BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11046 21. Wahlperiode 28.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 20.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Was nützt die elektronische Fußfessel tatsächlich? Nachdem in der vergangen Woche ein mutmaßlicher Islamist trotz elektronischer Fußfessel unbehelligt vom Hamburger Flughafen aus ausreisen konnte , wurde nun bekannt, dass am 8. November 2017 der als noch immer gefährlich eingestufte 47-jährige Andreas B. aus der Haft entlassen wurde, dem ebenfalls das Tragen einer Fußfessel, verbunden mit zahlreichen Auflagen , auferlegt wurde. Unter anderem darf er Hamburg nicht verlassen. Problematisch ist einem Bericht im „Hamburger Abendblatt“ vom 20. November 2017 zufolge allerdings der Umstand, dass die Polizei bei Verstößen nicht eingreifen darf. Sie dürfe lediglich eine Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen die Führungsaufsicht anfertigen. Wie wenig dieses hilft, wurde bei Andreas B. bereits mehr als deutlich: „Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im Jahre 2013 waren 69 Verstöße nötig, bevor der Mann wieder eingesperrt wurde“, heißt es in dem Artikel. In der Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/490 heißt es: „Wenn der Proband nicht erreicht werden kann, Aufforderungen des zuständigen Sozialarbeiters nicht nachkommt oder wenn aufgrund eines Ge- oder Verbotszonenverstoßes eine Gefährdung von Personen in Betracht kommt, wird sofort die Polizei alarmiert, die erforderlichenfalls umgehend eingreift.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) wird im Rahmen der Führungsaufsicht angeordnet, um spezialpräventiv auf die verurteilte Person einzuwirken. Ziel ist es, dass sich der Entlassene wegen der mit der EAÜ verbundenen höheren Entdeckungswahrscheinlichkeit von der Begehung erneuter Straftaten abhalten lässt. Auch nach bundesweiter Studie von Bräuchle und Kinzig („Die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht“, 2016, Seite 20) „ist die EAÜ keinesfalls ein Allheilmittel zur Verhinderung schwerer Straftaten von aus dem Straf- oder Maßregelvollzug entlassener, als gefährlich eingeschätzter Personen. Sie ist nur (aber auch immerhin) in ausgewählten Fällen ein Baustein im Rahmen einer Führungsaufsicht , die neben überwachenden immer auch betreuende Komponenten aufweisen muss.“ Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Informationen liegen über den am 8. November 2017 entlassenen Andreas B. vor? Aufgrund welcher wann und wo begangenen Anlasstaten verbüßte er jeweils welche Haftstrafen? Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht und die gesetzlichen Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes wird grundsätzlich von Angaben zu abgeschlossenen Ver- Drucksache 21/11046 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 fahren abgesehen, die nicht Gegenstand eines Führungszeugnisses wären. Vor diesem Hintergrund werden folgende Auskünfte erteilt: Andreas B. wurde am 20. September 2005 vom Amtsgericht (AG) Hannover wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt und nach einem Bewährungswiderruf bis zum 28. Dezember 2011 verbüßt. Die Straftat wurde am 9. Mai 2005 in Hannover begangen . Am 30. November 2006 wurde Andreas B. vom Landgericht (LG) Hamburg aufgrund einer Sexualstraftat im Umfeld eines Fanfestes in Hamburg im Rahmen der damaligen Fußballweltmeisterschaft wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Tat wurde am 30. Juni 2006 begangen. Die Strafvollstreckung war am 14. August 2013 erledigt. Am 8. Juli 2014 verurteilte das AG Hamburg Andreas B. wegen des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in 68 Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten. Die Unterbringung in eine Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Das Datum der letzten Tat war der 7. Mai 2014. Die Taten wurden in Hamburg begangen. Mit Beschluss des LG Hamburg vom 28. April 2017 wurde die Reststrafe aus der Verurteilung vom 8. Juli 2014 zur Bewährung ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg wurde der Beschluss vom 28. April 2017 durch das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) am 17. Mai 2017 aufgehoben. Andreas B. wurde am 26. Mai 2017 festgenommen und der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg zugewiesen. Von dort wurde er am 8. November 2017 zum sogenannten Endstrafenzeitpunkt aus der Haft entlassen. 2. Sind seit seiner Entlassung am 8. November 2017 bereits Verstöße gegen die Auflagen festgestellt worden? Falls ja, wann, welche und welche Maßnahmen wurden daraufhin ergriffen ? Am 22. November 2017 hat die Polizei nach Meldung durch die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder (GÜL) festgestellt, dass Andreas B. der Auflage, den Akku seines Gerätes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) ordnungsgemäß zu laden, nicht nachgekommen ist. Die Polizei hat Andreas B. aufgesucht und aufgefordert , der Auflage nachzukommen. Dieser Aufforderung ist er nachgekommen. Die Führungsaufsichtsstelle der zuständigen Behörde hat Kenntnis erhalten, eine Strafanzeige wurde gefertigt. Ein Antrag der Führungsaufsichtsstelle gemäß § 145a Satz 2 des Strafgesetzbuches (StGB) wurde gestellt. 3. Inwiefern kann die Polizei umgehend eingreifen, sofern Andreas B. nicht erreicht werden kann, Aufforderungen des zuständigen Sozialarbeiters nicht nachkommt oder wenn aufgrund eines Ge- oder Verbotszonenverstoßes eine Gefährdung von Personen in Betracht kommt? Welche Maßnahmen kann sie dann konkret treffen? Das Gerät zur EAÜ sendet regelmäßig Signale an die GÜL in Hessen. Die Signale übermitteln auch den Aufenthaltsort des Betroffenen. Im Falle einer Mitteilung der GÜL zu einer Störungsmeldung des Gerätes an die Polizeieinsatzzentrale (PEZ) Hamburg, ausgelöst durch einen drohenden oder vollendeten Weisungsverstoß gegen den jeweiligen Führungsaufsichtsbeschluss, stellt die PEZ umgehend den aktuellen Aufenthaltsort des Andreas B. fest. Die Polizei sucht diesen sofort auf, klärt den Sachverhalt und trifft die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Störungsmeldung beziehungsweise des Weisungsverstoßes. Anschließend ergeht ein Bericht an die Führungsaufsichtsstelle. In Situationen, in denen die Person beziehungsweise das Gerät nicht erreichbar ist, werden von der Polizei der Ort, an dem zuletzt ein Signal gesendet wurde oder die zur Person bekannten Orte aufgesucht. Bei Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation kommen die notwendigen Maßnahmen nach dem Gefahrenabwehrrecht in Betracht, die dann unmittelbar von der Polizei umgesetzt werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11046 3 Kommt Andreas B. den Aufforderungen des zuständigen Sozialarbeiters nicht nach, erfolgt durch diesen eine Meldung an die Führungsaufsichtsstelle. Diese trifft die erforderlichen Maßnahmen. Die Polizei wird in Kenntnis gesetzt oder um Amtshilfe gebeten. 4. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/490 gibt der Senat an, dass „die Elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht grundsätzlich ein geeignetes Instrument ist, (…) das Verhalten besonders gefährlicher Straftäter nach ihrer Entlassung aus der Haft zu überwachen und sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.“ Wie kann die Fußfessel konkret dazu beitragen, gefährliche Straftäter wie Andreas B. von der Begehung weiter Straftaten abzuhalten? Der Einsatz der EAÜ ermöglicht es der Polizei, den Standort einer Person beziehungsweise des Überwachungsgerätes im Bedarfsfall festzustellen und gemäß der Risikoeinschätzung der Führungsaufsichtsstelle schnellstmöglich gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen durchführen zu können. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/490. 5. Weiter heißt es in der Drs. 21/490: „Um Möglichkeiten zu eruieren, auf Verstöße unter anderem gegen die EAÜ-Weisung noch effektiver zu reagieren, wurde unter der Federführung der zuständigen Behörde eine Länderarbeitsgruppe zu „Reaktionsmöglichkeiten bei Weisungsverstößen im Rahmen der Führungsaufsicht“ eingerichtet, die am 3. März 2015 ihre erste Sitzung hatte.“ Seitdem sind mehr als zweieinhalb Jahre vergangen . a. Wie oft hat die Länderarbeitsgruppe bislang getagt? b. Zu welchen (Zwischen-)Ergebnissen ist die Länderarbeitsgruppe gelangt? c. Welche Maßnahmen wurden seitdem konkret ergriffen, um auf Weisungsverstöße im Rahmen der Führungsaufsicht, insbesondere im Hinblick auf Verstöße gegen die EAÜ-Weisung, besser zu reagieren ? Sitzungen der Arbeitsgruppe fanden am 3. März 2015 und am 3. September 2015 jeweils ganztätig in Hamburg statt. Die Arbeitsgruppe hat am 8. Oktober 2015 einen Abschlussbericht vorgelegt, den die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Herbstkonferenz am 12. November 2015 in Berlin einstimmig zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Zusammenfassend heißt es im Abschlussbericht: „Die Arbeitsgruppe hat in Betracht kommende ergänzende Reaktionsmöglichkeiten auf Weisungsverstöße im Rahmen der Führungsaufsicht geprüft. Im Fokus der Prüfung standen dabei die Rechtsinstrumente der Vorführung, des unmittelbaren Zwangs, des Arrests, der Krisenintervention nach dem Vorbild von § 67h StGB sowie der Untersuchungs- und Hauptverhandlungshaft. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen auch bei Verstößen gegen Führungsaufsichtsweisungen Anwendung finden können bzw. sollen, haben neben rechtlichen und praktischen Erwägungen auch Sinn und Zweck der verschiedenen Rechtsinstrumente Berücksichtigung gefunden.“ Obwohl der Verstoß gegen die EAÜ-Weisung strafbewehrt ist, besteht aufgrund der bundesgesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich keine Möglichkeit, Untersuchungshaft anzuordnen. Diese Regelungslücke hat die zuständige Behörde im Rahmen der Länderarbeitsgruppe problematisiert, es bestand seitens der anderen Landesjustizverwaltungen aber keine Bereitschaft, insoweit eine Neuregelung anzustreben . 6. Wie beurteilen die zuständigen Behörden den Umstand, dass ein mutmaßlicher Islamist trotz elektronischer Fußfessel vom Hamburger Flughafen aus ausreisen konnte? Welche Maßnahmen wurden nach Bekanntwerden der Ausreise von wem in die Wege geleitet? Drucksache 21/11046 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Bei dem in Rede stehenden Islamisten handelt es sich um eine von der bayerischen Polizei als Gefährder eingestufte Person. Die zur Gefährderüberwachung durchgeführten Maßnahmen erfolgten auf Grundlage des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) und Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) in Zuständigkeit der Landespolizei Bayern; die Hamburger Polizei unterstützte im Rahmen der Amtshilfe. Für die Personenkontrollen am Hamburger Flughafen und damit verbundene Maßnahmen ist die Bundespolizei zuständig. Die Bundespolizei unterliegt ausschließlich dem Kontrollrecht und dem damit korrelierenden Fragerecht des Deutschen Bundestages . 7. Wie viele Fälle von Entlassenen mit elektronischer Fußfessel gibt es aktuell in Hamburg? Es gibt derzeit zwei unter Führungsaufsicht stehende Verurteilte, die eine elektronische Fußfessel tragen.