BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/11999 21. Wahlperiode 20.02.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Martin Dolzer (DIE LINKE) vom 13.02.18 und Antwort des Senats Betr.: Ungerechtfertigt in Haft genommene Personen in Hamburg Laut einem Bericht im „Hamburger Abendblatt“ vom 29.01.2018 sind nach Angaben der Justizbehörde in Jahr 2017 153.000 Euro an Menschen ausgezahlt worden, die ungerechtfertigt in Haft genommen wurden. Insgesamt seien 87 Antragsteller/-innen entschädigt worden. Im gleichen Zeitraum wurden in Niedersachsen 240.000 Euro an 54 Antragsteller/-innen ausgezahlt und in Berlin haben 77 Antragsteller/-innen 191.025 Euro erhalten. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie viele Personen wurden seit 2010 für ungerechtfertigte Haft entschädigt und wie hoch war jeweils die Gesamtentschädigungssumme? Bitte nach Jahren, Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit aufschlüsseln. 2. Wie viele Menschen gehörten 2017 in Hamburg zu den berechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 und § 2 Absatz 1, 1. Alt des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahme (StrEG), um einen Antrag auf Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft zu stellen? a. Wie viele Personen davon gehören zum Kreis der Berechtigten nach § 1 StrEG? b. Wie viele Personen davon gehören zum Kreis der Berechtigten nach § 2 Absatz 1, 1. Alt. StrEG? Bitte aufschlüsseln nach Freisprüchen , Einstellungen ohne Ermessensentscheidungen und Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht. c. Wie viele Personen im Sinne des § 1 und § 2 Absatz 1, 1. Alt StrEG haben im Jahr 2017 jeweils einen Antrag auf Haftentschädigung gestellt? d. Wie lang dauerte die Inhaftierung in den jeweiligen Fällen? e. Wie viele dieser Anträge auf Haftentschädigung wurden abgelehnt? Aus welchen Gründen? Bitte nach den Personenkreisen aufschlüsseln . 3. Wie viele Personen waren 2017 in Untersuchungshaft, deren Verfahren anschließend durch eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts eingestellt wurden (§ 3 StrEG)? a. Wie viele Anträge auf Haftentschädigung wurden aus diesem Personenkreis im Jahr 2017 gestellt? b. Wie viele dieser Anträge wurden positiv beschieden? Drucksache 21/11999 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 c. Wie lang dauerte die Inhaftierung in den jeweiligen Fällen? d. Existieren Verwaltungsvorschriften oder Maßgaben zur Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Entschädigungszahlung nach § 3 StrEG? 4. Auf welche Haftgründe wurde die Inhaftierung gegen diejenigen Personen , die aufgrund einer erlittenen Untersuchungshaft entschädigt wurden , gestützt? a. Wie viele Personen davon waren wohnungslos? b. Wie viele Personen davon besaßen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit ? 5. Wie verteilen sich die Antragsteller/-innen auf die jeweiligen Deliktsgruppen im Sinne der Polizeilichen Kriminalstatistik? Welcher Anteil derjenigen Personen, denen ein Verstoß gegen strafrechtliche Nebengesetze vorgeworfen wurde, entfällt auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz ? 6. Wie viele Menschen gehörten 2017 zu dem Personenkreis im Sinne des § 4 StrEG? Bitte aufschlüsseln nach § 4 Nummer 1 und Nummer 2 StrEG. a. Wie viele dieser Personen haben einen Antrag auf Entschädigung aus Billigkeitsgründen gestellt? b. Wie viele dieser Anträge wurden abgelehnt? Aus welchen Gründen? c. Wie lang dauerte die Inhaftierung in den jeweiligen Fällen? d. Existieren Verwaltungsvorschriften oder Maßgaben zur Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Entschädigungszahlungen nach § 4 StrEG? Die zuständige Behörde erhebt keine Statistik über die abgeschlossenen Verfahren nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG). StrEG-Verfahren können ausschließlich über ihr Aktenzeichen identifiziert werden. Das Aktenzeichen gibt jedoch keinen Aufschluss über den Stand oder den Ausgang des Verfahrens. Die Beantwortung der Fragen würde daher die händische Auswertung sämtlicher StrEG-Verfahren aus den abgefragten Zeiträumen erforderlich machen. Zudem enthalten die hiesigen StrEG-Akten aus Gründen des Datenschutzes und der Verfahrensökonomie im Regelfall nicht sämtliche abgefragten Informationen. So sind insbesondere der Tatvorwurf und der Haftgrund für die Bearbeitung von StrEG-Ansprüchen irrelevant. Andere zur Bearbeitung des StrEG-Verfahrens erforderliche Informationen werden den beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft entnommen, die nach Abschluss des Verfahrens zurückgesandt werden. Eine Auswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit weder für den Zeitraum seit 2010 noch spezifisch für das Jahr 2017 möglich. Aus der Summe der im Jahr 2017 ausgezahlten Entschädigungsansprüche lassen sich keine verlässlichen Rückschlüsse zur Beantwortung der Fragen ziehen. In zahlreichen Fällen hat die zuständige Behörde mit eigenen Forderungen – wie unbezahlten Geldstrafen und Gerichtskosten – gegen die StrEG-Ansprüche aufgerechnet, was die Summe der ausgezahlten Entschädigungsansprüche gemindert hat. Zudem sind in diese Summe auch Entschädigungen für andere Strafverfolgungsmaßnahmen als Untersuchungshaft (zum Beispiel Wohnungsdurchsuchung, Beschlagnahme, Sicherstellung , vorläufiger Führerscheinentziehung, Rechtsanwaltskosten et cetera) miteingeflossen . Der Gesamtbetrag in Höhe von 153.000 Euro resultiert aus einer Auswertung der Buchhaltung anhand des Schlagwortes StrEG ohne Anspruch auf Vollständigkeit . Darüber hinaus ergibt sich aus der Buchhaltung auch nur, dass der StrEG- Anspruch im Jahr 2017 ausgezahlt wurde. Aus den vorgenannten Gründen wird er aber in vielen Fällen schon vor dem Jahr 2017 entstanden sein. Aus den vorgenannten Gründen ist eine Auswertung der StrEG-Verfahren im Hinblick auf eine Entschädigung nach Billigkeit im Sinne der §§ 3 und 4 StrEG nicht möglich. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/11999 3 Den mit der Prüfung von StrEG-Ansprüchen befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist auch kein Fall erinnerlich, in dem ein StrEG-Antrag nach einer Einstellung des Verfahrens aufgrund von Opportunitätsnormen (zum Beispiel §§ 153, 153a, 154 StPO) gestellt worden wäre oder in welchen ein StrEG-Anspruch unter Berufung auf § 4 StrEG geltend gemacht wurde. Es existieren keine Verwaltungsvorschriften oder Maßgaben, welche die Anwendung der §§ 3 und 4 StrEG konkretisieren. 7. Werden Personen, denen potenziell ein Anspruch auf Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft zustehen könnte, über die Möglichkeit der Entschädigung und das Antragsprozedere informiert? Wenn ja, auf welche Art und Weise? Wenn nein, warum nicht und plant der Senat dies für die Zukunft? Im Falle eines Urteils oder eines verfahrensabschließenden Beschlusses hat das Gericht nach § 8 Absatz 1 StrEG von Amts wegen über den Entschädigungsanspruch zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft ist dazu nach Nummer 139 III der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) angehalten, bei Vorliegen der Voraussetzungen auf einen entsprechenden Entschädigungsbeschluss hinzuwirken . Bei einer Einstellung im Ermittlungsverfahren wird der beziehungsweise die ehemals Beschuldigte in der Einstellungsmitteilung der Staatsanwaltschaft auf einen etwaigen StrEG-Anspruch hingewiesen, falls die betreffende Person Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war. Darüber hinaus wird Personen, die aufgrund eines richterlichen Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen werden, eine anwaltliche Verteidigung beigeordnet (§ 140 Absatz 1 Nummer 4 StPO). Auch die anwaltliche Verteidigung wird im Interesse ihrer Mandantin beziehungsweise ihres Mandanten darauf achten, dass im Falle eines Verfahrenseinstellung oder eines Freispruches seitens des zuständigen Gerichtes ein Entschädigungsbeschluss erlassen wird. 8. Gibt es neben der Möglichkeit der finanziellen Entschädigung weitere Hilfsangebote für Menschen, die zu Unrecht inhaftiert wurden? Jeder Haftentlassene erhält das Angebot, sich bei der Fachstelle Übergangsmanagement /Haftentlassungshilfe zu melden. Die Klientinnen und Klienten werden beraten und erhalten Unterstützung bei der Inanspruchnahme der Regelleistungen und beim Zugang zum Hilfesystem. Im Fachamt Straffälligen- und Gerichtshilfe wird statistisch nicht erfasst, ob die Klientinnen und Klienten aus einer ungerechtfertigten Inhaftierung entlassen wurden. 9. Wie viele der Antragsteller/-innen haben aufgrund ihrer ungerechtfertigten Inhaftierung ihre Wohnung oder ihren Arbeitsplatz verloren? Aus den vorgenannten Gründen ist eine Auswertung der StrEG-Verfahren im Hinblick auf die Frage, wie viele Antragstellerinnen und Antragsteller aufgrund ihrer vorherigen Inhaftierung die Wohnung beziehungsweise den Arbeitsplatz verloren haben, nicht möglich. Den Bearbeiterinnen und Bearbeitern der StrEG-Verfahren ist ein Verfahren aus dem Jahr 2013 erinnerlich, in dem ein Antragsteller einen Antrag nach dem StrEG stellte, nachdem sein Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit der Inhaftierung sowie dem damaligen Tatvorwurf gekündigt worden war und es daher auch nicht mehr zum bevorstehenden Abschluss des Mietvertrages über eine Werkswohnung kam. 10. Wie viele Antragsteller/-innen haben neben der Entschädigung des Nichtvermögensschadens für die erlittene Freiheitsentziehung auch die Entschädigung von Vermögensschäden begehrt? a. Wie viele dieser Anträge wurden angelehnt? Aus welchen Gründen? Drucksache 21/11999 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b. In welcher Höhe wurde insgesamt Entschädigung für Vermögensschäden gezahlt? c. Welcher Anteil der unter 10. b. genannten Entschädigung entfällt dabei auf die Kosten für anwaltliche Beistände? 11. Wie viele Anträge auf Entschädigung wurden 2017 hinsichtlich anderer Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 2 Absatz 2 StrEG gestellt? Bitte aufschlüsseln nach Maßnahme des § 2 Absatz 2 Nummern 1 bis 6 und § 2 Absatz 3 StrEG. a. Wie viele der Anträge wurden aus welchen Gründen angelehnt? Bitte nach den jeweiligen Strafverfolgungsmaßnahmen aufschlüsseln. b. Wie hoch waren die jeweiligen Entschädigungszahlungen? Bitte nach den jeweiligen Strafverfolgungsmaßnahmen aufschlüsseln. Siehe Antwort zu 1. bis 6. d. 12. Der Deutsche Anwaltsverein e.V. fordert eine deutliche Erhöhung der Haftentschädigung auf 100 Euro. Auch die Justizministerkonferenz hat sich im November 2017 für eine Erhöhung ausgesprochen. Hat der Senat konkrete Planungen, die Erhöhung der Haftkostenentschädigung aktiv voranzubringen? Auf Initiative Hamburgs und Berlins haben sich die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Konferenz im November 2017 mit der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen befasst. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder sprechen sich in ihrem Beschluss für eine eingehende Überarbeitung des Systems der Entschädigung nach dem StrEG insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Nachsorge gegenüber den aus der Haft Entlassenen und auf deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft aus. Der Senat hat sich damit nicht befasst.