BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11526 21. Wahlperiode 12.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Nebahat Güçlü (fraktionslos) vom 05.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Organisation der psychosozialen Betreuung von Geflüchteten in Hamburg Wieder und wieder werden Forderungen nach einer schnellen Integration laut. Ernüchterung macht sich breit, dabei ist das Anspruchsdenken vieler Menschen überzogen. Viele Geflüchtete haben nicht nur andere Bildungserfahrungen als Europäer, sie tragen auch Erinnerungen an Erlebnisse mit sich herum, die mehr als belastend sind. Hinzu kommen Gedanken an Familienmitglieder , deren Schicksal für sie ungewiss ist und andere emotionale Herausforderungen, die mit dem Gefühl des Deplatziert-Seins einhergehen. Darin wie diese Probleme adressiert werden, zeigt sich, wie ernst es dem Staat mit der Integration von Geflüchteten ist. Die schwierige Situation der psychosozialen Betreuung von Geflüchteten – von den Behandlungskapazitäten bis zu den Dolmetscherkosten – ist seit geraumer Zeit ein Thema in Presse und Parlament. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele der nach § 264 Absatz 1 SGB V betreuten Flüchtlinge in Hamburg haben 2016 psychotherapeutische Behandlungen beantragt? Wie viele Anträge gab es in 2017? Wie vielen Anträgen wurde jeweils stattgegeben ? 2016 wurden 88 psychotherapeutische Behandlungen beantragt und 68 von der AOK Bremen/Bremerhaven genehmigt, 2017 wurden 64 Behandlungen beantragt und 48 von der AOK Bremen/Bremerhaven genehmigt. 2. Wie viele Kurzzeit- und wie viele Langzeitpsychotherapien wurden 2016 von der AOK Bremen/Bremerhaven für Geflüchtete genehmigt? Wie verhielt es sich damit in 2017? 2016 wurden 61 Kurzzeit- und sieben Langzeittherapien sowie 2017 44 Kurzzeit- und vier Langzeittherapien von der AOK Bremen/Bremerhaven genehmigt. 3. Wie viele volljährige Flüchtlinge haben in den Jahren 2016 und 2017 eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung in der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll und im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Anspruch genommen? Das Merkmal „Geflüchtete“ wird bei Patientinnen und Patienten statistisch nicht gesondert erfasst. 4. Wie viele minderjährige Flüchtlinge haben in den Jahren 2016 und 2017 eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung in der Flüchtlingsambulanz des UKE in Anspruch genommen? Drucksache 21/11526 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Es kann lediglich die Anzahl der in 2016 und 2017 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechneten Scheine mitgeteilt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein und derselbe Patient die Flüchtlingsambulanz in mehreren Quartalen zur Therapie aufsucht, die Anzahl der Scheine ist somit höher als die Anzahl der Patienten . Von der Flüchtlingsambulanz der Ambulanzzentrum des UKE GmbH wurden im Jahr 2016 insgesamt 1.193 Scheine und im Jahr 2017 insgesamt 1.407 Scheine gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet. 5. Welche Erkenntnisse bezüglich der Auslastung der ehrenamtlich angebotenen psychiatrischen Sprechstunden in Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es? In den Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) gibt es keine ehrenamtlich angebotenen psychiatrischen Sprechstunden. Sofern Trauma- oder Stabilisierungssprechstunden in der EA von Honorarkräften angeboten werden, sind diese ausgelastet. Zur Anzahl der Sprechstunden siehe Drs. 21/10607. 6. Wie häufig wurde 2017 der Sozialpsychiatrische Dienst aufgrund akuter Behandlungsbedürftigkeit von Geflüchteten eingeschaltet? Das Merkmal „Geflüchtete“ wird nicht in allen Bezirken statistisch erfasst. Eine teilweise händische Auszählung der Bezirke Hamburg-Mitte, Altona, Eimsbüttel, Hamburg- Nord und Harburg ergab insgesamt 259 Einbeziehungen der Sozialpsychiatrischen Dienste der Bezirksämter. Den weiteren Bezirksämtern war eine Auswertung in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Wie häufig sind den Erstaufnahmeeinrichtungen 2016 und 2017 Dolmetscher über die zuständige Behörde zwecks Durchführung psychotherapeutischer Beratung gestellt worden? Den Betreibern der EA stehen für die Gewährleistung einer ärztlichen Behandlung oder anderen Beratungen während der Sprechzeiten Sprachmittler zur Verfügung. Eine Erfassung und Dokumentation des Anlasses der Nutzung einer ärztlichen Sprechstunde unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers erfolgt aus Gründen des Patientenschutzes nicht. 8. Müssen von den Behörden gestellten Dolmetscher für psychotherapeutische Übersetzungen zusätzliche Qualifikationen nachweisen? Siehe Drs. 21/11344. 9. Dolmetscher, Sprachmittler und Übersetzer arbeiten häufig selbstständig in einem stark konkurrierenden Umfeld mit entsprechendem Preisdruck. Unterstützt der Senat Fortbildungen dieser Berufsgruppe zu Übersetzungstätigkeiten im psychotherapeutischen Raum? a. Wenn ja, inwiefern? b. Wenn nicht, warum nicht? Mit Drs. 21/6411 hat die Bürgerschaft Mittel in Höhe von 200.000 Euro für einen „Dolmetscherpool für die psychotherapeutische Behandlung von traumatisierten und psychisch kranken Flüchtlingen“ bereitgestellt. Empfänger der Zuwendung ist seit Juli 2017 SEGEMI Seelische Gesundheit Migration und Flucht e.V. Zweck der Zuwendung ist unter anderem die Qualifizierung und Supervision von Dolmetscherinnen und Dolmetschern , Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern beziehungsweise Übersetzerinnen und Übersetzern für Sprachmittlungstätigkeiten im Rahmen psychotherapeutischer Behandlung von psychisch kranken Menschen. Im Übrigen: entfällt. 10. Wie viele Fortbildungen des UKE zu Dolmetschen im therapeutischen Setting wurden 2017 angeboten? Welche Erkenntnisse gibt es bezüglich der Resonanz des Angebots? Die am UKE und in der Flüchtlingsambulanz des Ambulanzzentrums der UKE GmbH eingesetzten Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind freiberuflich tätig. Unabhängig Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11526 3 hiervon werden sie über im medizinisch-fachlichen Kontext stehende Fortbildungsangebote des UKE, zum Beispiel der UKE-Akademie für Bildung und Karriere, informiert. Die Flüchtlingsambulanz des Ambulanzzentrums der UKE GmbH bietet jährlich allen dort eingesetzten Dolmetscherinnen und Dolmetschern fünf Supervisionstermine mit einem approbierten Psychotherapeuten oder Psychiater sowie eine umfangreiche sechsstündige Fortbildungsveranstaltung an. Die angebotenen Fortbildungsmaßnahmen werden nach den Erkenntnissen des Ambulanzzentrums der UKE GmbH in vergleichsweise geringem Umfang angenommen. 11. Im Jahr 2015 sicherte die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Flüchtlingsambulanz des UKE 100.000 Euro jährlich zu, um die zwingend erforderlichen Dolmetschertätigkeiten im Rahmen von psychotherapeutischen Behandlungen zu vergüten. Ist dieser Betrag aus Sicht der Beteiligten ausreichend? a. Wenn ja, anhand welcher Kriterien kommen Sie zu dem Schluss? b. Wenn nein, ist eine Aufstockung des Betrags vorgesehen und wenn ja, um welche Höhe? Das UKE hat eine Erhöhung der Förderung beantragt. Die zur Prüfung des Antrages erforderlichen Unterlagen liegen noch nicht alle vor, sodass derzeit nicht beurteilt werden kann, ob die in 2017 bewilligte Summe von 100.000 Euro ausreichend ist. 12. Wie viele Registrierungen gab es bislang für den Dolmetscherpool? Wie viele Sprachen werden von den Registrierten abgedeckt? Bei welchen Sprachen gibt es Engpässe beziehungsweise kann die Nachfrage nicht bedient werden? Zurzeit (Stand: 08.01.2018) sind 32 Sprachmittlerinnen und Sprachmittler, die 22 Sprachen abdecken, bei SEGEMI e.V. unter Vertrag. Bisher konnten 70 Anfragen, die seit dem öffentlichen Start des SEGEMI- Dolmetscherpools im September 2017 eingingen, bedient werden. Es gab lediglich eine Anfrage für Somali und zwei Anfragen für Polnisch, die nicht bedient werden konnten, da für diese Sprachen zum Zeitpunkt der Anfrage keine Sprachmittlerinnen und Sprachmittler zur Verfügung standen. 13. Welche Qualifikationen und Anforderungen werden an Dolmetscher, Übersetzer und Sprachmittler gestellt, bevor Sie im Dolmetscherpool registriert werden? Da das Feld der Sprachmittlung eine sehr hohe Qualifizierungsbreite hat und somit sehr heterogen ist – es bestehen bislang keine einheitlichen Qualifizierungsstandards für Sprachmittler –, gibt es hier keine festen Vorgaben (beispielsweise Umfang bestimmter Fortbildungen oder Anzahl an Berufsjahren). Aus diesen Gründen erfolgt die Aufnahme im SEGEMI-Dolmetscherpool nach Prüfung im Einzelfall. Eingangsvoraussetzung für die Registrierung im SEGEMI-Dolmetscherpool ist Muttersprachenkompetenz in der Fremdsprache. Darüber hinaus sollen die Sprachmittlerinnen und Sprachmittler mindestens die Grundschule in ihrem Herkunftsland besucht haben. Weitere Anforderungen sind Berufserfahrung, idealerweise in medizinisch-psychologischem Kontext, sowie berufliche Qualifizierungen. Vorausgesetzt wird die Teilnahme an den SEGEMI-Fortbildungen für Sprachmittlerinnen und Sprachmittler. Als weitere Instrumente der Qualitätssicherung des Dolmetscherpools dient zum einen die monatliche Supervision für Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sowie die Rückmeldungen der Behandlerinnen und Behandler. 14. Sind dem Senat beziehungsweise den Behörden Fälle bekannt, in denen eine psychologische Beratung mangels Dolmetschender nicht oder nur verzögert aufgenommen werden konnte? Falls ja, bitte zum Fallverlauf äußern, soweit möglich. Nein. Drucksache 21/11526 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 15. Welche niedrigschwelligen Angebote zur psychologischen Begleitung von Geflüchteten gibt es derzeit in Hamburg? Befinden sich weitere Angebote in Planung? Zur jugendpsychiatrischen Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge hat der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) ab Ende 2015 mit den Kliniken beziehungsweise Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -Psychotherapie und -Psychosomatik am Asklepios-Klinikum Harburg, am Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift und am UKE Kooperationsverträge geschlossen und finanziert dort je eine volle Arztstelle auf Facharztniveau. Die dadurch bereitgestellten Kapazitäten für aufsuchende fachärztliche Beratung und Behandlung sind den Flüchtlingseinrichtungen des LEB in Anlehnung an die jeweiligen Versorgungsgebiete der Kliniken zugewiesen. Darüber hinaus hat der LEB eine Wohngruppe mit zehn Plätzen als Clearingstelle für psychisch besonders belastete unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingerichtet. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. sowie Drs. 21/8893, Drs. 21/7325 und Drs. 21/6411. 16. Wie bewertet der Senat die aktuelle Betreuungssituation von Geflüchteten mit psychologischen Problemen in Hamburg? Minderjährige Flüchtlinge mit psychologischen Problemen werden im Rahmen der Jugendhilfe entsprechend ihres individuellen Bedarfs ausreichend versorgt. Hierzu zählen neben den unter Frage 15. genannten Angeboten auch die Unterstützungsleistungen des Jugendpsychologischen Jugendpsychiatrischen Dienstes (JPPD) sowie medizinische und therapeutische Leistungen der niedergelassenen Ärzte und Therapeuten . Im Übrigen siehe Drs. 21/10281, 21/10899 und 21/11273.