BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/114 21. Wahlperiode 31.03.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 23.03.15 und Antwort des Senats Betr.: Wieder Koranverteilungsaktionen in Hamburg – Schüler und Jugendliche besser schützen Die Verteilung religiöser Schriften ist grundsätzlich durch die verfassungsrechtlich garantierte Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes und von Extremismusexperten sind die Koran-Verteilungsaktionen LIES! leider auch ein wichtiger Teil der Anwerbestrategie radikaler Salafisten und Islamisten, gerichtet vor allem an junge Menschen. Die Analyse der Radikalisierungsverläufe von Jugendlichen zeigt, dass neben dem Freundeskreis, dem Internet und bestimmten MoscheeGemeinden , über die Infotische von LIES! sehr erfolgreich Erstkontakte zu Jugendlichen hergestellt werden. Über die Infotische findet eine aggressive Missionierung zum vermeintlich einzig wahren Islam, die Anwerbung für den Salafismus als Lebensform und radikale Ausprägung des Islam aber auch für den Dschihad etwa im Irak oder Syrien statt. Deshalb geht von diesen bundesweit und auch in Hamburg stets häufiger werdenden Aktionen eine erhebliche Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Die dringend notwendige Präventionsarbeit steckt noch in den Anfängen und reicht an den Schulen jedenfalls nicht aus. Auch die jugendlichen Täter, die mutmaßlich für den Brandanschlag auf die MOPO verantwortlich sind, sind zu einem wesentlichen Teil über dieses Anwerbeinstrument radikalisiert worden. Erst am Samstag, dem 21. März 2015, hat es in Hamburg wieder öffentliche Aktionen der Koranverteilungskampagne LIES! gegeben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Koranverteilungsaktionen in Form von Informationsständen sind genehmigungspflichtige Sondernutzungen nach dem Hamburger Wegegesetz (HWG). Die Genehmigungen werden vom zuständigen Bezirksamt erteilt. Eine Zuständigkeit der Polizei ist nur zur Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung gegeben. Vor dem Hintergrund der Fragestellung führt der Senat im Folgenden solche Koranverteilungsaktionen auf, von denen bekannt ist, dass sie einen salafistischen Hintergrund haben. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Koranverteilungsaktionen haben nach Erkenntnissen des Senats wo (Standort, gegebenenfalls Schulnähe und Bezirk) in der Stadt Hamburg seit 2011 – 2014 stattgefunden? Koranverteilungsaktionen finden nach Kenntnis der zuständigen Behörden in Hamburg erst seit dem Jahr 2012 statt. Den zuständigen Behörden sind folgende salafistischen Koranverteilungsaktionen in Form von Informationsständen bekannt geworden. Drucksache 21/114 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2012: 19 salafistische Koranverteilungsaktionen. Diese Aktionen konzentrierten sich auf den Bezirk Hamburg-Mitte und fanden an der Spitalerstraße/Glockengießerwall, am Ballindamm, Steintorwall, Ida-Ehre-Platz und an der Möllner Landstraße statt. Eine Aktion fand im Bezirk Harburg an der Lüneburger Straße statt. 2013: 26 salafistische Koranverteilungsaktionen im Bezirk Hamburg-Mitte, die an wechselnden Standorten stattfanden: Spitalerstraße/Glockengießerwall, Jungfernstieg , Reesendammbrücke sowie Mönckebergstraße. Eine weitere salafistische Koranverteilungsaktion fand im Bezirk Wandsbek im Holstenhofweg statt. 2014: 50 salafistische Koranverteilungsaktionen im Bezirk Hamburg-Mitte, diese fanden an folgenden Standorten statt: Spitalerstraße/Glockengießerwall, Jungfernstieg, Reesendammbrücke, Gänsemarkt, Ballindamm und Steintorwall. Neben den angemeldeten Aktionen in Form von Informationsständen fanden im Jahr 2014 sogenannte Street-Dawa-Aktivitäten statt, bei denen der Koran auf der Straße aus mitgeführten Taschen heraus verteilt wird. Diese Aktionen unterliegen keiner Anmelde- und Genehmigungspflicht bei Bezirksämtern oder Versammlungsbehörde. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Welche Koranverteilungsaktionen haben in Hamburg wo (Standort, gegebenenfalls Schulnähe und Bezirk) im Jahr 2015 und insbesondere am 21.03.2015 stattgefunden? Den zuständigen Behörden sind im Jahr 2015 14 salafistische Koranverteilungsaktionen in Form von Informationsständen bekannt geworden. Alle fanden im Bezirk Hamburg-Mitte an wechselnden Standorten statt: Spitalerstraße/ Glockengießerwall, Reesendammbrücke, Ballindamm und Glockengießerwall an der Bahnhofsmission. Am 21. März 2015 wurden nach Erkenntnissen der zuständigen Behörden zwei dieser Informationsstandaktionen an folgenden Standorten durchgeführt: An der Spitalerstraße von der salafistischen Organisation „LIES!“ und am Ballinndamm von „Siegel der Propheten Team Hamburg“. 3. Für welche der unter 1. und 2. genannten Aktionen wurden Genehmigungen welcher Art beantragt und erteilt? In welchen Fällen wurden Genehmigungen mit welcher Begründung versagt? Für alle der hier genannten Informationsstände wurden Genehmigungen beantragt und gemäß § 19 Absatz 1 Hamburgisches Wegegesetz (Sondernutzung) eine Nutzungsgenehmigung erteilt. Lediglich im Dezember 2014 wurden Genehmigungen versagt, da die Flächen bereits anderweitig vergeben waren (Weihnachtsmärkte, Infostände von Parteien). 4. Welche rechtlichen Regelungen haben die Veranstalter der Koranverteilungsaktionen zu beachten und wie werden diese im Einzelfall kontrolliert ? 5. Welche wegerechtlichen Vorgaben für die Größe und Ausgestaltung von Infotischen, Werbematerial sowie Abstandsflächen haben die Veranstalter einzuhalten? In welchen der zu 1. – 3. genannten Fälle wurde die Einhaltung dieser Vorgaben kontrolliert und nicht eingehalten? Welche Konsequenzen hat welche Behörde im Einzelfall jeweils daraus gezogen ? Veranstalter benötigen eine Sondernutzungserlaubnis nach § 19 Absatz 1 Hamburgisches Wegegesetz. Es wurden punktuelle Kontrollen der Behörden durchgeführt, bei denen keine Verstöße nach dem Wegerecht festgestellt wurden. 6. Wie viele Koranverteilungsaktionen wurden in Hamburg mit welcher Begründung verboten? In wie vielen Fällen wurden bei einzelnen Aktionen Platzverweise gegen einzelne Teilnehmer der Aktionen oder andere polizeiliche Maßnahmen ergriffen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/114 3 Verbote im Sinne der Fragestellung oder Platzverweise wurden seitens der Behörden nicht ausgesprochen. Die Polizei hat am 14. November 2014 in der Wandsbeker Allee die Personalien von sieben Personen festgestellt, die im Rahmen der LIES!-Aktion auf dem Gehweg Handzettel verteilten. Am 21. März 2015 hat die Polizei an je einem Koranverteilungsstand im Bereich Spitaler Straße/Glockengießerwall sowie im Bereich Ballindamm, Eingang Europapassage, die Personalien von jeweils sechs Personen festgestellt. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 7. Wie viele Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern über aggressive Missionierungsversuche in Zusammenhang mit den zu 1. und 2. genannten Aktionen hat es gegeben? Wo können sich Bürgerinnen und Bürger beschweren? Gibt es eine zentrale Telefonanlaufstelle, die öffentlich bekannt gemacht worden ist? Wenn nein, warum nicht? Es gab vereinzelte Beschwerden bei den Bezirken und bei einem Polizeikommissariat. Eine statistische Erfassung der Beschwerden und ihrer Anlässe erfolgte nicht. Beschwerden nehmen das Zentrum für Wirtschaftsförderung, Bauen und Umwelt und die Polizeikommissariate der Stadt entgegen. Eine zentrale Telefonstelle ist die der Öffentlichkeit bekannte Behördennummer 115. 8. Wer waren beziehungsweise sind die Veranstalter der zu 1. und 2. genannten Koranverteilungsaktionen in Hamburg und bundesweit? Welche Erkenntnisse über deren Verbindung zu salafistischen und islamistischen Organisationen gibt es? Werden die Aktionen zentral gesteuert? Wird bundesweit das gleiche Informationsmaterial und die gleiche Ausstattung der Infotische verwandt? Die Anmelder und Betreiber der Informationsstände im Zusammenhang mit der Verteilaktion „LIES!“ sind in Hamburg grundsätzlich alle dem salafistischen Spektrum zuzuordnen. Die Hamburger Verteilaktionen sind eingebettet in eine bundesweite Kampagne des islamistischen Predigers Ibrahim Abou-Nagie, der dem islamistischsalafistischen Missionierungsnetzwerk „Die Wahre Religion“ (DWR) aus Frankfurt am Main vorsteht. Soweit dem Senat bekannt, sind Aufmachung und Ausstattung der „LIES!“-Stände bundesweit identisch. Dies gilt auch für die verteilten Koran-Exemplare . Die Informationsstände der Organisation „Siegel der Propheten Team Hamburg“ werden von einer Person aus Hamburg angemeldet, die der salafistischen Szene zuzurechnen ist. Durchgeführt werden die Verteilungsaktionen dann von der Hamburger Sektion dieser bundesweit agierenden Dawa-Organisation, die insbesondere bei Facebook auftritt und über ihre Aktionen berichtet. Gründer von „Siegel der Propheten “ ist eine Person aus Düsseldorf, die auch den salafistischen Verein „Helfen in Not“ (Sitz in Neuss), initiiert hat. Die Anmeldungen verlaufen nach Erkenntnissen des Senats dezentral, aber in Abstimmung mit der Person aus Düsseldorf. Diese Person war bei den bisher drei Koranverteilungsaktionen in Hamburg anwesend. Infomaterial wie Korane, Zeitschrift oder Flyer und Ausstattungen (Banner, Aufsteller und T-Shirts) werden bundesweit verwandt. Im Übrigen siehe Antworten zu 1 und 2. 9. Welche Strategie verfolgt der Senat, um die Koranverteilungsaktionen in Hamburg seinerseits einzudämmen? Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg weist regelmäßig über Internetbeiträge , Veröffentlichungen in Medien und auch durch Vorträge in verschiedenen Institutionen auf die Hintergründe der Koranverteilungsaktionen und der von ihnen ausgehenden Gefahren hin. Im April 2014 informierte der Verfassungsschutz drei Wochen lang im Rahmen seiner Ausstellung „Die missbrauchte Religion. Islamisten in Deutschland“ auch über die Koranverteilungen. Die Ausstellung wurde unter anderem von zahlreichen Schulklassen besucht. Drucksache 21/114 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Zurzeit wird unter Federführung der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration ein Präventionsnetzwerk gegen religiös motivierten Extremismus aufgebaut. Siehe dazu Drs. 20/13460. 10. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat über eine Beteiligung von Jugendlichen aus Hamburg insbesondere Schülerinnen und Schülern oder Studenten an den Aktionen der Koranverteilungskampagne LIES! vor? Welche Hamburger Schulen besuchen beziehungsweise besuchten die Schülerinnen und Schüler, von denen bekannt ist, dass sie an den Aktionen der Koranverteilungskampagne LIES! teilnehmen? An der Verteilungskampagne sind in wechselnder Besetzung auch Jugendliche beteiligt , darunter auch Schülerinnen und Schüler und Studierende. Der Senat sieht davon ab, Schulen öffentlich zu benennen, die einzelne Schülerinnen und Schüler besucht haben, da kein Zusammenhang zwischen dem Verhalten der einzelnen Personen und ihrem Schulbesuch erkennbar ist und somit eine Stigmatisierung der Bildungseinrichtung vermieden wird. 11. Welche Veranstaltungen und Infostände haben die salafistischen Hilfsorganisationen „Helfen in Not“ und „Ansaar International“ (auch bekannt als „Ansaar Düsseldorf “) zwischen 2011 – 2014 in Hamburg durchgeführt? Welche Veranstaltungen und Infostände haben die salafistischen Hilfsorganisationen im laufenden Jahr 2015 in Hamburg durchgeführt? „Helfen in Not e.V.“ veranstaltete am 21. April 2013, 25. Dezember 2013 und 20. April 2014 drei Benefiz-Veranstaltungen (Spendensammlung für Syrien) in Hamburg. „Ansaar International“ organisierte zwei Info-Stände am 12. Oktober 2013 und am 2. November 2013 sowie eine Benefizveranstaltung (Spendensammlung für Syrien) am 5. Januar 2014. Im Jahr 2015 wurden bisher keine Stände oder Veranstaltungen der genannten Vereine angemeldet. 12. In der Drs. 20/10743 führt der Senat aus, dass es in der Vergangenheit offensive Versuche von Mitgliedern der gewaltbereiten islamischen Organisation Hizb ut-Tahrir (HuT) gegeben habe, um junge Menschen an Schulen für ihre Propaganda zu gewinnen. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat über die Aktivitäten und Anwerbeversuche von HuTMitgliedern an Schulen und Bildungseinrichtungen in Hamburg vor? Die Hizb ut-Tahrir (HuT)-Anhänger versuchen weiterhin in Einzelgesprächen, insbesondere junge Menschen mit Migrationshintergrund für die eigene Organisation zu gewinnen. Allerdings geben sie sich zunächst nicht als Angehörige der HuT zu erkennen . Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird der wahre Hintergrund des Werbenden offengelegt. Im Übrigen siehe Drs. 20/13214, Drs. 20/13241, Drs. 20/13716 und Drs. 20/10743. 13. Inwiefern werden Schülerinnen und Schüler Hamburger Schulen über die Hintergründe der Aktionen der Koranverteilungskampagne LIES! informiert und vor möglichen Anwerbeversuchen gewarnt? Wie unter anderem in Drs. 20/13460 ausgeführt, führt das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Aufklärungs- und Fortbildungsveranstaltungen an den Schulen durch, mit denen über die Propaganda- und Anwerbepraktiken islamistischer Extremisten detailliert informiert wird. Dazu gehören auch die in der Fragestellung genannten Aktivitäten. An schulöffentlichen Veranstaltungen dieser Art werden im Benehmen mit der Schulleitung zuweilen auch Schülerinnen und Schüler sowie Sorgeberechtigte beteiligt. Ziel der Veranstaltungen ist unter anderem, das Verantwortungsbewusstsein der Jugendlichen hinsichtlich von zu beobachtenden Radikalisierungsentwicklungen bei Gleichaltrigen zu schärfen. Die Lehrkräfte und die Schulleitungen werden bei der schulinternen Fortbildung und Beratung mit Informationen und Analysen versorgt, die sie für die Präventionsarbeit im Rahmen von Unterricht und Projekten nutzbar machen können. Im Übrigen siehe Antwort zu 9.