BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11282 21. Wahlperiode 15.12.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Daniel Oetzel (FDP) vom 07.12.17 und Antwort des Senats Betr.: Sandwesten – Einsatz an Hamburger Schulen? Es gibt Berichte, dass an 13 Grund- und Stadtteilschulen sogenannte Sandwesten eingesetzt werden, um unruhige Kinder zu beruhigen und Konzentration zu ermöglichen.1 Sandwesten sind mit Sand beschwerte Westen, die über der Kleidung getragen werden. Angeblich führt der durch das Gewicht der Westen erzeugte Druck dazu, dass die Kinder ihren Körper besser spüren und sich in der Folge besser auf Aufgaben und Unterricht konzentrieren können. Der Einsatz dieser Westen wird von Expertenseite aus einer Vielzahl von Gründen kritisiert: Die Anwendung der Westen sei bisher nicht wissenschaftlich untersucht und es handele sich hierbei lediglich um ein Beheben von Symptomen, nicht aber um eine Lösung der Probleme. Weiterhin werden die Schüler durch die Westen gekennzeichnet und abgegrenzt. Auch das Gewicht der Westen wird kritisch diskutiert.2 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: In Hamburger Schulen kommen sogenannte Sandwesten vorrangig in speziellen Sonderschulen , in Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) und in inklusionserfahrenen Schulen in Einzelfällen zum Einsatz. Im Rahmen der therapeutischen Angebote werden sie als ein Instrument von vielen zur psychomotorischen Förderung eingesetzt und können eine Alternative zur Medikamentenvergabe darstellen. Die Sandwesten haben unterschiedliche Gewichte und kommen angepasst an Größe und Gewicht und nur mit Zustimmung der Schülerinnen und Schüler zur Anwendung. Dies geschieht nur dann, wenn die Sorgeberechtigten entschieden haben, dass ihre Kinder die Westen tragen sollen. Der Einsatz von Sandwesten an Schulen wird nicht zentral erfasst. Zur Beantwortung der Fragen 1., 2., 6. und 8. bis 13. wurde daher eine Abfrage an allen 204 Grundschulen und Grundschulabteilungen der Stadtteilschulen, den 13 ReBBZ und den 13 speziellen Sonderschulen durchgeführt. Eine Qualitätssicherung ist in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nur begrenzt möglich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist dem Senat und der zuständigen Behörde bekannt, an wie vielen Schulen die genannten Sandwesten eingesetzt werden? 1 https://www.abendblatt.de/hamburg/article212749113/Sandwesten-fuer-unruhige-Kinder-in- Hamburger-Schulen.html (abgerufen am 07.12.2017). 2 https://www.abendblatt.de/hamburg/article212756663/Kinderpsychologe-kritisiert-Einsatz-von- Sandwesten.html (abgerufen am 07.12.2017). Drucksache 21/11282 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn ja, bitte die betroffenen Schulen, die Anzahl der pro Schule eingesetzten Westen und die Anzahl der Anwendungen pro Schule auflisten. Wenn nein, warum nicht? Die Sandwesten werden in wenigen pädagogischen Einzelmaßnahmen an 14 der befragten 230 Schulen verwendet. Die Anzahl der pro Schule eingesetzten Westen ist in Klammern hinter dem Schulnamen aufgeführt. Schule Bekkamp (vier Westen), Elbschule Bildungszentrum Hören und Kommunikation (drei), Schule Elfenwiese (sieben), Schule Grumbrechtstraße (20), Kurt-Juster- Schule (individuell, ohne Zahlenangabe), Louise Schroeder Schule (eine), Regionales Bildungs- und Beratungszentrum Wandsbek Süd (drei), Schule Lokstedter Damm (sechs), Schule Marmstorf (vier), Schule Öjendorfer Damm (drei),Schule Rönnkamp (eine), Schule Weidemoor (eine), Westerschule Finkenwerder (zwei), Stadtteilschule Wilhelmsburg (drei). Die Anzahl der Anwendungen wird in der Schule nicht erfasst. 2. Wer hat jeweils wann und mit welcher Begründung über den Einsatz von Sandwesten an diesen Schulen entschieden? Die Sorgeberechtigten haben eigenverantwortlich beziehungsweise auch nach Beratung durch Fachpersonal entschieden, dass ihre Kinder diese Weste tragen sollten. Als Gründe wurden die Förderung der Konzentrationsfähigkeit, die Stärkung der körpereigenen Wahrnehmung, die propriozeptive Stimulation und Tonusregulierung sowie die Kompensation einer schwachen Wahrnehmung genannt. 3. Welche rechtlichen Grundlagen bestehen für den Einsatz von Sandwesten in Schulen? Die Wahrnehmung der Erziehungsaufgaben in der Schule erfolgt in praktischer Konkordanz zwischen dem elterlichen Erziehungsrecht aus Artikel 6 Grundgesetz (GG) und dem Schulauftrag des Staates, Artikel 7 GG. In Fragen der Bekleidung wie auch beim Anlegen sogenannter Sandwesten folgt die staatliche Schule den Wünschen der Eltern, soweit diese nicht rechtswidrig insbesondere kindeswohlgefährdend sind oder ihre Erfüllung zu einer unverhältnismäßigen Störung des Unterrichtsbetriebes führte. 4. Liegen dem Senat und der zuständigen Behörde wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vor, die Wirkmechanismus, Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der Westen darlegen? Wenn ja, bitte wissenschaftlich gesicherte Begründung für den Einsatz der Westen darlegen. Wenn nein, bitte erläutern, warum keine wissenschaftlich gesicherte Begründung vorliegt und inwiefern der Einsatz von wissenschaftlich nicht gesicherten Methoden gerechtfertigt werden kann. Hinsichtlich eines Einsatzes von Sandwesten als Mittel pädagogischer Intervention bei Schülerinnen und Schülern mit Konzentrationsdefiziten und motorischer Unruhe sind der zuständigen Behörde keine wissenschaftlich umfassend abgesicherten Befunde bekannt, die die Wirksamkeit dieses Vorgehens valide bestätigen. Allerdings gibt es aus der schulischen Praxis Berichte, die auf eine positive Wirkung des Einsatzes von Sandwesten hindeuten. Entscheidend hierbei sind die Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls und die Zustimmung des Kindes. Siehe auch Antwort zu 2. 5. Ist dem Senat oder der zuständigen Behörde bekannt, ob der Einsatz der Westen zeitnah evaluiert werden soll? Wenn ja, bitte darstellen, wann dies geschieht und wer die Evaluation vornimmt. Bitte nach folgenden Sachfragen aufschlüsseln: Wirksamkeit der Westen, ethische Verträglichkeit des Einsatzes, Verhältnismäßigkeit des Einsatzes, Verhältnis von Kosten und Nutzen. Wenn nein, warum nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11282 3 Da es sich beim Einsatz der Westen um eine Entscheidung der Sorgeberechtigten handelt, ist eine Evaluation durch die zuständige Behörde nicht vorgesehen. 6. Wie sind die Westen aktuell finanziert? Werden die Westen durch Kauf oder Miete bereitgestellt? Wie hoch sind die Kosten pro Weste und an den jeweiligen Schulen? Sollten unterschiedliche Bereitstellungsformen bestehen, bitte nach Schule und Form der Bereitstellung auflisten. Die Westen werden sowohl privat von den Sorgeberechtigten als auch von den Schulen im Rahmen ihres Schuletats durch Kauf angeschafft. Die Kosten bewegen sich je nach Fabrikat und Größe zwischen 80 und circa170 Euro. 7. Ist dem Senat und der zuständigen Behörde bekannt, ob es Pläne für den weiteren Einsatz der Westen an Hamburgs Schulen gibt? Wenn ja, bitte den geplanten Zeitraum und die geplante Entwicklung, das heißt Ausweitung, Beibehaltung oder Reduzierung, des Einsatzes der Westen darstellen. Wenn nein, warum nicht? Über den Einsatz von Mitteln pädagogischer Intervention entscheiden Schulen im Rahmen ihrer Selbstverantwortung. Die zuständige Behörde wird den Einsatz weder verbieten noch befördern. 8. Findet bezüglich der Entscheidungskompetenz und der praktischen Anwendung der Westen eine Fortbildung der Lehrkräfte statt? Wenn ja, inwiefern? Wenn nein, warum nicht? Lehrkräfte, die die Sandwesten einsetzen, haben im Vorwege Fortbildungen besucht, bei denen sie sich über die Einsatzmöglichkeiten der Westen informiert haben, oder sind von Fachpersonal in die Nutzung der Westen eingewiesen worden. Die Fortbildungen oder Einweisungen wurden schulintern von (Ergo-)Therapeuten, Sonderpädagogen oder Förderkoordinatoren im Rahmen von pädagogischen Konferenzen oder Einzelfallcoaching durchgeführt. 9. Werden die Sandwesten in Absprache mit den Eltern angelegt? Siehe Antwort zu 2. 10. Wie findet die Erstanwendung der Sandweste im Einzelfall konkret statt? Gibt es eine Eingewöhnungszeit? 11. Wie lange werden die Westen pro Anwendung getragen? Erfolgt eine stufenweise Eingewöhnungsphase? In den Schulen wird die Erstanwendung der Weste von pädagogisch geschultem Personal begleitet. Die Weste wird aber auch von Sorgeberechtigten im privaten Bereich im Rahmen von Therapie-Anwendungen eingesetzt. Die Tragezeit variiert je nach Einzelfall und Zustimmung des Kindes. 12. Gibt es in Bezug auf die Dauer pro Anwendung und auch in Bezug auf die kontinuierliche Nutzung der Sandwesten verbindliche Richtlinien? Wenn ja, bitte darstellen. Wenn nein, warum nicht? Nein, Schulen beziehungsweise Sorgeberechtigte nutzen die Westen nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers. 13. Unterstehen die Sandwesten-Einsätze ärztlicher oder medizinischer Kontrolle? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht? Siehe Antwort zu 14. und 15. Drucksache 21/11282 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 14. Wie schätzt der Senat das Risiko ein, dass das Gewicht der Westen ein gesundheitliches Risiko für die Kinder darstellen könnte? 15. Wie schätzt der Senat oder die zuständige Behörde das Risiko ein, dass durch den, eventuell lediglich die Symptome mindernden, Einsatz der Westen mittelfristig eine Verschlechterung in Bezug auf die zugrunde liegenden Probleme der Unruhe und der Störung der Aufmerksamkeit erzeugt wird? Der Einsatz der Sandwesten an Schulen zu den hier in Rede stehenden Zwecken erfolgt erst seit Kurzem. Insoweit liegen hierzu keine Ergebnisse zur längerfristigen Wirksamkeit oder auch möglichen negativen Effekten bei einem lang andauernden Einsatz vor. Die Nutzung von Sandwesten zu pädagogischen Zwecken wird kontinuierlich durch die in den Schulen eingesetzten pädagogischen Fachkräfte begleitet und bewertet. Die bisherigen Erfahrungen deuten nicht auf mögliche negative Folgen eines längerfristigen Einsatzes der Sandwesten hin. Im Übrigen sind sie nur ein Element im Rahmen eines umfassenden Maßnahmenkatalogs auf der Basis eines individuellen pädagogischen Förderplans.