BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11622 21. Wahlperiode 23.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 15.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Entschädigung für die Hamburger Opfer von Taten des NSU?! In den Jahren zwischen September 2000 und April 2007 ermordete der Nationalsozialistische Untergrund aus rassistischer und extrem rechter Motivation zehn Menschen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru (13.6.2001), Süleyman Taşköprü (27.6.2001), Habil Kılıç (29.8.2001), Mehmet Turgut (25.2.2004), İsmail Yaşar (9.6.2005), Theodoros Boulgarides (15.6.2005), Mehmet Kubaşık (4.4.2006), Halit Yozgat (6.4.2006), Michèle Kiesewetter (25.4.2007). Viele Menschen wurden durch Bombenanschläge des rechtsterroristischen NSU zum Teil lebensgefährlich verletzt. Die beiden Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestags sowie die Untersuchungsausschüsse mehrerer Landtage haben das weitreichende Versagen der Sicherheitsbehörden festgestellt. Der Thüringer Landtag bekannte sich mit der Einrichtung eines Opferentschädigungsfonds ausdrücklich zu seiner politischen Verantwortung für die Opfer, Angehörigen und Geschädigten der terroristischen Morde des NSU. Auch in Hamburg mordete der NSU. Auch in Hamburg versagten die Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü, verfolgten die Ermittler über Jahre die These der organisierten Kriminalität, der Drogenkriminalität oder des „Ausländerextremismus“, verdächtigten die Familie, gingen ihren Hinweisen nicht nach und blendeten – entgegen den späteren Beteuerungen – die Möglichkeit eines extrem rechten Tathintergrundes total aus. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Inwiefern und durch welche konkreten Handlungen hat sich die Freie und Hansestadt Hamburg zu ihrer politischen Verantwortung gegenüber dem Hamburger NSU-Opfer Süleyman Taşköprü und seinen Angehörigen seit 2011 bekannt? Der Senat hat zu seiner und der politischen Verantwortung der Vorgängersenate sowie zu Fehlern und Versäumnissen im Rahmen der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden betreffend die Ermittlungen zu dem Tötungsdelikt an dem Hamburger Süleyman Taşköprü mit der Drs. 20/11661 sowie mit zahlreichen Schriftlichen Kleinen Anfragen sowie einer Großen Anfrage, in Stellungnahmen und Befragungen im Rahmen mehrerer Untersuchungsausschüsse des Bundestages und einiger Länder sowie weiterer Gremien, in einer ausführlichen Befassung des Innenausschusses sowie in Debatten der Bürgerschaft ausführlich Stellung genommen. Darüber hinaus hat der Senat – auch als Reaktion auf den NSU – 2013 ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus verabschiedet, welches konkrete Ziele und Handlungsansätze zur Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus formuliert , siehe: Drucksache 21/11622 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 http://www.hamburg.de/contentblob/3866780/79b2accab63680c9daafc2e4d5f17bfe/d ata/landesprogramm-gegen-rechtsextremismusbarrierefrei .pdf;jsessionid=F759D00BE1E2E98541616ED64AA7B36B.liveWorker2. Am 12. Oktober 2015 fand eine Gedenkfahrt der Hinterbliebenen der NSU-Opfer mit der Ombudsfrau der Bundesregierung, Prof. Barbara John, nach Hamburg statt. Gemeinsam mit Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin wurde des Ermordeten Süleyman Taşköprü gedacht, dies wurde mit einem Besuch des Gedenksteines sowie der Taşköprü-Straße (umbenannt 2014) verbunden. Im Anschluss fand ein Gespräch im Hamburger Rathaus mit dem Staatsrat der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) sowie den Hamburger Beratungsstellen Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt des Trägers Arbeit und Leben Hamburg statt. Darüber hinaus hat die BASFI vom 1. bis 17. März 2016 die Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ von Birgit Mair vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung aus Nürnberg im Hamburger Rathaus präsentiert, siehe: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/5306710/2016- 02-29-basfi-nsu-ausstellung/. Am 11. März 2016 fand ein Senatsempfang für die Hamburger Hinterbliebenen des NSU-Opfers Süleyman Taşköprü sowie deren Ombudsfrau Prof. Barbara John statt. 2017 haben die von der BASFI geförderten Bildungsträger und Beratungsstellen Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt gemeinsam die Broschüre „Rassismus als Terror, Struktur und Einstellung – Bildungsbaustein mit Methoden zum NSU-Komplex; Kontinuitäten, Widersprüche und Suchbewegungen“ veröffentlicht, siehe: https://hamburg.arbeitundleben.de/img/daten/D346717320.pdf. Die Polizei Hamburg hat – gerade auch im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der Verbesserung in der Bekämpfung von Hasskriminalität – Maßnahmen getroffen, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Reviervollzug und in den Ermittlungsdienststellen für diese Thematik weiter zu sensibilisieren, um mögliche strafbare Sachverhalte aus dem Bereich der Hasskriminalität früher zu erkennen und mit Opfern politisch motivierter Kriminalität ebenso professionell wie empathisch umzugehen. 2. Hat die Freie und Hansestadt Hamburg den Angehörigen von Süleyman Taşköprü Entschädigungen gezahlt? a. Wenn ja, wann und in welcher Höhe? b. Wenn nein, warum nicht? Gab es diesbezügliche Gespräche mit den Angehörigen, und woran sind sie gegebenenfalls gescheitert? Opfer mutmaßlich rassistisch oder anderweitig politisch motivierter Gewalt und ihre Angehörigen werden grundsätzlich durch die Polizei Hamburg auf Beratungsangebote für Opfer allgemeiner sowie speziell rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beziehungsweise Hasskriminalität – auch in freier Trägerschaft – sowie auf Entschädigungsansprüche für Betroffene solcher Straftaten hingewiesen; die Betroffenen erhalten Kontaktdaten beziehungsweise Informationsmaterial. Nach dem Bekanntwerden der Tatserie des NSU hat der Leiter der Hamburger Sonderkommission (SoKo 061), die seit 2006 an dem Tötungsdelikt in Hamburg beziehungsweise in den länderübergreifenden Ermittlungen gearbeitet hatte, die älteste Tochter des Ehepaars Taşköprü über die Ereignisse in Eisenach und die polizeilichen Feststellungen informiert und einen weiteren Besuch zur direkten Information der Familie angeboten. Des Weiteren stellte die Soko 061 den Kontakt zwischen der Opferhilfsorganisation Weißer Ring zur Familie Taşköprü her, deren Hilfs- und Beratungsangebote auch die Unterstützung bei der Erhebung und Realisierung von Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) umfasst. Die Familie hat die von der Polizei unterbreiteten weiteren Beratungs- und Unterstützungsangebote mit Hinweis auf die emotionalen Belastungen wie auch den oben angeführten Besuch Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11622 3 von Angehörigen der Soko 061 nicht angenommen. Am 24. November 2011 bat die Familie, zukünftige Kontaktaufnahmen ausschließlich über die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei vorzunehmen; weitere direkte Kontakte der Polizei mit der Familie haben danach nicht mehr stattgefunden. Hinsichtlich einer möglichen Inanspruchnahme von Opferentschädigungsmitteln aus dem Zuständigkeitsbereich der BASFI ist festzuhalten, dass es sich bei den konkret erfragten Informationen um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35, 68 Nummer 7 Buchstabe f SGB I, 67 ff SGB X handelt, die der Senat gemäß § 67 d Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Eine Einwilligung der Betroffenen zur Datenübermittlung liegt nicht vor. Der Senat ist daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach §§ 35 SGB I, 67 ff SGB X an der Beantwortung der Fragen gehindert. Nach Kenntnis des Senats sind durch die Bundesregierung Entschädigungsleistungen erfolgt.