BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11831 21. Wahlperiode 06.02.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Norbert Hackbusch und Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 30.01.18 und Antwort des Senats Betr.: Kritik am geplanten Gedenkort im Stadthaus Am 29. Januar 2018 verkündete der Senat per Pressemitteilung, dass in den Stadthöfen ein neuer „Ort der Erinnerung“ entsteht. Diese Nachricht erreicht die Öffentlichkeit einen Tag vor einer geplanten Protestkundgebung der „Initiative Gedenkort Stadthaus“. Die Kritik dieses Bündnisses bezieht sich auf die derzeitig bekannten Planungen zur Umsetzung einer Gedenkstätte für die Opfer der NS-Diktatur im ehemaligen Gestapo-Hauptquartier an der Stadthausbrücke . Demnach soll die künftige Gedenkstätte mit einer Fläche von 70 m2 eingebettet werden in eine „Kombination von Buchhandlung mit anspruchsvollem Sortiment sowie angrenzendem Begegnungs- und Literaturcafé “ (bkm29). Aus Sicht der Gedenkinitiativen widerspricht diese Einbettung des Gedenkens in einen kommerziellen Raum jedem angemessenen Konzept für eine würdige Gedenkstätte. Stattdessen fordern sie, dass an diesem Ort, wo Hunderte Menschen verhört, gefoltert und gequält wurden, vielmehr die zentrale Gedenkstätte für den Nazi-Terror in Hamburg entstehen soll. Auch der Senat beschrieb das Gebäudeensemble an der Stadthausbrücke im Jahr 2009 als einen Ort „von großer Bedeutung für die Gedenkstättentopografie in Hamburg“ und wünschte sich, dass über die Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Belange hinaus das zukünftige Nutzungskonzept „Räumlichkeiten für ein würdiges Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Hamburg“ vorsieht“ (Drs. 19/4555). Demgemäß gehörte die Realisierung einer Gedenkstätte auch zu den Bedingungen der Ausschreibung im Jahr 2009. Die zentrale Bedeutung, im Stadthaus eine angemessene Gedenkstätte zu entwickeln, wurde schon im Jahr 2008 öffentlich betont. Auf die Dringlichkeit wiesen damals nicht nur die kulturpolitischen Sprecher der Bürgerschaftsfraktionen hin, sondern auch die Patriotische Gesellschaft und der Verein für Hamburgische Geschichte. Der Vereinsvorsitzende, Prof. Joist Grolle, hatte sich damals mit folgenden Worten an den Senat gewandt: „Der Umgang mit dem Stadthaus stellt die Erinnerungskultur unserer Stadt auf eine Bewährungsprobe . Es ist zu hoffen, dass Hamburg diese Probe besteht.“ (Hamburger Abendblatt, 12.02.2008.) Wir fragen den Senat: (Bitte die Fragen einzeln beantworten und nicht en bloc.) Drucksache 21/11831 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Beim Verkauf des Gebäudes an einen privaten Investor im Jahre 2009 hat dieser sich verpflichtet, „in Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Lernort mit unterschiedlichen Inhalten (Ausstellung, Seminare, Veranstaltungen, Inszenierungen, Dokumentationen) zur Nutzung des Stadthauses in den Jahren 1933 – 1943 (...) in geeigneten Räumen auf seine Kosten zu realisieren sowie dauerhaft den Betrieb und die öffentliche Zugänglichkeit sicher zu stellen.“ (Drs. 19/4555). Die zuständige Behörde geht seit Vertragsschluss davon aus, dass dies vertragsgemäß realisiert wird. Die zuständige Behörde (insbesondere die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und das Denkmalschutzamt) befindet sich seit über fünf Jahren im Austausch mit dem Projektentwickler Quantum Immobilien AG. Nach der Vorstellung von Konzepten des Verbandes der Hamburger Geschichtswerkstätten und der Inhaberin der Fachbuchhandlung Lesesaal im vergangenen Jahr erfolgte eine Konkretisierung der Konzeption. Wesentlicher Bestandteil ist die Bereitstellung möglicher Ausstellungsinhalte durch die KZ- Gedenkstätte Neuengamme. Auf der Grundlage der 2012 realisierten Ausstellung „Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus“ werden auch entsprechende Ergänzungen der Ausstellungsinhalte vorgenommen werden. Mit der Entscheidung für einen Betreiber ist nun die Basis für die weiteren Schritte gelegt. Die zuständige Behörde unterstützt in diesem Prozess die Entwicklung eines wichtigen Gedenkortes und die Einbeziehung gesellschaftlich relevanter Gruppen. Um die begonnene öffentliche Diskussion zu fördern und die Beteiligung relevanter Verbände und Institutionen an der Konzeption der Gedenkstelle zu sichern, hat die zuständige Behörde zu einem ersten Treffen am 22. Februar 2018 unter anderem Vertretungen der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e.V., dem Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V., dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten, der Evangelischen Akademie , dem Förderkreis Gedenkstätte und Lernort Stadthaus, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, dem Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme e.V., den Hamburger Geschichtswerkstätten, dem Hamburger Polizeimuseum, dem Landesjugendring Hamburg und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eingeladen. Es soll ein Beirat gebildet werden, der in die Entwicklung des Konzepts einbezogen werden sowie den späteren Betrieb der Gedenkstätte begleiten soll. Fragen zum konkreten Aufgabenzuschnitt des Beirats sollen nach den ersten Treffen gemeinsam entschieden werden. Im Übrigen sind die Planungen noch nicht abgeschlossen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Quantum Projektentwicklung GmbH wie folgt: 1. Wie viele Quadratmeter waren für die Gedenkstättenfläche a) in der Verkaufsausschreibung, b) im notariell beglaubigten Angebot der Quantum AG vorgesehen? 2. Hat die Freie und Hansestadt Hamburg im Rahmen des Kaufvertrages eine Mindestfläche für die Gedenkstätte festgelegt? Wenn ja, bitte die genaue Quadratmeterzahl angeben? Wenn nein, warum nicht? In der Ausschreibung war die geforderte Berücksichtigung der historischen Bedeutung des Gebäudeensembles nicht mit einer Angabe zum Flächenbedarf hinterlegt, im Angebot und im Kaufvertrag sind 750 m² Bruttogrundfläche (BGF) vorgesehen. 3. In der Drs. 21/11165 vom 08.12.2017 gibt der Senat an: „Seiner vertraglichen Verpflichtung ist der Eigentümer bisher nachgekommen“ Warum ist der Senat nach wie vor davon überzeugt, dass der Eigentümer seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt, obwohl ein offensichtlicher Widerspruch besteht zwischen den vereinbarten Flächen und den aktuellen Planungen ? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11831 3 Der Käufer hat im Bauantragsverfahren eine Flächenermittlung vorgelegt, die 758,76 m² BGF für eine Nutzung „Ausstellung“ einschließlich Verkehrs- und sonstiger Nebenflächen vorsieht, davon 524,48 m² im Erdgeschoss und 227,28 m² im Untergeschoss. Das vom Eigentümer vorgelegte Betreiberkonzept, das eine Verbindung von Ausstellung , Buchhandlung und Café vorsieht, erscheint damit geeignet, die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. 4. Inwiefern war die Kommission für Bodenordnung an dem Veräußerungsverfahren beteiligt? Wenn nein, warum nicht? Die Kommission für Bodenordnung hat am 3. Dezember 2009 dem Verkauf und am 14. November 2013 dem Nachtrag zugestimmt. 5. Wie setzte sich im Jahr 2009 das Auswahlgremium des Bieterverfahrens zusammen? Aus der damaligen Kulturbehörde, der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, der damaligen Behörde für Wirtschaft und Arbeit, dem Bezirksamt Hamburg- Mitte, der Finanzbehörde sowie dem damaligen Oberbaudirektor. 6. Wie hoch war der für das Gebäudeensemble gezahlte Kaufpreis? Der Senat sieht zur Wahrung seiner Verhandlungsposition sowie der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Vertragspartner in ständiger Praxis grundsätzlich davon ab, zu Kaufpreisen Stellung zu beziehen. 7. Inwieweit wurde bei der Festsetzung des Kaufpreises die Verpflichtung zur Realisierung der Gedenkstätte berücksichtigt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie hoch war der entsprechende Abschlag? (Sollte dies aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht benannt werden können dann bitte die Höhe eines möglichen Abschlags prozentual zum Kaufpreis angeben .) Der Kaufpreis wurde nicht festgesetzt, sondern jeder Bieter musste die Realisierung des Ortes der Erinnerung bei seiner Gebotshöhe berücksichtigen. Im Übrigen siehe Drs. 20/12554. 8. Laut Senat hat sich die Quantum Immobilien AG zur Realisierung und zur Sicherung des dauerhaften Betriebs und der öffentlichen Zugänglichkeit der Gedenkstätte verpflichtet. a) Welche weiteren Verpflichtungen bestehen aufseiten des Eigentümers ? b) Inwiefern und wo ist eine Mindestanzahl von Veranstaltungen geregelt ? c) Welche Dauer der Verpflichtung ist vertraglich festgeschrieben? d) Welche der Verpflichtungen wurden bei der Festsetzung des Kaufpreises mit welcher Begründung preismindernd berücksichtigt? e) Wie hoch ist die Summe der Preisminderung? Falls die Summe aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht genannt werden kann, bitte eine prozentuale Angabe machen. Zur vertraglichen Verpflichtung siehe Vorbemerkung. Weitere Verpflichtungen wurden nicht vertraglich vereinbart. Eine zeitliche Befristung besteht nicht. Im Übrigen siehe Drs. 20/12554 und Antwort zu 7. 9. Inwieweit trifft es zu, dass sich die Quantum Immobilen AG im Zuge des Bewerbungsverfahrens ausgewiesen hat durch eine Zusammenarbeit mit Andreas Nachama (geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin)? Drucksache 21/11831 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Dies trifft zu. Professor Andreas Nachama hat die Quantum Immobilien AG im Bewerbungsverfahren beraten. In seiner Pressemitteilung vom 29.01.2018 gibt der Senat an: „Die Dokumentation baut auf die Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zum Stadthaus auf, die 2012 in der Rathausdiele gezeigt wurde. Über einen mit der Fachbuchhandlung „Lesesaal“ geschlossenen Mietvertrag wird eine öffentliche Zugänglichkeit gewährleistet. Die Mieterin wird in der Kombination von Buchhandlung mit anspruchsvollem Sortiment sowie angrenzendem Begegnungs- und Literaturcafé die Ausstellung in einen lebendigen Erinnerungs -, Veranstaltungs- und Kommunikationsort einbetten. Die drei Bereiche werden ineinander übergehen und miteinander in Verbindung gebracht. So sollen Veranstaltungen mit thematischem Bezug zum Erinnerungsort sowohl durch die Mieterin und Koordinatorin der Ausstellung als auch mit Kooperationspartnern aus der Kultur und den Verbänden ermöglicht werden. Die Fläche wird je nach Bedarf zur Verfügung gestellt und flexibel gestaltet.“ 10. Welche der vom Eigentümer vertraglich übernommenen Verpflichtungen werden nach diesem aktuellem Planungsstand an Dritte weitergegeben? Eine schuldbefreiende Weitergabe von Pflichten durch den Eigentümer erfolgt nicht. 11. Wer ist nach aktuellem Planungsstand verantwortlich für a) die Entwicklung und Weiterentwicklung des Ausstellungskonzeptes? b) die professionelle Leitung des Gedenkortes? c) die fachliche und pädagogische Betreuung von Besuchern/-innen des Gedenkortes? d) die Gewährleistung von Öffnungszeiten an Abenden und Wochenenden ? Verantwortlich ist der Eigentümer beziehungsweise die von ihm beauftragte Betreiberin /Koordinatorin des Ortes der Erinnerung. Die Entwicklung und Weiterentwicklung des Ausstellungskonzepts erfolgt in Abstimmung mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Denkmalschutzamt sowie unter Einbeziehung des zukünftigen Beirats. Darüber hinaus hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme beratende Unterstützung in fachlichen und pädagogischen Belangen angeboten. 12. Durch wen und auf welcher konzeptionellen oder betrieblichen Grundlage wird die Nutzung der Fläche geregelt? a) Nach welchen Kriterien und vom wem wird entschieden, wer die Fläche zu welchen Konditionen nutzen kann? b) Nach welchen Kriterien und vom wem wird entschieden, wer die Fläche zu welchem Zeitpunkt und Umfang nutzen kann? c) Wer ist befugt, zu entscheiden, welchen Nutzern/-innen der Fläche beziehungsweise welchen Veranstaltungsformaten Priorität eingeräumt wird? d) Wer entscheidet im Streitfall? Derartige Regelungen soll die vom Eigentümer beauftragte Koordinatorin des Ortes der Erinnerung treffen. Sie soll dabei von einem Beirat unterstützt werden, der aus Vertretungen der Opferverbände, Kultur- und Forschungsinstitutionen und Geschichtswerkstätten gebildet werden soll. Gegenwärtig liegen noch keine Regelungen vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Im Rahmen der Pressemitteilung des Senats vom 29.01.2018 (bkm29) kündigt der Senat außerdem ein Beteiligungsverfahren und die Gründung eines Beirats an: „Die Verbände werden gebeten, bei der Ausstellungserarbeitung Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11831 5 ihre Expertise und gegebenenfalls bei ihnen verfügbare Materialien und Berichte ergänzend zur Verfügung zu stellen. Nach dem ausführlichen Beteiligungsprozess soll dann die Ausstellung für jeden zugänglich sein. Die Buchhandlung wird im Mai öffnen. Um den Austausch und eine auf Dauer angelegte Beteiligung der Verbände und Interessengruppen zu organisieren, wird die Behörde in Abstimmung mit der Mieterin in Kürze zu einem gemeinsamen Beratungstermin einladen. Die Zusammenarbeit soll in Form eines Beirates verstetigt werden.“ 13. Wann soll der angekündigte Beratungstermin stattfinden? 14. Wer wird zu dem angekündigten Beratungstermin eingeladen 15. Wann soll der Beirat seine Arbeit aufnehmen? 16. In der Drs. 21/10997 vom 21.11.2017 gibt der Senat an: „Die Verfahren sowohl zur Auswahl des Betreibers als auch zur Errichtung und zum Betrieb der Gedenkstätte obliegen dem Eigentümer.“ Weshalb und in welcher Funktion lädt nun der Senat aktuell zu einem Beratungstermin und einem Beteiligungsverfahren und wessen Initiative gab den Anstoß dazu? 17. In der Drs. 21/10997 vom 08.12.2017 gibt der Senat an: „Der Eigentümer hat sich in Abstimmung mit der zuständigen Behörde im Sommer 2017 für das Konzept einer Buchhandlung entschieden.“ Seit wann ist dem Senat das in der Pressemitteilung dargestellte Konzept des „Ortes der Erinnerung“ bekannt und wer war bei der Entwicklung dieses Konzeptes bisher involviert? 18. Hat der Senat zwischenzeitlich gemeinsam mit dem Eigentümer die Option erwogen, die Leitung der Gedenkstätte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu übertragen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt fanden derartige Überlegungen statt und warum wurden sie verworfen? 19. Wer ist für die Sichtung und wissenschaftlich-konzeptionelle Einbindung der „Materialien und Berichte“ vonseiten der Verbände zuständig? 20. Warum wurden die Verbände und Interessengruppen nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt beteiligt? Warum wurde nicht bereits früher ein ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren initiiert? 21. Wie soll eine „auf Dauer angelegte Beteiligung der Verbände und Interessengruppen “ aussehen? 22. Welche Entscheidungsbefugnisse und/oder Kontrollfunktionen sollen dem künftigen Beirat zugesprochen werden? 23. Wer entscheidet über die Befugnisse des künftigen Beirats? 24. Wer entscheidet über die Zusammensetzung des künftigen Beirats? 25. Auf welchen Teil der Gedenkstätte (welche Fläche) und auf welchen Teil des Ausstellungskonzeptes bezieht sich die Arbeit des Beirats? Siehe Vorbemerkung.