BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1204 21. Wahlperiode 07.08.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels (FDP) vom 31.07.15 und Antwort des Senats Betr.: Zunehmende Zahl von radikalen Salafisten und Koranständen – Wie groß ist die Gefahr tatsächlich? Nach aktuellen Berichten des Leiters des Amtes für Verfassungsschutz ist die Zahl der radikalen Salafisten von 70 in 2014 auf circa 270 in 2015 in Hamburg angestiegen. Zudem gebe es immer mehr jüngere Salafisten. 60 Salafisten hätten bereits Hamburg verlassen und seien nach Syrien gereist. Zudem sei die Zahl der Koranstände in Hamburg dramatisch gestiegen, auf 200 in den letzten beiden Jahren. Bereits am 20.05.2014 hatte die FDP-Bürgerschaftsfraktion einen Antrag mit einem Vorschlag zu konkreten Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und religiösen Extremismus in die Bürgerschaft eingebracht, Drs. 20/11767. Dazu gehörte die Forderung nach der Erarbeitung eines umfassenden Aktionsprogramms Salafismus/religiöser Extremismus. Dieser Antrag wurde in der Bürgerschaft einstimmig angenommen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat hat mit Drs. 20/13460 sowie Drs. 21/476 und Drs. 21/954 ausführlich dargestellt , wie er religiös begründetem Extremismus und antimuslimischer Diskriminierung vorbeugen und diese Phänomene bekämpfen will. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie bewerten der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden die Aussagen und Bedenken des Leiters des Amtes für Verfassungsschutz, insbesondere zu der steigenden Anzahl von radikalen Salafisten und den zunehmenden Zahlen von Koranständen in Hamburg? Seit 2011 wird der Salafismus verstärkt durch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg beobachtet. Insbesondere seit Mitte 2014 erfolgte eine Intensivierung der Aufklärung dieses Phänomenbereichs. Dementsprechend wurden innerhalb des LfV mehr personelle und materielle Ressourcen eingesetzt, um das salafistische Spektrum nachrichtendienstlich weiter aufzuklären. Damit erhöhte sich die Einblickstiefe in diesen Bereich, sodass mehr Einzelpersonen dem Beobachtungsobjekt „Salafistische Bestrebungen“ zugeordnet werden konnten. Insofern ist die steigende Anzahl von Salafisten sowohl durch die kontinuierliche Aufhellung des Dunkelfeldes als auch durch den weiter feststellbaren Zulauf in den Bereich zu erklären. Die Anzahl der in Hamburg von salafistischen Organisationen insbesondere im Bezirk Hamburg-Mitte veranstalteten Koranstände steigt nach Erkenntnissen des LfV Hamburg seit 2012 kontinuierlich. Die zunehmende Anzahl der Koranstände korrespondiert mit der Entwicklung des Personenpotenzials. Das LfV informiert die Öffentlichkeit re- Drucksache 21/1204 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gelmäßig, zum Beispiel in Vorträgen oder über Medieninterviews, über die extremistischen Hintergründe dieser Verteilaktionen. 2. Welche präventiven Maßnahmen haben der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden in 2014 und in 2015 ergriffen, um junge Erwachsene sowie die Bürgerinnen und Bürger über die Gefahren, die von radikalen Salafisten ausgehen, aufzuklären? Gegenüber Drs. 21/476 und Drs. 21/954 ergeben sich folgende Ergänzungen:  Im April 2014 organisierte das LfV Hamburg gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz die Ausstellung „Die missbrauchte Religion. Islamisten in Deutschland“, in deren Rahmen es zudem Vorträge und Podiumsdiskussionen zum Thema Salafismus gab.  Bei der Vorstellung der aktuellen Hamburger Verfassungsschutzberichte im April 2014 und im Juni 2015 war die Entwicklung der islamistischen Bestrebungen in Hamburg ein Schwerpunkt der Pressekonferenzen.  Das LfV Hamburg hat 2014 und 2015 zudem Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justizbehörde und der Behörde für Schule und Berufsbildung in Informationsgesprächen und Fortbildungen über die Themenbereiche Islamismus und Salafismus aufgeklärt.  Darüber hinaus informiert das LfV Hamburg regelmäßig in Medieninterviews, Vorträgen und über Internetbeiträge über die Gefahren des Salafismus und bestimmte Protagonisten dieses Bereichs.  In Einzelfällen standen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LfV Hamburg, beispielsweise der Islamwissenschaftler, für Beratungsgespräche zur Verfügung.  Im Landeskriminalamt (LKA) ist die Dienststelle „Prävention gewaltzentrierte Ideologien “ der Abteilung Staatsschutz (LKA 702) zuständig. Die Zielgruppe des LKA 702 setzt sich dabei aus internen Bedarfsträgern, anderen Behörden, Schulen, Institutionen und auch zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen. Im Fokus der Arbeit stehen die Beratung der genannten Zielgruppe sowie die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei im Umgang mit dem Phänomen aus dem Feld des religiös begründeten Extremismus.  Im Bezirk Altona hat der Jugendhilfeausschuss am 28. Januar 2015 zu dem Thema eine Informationsveranstaltung mit Expertinnen und Experten durchgeführt. Das in Drs. 21/476 benannte Projekt „Dialog macht Schule“ wird im Schuljahr 2015/2016 in einer achten Klasse durchgeführt (Träger ist verikom – Verbund für interkulturelle Kommunikation und Bildung e.V.).  Die Bezirksämter informieren die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA), der Straßensozialarbeit und der Familienförderung (FamFö) fortlaufend über die von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) vermittelten und finanzierten Workshops zu religiös begründetem Extremismus. Darüber hinaus siehe Antwort zu 5. a) bis d). 3. Warum gab es bisher keinen Anlass Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben bezogen auf Veranstalter von Koranständen in Hamburg festzustellen ? 4. In wie vielen Fällen hat die zuständige Behörde eine Sondernutzungserlaubnis nach § 19 Absatz 1 Hamburgisches Wegegesetz für Koranstände in 2015 erteilt? Wie viele anlassbezogene Kontrollen wurden bisher durchgeführt? Warum wurde bisher kein Grund gesehen, um bestimmte Koranstände zu verbieten? Koranverteilungsaktionen in Form von Informationsständen sind genehmigungspflichtige Sondernutzungen nach dem Hamburger Wegegesetz. Die Genehmigungen werden vom zuständigen Bezirksamt erteilt. Da keine grundsätzlichen Ablehnungsgründe bestehen, sind rechtzeitig beantragte Informationsstände zu genehmigen, wenn die Flächen nicht schon vergeben sind. Eine Zuständigkeit der Polizei ist nur zur Gefah- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1204 3 renabwehr oder Störungsbeseitigung gegeben. Es wurden wiederkehrende Kontrollen durch die Polizei durchgeführt. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte hat 2015 bislang 78 Informationsstände genehmigt, deren Antragsteller der salafistischen Szene zuzurechnen sind. Anträge für weitere zehn Informationsstände, die ebenfalls zu genehmigen sind, liegen bereits vor. Das Bezirksamt Wandsbek hat 2015 einen Infostand „Information über den Islam“ genehmigt. Ob es sich hierbei um eine Koranverteilungsaktion der salafistischen Szene handelt, ist nicht bekannt. In den übrigen Bezirksämtern wurden 2015 keine Sondernutzungserlaubnisse für Koranstände erteilt. Im Übrigen siehe Drs. 21/114 und Drs. 21/954. 5. Mit der Drs. 20/13460 hat der Senat ein Konzept zur Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motiviertem Extremismus und antimuslimischer Diskriminierung mit Maßnahmen zur Prävention vorgelegt. Welche koordinierten Präventionsmaßnahmen wurden wann und mit welchem Erfolg bis heute umgesetzt, insbesondere zu folgenden Handlungsfeldern : a) Anfeindungen im öffentlichen Raum begegnen und Vorurteilen vorbeugen b) Kinder und Jugendliche sensibilisieren c) Institutionen unterstützen und Betroffene stärken d) Vernetzung fördern, Kompetenzen bündeln Welche Abweichung gibt es zu den Antworten des Senats in der Drs. 21/476 anhand der neuen Zahlen zu den radikalen Salafisten und Koranständen? Die Umsetzung der in Drs. 20/13460 beschrieben Maßnahmen verläuft planmäßig. Darüber hinaus wird wie folgt ergänzt: Zu b)  Der in Drs. 21/476 genannte Auftaktworkshop für das Haus der Jugend Barmbek am 12. Juni 2015 hat stattgefunden. Der nächste Workshop findet nach den Sommerferien im September statt.  Die in Drs. 21/476 genannten Planungen für die Straßensozialarbeit Osdorf/Lurup, das Jugendcafé Altona-Altstadt sowie neu das Haus der Jugend Wilhelmsburg werden nach den Sommerferien weiter verfolgt.  Im Raum Eidelstedt hat zudem am 08. Juli 2015 ein erstes Austauschtreffen zwischen verschiedenen im Sozialraum agierenden Fachkräften mit Expertinnen und Experten stattgefunden, um gemeinsame Schritte vor Ort zur Aufklärung über Salafismus und zum Schutz von Minderjährigen unternehmen zu können.  Im Rahmen des in Drs. 21/476 genannten Projekts „Djihad für die Liebe“ wurde vom 20. bis 25. Juli 2015 ein Workshop zum Thema Islam umgesetzt (Träger: academie crearTaT). Zu c)  Im Rahmen des in Drs. 21/476 genannten Fachtags der Offenen Kinder- und Jugendarbeit am 02. Juli 2015 wurde in dem Workshop „Multikulturelle Interessen – Toleranz und Respekt – Auseinandersetzungen gestalten“ die Anforderungen und Zielsetzungen für eine entsprechende Fortbildung des Sozialpädagogischen Fortbildungszentrums für das 1. Quartal 2016 erarbeitet. Im Fokus stehen hierbei unterschiedliche multikulturelle oder religiös motivierte Interessenlagen.  Die Informationen für Fachkräfte auf der Homepage der zuständigen Fachbehörde werden anlassbezogen aktualisiert, zuletzt Mitte Juni 2015. Drucksache 21/1204 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4  Eine Informationsveranstaltung für Ehrenamtliche am Elterntelefon des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband Hamburg und am Jugendtelefon der Arbeitsgemeinschaft Jugendschutz e.V. findet am 27. August 2015 statt. 6. Welche Akteure (Verbände, Beratungsstellen, Polizisten et cetera) werden nun in die Umsetzung der Präventionsmaßnahmen zu 5.a) bis d) eingebunden? Die Umsetzung der in Drs. 20/13460 beschriebenen Maßnahmen läuft planmäßig. Darüber hinaus wird wie folgt ergänzt: Zu a) Für die Einrichtungen der OKJA, der Straßensozialarbeit und der FamFö ist der von der BASFI vermittelte Expertenpool die entscheidende Quelle für Präventionsmaßnahmen . Zu d) Die Vernetzung der Beratungsstelle legato (Träger: Vereinigung Pestalozzi gem.Gmbh in Zusammenarbeit mit Ambulante Maßnahmen Altona e.V.) ist mit der Gründung zum 01. Juli 2015 angelaufen. Sie bietet als Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung eine Ausstiegsberatung im Regelsystem (insbesondere Schule und Familienhilfe) an. 7. Gibt es anhand der aktuellen Situation konkrete Abweichungen zu bisherigen Planungen der Umsetzung der Präventionsmaßnahmen? Wenn ja, welche und warum? Wenn nein, warum nicht? 8. Wie werden der Hamburger Verfassungsschutz und die Hamburger Polizei nun noch effektiver in die Umsetzung der Maßnahmen beziehungsweise des Konzepts aus Drs. 20/13460 eingebunden? Siehe Drs. 21/476. Im Übrigen: entfällt. 9. Wird der Senat nun mehr Personal für die Umsetzung des umfassenden Konzepts und der Maßnahmen zur Prävention zur Verfügung stellen, insbesondere in der BASFI und in der Behörde für Inneres und Sport (bitte detailliert auflisten)? Wenn ja, ab wann und wie viele Stellen? Wenn nein, warum nicht? Derzeit gibt es keine Abweichungen gegenüber Drs. 21/476. Für den Justizvollzug sind die Planungen noch nicht abgeschlossen. Mit seinem Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung verfolgt der Senat das Ziel, sowohl die staatlichen Regelsysteme als auch die zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner zu befähigen, mit den beiden Phänomenen des religiös begründeten Extremismus und der Muslimfeindlichkeit problemadäquat und sensibel umzugehen . Insofern liegt der Schwerpunkt der Präventionsarbeit zurzeit in der Unterstützung der Regelsysteme und der Kooperationspartner (Qualifizierung, Beratung, fachlicher Diskurs). Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und 2. 10. Wie viele von den aus Hamburg bereits nach Syrien ausgereisten polizeilich bekannten IS-Anhängern, sind in 2014 und in 2015 wieder nach Hamburg zurückgekehrt? Wie bewertet der Senat diese Zahlen? Seit 2012 bis heute sind dem LfV Hamburg gut 60 Personen aus der Hamburger salafistischen Szene bekannt geworden, die Richtung Syrien und Irak ausgereist sind. Im erfragten Zeitraum 2014 und 2015 (Stand: Ende Juli 2015) sind nach bisher vorliegenden Erkenntnissen des LfV Hamburg rund 40 Personen aus der salafistischen Szene nach Syrien und Irak ausgereist. Von diesen rund 40 Personen sind 2014 und 2015 (Stand: Ende Juli 2015) nach Erkenntnissen des LfV Hamburg bislang circa 15 Personen zurückgekehrt. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.