BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11532 21. Wahlperiode 12.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 05.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Sicherung der Strafverfolgung bei proaktiven Übergriffen gegen Polizeiund Rettungskräfte Die letzte Neujahrsnacht erreichte nach Berichten und Verlautbarungen von Behördenseite auch in Hamburg eine neue Dimension hinsichtlich des allgemein wachsenden Trends zu proaktiven tätlichen Übergriffen gegen Polizeikräfte , aber auch gegen Rettungskräfte und die Feuerwehr. Die Bundesregierung und – im Rahmen von Beratungen sowie im Kontext mit der Bundesratsabstimmung – der Senat haben durch das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches (Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften) vom 23.05.2017 Abhilfe durch eine verbesserte Abschreckungswirkung versprochen. Der geschäftsführende Bundesjustizminister hat die verbesserte Abschreckungswirkung auch in den Tagen nach der Neujahrsnacht wiederholt und weitere Strafverschärfungen vorgeschlagen. Abgesehen von der in der Wissenschaft strittig diskutierten kriminologischen Frage, ob zusätzliche Straftatbestände und/oder erweiterte Strafrahmen überhaupt eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter erzielen, setzt eine effektive Abschreckungswirkung zwingend eine durchgreifende Strafverfolgung voraus. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt weder eine Erfassung des Merkmals „proaktiv“ noch wird erfasst, ob „die Angreifer Adressaten von konkret laufenden polizeilichen Maßnahmen“ waren. Im Weiteren wird statistisch nicht erfasst, „wie viele Anzeigen von angegriffenen Polizisten“ erstattet wurden. Im Jahr 2016 wurden in der PKS 238 Polizeivollzugsbeamte als Opfer von gefährlichen Körperverletzungen erfasst, im Jahr 2017 mit Stand 30. September 2017 138. Im Gegensatz zur „Echttäterzählung“ der Tatverdächtigen in der PKS handelt es sich bei der Opfererfassung um sogenannte Opferwerdungen, das bedeutet, wenn eine Person im Laufe eines Jahres mehrfach Opfer von Straftaten geworden ist, wird sie auch mehrfach in der PKS erfasst. Im Jahr 2016 wurden in der PKS vier Mitarbeiter der Feuerwehr als Opfer von gefährlichen Körperverletzungen erfasst, im Jahr 2017 mit Stand 30. September 2017 sechs. „Beliehene“ sowie „zivile Akteure“ werden in der PKS nicht erfasst. Die Jahresdaten 2017 befinden sich aktuell in der Qualitätssicherung. Daten zu Opfern werden in der PKS nur bei Delikten erfasst, für die im Straftatenkatalog eine Opfererfassung vorgesehen ist. Nach den aktuellen bundeseinheitlich geltenden PKS-Richtlinien betrifft dies grundsätzlich Delikte gegen höchstpersönliche Drucksache 21/11532 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung ). Im Gegensatz zur „Echttäterzählung“ der Tatverdächtigen in der PKS handelt es sich bei der Opfererfassung um sogenannte Opferwerdungen, das heißt, eine Person wird, sofern sie im Laufe eines Jahres mehrfach Opfer von Straftaten geworden ist, auch mehrfach in der PKS als Opfer erfasst. Die Polizei registriert in der PKS Polizeivollzugskräfte und Mitarbeiter von Rettungsdiensten, die Opfer von An- und Übergriffen geworden sind. Siehe dazu auch Drs. 21/3516. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Fälle von proaktiven tätlichen Übergriffen gegen Polizeikräfte im Dienst durch Angreifer, die nicht Adressaten von konkret laufenden polizeilichen Maßnahmen waren, gab es in 2016 und in 2017? 2. In wie vielen Fällen kam es dabei zu gefährlichen Körperverletzungen oder zu Verstößen gegen das Waffengesetz oder das Sprengstoffgesetz ? Die Polizei führt keine Statistik im Sinne der Fragestellungen. Zur Beantwortung wäre eine händische Auswertung mehrerer Hunderttausend Hand- und Ermittlungsakten erforderlich, dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Darüber hinaus siehe Drs 21/11079 und 21/3516. 3. Wie viele Fälle von proaktiven tätlichen Übergriffen gegen im Dienst befindliche Rettungskräfte der Feuerwehr und Beliehene oder zivile Akteure gab es in 2016 und in 2017? Zum Umfang der statistischen Erhebung durch die Feuerwehr in Bezug auf Übergriffe gegen im Dienst befindliche Einsatzkräfte siehe Drs. 21/3516. Darüber hinaus wurden die Hilfsorganisationen sowie die Firma G.A.R.D. um Mitteilung zu den bei ihnen dazu vorliegenden Daten gebeten, diese sind in den nachfolgenden Tabellen aufgeführt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Feuerwehr MHD ASB JUH DRK G.A.R.D. 2016 57 0 0 k. A.* 4 0 2017 77 0 0 k. A. 7 0 * keine Angaben Erläuterung der Abkürzungen: MHD – Malteser Hilfsdienst, ASB – Arbeiter-Samariter-Bund, JUH – Johanniter-Unfall-Hilfe, DRK – Deutsches Rotes Kreuz, G.A.R.D. – Gemeinnützige Ambulanz und Rettungsdienst GmbH Darüber hinaus wurden durch das DRK für das Jahr 2016 circa 20 und für das Jahr 2017 circa 25 Fälle von Beleidigungen und Bedrohungen angegeben. 4. In wie vielen Fällen kam es dabei zu gefährlichen Körperverletzungen oder zu Verstößen gegen das Waffengesetz oder das Sprengstoffgesetz ? Feuerwehr MHD ASB JUH DRK G.A.R.D. 2016 0 0 0 k. A. 1 0 2017 0 0 0 k. A. 0 0 5. In wie vielen dieser Fälle (betreffend Fragen 1. – 4.) erfolgte im unmittelbaren Anschluss an die Tathandlungen und in wie vielen Fällen nachgelagert eine Feststellung der Personalien aller Angreifer und in wie vielen Fällen zumindest eines Teils dieser? In wie vielen Fällen von erfolglosen Versuchen einer Feststellung der Personalien konnten diese durch weitere Maßnahmen wie zum Beispiel erkennungsdienstliche Behandlungen sichergestellt werden? (Bitte um getrennte Darstellung der Jahre 2016 und 2017.) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11532 3 In der überwiegenden Mehrzahl Fälle erfolgt die Feststellung der Identität der Täter unmittelbar im Anschluss an die Tathandlung durch einschreitende Einsatzkräfte. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 2. 6. Wie viele Anzeigen von angegriffenen Polizisten und wie viele von angegriffenen Rettungskräften der Feuerwehr, von Beliehenen und zivilen Akteuren wurden in 2016 und 2017 erstattet und wie viele von Zeugen und wie viele Verfahren wurden von Amts wegen eingeleitet? Wie viele davon richteten sich gegen Unbekannt? In wie vielen dieser Fälle konnte ein Tatverdächtiger ermittelt werden? (Bitte um getrennte Darstellung der Jahre 2016 und 2017.) 7. Wie viele dieser Verfahren gegen Unbekannt wurden eingestellt und aus welchen Gründen? (Bitte um getrennte Darstellung der Jahre 2016 und 2017.) Für die Polizei siehe Antwort zu 1. und 2. sowie Vorbemerkung. Für die Feuerwehr und Hilfsorganisationen und die Firma G.A.R.D. siehe nachstehende Tabellen: Anzeigen gesamt: Feuerwehr MHD ASB JUH DRK G.A.R.D. 2016 57 0 0 k. A. 0* 0 2017 75** 0 0 k. A. 2 0 * Bei dem Übergriff im Jahr 2016 wurde auf eine Strafanzeige verzichtet. ** In zwei von den Einsatzkräften gemeldeten Fällen wurde keine Anzeige erstattet. Davon Anzeigen gegen unbekannt: Feuerwehr MHD ASB JUH DRK G.A.R.D. 2016 4 0 0 k. A. k. A. 0 2017 11 0 0 k. A. k. A. 0 Die Feuerwehr unterscheidet nicht, ob eine Anzeige von Amts wegen oder durch Zeugen gestellt wurde. Zur Ermittlung von Tatverdächtigen bei Anzeigen gegen unbekannt liegen der Feuerwehr keine Informationen vor. Die für die Beantwortung der Frage erforderliche Daten, insbesondere zum Anlass der Verfahrenseinleitung, werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft nicht erfasst. Es müssten daher sämtliche Verfahrensakten, die in den Jahren 2016 bis 2017 unter dem Tatvorwurf „Körperverletzung “ gemäß § 223 StGB oder „gefährliche Körperverletzung“ gemäß § 224 StGB beziehungsweise „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gemäß § 113 StGB in MESTA notiert worden sind, dahin gehend ausgewertet werden, ob die angegriffene Person der maßgeblichen Personengruppe zuzuordnen ist. Hierbei handelte es sich in vergangenen Aktenzeichenjahrgängen jeweils um mehrere Tausend Verfahren. Eine Auswertung der Verfahrensakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Darüber hinaus ist der Grund für die Einstellung in Unbekanntverfahren im Übrigen regelmäßig gerade der Umstand, dass ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden konnte. 8. In wie vielen Fällen in 2017 führten die Verfahren bisher zu einer Anklage und in wie vielen Fällen zu einer Verurteilung aufgrund der durch das 52. Gesetz zur Änderung des StGB neu geschaffenen Tatbestände und/oder erweiterten Strafrahmen? Wie viele davon wurden rechtskräftig ? Wie viele Verfahren laufen in dieser Hinsicht aktuell im Hoheitsbereich der Freien und Hansestadt Hamburg bis dato noch? Siehe Antwort zu 6. Seit 30. Mai 2017 wurden bei der Staatsanwaltschaft mehr als 500 Verfahren mit Tatvorwurf §§ 113 fortfolgende StGB erfasst, deren Auswertung dahin gehend, ob die mit Gesetz vom 23. Mai 2017 geänderten Vorschriften bereits Drucksache 21/11532 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 anwendbar sind, in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. 9. In wie vielen Fällen führten die Verfahren von verwirklichten Tatbeständen der gefährlichen Körperverletzung oder von Verstößen gegen das Waffengesetz oder das Sprengstoffgesetz zu einer Verurteilung und wie viele davon wurden rechtskräftig? Wie viele Verfahren laufen in dieser Hinsicht aktuell im Hoheitsbereich der Freien und Hansestadt Hamburg bis dato noch? (Bitte um getrennte Darstellung der Jahre 2016 und 2017.) Es wurden in den Aktenzeichenjahrgängen 2016 und 2017 in MESTA allein jeweils mehr als viertausend Verfahren mit Tatvorwurf einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) erfasst. Eine Auswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Darüber hinaus siehe Antwort zu 6. und 7.