BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11458 21. Wahlperiode 02.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 27.12.17 und Antwort des Senats Betr.: G20: Öffentlichkeitsfahndung der SoKo „Schwarzer Block“ – Läuft alles rechtmäßig? Seit dem 18.12.2017 betreibt die SoKo „Schwarzer Block“ eine Öffentlichkeitsfahndung nach mutmaßlichen Straftätern/-innen im Rahmen des G20- Gipfels in Hamburg. Hierzu wurden Lichtbilder von mehr als 100 unbekannten Tatverdächtigen der Öffentlichkeit über die Medien und ein eigenes Online -Portal zugänglich gemacht. Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem Beschuldigten/einer Beschuldigten ist nur bei dem Verdacht einer bestimmten Straftat von erheblicher Bedeutung und nur dann zulässig, wenn die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre (Subsidiaritätsklausel). Diese hohe Hürde beim Einsatz der Öffentlichkeitsfahndung ist nach Ansicht der Fragestellerin insbesondere im Zeitalter der sozialen Medien von großer Bedeutung, denn ein Foto, das in der Öffentlichkeit des Internet gelandet ist, ist nicht mehr zurückzuholen (siehe auch: https://www.heise.de/newsticker/ meldung/Datenschuetzer-tadelt-Hamburger-Polizei-fuer-massenhafte- Internetfahndung-nach-G20-Randalierern-3923618.html). Bei einem der mit Foto Gesuchten handelt es sich nach Medienberichten (http://www.tagesschau.de/inland/g20-fahndung-103.html) offenkundig um einen rechten Videoblogger, der seinerseits bereits im Juli eigene Aufnahmen auf seinem Blog veröffentlicht hatte. Da der Blog öffentlich zugänglich ist, wäre es möglich gewesen, diese Person unter Wahrung der Subsidiaritätsklausel auch ohne Öffentlichkeitsfahndung zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit mehreren Monaten in einer Vielzahl von Fällen wegen Straftaten, die anlässlich des G20-Gipfels begangen wurden. Sofern sich die Ermittlungen gegen nicht namentlich bekannte Beschuldigte richteten und geeignete Lichtbilder vorlagen, wurden die Ermittlungen auch durch Ausschreibungen der unbekannten Beschuldigten im LKA-Blatt zur Feststellung ihrer Identität geführt (§§ 131a Absatz 1, 2 und 5, 131c Absatz 1 StPO). Sofern diese Ermittlungen nicht zur Identifizierung der tatbeteiligten Personen führten, hat die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf die bislang erfolglos gebliebenen Ermittlungen in geeigneten Fällen unter den Voraussetzungen des § 131b Absatz 1 StPO Anträge auf Anordnung einer Öffentlichkeitsfahndung beim Amtsgericht Hamburg gestellt (§ 131c Absatz 1, 1. Halbsatz Drucksache 21/11458 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 StPO), ansonsten hätten die Verfahren mangels Identifizierung der Beschuldigten eingestellt werden müssen. Allen Fällen lag zuvor eine erfolglose Ausschreibung im LKA-Blatt zugrunde. Es handelte sich jeweils um Straftaten von erheblicher Bedeutung, namentlich um Delikte, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr bedroht sind (besonders schwere Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte beziehungsweise tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte (§§ 113 Absatz 2, 114 Absatz 1 und 2 StGB), besonders schwere Fälle des Landfriedensbruchs (§§ 125, 125a StGB), gefährliche Körperverletzungen (§§ 223, 224 StGB), Brandstiftungen (§ 306 Abs. 1 StGB)). Den Anträgen waren jeweils Lichtbilder (Fotos beziehungsweise Videos) der unbekannten tatverdächtigen Personen beigefügt, die diese Personen bei der Begehung von Straftaten zeigen. Maßnahmen der Öffentlichkeitsfahndung wurden zwischen dem 6. Dezember und dem 18. Dezember 2017 durch neun verschiedene Richterinnen und Richter unterschiedlicher Abteilungen des Amtsgerichts Hamburg angeordnet. Dabei beziehen sich elf Beschlüsse auf je einen Beschuldigten und je ein Beschluss auf zwei, fünf, 13, 25 (Tatkomplex Rondenbarg) beziehungsweise 82 Beschuldigte (Tatkomplex Rewe- Markt, Schulterblatt 49). Für jeden der 138 unbekannten Beschuldigten wurde sowohl durch die Staatsanwaltschaft als auch durch die beteiligten Gerichte der Verdacht einer konkreten Straftat anhand des vorliegenden Bildmaterials festgestellt. In 13 Fällen ergingen die Beschlüsse antragsgemäß. In einem Fall wurde die beantragte Veröffentlichung eines Videos vom Gericht zeitlich begrenzt, in einem zweiten Beschluss wurde die Veröffentlichung eines weiteren Bildes eines Beschuldigten und in einem dritten Beschluss die Veröffentlichung eines Bildes eines Beschuldigten abgelehnt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche/r Richter/-in hat über die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsfahndung in dem oben beschriebenen Fall entschieden? a. Wann wurde der Antrag gestellt? b. Wann wurde er beschieden? Bitte genau angeben. Die Vorsitzende der Abteilung 117j des Amtsgerichts Hamburg hat über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 1. Dezember 2017 am 6. Dezember 2017 entschieden. c. Welche konkrete Straftat wird dem Beschuldigten vorgeworfen? Wurden dem Amtsgericht Foto und/oder Videobeweise für die Straftat vorgelegt? Der Tatvorwurf lautet Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs gemäß §§ 125, 125a Nummer 4 StGB. Dem Gericht wurden ein Video und Bilder des Beschuldigten vorgelegt. d. Wurde die Zulässigkeit gegebenenfalls mittlerweile verneint oder zurückgenommen? Wenn ja, wann und vom wem? Nein, der Antrag der Staatsanwaltschaft zur Öffentlichkeitsfahndung nach § 131b StPO wurde vom zuständigen Gericht für zulässig erachtet und das Gericht hat einen entsprechenden Beschluss erlassen. 2. Inwiefern hält der Senat die Subsidiaritätsklausel in dem oben beschriebenen Fall für gewahrt? Die Voraussetzungen des § 131 b StPO sind auf Grundlage der Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidung und nicht auf Grundlage später vorliegender, zum Teil auch als Ergebnis der Öffentlichkeitsfahndung gewonnener Erkenntnisse zu prüfen. Die Voraussetzungen des § 131b StPO lagen vor, da bei Antragstellung und Erlass des Beschlusses nach § 131b StPO nicht bekannt war, dass der Beschuldigte im Internet einen „Videoblog“ betrieb. Die Suche nach einem solchen Videoblog im Inter- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 21/11458 3 net ohne konkrete Suchparameter wäre bei derzeit circa 1.000.000.000 Websites aussichtslos. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Inwiefern ist sichergestellt, dass die Subsidiaritätsklausel bei der Fahndung nach den weiteren mehr als 100 Personen gewahrt wird? Bitte genau darlegen. 4. Inwiefern wurde in jedem Einzelfall gegenüber den Gerichten mit Beweisen oder ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters/einer Täterin auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre? Bitte genau darlegen. Siehe Vorbemerkung. 5. Wann genau erhielten die Hamburger Behörden Kenntnis von den/dem öffentlich zugänglichen Video/s mit G20 Bezug des rechten Videobloggers ? Wodurch? Kenntnis wurde am 19. Dezember 2017 durch den „Tweet“ eines Journalisten auf „Twitter“ erlangt, der auch an die Polizei Hamburg adressiert war. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 6. Inwiefern ist sichergestellt, dass es sich bei den weiteren gesuchten Personen um Beschuldigte handelt, die einer bestimmten Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig sind? 7. Inwiefern liegen den richterlichen Beschlüssen Einzelbeschlüsse zur Öffentlichkeitsfahndung zugrunde? Inwiefern waren es (zum Teil) Sammelbeschlüsse ? In welchen Fällen jeweils? 8. Inwiefern wurde den Richtern/-innen in jedem Einzelfall weiteres Beweismaterial für die Begehung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung durch die gesuchten Personen vorgelegt? In wie vielen Fällen wurde kein weiteres Material als das Veröffentlichte vorgelegt? Siehe Vorbemerkung. 9. Auf der Fahndungswebseite der SoKo „Schwarzer Block“ wird die Suche nach einzelnen Tatverdächtigen vom 8. Juli 2017 mit dem Motto der Großdemonstration „G20 – Not welcome!“ mit 76.000 Teilnehmenden betitelt. Die Beschuldigten werden als „Teilnehmer an gewalttätigen Versammlungen “ bezeichnet. Insbesondere vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1985 (sogenannter Brokdorf- Beschluss): Inwiefern stuft der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Großdemonstration vom 8. Juli 2017 als gewalttätige Versammlung ein? a. Auf was stützt er sich dabei? Die Polizei hat in ihrer Lagebewertung die in Rede stehende Versammlung im Vorwege als „störungsfrei“ eingestuft. Aus dieser Versammlung heraus wurden im Verlauf allerdings diverse Straftaten begangen. In diesem Zusammenhang wird unter anderem wegen des Verdachtes des schweren Landfriedensbruchs in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung ermittelt. b. Wenn er sie nicht als gewalttätige Versammlung einstuft, warum wird über die Verwendung des Mottos der Großdemonstration als Überschrift für eine Fahndungsseite ein solcher Zusammenhang hergestellt? Die Bezeichnung diente der Sonderkommission (SoKo) „Schwarzer Block“ zur Unterscheidung der verschiedenen Komplexe der Öffentlichkeitsfahndung. Eine bewertende Einstufung der genannten Versammlung als Ganzes sollte damit nicht verbunden sein. Drucksache 21/11458 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 10. Wurden Bilder der oben genannten Person mittlerweile aus der Öffentlichkeitsfahndung der Hamburger Polizei herausgenommen? Wenn ja: a. warum? Ja, da die betreffende Person identifiziert wurde. b. Wer hat das entschieden? c. Wann wurde das entschieden und wann umgesetzt? Die Staatsanwaltschaft hat vor der Vollstreckung der Beschlüsse die Soko „Schwarzer Block“ angewiesen, dass Bilder identifizierter Beschuldigter umgehend aus der Öffentlichkeitsfahndung zu entfernen sind. Nach der Identifizierung des Beschuldigten wurde die Entscheidung umgesetzt. d. Wurden Fotos weiterer Personen entfernt? Wenn ja, von wie vielen und aus welchen Gründen jeweils? Mit Stand 28. Dezember 2017 wurden die Fotos von 14 identifizierten Personen aus der Öffentlichkeitsfahndung entfernt. e. Wie stellen die Behörden sicher, dass Bilder der Personen keine weitere Verbreitung finden? Es erfolgte eine Entfernung der Fotos der identifizierten Beschuldigten.