BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/113 21. Wahlperiode 31.03.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 23.03.15 und Antwort des Senats Betr.: Einsatz von Reizstoffen Die Anwendung von Pfefferspray durch Polizeibeamtinnen und -beamte als Mittel zur Ausübung unmittelbaren Zwangs ist mit gravierenden und zugleich schwer abschätzbaren gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Personen verbunden, wie auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in einer Stellungnahme für eine Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 7. November 2011einräumte: „Selbstverständlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass gravierende Gesundheitsstörungen eintreten können, wenn etwa Störer unter Einfluss von Drogen stehen oder unter Atemwegserkrankungen leiden, die die Wirkung von Pfefferspray verstärken können.“ Empirische Studien wie auch die Fachliteratur weisen zunehmend darauf hin, dass die Anwendung von Pfefferspray beziehungsweise chemischen Substituten in einer Reihe von Fällen mitursächlich für den Tod von Menschen war. Eine erhöhte Gefahr besteht insbesondere bei gesundheitlich vorbelasteten Menschen sowie bei Personen, die unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Drogen stehen. Auch in Deutschland sind mehrere Todesfälle nach Pfefferspray-Einwirkungen dokumentiert. Umso beunruhigender sind Aufnahmen, die von Polizeieinsätzen im Rahmen der „Blockupy“-Proteste veröffentlicht wurden. Zu sehen ist, wie Polizistinnen/ Polizisten mit Granatpistolen Tränengasgranaten verschießen: https://youtu.be/dxkubppqzrk. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Behördenmitarbeiter/-innen, Beamte/-innen und Angestellte der Freien und Hansestadt Hamburg sind befugt, Pfefferspray einzusetzen? 2. Welche Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Verordnungen oder Richtlinien regeln den Einsatz von Pfefferspray durch diese Personen? 3. Welche Reizstoffe sind bei der Polizei im Einsatz, und auf welcher Grundlage erfolgt jeweils die Beschaffung (bitte aufgliedern nach Typen, Fabrikaten, Füllmenge, Herstellern der Reizgase und bei Pfefferspray auch nach synthetischer und natürlicher Ware)? 4. Welche Reizstoffsprühgeräte und Abschussvorrichtungen für Reizstoffgranaten sind bei der Polizei im Einsatz (bitte aufgliedern nach Einsatzreichweite , Sprühbilddurchmesser, Mindestzahl von Ein-SekundenStrahlstößen )? Drucksache 21/113 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 5. Welche medizinischen beziehungsweise toxischen Gutachten liegen der Verwendung von Reizstoffen zugrunde und inwieweit ist der Einsatz bestimmter Reizgase aufgrund gesundheitlicher Risiken der Polizei ausdrücklich untersagt? Siehe Drs. 20/197. 6. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat vor a) bezüglich der Todesopfer bundesweit im Zusammenhang mit Pfeffersprayeinsätzen der Polizeien, Keine. b) bezüglich der Verletzten infolge von Pfeffersprayeinsätzen der Polizei in Hamburg seit Beantwortung meiner Schriftlichen Kleinen Anfrage „Einsatz von Reizstoffen durch Hamburger Vollzugsbeamte “; Drs. 20/197. Angaben zu Verletzten werden weiterhin nicht erhoben. Die in Drs. 20/197 angegebenen zumindest möglichen körperlichen Reaktionen bei Betroffenen gelten unverändert . 7. Wie beurteilt der Senat den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei vor dem Hintergrund bekannter Todesfälle in Deutschland und anderen Ländern sowie möglicher gesundheitlicher Schäden? 8. Wie finden Ausbildung und Training der Polizeibeamtinnen und -beamten in Bezug auf den Einsatz von Reizstoffen statt und inwieweit wird bei der Ausbildung auf mögliche Risiken und Gesundheitsgefährdungen durch den Einsatz von Reizstoffen hingewiesen? Siehe Drs. 20/197. 9. Nach welchen Vorschriften beziehungsweise nach welchem Verfahren müssen Beamtinnen und Beamte der Polizei die Anwendung von Pfefferspray als Hilfsmittel körperlicher Gewalt gegen Personen melden? Inwiefern (Rhythmus, Kriterien) werden diese Meldungen ausgewertet, und welche Schlussfolgerungen haben Senat beziehungsweise die zuständige Behörde bislang aus den Auswertungen gezogen (bitte die wesentlichen Erkenntnisse aus den Auswertungen angeben)? Gemäß Polizeidienstvorschrift (PDV) 350 HH besteht für die einschreitenden Beamtinnen und Beamten die Verpflichtung, einen Reizstoffeinsatz an die einsatzführende Dienststelle zu melden und in einem Bericht aktenkundig zu machen. Auswertungen im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht vorgenommen. Allerdings haben Vorgesetzte die Pflicht, den Einsatz von Zwangsmitteln im Rahmen der Dienstaufsicht zu bewerten. Im Übrigen siehe Drs. 20/197 und 20/5820. 10. Welche vorsorgenden Maßnahmen zur Erstversorgung und zur ärztlichen Behandlung von Menschen, die dem Reizstoff ausgesetzt sind beziehungsweise sein könnten, trifft die Polizei a) im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray bei Großveranstaltungen und anderen Menschenansammlungen, b) im Zusammenhang mit dem Einsatz gegen einzelne Personen? Siehe Drs. 20/197. 11. In wie vielen Fällen haben Polizeibeamtinnen und -beamte seit Beantwortung meiner Schriftlichen Kleinen Anfrage „Einsatz von Reizstoffen durch Hamburger Vollzugsbeamte“; Drs. 20/197, Pfefferspray eingesetzt a) im Zusammenhang mit Großveranstaltungen wie Demonstrationen, Fußballereignissen oder Ähnlichem, b) gegen einzelne Personen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/113 3 Bitte nach Jahren aufschlüsseln. Sollte die Beantwortung im für die Beantwortung einer schriftlichen kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht möglich sein, bitte für den möglichen Zeitraum beantworten. Siehe Drs. 20/197 und 20/10326. Eine Auswertung im Sinne der Fragestellung würde die Durchsicht des entsprechenden Vorgangs-/Berichtsaufkommens der Polizei im ersten Vierteljahr 2015 erfordern. Das Berichtsaufkommen umfasst mehr als 190.000 Einzelvorgänge, sodass auch eine Teilauswertung der Strafanzeigen und sonstigen Berichte durch die Dienststellen der Polizei in der für Parlamentarische Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. 12. Wie viele Einheiten welcher Reizstoffe wurden seit dem 01.01.2011 beschafft (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Für die Polizei ist die Zahl der beschafften Einheiten nachstehender Tabelle zu entnehmen : Jahr RSG 2 RSG 3 RSG 4 2011 490 3.280 220 2012 180 2.220 180 2013 180 2.700 0 2014 580 3.810 300 2015* 0 1.020 0 * bis 24. März 2015 13. Welche Untersuchungen oder Erhebungen der Bundespolizei, anderer Dienststellen oder Dritter, die sich mit möglichen Gesundheitsschädigungen (körperlich und psychisch) durch den Einsatz von Reizstoffen sowie möglichen technischen Problemen und Handhabungsmängeln der Geräte befassen, sind Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde bekannt und was sind die wesentlichen Erkenntnisse? 14. Wie viele Polizistinnen und Polizisten des Bundes kamen in den Jahren 2013 und 2014 bei der Verwendung der von ihnen eingesetzten Reizstoffe selbst zu Schaden beziehungsweise waren von deren Wirkstoffen selbst betroffen(zum Beispiel durch das Verwenden in geschlossenen Räumen, stehende Nebelwolke im Einsatzkorridor, gleichzeitiges „Vorrücken “ und Sprühen gegen eine Menschenmenge, Streuwirkung/ abprallender Strahl vom Ziel et cetera)? Sollte die Beantwortung in der für die Beantwortung einer schriftlichen kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich sein, bitte für den möglichen Zeitraum beantworten. 15. Wie beurteilt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde nach derzeitigem Stand die mögliche Wirkung bei Menschen mit einer Asthmaerkrankung , allergen vorbelasteten Menschen und Menschen mit Kreislauferkrankungen beziehungsweise Personen, die Drogen oder Psychopharmaka eingenommen haben? Siehe Drs. 20/197 sowie BT-Drs.17/13040. Darüber hinaus liegen keine weiteren Erkenntnisse vor. 16. Welche Kenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde über den Einsatz von Reizgasgranaten, wie sie im eingangs erwähnten Video zu sehen sind, a) durch die Hamburger Polizei, b) durch andere Polizeien im Rahmen von Einsätzen, an denen auch Hamburger Beamte/-innen beteiligt sind, c) durch andere deutsche Polizeien? Ein Einsatz von Reizstoffen über Abschussvorrichtungen, wie zum Beispiel mittels einer Mehrzweckpistole (MZP), erfolgt in Hamburg nicht. Weitere Erkenntnisse im Drucksache 21/113 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Sinne der Fragestellung liegen nicht vor und sind in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht verfügbar. 17. Inwiefern gibt oder gab es Überlegungen und Planungen des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörden, vergleichbare Reizgasgranaten auch für Hamburger Behörden anzuschaffen? 18. Inwiefern gab oder gibt es Bestrebungen im Rahmen der Innenministerkonferenz , die Ausrüstungen zum Verschießen von Reizstoffen der Polizeien aufzurüsten? Die Bereitschaftspolizeien von Bund und Ländern sind durch den Bund mit der MZP 1 ausgestattet. Weitere Überlegungen/Planungen sind nicht bekannt. Für Hamburg siehe Antwort zu 16. 19. Welche sonstigen Bestrebungen, Planungen, Pilotprojekte et cetera, die Ausrüstungen zum Verschießen von Reizstoffen der Polizeien aufzurüsten , durch welche deutschen Stellen sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde bekannt? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor.