BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11357 21. Wahlperiode 19.12.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dennis Gladiator und Franziska Grunwaldt (CDU) vom 13.12.17 und Antwort des Senats Betr.: Organisierter Sozialbetrug mit Südosteuropäern auch in Hamburg? Einem Artikel der „Westfälischen Nachrichten“ zufolge kassieren Tausende Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien in Nordrhein-Westfalen zu Unrecht Sozialhilfe oder Kindergeld. Schlepperbanden – vorwiegend gesteuert von türkischen, libanesischen oder osteuropäischen Clans – sollen dazu gezielt Lücken im deutschen Sozialsystem ausnutzen: „Zunächst kaufen Hintermänner in Städten oder Stadtteilen, in denen Wohnraum besonders billig ist, sogenannte Schrott-Immobilien auf. (…) Anschließend bringen Schlepper Tausende Kinder, Frauen und Männer aus Südosteuropa ins Ruhrgebiet und quartieren sie für eine gewisse Zeit in diese Häuser ein. (…) Hinter den Vermietern stehen oft Firmengeflechte, in denen Strohmänner oder Firmen ineinander geschachtelt sind. Diese Banden statten dann die Mieter – viele davon Sinti und Roma – mit Scheinarbeitsverträgen aus. Lohn erhalten sie nur in geringem Umfang. Oder gar keinen. Lesmeister (Anm. Ordnungsdezernentin der Stadt Duisburg): „Mit Hilfe von Dolmetschern werden dann Sozialleistungen zum Beispiel im Rahmen der Hartz-IV-Aufstockungen beantragt und gezahlt. Dazu kommen Anträge auf Kindergeld. Dieses Geld fließt zwar auf Konten der Antragsteller, aber das Geld wird den Betroffenen oft wieder abgenommen.“ Für die Hintermänner ein lukratives Geschäft. Nach Informationen unserer Zeitung verdienen die Hintermänner pro gekauftem Haus durchschnittlich 100.000 im Monat. Viele Hintermänner oder Strohmänner haben zehn dieser Immobilien. Die Städte kämpfen gegen den Sozialbetrug . In Gelsenkirchen setzt die Verwaltung seit geraumer Zeit auf intensive Großkontrollen.“ (http://www.wn.de/NRW/2017/03/2755807-Abzockemit -Schrott-Haeusern-im-Ruhrgebiet-Rumaenen-und-Bulgaren-kassieren-zu- Unrecht-Sozialleistungen.) Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Vor dem Hintergrund von Hinweisen auf organisierten Sozialleistungsmissbrauch in einigen Ländern hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Anfang des Jahres zu einer Bund-Länder-Besprechung eingeladen, um die Länder für das Thema zu sensibilisieren. Hamburg hat dies zum Anlass genommen, eine behörden- und ämterübergreifende Arbeitsgruppe einzusetzen, die aufklären soll, ob es in Hamburg zu organisiertem Sozialleistungsmissbrauch gekommen ist. Da Fälle des organisierten Sozialleistungsmissbrauchs vielfach untrennbar mit prekären Arbeits-, Wohn- und sonstigen Lebensverhältnissen verbunden sind, sind auch auf operativer Ebene eine behörden- und ämterübergreifende Betrachtung und ein konzertiertes Vorgehen erforderlich. Die zuständige Behörde hat eine koordinierende Funktion bei der Bekämpfung des organisierten Sozialleistungsmissbrauchs übernommen . Drucksache 21/11357 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Inzwischen wurden zwei „Aktionstage“ unter der Beteiligung diverser Dienststellen durchgeführt. Die Auswertung aller Ergebnisse ist noch nicht abgeschlossen. Siehe hierzu auch folgende Pressemitteilung: http://www.hamburg.de/basfi/ pressemeldungen/9996038/2017-12-01-basfi-aktion-sozialleistungsmissbrauch/. Zum Umgang mit der Zuwanderung im Rahmen der EU-Freizügigkeit siehe Drs. 21/6559. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist den zuständigen Behörden bekannt, ob es auch in Hamburg fingierte Arbeitsverträge mit ausländischen Zuwanderern vor allem aus südosteuropäischen Staaten gibt? a. Falls ja, seit wann ist ihnen dieses Problem bekannt? b. Falls ja, welche Erkenntnisse über Art und Ausmaß dieser Vorgehensweisen liegen vor? c. Falls ja, welche Erkenntnisse liegen darüber vor, in welchem Umfang Hartz-IV-Aufstockungen, Kindergeld oder weitere Sozialleistungen beantragt wurden? Bitte Schadenshöhe pro Jahr angeben . d. Falls ja, welche Maßnahmen werden jeweils von wem ergriffen, i. um entsprechende Formen des organisierten Sozialbetrugs aufzudecken? ii. wenn festgestellt wird, dass Arbeitgeber fingierte Arbeitsverträge geschlossen haben? e. Falls ja, welche Informationen liegen über die Hintermänner vor? Wie viele Ermittlungsverfahren wurden in diesem Zusammenhang bereits eingeleitet? f. Falls nein, inwiefern kann ausgeschlossen werden, dass es einen organisierten Sozialbetrug mit fingierten Arbeitsverträgen für osteuropäische Zuwanderer in Hamburg gibt? Den zuständigen Behörden sind keine organisiert auftretenden Fälle mit fingierten Arbeitsverträgen im Sinne der Fragestellung bekannt. Im Einzelfall stehen den zuständigen Behörden in Fällen des organisierten Sozialleistungsbetrugs die Instrumente des Ordnungswidrigkeitenrechts beziehungsweise die Möglichkeit der Erstattung einer Strafanzeige sowie die verwaltungsrechtlichen Instrumente zur Aufhebung von Sozialleistungsbewilligungen und Rückforderung überzahlter Leistungen zur Verfügung . Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft werden einzelne Umstände registrierter Betrugstaten nicht detailliert erfasst. Insbesondere wird nicht zuverlässig dokumentiert, ob Tatvorwürfe im Zusammenhang mit der Beantragung von Sozialleistungen stehen. Zur fundierten Beantwortung der Fragen müssten sämtliche noch zur Verfügung stehenden Verfahrensakten händisch ausgewertet werden, für die als Tatvorwurf Betrug nach § 263 StGB in MESTA erfasst ist. Hierbei handelt es sich jedoch allein bezogen auf den Aktenzeichenjahrgang 2016 um fast 40.000 Js-/UJs-Verfahren, deren Auswertung in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Zu welchen Auswirkungen führt der Abschluss von Arbeitsverträgen auf das Aufenthaltsrecht für die südosteuropäischen Zuwanderer nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU? Wer leitet jeweils welche Maßnahmen ein, sofern festgestellt wird, dass der Arbeitsvertrag fingiert war? Mit Abschluss eines Arbeitsvertrages und Aufnahme der vereinbarten Beschäftigung wird der Freizügigkeitstatbestand des § 2 Absatz 2 Nummer 1 FreizügG/EU erfüllt. Für Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11357 3 den Fall einer ausländerbehördlichen Überprüfung des Vorliegens beziehungsweise Fortbestandes des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Absatz 3 FreizügG/EU kann durch den Arbeitsvertrag das bestehende Freizügigkeitsrecht nachgewiesen werden. Wird dabei ein fingierter Arbeitsvertrag vorgelegt, dem kein echtes Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegt, und wird dieser Umstand bekannt, so wird grundsätzlich ein Strafermittlungsverfahren nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU eingeleitet. Außerdem wird ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 7 FreizügG/EU wegen Vortäuschens der Voraussetzungen dieses Rechts durch Verwendung von gefälschten oder verfälschten Dokumenten oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeleitet. Mit dem Bescheid über die Verlustfeststellung wird eine Ausreisefrist von in der Regel mindestens einem Monat gesetzt und die Abschiebung angedroht (§ 7 Absatz 1 Freizüg G/EU). Nach Maßgabe von § 7 Absatz 2 Sätze 2 bis 8 FreizügG/EU kann in dem Bescheid auch eine befristete Wiedereinreisesperre verhängt werden. Wird der Bescheid bestands- oder rechtskräftig, so sind die Betreffenden ausreisepflichtig. Kommen sie ihrer Ausreiseverpflichtung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so wird die Ausreise gegebenenfalls zwangsweise durch Abschiebung durchgesetzt. Gegen ausländische Arbeitgeber, die solche fingierten Verträge ausstellen, wird grundsätzlich ebenfalls ein Strafermittlungsverfahren nach § 95 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG i.V.m. § 11 Absatz 1 Satz 1 FreizügG/EU eingeleitet. Nach einer strafrechtlichen Verurteilung wird bei Drittstaatsangehörigen die Ausweisung, bei Unionsbürgern die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 6 FreizügG/EU geprüft und gegebenenfalls vollzogen. Wird der Bescheid bestands- oder rechtskräftig, so sind die Betreffenden ausreisepflichtig. Kommen sie ihrer Ausreiseverpflichtung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so wird die Ausreise gegebenenfalls zwangsweise durch Abschiebung durchgesetzt.