BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11936 21. Wahlperiode 16.02.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jens Meyer und Christel Nicolaysen (FDP) vom 08.02.18 und Antwort des Senats Betr.: Häusliche Gewalt gegen Männer – Wie geht Hamburg mit dem Tabuthema um? Die unter dem Hashtag „metoo“ bekannt gewordene Debatte hat das Thema der sexuellen und sexualisierten Gewalt sowie der körperlichen und sexuellen Unversehrtheit erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die Diskussion , die sich daraus ergibt, ist ebenso wichtig und notwendig, sowohl für Männer als auch für Frauen. Dass es überwiegend Frauen sind, die von diesen Gewaltformen betroffen sind, ist klar nachgewiesen. Aber es sind auch zunehmend Männer, die partnerschaftlicher und sexueller Gewalt ausgeliefert sind. Schätzungen nach sind bis zu 20 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt Männer. Dabei reichen die Schilderungen von psychischer über körperliche Gewalt bis hin zu sexuellen Übergriffen. Dies ist eine, nicht nur in Deutschland, weitestgehend tabuisierte Problematik mit sehr hoher Dunkelziffer. Betroffene Männer haben mit Vorurteilen zu kämpfen, wissen häufig nicht, wo sie Hilfe bekommen und/oder fühlen sich, als Folge der immer noch vorherrschenden klassischen, gesellschaftlich auferlegten Rolle, gehemmt, Hilfe zu suchen, diese anzunehmen und sich zu öffnen. Darauf weisen sowohl Forscherinnen und Forscher als auch Theologen seit geraumer Zeit hin. Daraus resultieren zum Teil schwerwiegende seelische Belastungen bei den Betroffenen. Das Hilfsangebot ist begrenzt, die Anerkennung als Opfer gilt als schwierig. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) bezieht die Gewaltbetroffenheit von Männern ausdrücklich ein. Der Senat hat zudem bereits mehrfach das Hilfesystem und seine Mehrsprachigkeit für von (häuslicher) Gewalt betroffene Frauen und Männer dargestellt (siehe insbesondere Drs. 21/1231, 21/5359, 21/6000, 21/6475, 21/6548, 21/7706, 21/8014, 21/8539, 21/9910, 21/11908). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Angaben der von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BAS- FI) geförderten Träger S & S gemeinnützige Gesellschaft für Soziales mbH (pro-aktiv) bis 2015, intervento – Proaktive Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und Stalking ab 2015, LÂLE in der Interkulturellen Begegnungsstätte e.V. – interkulturelle Beratungsstelle bei häuslicher Gewalt und Zwangsheirat, i.bera-verikom, interkulturelle Beratungsstelle bei häuslicher Gewalt und Zwangsheirat sowie Opferhilfe Hamburg e.V. wie folgt: 1. Welche Beratungsstellen in Hamburg bieten weiblichen Opfern häuslicher Gewalt Hilfe an und in welchem Umfang? Bitte erläutern. Drucksache 21/11936 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Welche Beratungsstellen in Hamburg bieten männlichen Opfern häuslicher Gewalt Hilfe an und in welchem Umfang? Bitte erläutern. Siehe Vorbemerkung. 3. Wie viele Frauenhäuser gibt es in Hamburg? Gibt es auch Männerhäuser ? Siehe Drs. 21/8539 sowie Drs. 21/6475. 4. Welche Möglichkeiten stehen weiblichen Opfern häuslicher Gewalt zur Verfügung, die einen Schutzraum suchen, und wie häufig wurden solche Angebote der Opferhilfe von weiblichen Opfern häuslicher Gewalt in den letzten fünf Jahren in Hamburg in Anspruch genommen? 5. Welche Möglichkeiten stehen männlichen Opfern häuslicher Gewalt zur Verfügung, die einen Schutzraum suchen, und wie häufig wurden solche Angebote der Opferhilfe von männlichen Opfern häuslicher Gewalt in den letzten fünf Jahren in Hamburg in Anspruch genommen? Siehe Antwort zu 3. Zur Inanspruchnahme der Hamburger Frauenhäuser in den letzten fünf Jahren siehe Drs. 21/1231, 21/5214, 21/9910. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 6. Wie viele weibliche Opfer häuslicher Gewalt wurden in den letzten fünf Jahren in Hamburg registriert und wie viele haben Hilfe bei einer Beratungsstelle gesucht? Wie viele davon waren geflüchtete Frauen? 7. Wie viele männliche Opfer häuslicher Gewalt wurden in den letzten fünf Jahren in Hamburg registriert und wie viele haben Hilfe bei einer Beratungsstelle gesucht? Wie viele davon waren geflüchtete Männer? Fälle der häuslichen Gewalt werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht gesondert ausgewiesen. Ersatzweise wird die Anzahl der Opfer in der Kategorie Partnerschaften (Ehepartner, eingetragene Lebenspartnerschaft, Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften, ehemalige Partnerschaften) im Folgenden für die ausgewählten PKS-Schlüssel „Gewaltkriminalität“ und „Vorsätzliche einfache Körperverletzung“ dargestellt. Die Anzahl der weiblichen Opfer stellt sich danach für die letzten fünf Jahren wie folgt dar: PKS-Schlüssel Jahr 2013 2014 2015 2016 2017 Gewaltkriminalität* 455 521 500 491 584 Vorsätzliche einfache Körperverletzung 2.586 2.780 2.632 2.826 2.665 Gesamt 3.041 3.301 3.132 3.317 3.249 Quelle: PKS * Gewaltkriminalität wird in der PKS durch den Summenschlüssel 892000 „Gewaltkriminalität“ dargestellt. Er umfasst folgende Deliktsbereiche: Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung/sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung , erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, Angriff auf den Luft- und Seeverkehr sowie seit 2014 auch die Verstümmelung weiblicher Genitalien. Zur Anzahl der männlichen Opfer für die Jahre 2016 und 2017 siehe nachstehende Tabelle. Im Übrigen siehe Drs. 21/6475. PKS-Schlüssel Jahr 2016 2017 Gewaltkriminalität 198 181 Vorsätzliche einfache Körperverletzung 626 606 Gesamt 824 787 Quelle: PKS Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11936 3 Eine Auswertung dahin gehend, ob es sich bei den Opfern in Partnerschaften um Geflüchtete handelt, erfolgt in der PKS nicht. Hierfür wäre eine händische Auswertung von mehreren Zehntausend Akten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Drs. 21/2980. Weibliche und männliche Opfer häuslicher Gewalt haben insgesamt in folgender Anzahl Hilfe bei den geförderten Beratungsstellen des Opferhilfesystems gesucht: Anzahl der Ratsuchenden 2013 2014 2015 – 2016* weiblich 1.606 1.587 2.111 männlich 119 194 132 Quelle: Angaben der Träger der Einrichtungen zu häuslicher Gewalt * ab 2015 wurden erstmals einheitliche Definitionen zu den Gewaltphänomenen „häusliche Gewalt“ und zur Kennzahl „Ratsuchende“ der Förderung zugrunde gelegt. Davor war die Zählweise unterschiedlich. 2013 und 2014 inkludierte die Kategorie „häusliche Gewalt“ zudem auch noch Fälle familiärer Gewalt. Außer bei der Interventionsstelle intervento liegt – differenziert nach den Gewaltphänomenen – aufgrund des Bewilligungszeitraums von zwei Jahren nur eine Gesamtstatistik für die beiden Jahre vor. Die Daten von intervento sind in die Gesamtstatistik eingeflossen. Ab 2017 sind die Träger verpflichtet, jährlich differenzierte Daten zum 31. März des Folgejahres vorzulegen. Differenzierte Daten für 2017 liegen noch nicht vor (siehe Drs. 21/1231). Das Merkmal „geflüchtet“ wird in den Beratungsstellen bei Ratsuchenden statistisch nicht erhoben. Zur Inanspruchnahme der Koordinierungsstelle savîa siehe im Übrigen Drs. 21/10582. 8. Wie werden mögliche männliche Opfer häuslicher Gewalt auf die Beratungsangebote aufmerksam gemacht? Gibt es gesonderte öffentliche Kampagnen der Opferhilfestellen? a) Wenn ja, welche? b) Wenn nein, warum nicht? Entfällt. c) Gibt es Informationsmaterial in unterschiedlichen Sprachen? Der Internetauftritt der Opferschutzseite der BASFI wurde mittlerweile überarbeitet, damit sich gewaltbetroffene Männer noch direkter angesprochen fühlen (http://www.hamburg.de/hilfen-fuer-opfer/7421580/maenner/). Nach aktuellen Angaben der Opferberatungsstellen insbesondere zu häuslicher Gewalt ist deren Informations - beziehungsweise Öffentlichkeitsmaterial bewusst geschlechtsneutral gehalten, damit sich Männer wie Frauen angesprochen fühlen. Informationsmaterial liegt in unterschiedlichen Sprachen vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Welchen Prozess gibt es in Hamburg, wenn ein männliches Vergewaltigungsopfer bei der Polizei oder beim Rettungsdienst gemeldet wird? Bitte erläutern, Vorgehensweise und beteiligte Einrichtungen benennen. Die Polizei leitet in allen Verdachtsfällen eines Sexualdeliktes ein Ermittlungsverfahren ein und trifft einzelfallbezogen alle erforderlichen gefahrenabwehrenden sowie strafprozessualen Maßnahmen. Grundsätzlich erfolgt die kriminalpolizeiliche Sachbearbeitung bei Sexualdelikten durch das Landeskriminalamt (LKA), unabhängig vom Geschlecht des Opfers. Das LKA gewährleistet durch eine Rufbereitschaft auch außerhalb der allgemeinen Geschäftszeiten die sofortige kriminalpolizeiliche Bearbeitung inklusive der Hilfe für die Opfer. Die Opfer werden über ihre Rechte informiert und ihnen wird Gelegenheit gegeben, Kontakt zu Vertrauenspersonen, Rechtsbeiständen und/oder Opferhilfeeinrichtungen aufzunehmen. Entscheidungen hierüber obliegen den Geschädigten selbst und werden berücksichtigt, soweit Untersuchungszwecke des Strafverfahrens nicht gefährdet sind. Drucksache 21/11936 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Das LKA veranlasst je nach Sachverhalt die körperliche Untersuchung im Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dort werden Opfer auch im Hinblick auf mögliche durch die Tat verursachte ansteckende Krankheiten, wie zum Beispiel HIV und Hepatitis, aufgeklärt und gegebenenfalls behandelt. Zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt eine erneute Kontaktaufnahme des LKA zum Opfer mit dem Ziel, die möglichen physischen und psychischen Folgen der Tat für das Opfer zu erfragen, um diese Informationen in das laufende Strafverfahren mit einzubringen . 10. Sieht der Senat Handlungsbedarf bei der Opferhilfe für Männer? a) Wenn ja, welche konkreten Handlungsmaßnahmen zur Opferhilfe existieren oder sind geplant? b) Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 11. Gibt es in Hamburgs psychiatrischen Kliniken Stationen für weibliche Gewaltopfer? Wenn ja, bitte die Kliniken benennen. 12. Gibt es in Hamburgs psychiatrischen Kliniken Stationen für männliche Gewaltopfer? Wenn ja, bitte die Kliniken benennen. Die Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie der Hamburger Krankenhäuser bieten eine medizinische Vollversorgung für Patientinnen und Patienten mit psychiatrischen Diagnosen, bei denen eine vollstationäre Krankenhausbehandlung indiziert ist. Die Binnenstrukturierung der psychiatrischen Krankenhausabteilungen orientiert sich in der Regel an Krankheitsbildern, um Patientinnen und Patienten mit gleicher oder ähnlicher Indikation ihrem Bedarf entsprechend spezielle psychotherapeutische , psychopharmakologische und sozial-psychiatrische Konzepte zur Behandlung anzubieten. 13. Männliche Kinder sind überproportional häufig Gewaltopfer (häuslich und sexuell), in der PKS des Bundesinnenministeriums von 2016 machen sie über 50 Prozent aller männlichen Opfer aus. Die Täter sind häufig Frauen aus dem familiären Umfeld.1 Ergreift der Senat besondere Anstrengungen, um Jungen vor Missbrauch zu schützen? a) Wenn ja, welche? b) Wenn nein, warum nicht? In Hamburg werden verschiedene Anlauf- und Beratungsstellen sowie Präventionsmaßnahmen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts vorgehalten. Siehe dazu auch Drs. 21/3638. Mit dem Projekt basispraevent wird darüber hinaus ein Beratungsangebot bereitgestellt, dass sich speziell an von sexueller Gewalt betroffene Jungen richtet. Betroffene Jungen erhalten Beratung und werden unterstützt, weiterführende Hilfen in Anspruch zu nehmen. Auch Eltern beziehungsweise andere Bezugspersonen werden beraten. Pädagogische Fachkräfte erhalten Beratung zum Vorgehen bei Verdacht auf sexuelle Gewalt an männlichen Jugendlichen. Das Projekt beteiligt sich darüber hinaus an Vernetzungsund Präventionstätigkeiten (zum Beispiel an Schulen) und bietet Fortbildungen zum Thema Missbrauch an Jungen. Darüber hinaus werden in den meisten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit unter anderem spezifische Angebote nur für Jungen durchgeführt, Bei Bedarf wird das Thema sexualisierte Gewalt angesprochen und gegebenenfalls auf 1 Vergleiche http://www.sueddeutsche.de/wissen/sexueller-missbrauch-die-mutter-als-taeterin- 1.3707646. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11936 5 Hilfsangebote verwiesen. Darüber hinaus fördert die BASFI Projekte an Schulen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Die Projekte werden vom Verein Jungenarbeit e.V. in Kooperation mit Allerleirauh e.V. durchgeführt. Ziel der Angebote ist es unter anderem , Jungen für eigene und fremde Grenzen sowie Grenzverletzungen zu sensibilisieren . Im Rahmen dieser Projekte geht es auch um die Betroffenheit von Jungen durch sexualisierte Gewalt. Im Übrigen siehe Drs. 21/11859. 14. Wie bewertet der Senat die Schaffung der Stelle eines „Männerbeauftragten “, wie in der Stadt in Nürnberg im Jahr 2016 durchgeführt? Hamburg verfügt bereits über ein umfangreiches Hilfesystem für Gewaltopfer. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Darüber hinaus hat sich der Senat damit nicht befasst. 15. Kann sich der Senat vorstellen, eine ähnliche Lösung wie in Nürnberg auch in Hamburg zu realisieren, um speziell männlichen Gewaltopfern ein besseres Hilfsangebot anzubieten? a) Wenn ja, gibt es bereits konkrete Pläne oder Realisierungskonzepte ? b) Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 16. Die erste Pilotstudie des BMFSFJ, die Gewalt gegen Männer systematisch untersucht hat, stammt aus dem Jahr 2004.2 Sind dem Senat weitere Studien bekannt? Wenn ja, bitte nennen. Neben der in der Fragestellung benannten Pilotstudie ist die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) „Repräsentativbefragung zu Viktimisierungserfahrungen in Deutschland“, 2014 bekannt (http://kfn.de/wp-content/uploads/ Forschungsberichte/FB_122.pdf). 17. Sieht der Senat die Notwendigkeit einer umfassenderen Untersuchung des Ausmaßes von Gewalt gegen Männer in Hamburg? a) Wenn ja, wann ist eine konkrete Untersuchung geplant und in welcher Form? b) Wenn nein, warum nicht? Der Senat hat – dort wo angezeigt – die Erkenntnisse der Pilotstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Erkenntnisse aus der Praxis der Fachberatungsstellen in sein fachpolitisches Handeln implementiert . Eine weitere wissenschaftliche Untersuchung würde für Hamburg keine weiterführenden Erkenntnisse liefern. 2 Vergleiche https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/studie--gewalt-gegen-maenner/84660?view= DEFAULT.