BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1104 21. Wahlperiode 28.07.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 20.07.15 und Antwort des Senats Betr.: Passentzug beziehungsweise Ausreiseuntersagung mit Bezügen zu Ausreisen in das Gebiet Syrien/Irak und Anwerbeversuche der dschihadistischen Szene in Hamburg Im Verfassungsschutzbericht 2014 heißt es: „Auf Initiative des Landeskriminalamtes (LKA) und des Hamburger Verfassungsschutzes sind seit 2013 bis Frühjahr 2015 gegen 16 Personen Ausreiseuntersagungen verfügt worden.“ Trotz dieser Ausreiseuntersagungen und/oder der Einziehung des Reisepasses und/oder einer räumlichen Beschränkung des Personalausweises mit Bezügen zu Ausreisen in das Gebiet Syrien/Irak gelingt es den jeweiligen Personen dennoch, auszureisen. Radikalisierte Rückkehrer aus den Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak werben weiterhin in Hamburg junge Männer und Frauen an. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie viele der 16 Personen mit Ausreiseuntersagungen konnten in dem Zeitraum seit 2013 bis Juli 2015 in Richtung Syrien/Irak ausreisen? Bitte nach Zeitpunkt aufschlüsseln. Bisher reisten vier Personen trotz entsprechender Maßnahmen im Sinne der Fragestellung aus: 2013: keine, 2014: zwei, 2015: zwei. 2. Ist dem Senat bekannt, wie und über welche Wege die Ausreise trotz Untersagung gelingt? Wenn ja, bitte angeben. In der Regel wird ein Reiseweg über die Türkei auf dem Luft- oder Landweg genutzt, aber nicht in jedem Fall ist der Reiseweg bekannt. In mindestens zwei Fällen wurden vermutlich gestohlene Ausweise für die Ausreise genutzt. 3. Bewertet der Senat vor dem Hintergrund der ausgereisten Personen mit Untersagung der Ausreise die Maßnahme der Ausreiseuntersagung und des Passentzuges als eine erfolgreiche Maßnahme? Wenn ja, warum? Ja. Der Senat bewertet Ausreiseverbote inklusive passrechtlicher Maßnahmen als wichtigen Baustein im Rahmen eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes von islamistischem Extremismus und Terrorismus. Drucksache 21/1104 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Maßnahme erschwert die tatsächliche Durchführung einer Ausreise und hat zudem eine abschreckende Wirkung gegenüber den Betroffenen, auch wenn sie nicht in allen Fällen eine Ausreise sicher verhindern kann. Die Resolution 2178 vom 24. September 2014 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verpflichtet die internationale Staatengemeinschaft, Ausreisen in Dschihadgebiete zu unterbinden. Der Senat setzt konsequent nationale wie internationale Entscheidungen um. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) hat bereits am 4./5. Juni 2009 in Bremerhaven vereinbart, Ausreisen in Dschihadgebiete möglichst zu verhindern , sofern es rechtlich und tatsächlich möglich ist. Im Rahmen einer Pressemitteilung vom 12. Dezember 2014 wiederholte und bekräftigte die IMK diese Absicht. In jedem rechtzeitig bekannt werdenden Fall wird daher die Möglichkeit eines Ausreiseverbotes inklusive passrechtlicher Maßnahmen intensiv geprüft. 4. Wie vielen Personen in Hamburg ohne Bezüge zu Ausreisen in das Gebiet Syrien/Irak wurde die Ausreise untersagt, der Reisepass eingezogen und/oder der Personalausweis räumlich beschränkt? Bitte aufschlüsseln mit jeweiligem Bezug und Zeitpunkt. Im Zeitraum 2013 bis Juli 2015: keine. 5. Familien, deren Kinder von der salafistischen Szene angeworben wurden , berichten davon, dass weniger Moscheen als Treffpunkte beziehungsweise Versammlungsorte ausgewählt werden, sondern Privatwohnungen als „geheime Treffpunkte“ genutzt werden. Hat der Senat hiervon Kenntnis und welche Konsequenzen zieht er daraus? Die Radikalisierung junger Menschen erfolgt über verschiedene Mittel und an verschiedenen Orten. Auch Privatwohnungen haben hierbei eine Bedeutung. Die Sicherheitsbehörden passen ihre Vorgehensweise zur Aufklärung salafistischer Bestrebungen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten laufend den jeweiligen Erfordernissen an und nutzen dazu, unter Beachtung der Recht- und Verhältnismäßigkeit, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. 6. Der Verein „Ansaar International e.V.“ veranstaltete am 25. Mai 2015 ein „Benefiz für Notleidende in Syrien“ im Hamburger Veranstaltungssaal Plaza Event Center in der Schlenzigstraße 11. a. Welche Informationen hat der Senat über den genannten Verein? Wie ist er einzuordnen? Bei „Ansaar International e.V.“ handelt es sich um einen salafistischen Spendensammelverein mit Vereinssitz in Düsseldorf, der auch in Hamburg Strukturen geschaffen hat. Die Vertreter dieses Vereins rekrutieren sich überwiegend aus Angehörigen der gewaltbereiten islamistischen Szenen. b. Welche Informationen hat der Senat über die genannte Veranstaltung ? Wer waren die Gäste, und wie viel Geld konnte dort für welchen Zweck gesammelt werden? Nach Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg nahmen etwa 200 Personen an der Veranstaltung teil, die mehrheitlich der salafistischen Szene zuzurechnen waren. Bundesweit bekannte salafistische Prediger traten nicht als Redner auf. Rechtliche Grundlagen für eine Unterbindung der Veranstaltung lagen nicht vor. Vorliegenden Informationen des LfV zufolge belief sich die gesammelte Spendensumme auf circa 3.000 Euro. c. Wie viele ähnliche Veranstaltungen haben bereits in Hamburg stattgefunden ? Neben der vorgenannten sind dem LfV Hamburg bisher drei vergleichbare Veranstaltungen bekannt geworden (21. April 2013, 5. Januar 2014, 20. April 2014). Eine weitere für den 15. März 2015 in Wandsbek geplante Veranstaltung wurde aufgrund der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1104 3 Erkenntnisse von Verfassungsschutz und Polizei Hamburg verboten. Das Verbot wurde vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht bestätigt. d. Falls der Senat solche Veranstaltungen als problematisch einstuft, wie gedenkt er damit umzugehen? Salafistisch motivierte Spendensammelaktionen sind generell kritisch zu bewerten. Durch solche nach außen als humanitär dargestellte Spendenaktionen wird das menschliche Leid in den Dschihadgebieten auch dazu instrumentalisiert, um weitere junge Menschen an die salafistische Szene heranzuführen. Bei Bekanntwerden von Veranstaltungen, bei denen die Gefahr der Begehung von Straftaten besteht, werden, unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten, die erforderlichen Maßnahmen zur Untersagung der Veranstaltung ergriffen. Das LfV Hamburg informiert regelmäßig im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit über die tatsächlichen Absichten salafistischer Bestrebungen. Soweit rechtlich möglich, wird der Senat auch künftig solche Veranstaltungen unterbinden (siehe Antwort zu 6. c). 7. Laut Drs. 21/476 soll es seit dem 01.07.15 ein Projekt zur „Angehörigenberatung und Ausstiegsbegleitung von radikalisierten Jugendlichen und Jungerwachsenen“ geben. Hat dieses seine Arbeit nunmehr aufgenommen ? Falls nein, warum nicht und wann ist damit zu rechnen? Das landesfinanzierte Projekt legato (systemische Ausstiegsberatung – Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung) zur Angehörigenberatung hat am 1. Juli 2015 seine Arbeit aufgenommen. Träger ist die Vereinigung Pestalozzi gem.GmbH in Zusammenarbeit mit A.M.A.e.V. – Ambulante Maßnahmen Altona. Die Beratungsstelle ist derzeit im Aufbau. Bisher konnten zwei sehr erfahrene Berater gewonnen werden . Die vor dem 1. Juli .2015 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanzierten und vom Projekt Beratungsnetzwerk kitab des Bremer Trägers VAJA e.V. übernommenen Hamburger Fälle werden auch weiterhin dort bearbeitet. Auch die Kooperation mit dem BAMF (Hotline) wird fortgesetzt. a. Wie lautet das Konzept der angebotenen Beratungsarbeit? Bitte der Antwort auf diese Anfrage beifügen. Die Konzeption der Beratungsstelle umfasst vier Bereiche von Beratungs- und Unterstützungsangeboten , die nach dem systemisch-integrativen Ansatz arbeiten: 1. Beratung für Angehörige von radikalisierten Jugendlichen oder jungen Erwachsenen Die Angehörigen (Familien, Freunde, Vertrauenspersonen) sind der entscheidende Bezugspunkt für die Beratung, welche vor allem folgende Aspekte umfasst:  Klärung der Frage, ob der/die betroffene Jugendliche tatsächlich ideologisch radikalisiert und/oder in ein extremistisches soziales Milieu verwickelt ist (Aufklärung über Gruppenideologie, Gruppenstruktur und Manipulationstechniken),  Verhinderung von Kontaktabbrüchen zwischen Betroffenen und dem sozialen Umfeld beziehungsweise Wiederherstellen bereits abgebrochener Kontakte,  Erarbeitung von Strategien, die einer zunehmenden Verstrickung in ein extremistisches Milieu entgegenwirken. 2. Ausstiegsbegleitung von radikalisierten Jugendlichen oder jungen Erwachsenen In vielen Fällen ist eine Ausstiegsbegleitung der radikalisierten jungen Menschen über deren Angehörige erfolgreich herstellbar. Auch Rückkehrer aus Kampfgebieten werden beraten. Die Ausstiegsbegleitung umfasst folgende Aspekte:  Selbstreflexion und Erarbeitung eines neuen Lebensentwurfes,  bei Bedarf und Möglichkeit kann eine soziale Gruppenarbeit angeboten werden, in die sowohl die Betroffenen als auch ihre Angehörigen einbezogen werden. Drucksache 21/1104 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 3. Selbsthilfegruppen für betroffene/verwaiste Eltern und für Jugendliche und junge Erwachsene sowie Gesprächskreise sollen durch die Beratungsstelle initiiert und auch in Kooperation mit anderen Trägern/Institutionen bedarfsgerecht begleitet werden. 4. Fachberatung und Fortbildung für Fachkräfte und Multiplikatoren (Lehrerinnen und Lehrer, sozialpädagogische Fachkräfte et cetera) gehört zum Standardaufgabenfeld der Beratungsstelle. Hier sollen Handlungskompetenzen aufgebaut und Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Themenfeld soll entgegengewirkt werden. b. Auf welchem Wege soll das Angebot den Zielgruppen bekannt gemacht werden? Die Angebote beider Beratungsstellen legato und kitab sind zu erreichen über die bundesweit seit Jahren beworbene Hotline der „Beratungsstelle Radikalisierung“ des BAMF, die in der Regel auch eine qualifizierte Erstberatung übernehmen kann (siehe http://www.hamburg.de/infos-fuer-fachkraefte/4464128/salafismus-radikalisierung/). Des Weiteren sind die Kontaktdaten der neuen Beratungsstelle legato im Netzwerk Prävention und Deradikalisierung (Federführung: Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Beteiligung weiterer Fachbehörden und -ämter sowie zivilgesellschaftliche Partner) bekannt gemacht worden. Eine darüber hinausgehende Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle legato wird im Zuge des weiteren Aufbaus der Beratungsarbeit erfolgen.