BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11146 21. Wahlperiode 05.12.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 28.11.17 und Antwort des Senats Betr.: Qualität von Gutachten In der Vergangenheit wurden bei rechtspsychologischen Gutachten immer wieder immense handwerkliche und fachliche Mängel festgestellt. Einer Studie der Hagener Psychologen Prof. Christel Salewski und Prof. Stefan Stürmer aus dem Jahr 2015 zufolge waren – je nach zugrunde gelegter Kriterien – zwischen einem Drittel und über der Hälfte der Gutachten fehlerhaft .1 Auch in der Freien und Hansestadt Hamburg stellen Fachgutachten einen wichtigen Baustein zur Urteilsfindung in besonders intensiven Streitigkeiten über elterliche Sorge, Aufenthalt der Kinder oder Umgangsrecht dar. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Gibt es Kriterien, welche Fachgutachten für Hamburgische Familiengerichte zu erfüllen haben? Wenn ja, welche sind dies? (Bitte aufschlüsseln nach obligatorisch und fakultativ.) Wenn nein, warum nicht? 2. Wer stellt fest, inwieweit Gutachten diese Kriterien erfüllen? (Bitte entsprechende Prozesse beschreiben.) 3. Wie ist durch wen zu verfahren, wenn Fachgutachten die unter 1. genannten Kriterien nicht erfüllen? Gesetzliche Kriterien für die Qualifikation von Sachverständigen in Kindschaftssachen finden sich seit Inkrafttreten der letzten Änderung am 15. Oktober 2016 in § 163 des Familienverfahrensgesetzes (FamFG). Die in § 163 FamFG genannten Kriterien zur fachlichen Qualifikation der Sachverständigen beziehungsweise des Sachverständigen sind bereits vor seiner Bestellung vom Gericht zu prüfen. Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2017 – 1 BvR 563/17 zu der Berücksichtigung teilweise unzureichender Sachverständigengutachten Stellung genommen. Darüber hinaus werden in Rechtsprechung und Literatur verschiedentlich inhaltliche Anforderungen formuliert (zum Beispiel von Richtern des Oberlandesgerichts Celle: Inhaltliche Anforderungen an Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen, NZFam 2015, 814). 1 Untersucht wurden 116 Gutachten aus 2010 und 2011 aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm (vergleiche: Salewski, C., & Stürmer, S. (2015). Qualität familienrechtspsychologischer Gutachten. Eine aktuelle empirische Studie. Kindschaftsrecht und Jugendhilfe). Drucksache 21/11146 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Beweiserhebung unterliegt im Familienverfahren aber mit Ausnahme der gesetzlichen Einschränkungen dem richterlichen Ermessen (§ 29 Absatz 1 Satz 1 FamFG). Wie mit inhaltlichen Mängeln des Gutachtens umgegangen wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Üblicherweise wird das Gutachten mit den Beteiligten erörtert und die Sachverständige beziehungsweise der Sachverständige gegebenenfalls zur Ergänzung des Gutachtens aufgefordert oder mündlich angehört. Können Mängel dadurch nicht ausgeräumt werden, kann das Gericht gegebenenfalls auch ein weiteres Gutachten einholen. Ob und inwieweit ein Sachverständigengutachten bei der Entscheidungsfindung im Einzelfall berücksichtigt wird, ist allein Frage der richterlichen Beweiswürdigung (§ 37 Absatz 1 FamFG). 4. In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2010 Fachgutachten zur Entscheidungsfindung in strittigen Fällen der elterlichen Sorge, des Aufenthaltsbestimmungsrechtes oder im Falle von Kindesentzug angefordert? (Bitte jahresweise aufschlüsseln.) Die erfragten Bereiche „Sorgerecht, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Kindesentzug“ sind als Gesamtbereich „elterliche Sorge“ zu behandeln, in dem statistisch nicht der Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts erfasst wird. Eine Verfahrensart „Kindesentzug “ gibt es nicht. Es wird statistisch nicht erfasst, ob in einem Sorgerechtsverfahren ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde. Das Amtsgericht Hamburg kann lediglich mitteilen, in wie vielen der in der Verfahrenssoftware forumSTAR einheitlich mit dem Gegenstand „elterliche Sorge“ erfassten Verfahren ein Sachverständiger als Beteiligter erfasst wurde. Ermittelt werden konnte die Zahl von 2.244 Verfahren der Hamburger Familiengerichte zwischen 2011 und 2017 (2011: 228; 2012: 324; 2013: 337; 2014: 422; 2015: 310; 2016: 402 und zum 31. Oktober 2017: 221), siehe Drs. 21/10743. Eine weitere Auswertung für das Jahr 2010 wäre nur nach erneuter, gesondert zu programmierender Datenbankrecherche möglich, was in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Eine weitere händische Auswertung der jährlich im vierstelligen Bereich liegenden Sorgerechtsverfahren wäre nur durch Sichtung der in verschiedenen Archiven, mehreren Gerichten und in aktueller Bearbeitung befindlichen Akten möglich, was ebenfalls innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. 5. In wie vielen Fällen wurde seit dem Jahr 2010 ein Fachgutachten auf handwerkliche oder fachlicher Mängel überprüft und mit welchem Ergebnis? (Bitte jahresweise aufschlüsseln.) Siehe Antwort zu 1. bis 3. sowie Drs. 21/10743. 6. In wie vielen Fällen kam eine nächsthöhere Instanz bei strittigen Fällen der elterlichen Sorge, des Aufenthaltsbestimmungsrechtes oder im Falle von Kindesentzug mit Verweis auf ein mangelhaftes Fachgutachten zu einer anderen Entscheidung als die Vorinstanz? (Bitte jahresweise aufschlüsseln .) Es wird statistisch nicht erfasst, ob das Hanseatische Oberlandesgericht mit Verweis auf ein mangelhaftes Gutachten eine Entscheidung des Familiengerichts abgeändert hat. Die Ermittlung dieser Daten würde eine händische Auswertung sämtlicher Akten der 1.771 Verfahren zum elterlichen Sorgerecht und zu einer Kindeswohlgefährdung seit 2010 erfordern. Die Verfahrensakten liegen dem Hanseatischen Oberlandesgericht nach Beendigung der Verfahren nicht mehr vor. Sie müssten deshalb angefordert werden und anschließend händisch ausgewertet werden. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. In wie vielen Fällen seit 2010 wurden Gutachter von einer zukünftigen gutachterlichen Tätigkeit für Hamburgische Institutionen aufgrund vorheriger mangelbehafteter Gutachten befristet oder unbefristet ausgeschlossen und durch wen wurde diese Entscheidung veranlasst? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11146 3 Gemäß §§ 404 der Zivilprozessordnung (ZPO), 30 Absatz 1 FamFG wählt das Gericht den Sachverständigen in den Verfahren aus. Der Ausschluss von Sachverständigen von zukünftigen gutachterlichen Tätigkeiten durch eine förmliche Entscheidung ist in der ZPO und im FamFG nicht vorgesehen. 8. Gibt es für Hamburger Richter Fortbildungsmöglichkeiten, um Mängel in Fachgutachten zumindest zu erkennen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Für Hamburger Richterinnen und Richter gab es zuletzt die folgenden Fortbildungsveranstaltungen , die auch den Umgang mit Fachgutachten zum Gegenstand hatten: Fortbildungen der Justizbehörde 19.06.2015 Familienpsychologische Gutachten 26.09.2016 Psychiatrische Tests und Gutachtenerstellung 13.06.2017 Psychiatrische Tests und Gutachtenerstellung für Familienrichter 14.06.2017 Prognosegutachten im strafrechtlichen Bereich Fortbildungen der Deutschen Richterakademie ab 2016 16.05. – 20.05.2016 Familienpsychologische Gutachten 21.11. – 25.11.2016 Arzthaftung und ärztliche Gutachten 27.11. – 02.12.2016 Psychiatrie und Psychologie im Strafverfahren 03.10. – 07.10.2016 Betreuungsrecht 04.12. – 08.12.2016 Kinderschutz, Jugendhilfe und familiengerichtliche Gutachten 11.12. – 16.12.2016 Psychiatrie und Strafrecht 23.01. – 27.01.2017 Familienpsychologische Gutachten 15.05. – 19.05.2017 Arzthaftung und ärztliche Gutachten 11.06. – 16.06.2017 Familienrecht für Fortgeschrittene 06.11. – 10.11.2017 Betreuungsrecht 19.11. – 24.11.2017 Psychiatrie und Psychologie im Strafverfahren