BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11505 21. Wahlperiode 09.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 03.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Toter afghanischer Untersuchungsgefangener in der JVA Billwerder Erst kürzlich musste sich der Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft mit der hohen Suizidrate in der Untersuchungshaftanstalt (vergleiche Drs. 21/10365, 21/2168 und 21/11289) befassen. Die Selbsttötungen in Haft hatten so stark zugenommen, dass inzwischen die höchste Zahl seit 2009 überschritten wurde. Dies ist nicht nur bedauerlich, sondern auch alarmierend , denn die Zunahme erfolgt trotz der seit 2010 ergänzenden Maßnahmen zur Suizidprävention. Heute, am 3. Januar 2018, wurde erneut ein in Untersuchungshaft befindlicher Gefangener, dem Vernehmen nach afghanischer Staatsangehöriger, tot aufgefunden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Maßnahmen im Hamburger Justizvollzug entsprechen den internationalen Empfehlungen , wie Suiziden im Justizvollzug begegnet werden kann. Von den im Jahr 2012 vorgeschlagenen Maßnahmen konnten alle umgesetzt und bestehende Angebote verbessert werden. In der Sitzung des Ausschusses für Justiz und Datenschutz der Hamburgischen Bürgerschaft am 29. September 2017 hat Herr Professor Dr. Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am UKE, dies bestätigt. Laut Darlegung von Herrn Professor Dr. Briken sei das Risiko, dass sich im Justizvollzug jemand das Leben nimmt, generell höher als in Freiheit. Dies sei unter anderem dem Freiheitsentzug geschuldet. Vorhersagemerkmale, wie zum Beispiel Suchtmittelabhängigkeit oder Persönlichkeitsstörungen, könnten zwar Hinweise auf Suizidalität geben, doch seien diese Vorhersageparameter zu unscharf, da sehr viele Inhaftierte diese Merkmale aufweisen würden. Im Übrigen siehe Drs. 21/11289. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie stellt sich der Sachverhalt nach derzeitigen Informationen der zuständigen Behörden im Einzelnen dar? Am Morgen des 3. Januar 2018 wurde der Gefangene, der sich seit dem 3. Oktober 2017 in Untersuchungshaft befand, gegen 6.20 Uhr stranguliert in seinem Haftraum in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder aufgefunden. Sofort eingeleitete Reanimationsmaßnahmen blieben erfolglos. Der unverzüglich informierte Notarzt stellte den Tod des Gefangenen um 6.43 Uhr fest. Gegen 6.50 Uhr traf die Polizei ein. Auch die für das Verfahren zuständige Staatsanwaltschaft und das zuständige Gericht wurden im Laufe des Tages in Kenntnis gesetzt. Das Krisenhilfeteam sprach mit den betroffenen Bediensteten. Für eine Suizidalität des Gefangenen gab es im Vorfeld keinerlei Anhaltspunkte. Drucksache 21/11505 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Wann und von wem wurde der Gefangenen zuletzt lebend gesehen und wann erfolgte die letzte Lebendkontrolle? Der Gefangene wurde am 2. Januar 2018 beim Einschluss gegen 18.00 Uhr zuletzt lebend gesehen. 3. Welche Erkenntnisse liegen über den Gefangenen vor? Der Gefangene war nach eigenen Angaben ledig, kinderlos und bis auf einen Onkel ohne Angehörige in Deutschland. Im Übrigen siehe die Antworten zu 4., zu 9. und zu 12. 4. Galt der Gefangene als gefährlich oder gewalttätig und falls ja, wieso? Ausweislich des Haftbefehls vom 3. Oktober 2017 wurde der Gefangene des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verdächtigt. Nach der Aufnahme in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) wurde er im Rahmen der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen wegen des Verdachts eines Tötungsdeliktes und der damit potenziell verbundenen Verzweiflung über die Tat oder die zu erwartende Strafe kurzzeitig zur Beobachtung untergebracht, was regelhaft bei einem solchen Tatvorwurf der Fall ist. Am 11. Oktober 2017 randalierte der Gefangene zunächst im Haftraum in der Untersuchungshaftanstalt und griff dann einen Bediensteten an, als dieser den Haftraum öffnete. Am selben Tag verletzte sich der Gefangene selbst, indem er mehrmals seinen Kopf auf den Boden schlug. Er wurde daraufhin gefesselt in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht. Die Unterbringung wurde am Folgetag vollständig aufgehoben. Danach war der Gefangene in der Untersuchungshaftanstalt nicht weiter auffällig. In der JVA Billwerder verhielt sich der Gefangene durchgehend unauffällig. In Gesprächen mit der Abteilungsleitung gab er sich ruhig, unaufgeregt, freundlich und zurückhaltend . Er wandte sich lediglich mit Fragen des vollzuglichen Alltags (Telefon, Besuch et cetera) an die Bediensteten. Anhaltspunkte, die eine Vorstellung beim psychologischen Dienst veranlasst hätten, gab es nicht. Auch meldete der Gefangene diesbezüglich keinen Bedarf an. Auf seiner Station hatte er soziale Kontakte zu einzelnen Mitgefangenen. Er nahm am Deutschunterricht teil. 5. Befanden sich die Ausweispapiere des Gefangenen in der JVA und falls ja, welche? In der Habe befand sich eine Aufenthaltsgestattung des Gefangenen. 6. Gab es Besonderheiten im Haftverlauf und falls ja, wann und welche? Siehe Antwort zu 4. 7. Wurden Polizei und/oder Staatsanwaltschaft hinzugezogen und falls ja, wann und warum? Siehe Antwort zu 1. Die Information von Polizei und Staatsanwaltschaft entspricht dem regelhaften Vorgehen bei Todesfällen. 8. Ist bekannt, ob der Gefangene betäubungsmittelabhängig war? Für eine Betäubungsmittelabhängigkeit liegen der zuständigen Behörde keine Anhaltspunkte vor. 9. Waren Anzeichen von Depressionen, Ängsten oder psychischen Beeinträchtigungen zu erkennen? Falls ja, welche Maßnahmen wurden daraufhin wann und von wem eingeleitet ? Nein. 10. Wann und durch wen wurde das Suizidscreening bei den beiden Gefangenen durchgeführt? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11505 3 Bei dem Gefangenen, der sich am 3. Januar 2018 das Leben genommen hat, wurde das Suizidscreening am 3. Oktober 2017 unmittelbar nach Aufnahme durch Bedienstete der Untersuchungshaftanstalt durchgeführt. 11. Ausweislich der Antwort des Senats auf die Anfrage Drs. 21/2168 kann sich ein erhöhtes Suizidrisiko eines Gefangenen daraus ergeben, dass diesem eine schwerwiegende Straftat zur Last gelegt wird. Welche Delikte lagen dem Haftbefehl zugrunde und mit welchen Anklagevorwürfen hatte der Gefangene zu rechnen? Anklage war noch nicht erhoben worden. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 12. Welchen aufenthaltsrechtlichen Status hatte der Gefangene und welche Erkenntnisse über ihn lagen der Ausländerbehörde vor? Der afghanische Staatsangehörige reiste am 27. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. April 2016 einen Asylantrag. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 2. Oktober 2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Gegen den Bescheid hat der Betroffene am 17. Oktober 2017 Klage erhoben und einen Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gestellt. Er war seit dem 22. April 2016 im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§§ 55, 63 des Asylgesetzes), die zuletzt bis zum 23. November 2017 verlängert wurde. Aufgrund der Inhaftierung erfolgte eine weitere förmliche Verlängerung nicht. 13. Wie hat sich die Anzahl der Suizide, Suizidversuche und natürlichen Todesfälle seit dem 15. September 2017 bis zum 31.12.2017 in den einzelnen Justizvollzugsanstalten entwickelt? Bitte pro Jahr und JVA darstellen . JVA Billwerder Fuhlsbüttel Glasmoor Hahnöfersand Sotha UHA 15.09.2017 bis 31.12.2017 Suizidversuche 1 - - - 1 1 Suizide - - - - - - Natürliche Todesfälle 1 - - - - - 14. Zu welchen Leistungseinschränkungen ist es in der Untersuchungshaft in den Kalenderwochen 50, 51 und 52 gekommen? Bitte auch aufgeschlüsselt nach JVA darstellen. In der Untersuchungshaftanstalt kam es tageweise zu Verzögerungen bei der Herausgabe von Habe an die Gefangenen und die Sachbearbeitung der Gefangenentelefonie hat sich verzögert, sodass Gefangene länger auf eine Zulassung beziehungsweise Freischaltung von Nummern warten mussten. In der JVA Billwerder musste fünfzehn Mal der Sport ausfallen und einmal in einem Hafthaus musste die Freizeit eingeschränkt werden. In der JVA Hahnöfersand konnten an einem Tag im Bereich der Untersuchungshaft nur diejenigen Gefangenen ausrücken, die beschult werden, in einer Vollausbildung sind oder in der Küche arbeiten. 15. Der Senat antwortete auf meine Frage zu Ergänzungen bezüglich der Maßnahmen zur Suizidprävention in der Drs. 21/10365 (dort Ziffer 14.), dass „die ständige Weiterentwicklung und gegebenenfalls Ergänzung der Maßnahmen zur Suizidprävention Bestandteil des Präventionskonzeptes “ sei. Welche konkreten Weiterentwicklungen oder Ergänzungen hat es seit September 2017 gegeben? In den vergangenen vier Monaten gab es auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Fällen vom 30. August und 10. September 2017 keinen Anlass, das Konzept zu ändern.