BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11081 21. Wahlperiode 28.11.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 22.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Salafismus-Prävention Hamburg – Mit Gender gegen Jihadisten Aufgrund des bis heute anhaltenden Wachstums salafistischer Personenpotentiale in Hamburg muss die Effektivität der Salafismus-Prävention des Senats in Zweifel gezogen werden. Obwohl der Senat gegenwärtig insgesamt vierzehn Projekte unterstützt, ist es ihm bisher nicht gelungen, dem rasanten Wachstum der salafistischen Szene Einhalt zu gebieten. Man darf annehmen, dass der Grund für dieses Scheitern offenbar nicht im Umfang der bislang auf den Weg gebrachten Maßnahmen, sondern vielmehr in deren Effektivität besteht. Zwar hat der Senat seine Strategie unlängst offengelegt1, doch bleibt unklar, zu welchen Ergebnissen dies geführt hat. Die Vermutung, dass ein Teil der dabei umgesetzten Maßnahmen ungeeignet ist, um der Ausbreitung des Salafismus entgegenzuwirken, ergibt sich aber auch aus deren Stoßrichtung. Dieser Befund gilt für allem für die Arbeit der Koordinierungsstelle „Prävention und Lotsenberatung“ der SCHURA, die Moscheegemeinden aus ihrem Zuständigkeitsbereich durch die Sensibilisierung der Gemeinden für genderspezifische Angebote zur Prävention von Radikalisierung unterstützt. Man kann feststellen, dass die Gender-Studien, die aus politischen Gründen in einen Teil der sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen Einzug gehalten haben2, mittlerweile auch in der Salafismus-Prävention angekommen sind. Hierzu erklärt der Senat: „Im Bereich der Prävention von religiös begründetem Extremismus empfehlen Expertinnen und Experten übereinstimmend Ansätze, die genderbezogene Aspekte berücksichtigen, die Medienkompetenz von Mädchen und jungen Frauen fördern und ihrem Empowerment dienen. Dazu gehört die Sichtbarmachung von Religionsverständnissen , die sich von salafistischen Deutungsangeboten unterscheiden. Dies ermöglicht Mädchen und jungen Frauen, die in ihren Familien nicht beziehungsweise kaum religiös sozialisiert wurden, reflektierte Zugänge zum Islam im Allgemeinen, aber auch zu geschlechterspezifischen Themen wie Frauenbildern, Rolle der Frau, Umgang mit Diskriminierung und Ressentiments zu entwickeln.“3 Es wird deutlich, dass der Senat einen Ansatz verfolgt, der darauf abzielt, den Nährboden der salafistischen Szene durch die Dekonstruktion sozialer Rollenbilder von Mädchen und Frauen sowie durch die Aufarbeitung von sexistisch motivierten Diskriminierungserfahrungen und Vorurteilen auszutrocknen . Dass die gewählte Methodik ungeeignet ist, kann man bereits 1 Confer Drs. 21/10107. 2 Confer Drs. 21/7861. 3 Confer Drs. 21/10107. Seiten 4 – 5. Drucksache 21/11081 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 daran erkennen, dass der Salafismus eine von Männern dominierte Strömung des Islamismus darstellt. Dabei handelt es sich um einen Befund, der auch für Hamburg gilt. Unter den 622 aktenkundigen Salafisten waren im November 2016 lediglich 108 Frauen, was einem Anteil von 17,36 Prozent entspricht.4 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat weist die Unterstellungen zu seinen Ausführungen in Drs. 21/10107 zurück. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen – teilweise auf Grundlage von Angaben des Rates der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. (SCHURA) – wie folgt: 1. In welchen Moscheen hat die SCHURA bereits mit der Sensibilisierung der Gemeinden für genderspezifische Angebote zur Prävention von Radikalisierung begonnen? 2. Wann ist es erstmals zur Umsetzung solcher Maßnahmen in einer SCHURA-Moschee gekommen? Bitte erläutern! 3. Wie haben die Moscheen auf die Möglichkeit, genderspezifische Angebote in Anspruch zu nehmen, reagiert? 4. In wie vielen Fällen haben Moscheen von solchen Angeboten Gebrauch gemacht? 5. Wie sahen deren Inhalte konkret aus und inwieweit wurden diese im Einzelnen umgesetzt? 6. Welche Ergebnisse hat die Inanspruchnahme genderspezifischer Angebote , sofern diese erfolgt ist, konkret gebracht? 7. In wie vielen SCHURA-Moscheen finden seit Herbst 2017 Qualifizierungsmaßnahmen für Gemeindeverantwortliche zur Mädchenarbeit statt? 8. Wie sehen diese Maßnahmen im Einzelnen aus? 9. Wie viele Mädchen und Frauen sind darin involviert? 10. Wie viele Projekte dieser sind innerhalb der SCHURA für die Zukunft geplant? Der aktuell mit einer Vollzeitkraft ausgestatteten Koordinierungsstelle der SCHURA obliegen insgesamt folgende Aufgaben: - Koordinierung, Begleitung und Vertretung der SCHURA im Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung sowie anlassbezogen Mitarbeit in den Arbeitspaketen des Beratungsnetzwerks. Der gegenseitige Informations- und Wissenstransfer zwischen dem Beratungsnetzwerk und der SCHURA wird hierdurch gesichert. - Information und Sensibilisierung der SCHURA und seiner Mitgliedsgemeinden zu religiös begründetem Extremismus und antimuslimischer Diskriminierung. - Lotsen-Beratung zu den in Hamburg verfügbaren Präventions- und Interventionsangeboten (z.B. zu den Beratungsstellen amira – Beratung bei Diskriminierung wegen (zugeschriebener) Herkunft und Religion, Empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und Legato – Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung), - Beratung der Mitgliedsgemeinden bei der Weiterentwicklung der Jugendarbeit. - Vernetzung mit anderen Mitgliedern des Beratungsnetzwerks. - Beratung von Personen und gegebenenfalls auch Institutionen und Projekten zu islam-theologischen Fragen und Themen antimuslimischer Diskriminierung. 4 Confer Drs. 21/6646. Seite 2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11081 3 - Öffentlichkeitsarbeit. Zur Umsetzung dieser komplexen Aufgaben wurden seit der Etablierung der Koordinierungsstelle im Juli 2015 sowohl der SCHURA-Vorstand als auch Imame und Moscheeverantwortlichen von bislang 25 der 37 SCHURA-Moscheegemeinden aufgesucht und informiert. Im Rahmen der Möglichkeiten der Beratungskapazität werden sukzessive alle Moscheen in die Arbeit der Koordinierungsstelle eingebunden. Genderspezifische Aspekte werden als Querschnittsaufgabe in allen Aktivitäten berücksichtigt. Darüber hinaus wurde die Koordinierungsstelle mit der Aufgabe betraut, eine gemeindegreifende Mädchenarbeit aufzubauen. Seit Frühjahr 2017 hat sich eine Gruppe von zehn Mädchen/jungen Frauen überwiegend aus drei Moscheegemeinden der SCHURA gebildet, weitere Mitglieder aus diesen und anderen Moscheegemeinden können laufend dazukommen. Themen, die in und mit der Mädchengruppe bewegt werden, sind derzeit insbesondere auf den Beitrag von Musliminnen für das friedliche Zusammenleben in einer heterogenen Stadtgesellschaft ausgerichtet. In diesem Rahmen hat die Mädchengruppe aktiv an der Organisation, Durchführung, Moderation unter anderem folgender Veranstaltungen mitgewirkt: o Projekt Kinderstadt des Jugendrotkreuzes „Henry Town“ im Mai 2017 (siehe http://www.henrytown.de/ueber-henrytown/): Simulation einer Moschee sowie Moscheeführung. Die Mädchengruppe hat hierzu unter Anleitung das Konzept erarbeitet und selbstständig durchgeführt. o Veranstaltung „G20 – eine christlich-islamische Begegnung“ in Kooperation mit der Nordkirche-weltweit, dem Jungendforum St. Georg/Borgfelde, der Jungen Islam Konferenz Hamburg sowie der Katholischen Akademie Hamburg im Juni 2017. o Dialogveranstaltung „Wie kann das Zusammenleben gelingen“ mit Geflüchteten sowie der christlichen Gemeinde Allermöhe im Oktober 2017. o Teilnahme am Workshop der Koordinierungsstelle für Mitgliedsgemeinden zum Thema „Wie kann eine gemeindeübergreifende Jugendarbeit aussehen“ im November 2017. Diese Ansätze sollen Mädchen/junge Frauen in ihrer Selbstwirksamkeit und Rolle als Mädchen/Frauen stärken und zugleich ihre Kompetenzen für ein gesellschaftliches Engagement erweitern. Die genannten Aufgaben und Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der bisherigen Praxiserfahrungen, neuer Erkenntnisse aus der Präventionsforschung und strukturellen Gegebenheiten der SCHURA-Gemeinden regelmäßig aktualisiert und weiterentwickelt . Die Umsetzung aller Aufgaben erfolgt in Verantwortung des Trägers. Ebenso liegt in der zivilgesellschaftlichen Verantwortung der Moscheegemeinden, ob und in welchem Umfang im Rahmen ihrer Gemeindearbeit weitere Projekte angestoßen und umgesetzt werden.