BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11061 21. Wahlperiode 28.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 21.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Polizeiliche Entfernung eines Transparents von der Roten Flora Nach Medienberichten wurde am Montagmorgen um kurz nach 5 Uhr durch ein größeres Aufgebot der Polizei ein Transparent von der Roten Flora abgenommen. Laut „Hamburger Abendblatt“ hing das Transparent seit Sonnabend. Es hatte Medienbericht aufgegriffen, wonach der langjährige Ermittler der Dessauer Staatsanwaltschaft konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass Oury Jalloh 2005 in der Arrestzelle getötet wurde, und wonach er auch konkrete Personen aus den Reihen der Dessauer Polizei verdächtigt, Oury Jalloh getötet zu haben. (Der Wortlaut der Inschrift auf dem Transparent darf hier aus Gründen des „parlamentarischen Sprachgebrauchs“ nicht zitiert werden.) Anfang November 2017 berichtete das ARD-Magazin Monitor, mehrere Sachverständige kämen im Fall des Todes von Oury Jalloh zum Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als die lange von den Ermittlungsbehörden verfolgte These einer Selbstanzündung des Mannes . Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei er getötet worden. Jalloh sei vermutlich bei Brandbeginn komplett handlungsunfähig oder sogar bereits tot gewesen. Sämtliche Meinungsäußerungen zum Tod von Oury Jalloh sind vor diesem Hintergrund zu werten. Das Bundesverfassungsgericht führte aus mit Beschluss vom 09. Oktober 1991 (1 BvR 1555/88): „Bei Vorgängen von öffentlichem Interesse, namentlich solchen aus nicht transparenten Politikund Wirtschaftsbereichen, ist es dem einzelnen regelmäßig nicht möglich, Beweise oder auch nur Belegtatsachen aufgrund eigener Nachforschungen beizubringen. Er ist insoweit vielmehr auf die Berichterstattung durch die Medien angewiesen. Deshalb darf, wer Presseberichte guten Glaubens aufgreift (…) und daraus verallgemeinernde Schlußfolgerungen zieht, erst dann zur Unterlassung oder zum Widerruf verurteilt werden, wenn die Berichterstattung erkennbar überholt oder widerrufen ist.“ Dies gilt umso mehr, als bereits vor Jahren, also bevor die neuen Erkenntnisse durch die ARD bekannt gemacht wurden, erhebliche Zweifel an der Strafbarkeit einer entsprechenden Äußerung bestanden. Zur Frage, inwiefern die Behauptung, Oury Jalloh sei ermordet worden, als solche Maßnahmen der Gefahrenabwehr begründen kann, äußerte das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 31. März 2006 (2 M 156/06) zumindest deutliche Zweifel: „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben Drucksache 21/11061 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – NJW 1994, 2943). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit allerdings seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, weshalb beispielsweise beleidigende oder verleumderische Äußerungen, die nach den §§ 185 ff. StGB strafbar sind, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der Art 5 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne weiteres im fachlichtechnischen Sinne verstanden werden dürfen, sondern den Umständen entnommen werden muss, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Einer entsprechenden Auslegung bedürfen demnach auch Begriffe wie „Mörder“, „Mord“ oder „morden“, bei denen im jeweiligen Einzelfall anhand der getätigten Äußerung und unter Berücksichtigung der konkreten Äußerungsweise- und der konkreten Äußerungsumstände im nachhinein zu prüfen ist, ob sie beispielsweise technisch im Sinne des § 211 StGB oder anders zu verstehen sind, wobei sich je nachdem eine unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung derartiger Äußerungen ergeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 – 1 BvR 1423/92 – a.a.O.). (…) „Behauptungen , Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden“ können in ihrer konkreten Formulierung und/oder Darstellung auf Transparenten in sehr verschiedener Gestalt auftreten und auf verschiedene Weise abgemildert, modifiziert, unter Verwendung von Symbolen in ihrem Aussagegehalt abgeschwächt oder sonst wie verändert sein. All dies kann aber (strafrechtlich) nicht im Vorhinein, sondern nur dann beurteilt werden, wenn die Äußerungen konkret vorliegen. Bis dahin obliegt es der Meinungsfreiheit des Einzelnen, aber auch seinem Risiko, derartige Äußerungen in einer Art und Weise zu tätigen, dass er sich damit nicht strafbar macht.“ Entsprechend wurde eine ähnliche polizeiliche Beschlagnahme von Transparenten mit der Aufschrift „Oury Jalloh – Das war Mord“ nach Ansicht zahlreicher Juristen/-innen für rechtswidrig beurteilt. Beispielhaft schrieb Oberregierungsrat Dr. Alfred Scheidler in der „Legal Tribune Online“: „So wie es bei der Demo skandiert wurde, ist das Motto „Oury Jalloh – das war Mord“ daher nicht als Verleumdung oder üble Nachrede zu werten. Es ist als berechtigtes Anliegen der Demonstranten zu verstehen, eine öffentliche Diskussion über die Umstände des Todes von Oury Jalloh zu entfachen. Die Beschlagnahme der Plakate durch die Polizei war somit nicht rechtens. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, scheint dies inzwischen genauso zu sehen: Er hat zwischenzeitlich den Leiter des Dezernats „Recht“ der Polizeidirektion Ost abgesetzt, da er den Polizeipräsidenten nicht professionell beraten habe.“ (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/oury-jalloh-das-warmord -polizei-durfte-plakate-nicht-beschlagnahmen/.) Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Gestützt auf welche Rechtsgrundlage wurde das Transparent entfernt? § 94 Strafprozessordnung sowie § 14 Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. 2. Inwiefern stellt das Transparent aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11061 3 Durch das öffentliche Zeigen des Transparents besteht der Verdacht einer Straftat nach § 186 Strafgesetzbuch, zu deren Verfolgung das Transparent zu beschlagnahmen war. 3. Inwiefern unterfallen die auf dem Transparent getätigten Aussagen nach Ansicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde – auch vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse und medialen Berichterstattung über den Fall – der Meinungsfreiheit? 4. Sollte nach Ansicht des Senats die Äußerung der Ansicht, Oury Jalloh sei getötet worden, der Meinungsfreiheit unterfallen, das konkrete Transparent aber nicht: Wie ist es nach Ansicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde für Bürger/-innen möglich, die Meinung, Oury Jalloh sei getötet oder ermordet worden, zu äußern? Die Meinungsfreiheit ist ein Wesensbestandteil der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung, da erst sie die freie Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Ansichten, die Entstehung einer öffentlichen Meinung und die politische Willensbildung ermöglicht. Der Schutz der Meinungsfreiheit gehört wie der Schutz der Grundrechte allgemein zu den Aufgaben auch der Polizei. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken (Artikel 5 Absatz 2 GG) in den allgemeinen Gesetzen, den Jugendschutzbestimmungen und dem Recht der persönlichen Ehre. Allgemeine Gesetze sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diejenigen Gesetze, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen. Hierzu gehören die Strafgesetze. Bei dem an der Roten Flora befindlichen Transparent wurde mit dem aufgebrachten Schriftzug eine konkrete Tatsachenbehauptung gegen die damals an dem Polizeirevier in Dessau tätigen Polizeibeamten gerichtet, nach der diese Herrn Jalloh ermordet haben. Die vorsätzliche, gewollte Tötung unter den besonderen Umständen, die nach den strafrechtlichen Tatbeständen eine solche Handlung als Mord einstufen lässt, ist zentraler Bestandteil dieser Behauptung. An die Erhebung eines solchen Vorwurfes sind angesichts des erhöhten Authentizitätsanspruches nach der Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. Selbstverständlich ist es zulässig, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Halle im Oktober 2017 zur Einstellung des Todesermittlungsverfahrens beziehungsweise des Strafverfahrens streitig zu diskutieren und kritisch zu hinterfragen. Die Behauptung, die Polizeibeamten hätten Herrn Jalloh ermordet, ist jedoch angesichts der Gerichtsentscheidungen nicht mehr von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. 5. Gegen welchen Straftatbestand wurde durch das Erstellen beziehungsweise Aufhängen des Transparentes nach Ansicht des Senats verstoßen ? Siehe Antwort zu 2. 6. Wurde ein Strafverfahren eingeleitet? Falls ja, gegen wen? Ja; ein Strafverfahren „gegen Unbekannt“ wurde eingeleitet. 7. Durch welche Stelle wurde wann die Entfernung veranlasst? Die Sicherstellung wurde nach Absprache mit dem Landeskriminalamt sowie mit der Staatsanwaltschaft Hamburg durch den örtlich zuständigen Einsatzführer angeordnet. 8. Wie viele Polizisten/-innen waren mit welchen Gerätschaften von wann bis wann zur Entfernung des Transparentes im Einsatz? Der Einsatz fand am 20. November 2017 in der Zeit von 05.10 Uhr bis 05.20 Uhr statt. Darüber hinaus betrifft die Frage die Einsatztaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Auskünfte erteilt werden.