamburg vor? Wenn ja, bitte anhängen. Der Staatsrat der BIS hat am 13. März 2013 die Fachanweisung nach § 45 Absatz 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes der BIS zum Ausländerrecht Nummer 2/2013 zur Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen erlassen: http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/fachanweisung-nr-2-2013-freizuegigkeitvon -unionsbuergern-und-ihren-familienangehoerigen. Diese Fachanweisung ist allerdings durch das Inkrafttreten der aktualisierten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU zum 3. Februar 2016 überholt und überflüssig geworden (http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/ bsvwvbund_03022016_MI12100972.htm). Der Staatsrat der BIS hat deshalb die Bezirksamtsleitungen um das erforderliche Einvernehmen zur Aufhebung der Fachanweisung 2/2013 gebeten. 2. Bei wie vielen Unionsbürgern/-innen wurde seit dem 1. Juli 2017 ein Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt? Bitte für die einzelnen Monate aufgliedern und die Gründe aufschlüsseln. Seit dem 1. Juli 2017 wurde in 108 Fällen der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 7, § 5 Absatz 4 oder § 6 Absatz 1 FreizügG/EU festgestellt: Monat im Jahr 2017 Anzahl der festgestellten Verluste Juli 14 August 27 September 29 Oktober 24 November (Stand: 17.11.) 14 Gesamt 108 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11021 3 3. Wie viele Unionsbürger/-innen reisten seit dem 1. Juli freiwillig aus? Wie viele wurden abgeschoben? Bitte aufgliedern nach Staatsangehörigkeit der Betroffenen. Der zuständigen Behörde liegen keine Nachweise über die freiwillige Ausreise von Unionsbürgern im Zeitraum 1.Juli bis 31.Oktober 2017 vor. Im oben genannten Zeitraum wurden insgesamt 20 Personen in ihre EU-Herkunftsländer abgeschoben: Herkunftsland Anzahl Estland 1 Lettland 1 Litauen 3 Polen 9 Portugal 1 Rumänien 5 4. Wie viele Unionsbürger/-innen wurden seit dem 1. Juli in Abschiebhaft, wie viele in Ausreisgewahrsam genommen? Bitte aufgliedern nach Staatsangehörigkeit der Betroffenen. Im Oktober 2017 wurde ein Unionsbürger in Abschiebehaft und drei Unionsbürger in Ausreisegewahrsam genommen. Im Übrigen siehe Drs. 21/10645 und Drs. 21/10648.