BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11735 21. Wahlperiode 30.01.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 22.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Medizinische Unterversorgung von Kindern in Hamburg – Wie kam es zu der Fehlbewertung? Noch im Jahr 2013 wurde von der zuständigen Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) ein Gutachten über die ambulante Ärzteversorgung Hamburgs in Auftrag gegeben. Es entstand der sogenannte Morbiditätsatlas , demzufolge Hamburg zu den medizinisch am besten versorgten Regionen Deutschlands gehört. Statistisch besteht in Hamburg bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent sogar eine Überversorgung – einerseits. Andererseits hat die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVHH) gerade Alarm geschlagen: Einer von ihr erarbeiteten Analyse für den Zeitraum 2011 bis 2017 zufolge besteht bei der Versorgung mit Kinderärzten in Hamburg eine erhebliche Diskrepanz zwischen Arztdichte und tatsächlicher Versorgung von Patienten. Die Gründe dafür benennt die KVHH wie folgt: Wieder steigende Geburtenraten, die Versorgung von Flüchtlingskindern sowie die zunehmenden Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen, welche für den einzelnen Patienten mit wesentlich mehr zeitlichem Aufwand verbunden sind als bisher berechnet wird. Außerdem sei der inhaltliche Umfang vorgeschriebener Gesundheitsuntersuchungen deutlich gewachsen, zum Beispiel für psychosoziale Fragestellungen. Die Folge: Die Kapazitäten der Pädiater sind erschöpft, neue Patienten können nicht aufgenommen werden. Kritische Bezirke mit dem größten Handlungsbedarf sind der Analyse zufolge Hamburg-Mitte, Hamburg-Nord, Harburg sowie Bergedorf. Aber auch die Bezirke Eimsbüttel, Altona und Wandsbek stehen kurz vor der Überlastung. Eine erste Notmaßnahme der KVHH ist Zulassung von vier weiteren Kinderarztsitzen in Hamburg. Obwohl Hamburg grundsätzlich – sowohl für Ärzte wie für Patienten – die besten Voraussetzungen bietet, ist es hier offenbar zu einem Engpass gekommen, den man sonst nur in ländlichen Regionen vermuten würde. Diese Entwicklung hätte die zuständige Gesundheitssenatorin, die sich in den vergangenen Jahren regelmäßig mit länderübergreifenden und bundespolitischen Themen profiliert hat, allerdings kommen sehen und rechtzeitig Maßnahmen dagegen ergreifen müssen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das gesunde Aufwachsen von Kindern ist dem Senat ein besonderes Anliegen. Kinder sollen schon von der Schwangerschaft an größtmögliche Gesundheitschancen durch Früherkennung, Vorsorge, Gesundheitsförderung und Gesundheitshilfen erhalten . Dementsprechend gibt es auch seitens der Stadt Hamburg vielfältige Angebote an junge Mütter und Familien, beispielsweise die Frühen Hilfen mit Hilfsangeboten insbesondere für unterstützungsbedürftige Schwangere, Eltern und Kinder ab Beginn Drucksache 21/11735 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren mit einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der Null- bis Dreijährigen. Die Unterstützung durch Familienhebammen ist dabei ein zentrales Element, aber auch die zielgerichtete Verteilung von Informationen sowie die Aktivitäten zur besseren Nutzung ärztlicher Kinderfrüherkennungsuntersuchungen oder Mütterberatungsstellen gehören zu den Angeboten, um Kindergesundheit zu fördern. Der Morbiditätsatlas war 2014 eine der wesentlichen Grundlagen für die Empfehlung der Landeskonferenz Versorgung und der Anlage zum Hamburger Bedarfsplan zur ambulanten Versorgungssteuerung in Hamburg („Maßnahmen zu flexiblen Gestaltung der ambulanten Versorgung in Hamburg“). Eine Bewertung der Versorgungsstruktur und einen Vergleich mit anderen Versorgungsregionen in Deutschland enthält das Morbiditätsgutachten nicht. Siehe im Übrigen Drs. 21/11112. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie kommt es aus Sicht des Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde zu der Neubewertung der Situation der ambulanten kinderärztlichen Versorgung in Hamburg? Die Neubewertung der für die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) ist im Wesentlichen auf den Anstieg der Anzahl der Kinder in Hamburg und der U-3-Leistungen in den Jahren 2016 und 2017 zurückzuführen. 2. Welche neuen Kriterien wurden für die Neubewertung herangezogen, warum sind diese bei der Erstellung des Morbiditätsatlasses nicht berücksichtigt worden? Der aktuellen Analyse der KVH zur pädiatrischen Versorgung in Hamburg liegen abgerechnete Vorsorgeuntersuchungen (U3) und pädiatrische Vollzeitäquivalente in Bezug auf Bevölkerungsdaten als Kriterien zugrunde. Es wurde eine deutlich angestiegene Kinderzahl in den Jahren 2016 und 2017 festgestellt. Infolgedessen ist auch die Anzahl der abgerechneten U3-Untersuchungen in diesen Jahren deutlich angestiegen . Dem 2013 veröffentlichten Morbiditätsatlas lagen demgegenüber die Bevölkerungszahlen von 2011 und die Leistungsabrechnungen der Jahre 2009 und 2011 zugrunde. 3. Wie viele Kinderarztsitze sind aktuell in Hamburg zugelassen und wie verteilen sich diese über die Stadt? Bitte die entsprechende Zahl der Arztsitze nach Bezirken und hier wiederum nach Stadtteilen aufschlüsseln . Nach dem zuletzt veröffentlichten Planungsblatt der KVH sind in Hamburg 145,55 Kinderärztinnen und Kinderärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen (Stand 01.07.2017; Vollzeitäquivalente). Im Übrigen siehe Drs. 21/ 11112. 4. Wie stellt der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde sicher, dass die Sonderbedarfszulassungen nachhaltig in den Stadtteilen Hamburg -Mitte, Hamburg-Nord, Harburg sowie Bergedorf erfolgen und nicht nach einiger Zeit aufgrund der freien Ortswahl verlegt werden? Für diese Entscheidung ist der Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen zuständig (siehe Drs. 21/11112). Die Zulassung aufgrund eines lokalen oder qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarfs ist im Übrigen immer an den Ort der Niederlassung gebunden (siehe § 36 Absatz 2 Bedarfsplanungs -Richtlinie). 5. Wie beurteilt die zuständige Behörde die Tatsache, dass offensichtlich beim Morbiditätsatlas und der Bedarfsplanung der gestiegene Zeitaufwand für einzelne Untersuchungen nicht berücksichtigt wurde? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 6. Hat die zuständige Behörde Kenntnis darüber, ob bei der Neubewertung der Möglichkeit Rechnung getragen wird, dass die Kinderärzte in Ham- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11735 3 burg auch von Patienten aus dem Umland in Anspruch genommen werden ? Nein. 7. Welche Gefahren entstehen aus Sicht der zuständigen Behörde daraus, dass Kinder von Pädiatern nicht neu aufgenommen werden und somit der Impfstatus sowie der damit verbundene Effekt der lebenswichtigen „Herdenimmunität“ gefährdet sind? Im Verlauf der letzten Jahre hat sich anhand der Schuleingangsuntersuchungen in Hamburg gezeigt, dass sich der Durchimpfungsgrad insbesondere gegen Masern stetig verbessert. Das Impfangebot, das für die Bevölkerung Hamburgs vorgehalten wird, ist zudem nicht auf pädiatrische Praxen beschränkt. Impfungen werden zum Beispiel auch von Hausärztinnen und Hausärzten sowie dem Öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführt. 8. Wie begegnet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde der drohenden Überlastung der Bezirke Eimsbüttel, Altona und Wandsbek? Der Senat geht davon aus, dass die KVH in Kooperation mit der für Gesundheit zuständigen Behörde die Versorgungssituation hierzu weiter beobachten und auf gegebenenfalls notwendige Maßnahmen hinwirken wird. 9. Welche Bemühungen verfolgt die zuständige Gesundheitssenatorin, um die bundesweiten Richtlinien für Pädiater hinsichtlich der Versorgung von Patienten den gegebenen Erfordernissen anzupassen? Der Gemeinsame Bundesausschuss hat bereits einen gesetzlichen Auftrag, die Bedarfsplanungsrichtlinie zu überarbeiten (siehe Drs. 21/11112). 10. Wird die zuständige Behörde sich dafür einsetzen, dass die Bedarfsplanung künftig besser an den tatsächlichen Bedarfen gemessen wird als bisher? Wenn ja, auf welche Weise? Wenn nein, warum nicht? Die zuständige Behörde wird sich weiterhin für eine Prüfung lokaler Versorgungsengpässe entsprechend des „Maßnahmenpapiers“ und ergänzenden Analysen zur Versorgungssituation in Hamburg einsetzen. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. 11. Geklagt wird auch über den gestiegenen Bürokratieaufwand hinsichtlich Krankheitsbescheinigungen und Gesundschreibungen für Arbeitgeber, Kindertagesstätten und Schulen. Die zuständige Gesundheitssenatorin forderte laut der Presse eine neue bundesweite Richtlinie. Welche Entlastungsmöglichkeiten sieht die zuständige Behörde außerdem an dieser Stelle, ohne dass auf notwendige Nachweise verzichtet wird? Entlastungsmöglichkeiten für niedergelassene Kinderärztinnen und Kinderärzte können sich zum Beispiel aus Sonderbedarfszulassungen und einer Anpassung der bundesgesetzlichen Regelungen zur Bedarfsplanung ergeben, ohne dass auf notwendige Bescheinigungen zur Gesundheit beziehungsweise Erkrankung der Kinder verzichtet wird.