BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12086 21. Wahlperiode 27.02.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 19.02.18 und Antwort des Senats Betr.: Was passiert mit Kindern jihadistischer Rückkehrer/-innen? Laut einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der GRÜNEN rechnet die Bundesregierung mit der Rückkehr von mehr als 100 Jihadisten-Kindern aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak. Grund für die Rückkehr von Frauen und ihren Kindern sind die Niederlagen der Terrormiliz Islamischer Staat und anderer islamistischer Terrororganisationen. Zumindest ältere Kinder der Rückkehrer/-innen könnten stark radikalisiert sein. Laut Berichten wurden in den Kriegsgebieten schon Kinder und Jugendliche gezwungen, Gefangene zu töten und an kriegerischen Auseinandersetzungen teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Schutz von Kindern und Jugendlichen obliegt der staatlichen Gemeinschaft. Die für diese Aufgabe maßgeblichen Gesetze gelten für Kinder und Jugendliche unterschiedlicher ethnischer und nationaler Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und Weltanschauung gleichermaßen. Sie sehen eine Würdigung jedes Einzelfalls nach den dafür vorgesehenen Maßstäben und Verfahren vor. Bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls ist die Jugendhilfe gemäß § 8a SGB VIII angehalten, in jedem Einzelfall eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen und bei Bedarf Hilfen anzubieten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Sehen der Senat beziehungsweise die zuständige/n Fachbehörde/n besonderen Risiken durch Kinder rückkehrender Jihadisten/-innen gegeben? Wenn ja, welche sind das und in welchen konkreten Zusammenhängen werden diese angenommen? (Bitte jeweils nennen und erläutern.) Die Behörden sehen Risiken durch Kinder von rückkehrenden Jihadistinnen und Jihadisten hinsichtlich einer möglichen Kindeswohlgefährdung oder eines möglichen Sicherheitsrisikos, sofern die Kinder im Einzelfall einer unmittelbaren Gefährdung für ihr geistiges, körperliches oder seelisches Wohl ausgesetzt sind beziehungsweise waren. Erfahrungsgemäß leiden Kinder und Jugendliche unter traumatisierenden Erfahrungen, die sie gegebenenfalls anfällig für eine Radikalisierung werden lassen. Im Übrigen siehe Drs. 21/5331 und Vorbemerkung. 2. Wie viele Kinder und Jugendliche welchen Alters und Geschlechts sind bislang (Stand 20.2.2018) in Hamburg angekommen? (Bitte in absoluten Zahlen angeben.) a. Was geschah mit diesen Kindern nach ihrer Ankunft in Hamburg? Wurden welche in staatliche Obhut genommen? Drucksache 21/12086 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn ja, wie viele? Wenn nein, welche Maßnahmen wurden ergriffen? Gemäß dem Hamburgischen Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ist eine Speicherung von Personen in Dateien erst ab dem 14. Lebensjahr zulässig. Eine präzise und abschließende Zahl im Sinne der Fragestellung kann daher nicht benannt werden . Es liegen dem LfV Hamburg derzeit keine Erkenntnisse vor, dass Jugendliche aus den Krisengebieten Syrien/Irak nach Hamburg zurückgekehrt sind. Mit aus Krisengebieten zurückgekehrten Frauen kamen weniger als fünf Kinder zurück nach Hamburg. Darüber hinausgehende Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden derzeit nicht vor. 3. Welche konkreten Maßnahmen zur Gefahrenprävention, aber auch zur Betreuung von rückkehrenden Kindern und Jugendlichen von Jihadisten /-innen, ergreifen der Senat beziehungsweise die zuständige/n Fachbehörde /n gegenwärtig? (Bitte präventive und sonstige Betreuungsmaßnahmen jeweils nennen und erläutern.) Auch bei rückkehrenden Kindern und Jugendlichen von Jihadistinnen besteht eine Schulpflicht gemäß Hamburgisches Schulgesetz. Die aufnehmenden Schulen werden diesen Auftrag wie bei allen Schülerinnen und Schülern umsetzen. Sollten Verhaltensoder Leistungsprobleme entstehen, werden die entsprechenden schulinternen und schulbehördlichen Unterstützungsstellen einbezogen, gegebenenfalls unter Einschaltung weiterer Beratungsstellen und Fachbehörden. Eine Begleitung dieser Einzelfälle in allgemeinbildenden Schulen wird über die Beratungsstelle Gewaltprävention der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) gewährleistet. Für jeden den Sicherheitsbehörden bekannten Rückkehrer wird auf Basis der vorhandenen Informationen eine individuelle Gefährdungseinschätzung erstellt und die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der vorhandenen operativen Ressourcen und gesetzlichen Bestimmungen ergriffen. Darüber hinaus nimmt in Hamburg das Amt für Arbeit und Integration der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) als federführende Stelle für die Umsetzung des Senatskonzepts „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ (Drs. 21/5039) seine Koordinierungsfunktion im Rahmen des Präventionsnetzwerkes auch zu dieser Zielgruppe wahr. So wurde im Januar 2018 ein Fachaustausch „Kinder in salafistischen Familien“ durchgeführt unter Beteiligung des Amtes für Familie der BASFI, des Landeskriminalamtes (LKA), LfV, der Beratungsstelle Gewaltprävention der BSB, des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), der Jugendämter der Bezirksämter Hamburg -Nord und Wandsbek, des Familiengerichts im Amtsgericht Bergedorf und der Beratungsstellen Legato (Hamburg) und PROvention (Schleswig-Holstein). Dabei wurde eine stetige gegenseitige Information über aktuelle Entwicklungen sowie eine weitere Sensibilisierung der Fachkräfte und enge Kooperation vereinbart. Fachkräfte der Jugendhilfe, Justiz und Bewährungshilfe, die zu dem Themenfeld Beratung und Unterstützung suchen, können sich darüber hinaus in Hamburg an die Beratungsstelle Legato wenden. Legato bietet Fortbildungen für diesen Personenkreis an und leistet eine Ausstiegsbegleitung für Heranwachsende aus dem radikalislamistischen Milieu. Das Projekt PräJus richtet sich an junge Erwachsene im Strafvollzug , überwiegend zwischen 18 und 27 Jahren, um bei ihnen eine Radikalisierung frühzeitig zu identifizieren und dieser erfolgreich entgegenzuwirken. Bundesweit wird derzeit an Konzepten zu den oben genannten Zielgruppen gearbeitet . Die in Norddeutschland auf religiös begründete Radikalisierung spezialisierten Beratungsstellen tragen laufend Erfahrungen und Erkenntnisse zum Thema „Zweite Generation – Kinder des Salafismus“ zusammen, im Jahr 2017 haben sie bereits zwei Fachtage zu der Thematik durchgeführt. Die beteiligten Beratungsstellen sind die Beratungsstellen Legato, PROvention, kitab (Bremen) und beRATen (Niedersachsen). Im Übrigen siehe Antwort zu 2. und 2. a. und Vorbemerkung. 4. Mit wie vielen Kindern und Jugendlichen von Jihadisten/-innen, die aus den islamistischen Gebieten nach Hamburg zurückkehren, rechnen der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12086 3 Senat beziehungsweise die zuständige/n Fachbehörde/n bis 2020 gegenwärtig? (Bitte für jedes Kalenderjahr von 2018 an in absoluten Zahlen in einer Tabelle angeben.) a. Welche konkreten Maßnahmen zur Gefahrenprävention, aber auch zur Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen, planen der Senat beziehungsweise die zuständige/n Fachbehörde/n und wann sollen diese umgesetzt werden? (Bitte präventive und sonstige Betreuungsmaßnahmen jeweils mit Terminierung nennen und erläutern.) Den Sicherheitsbehörden liegen bisher keine gesicherten Informationen im Sinne der Fragestellung vor. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 5. Aus der Sozialbehörde heißt es laut „Hamburger Abendblatt“ vom 28.12.2017: „Ein pädagogisches Konzept zum Umgang mit den Rückkehrern liegt seit Anfang 2017 vor.“ Um welches pädagogische Konzept handelt es sich dabei? (Bitte beschreiben und als Datei anfügen.) a. Wer beziehungsweise welche Akteure/-innen waren an der Erarbeitung dieses Konzepts wie genau beteiligt? (Bitte jeweils Akteure/ -innen und deren Beteiligung erläutern.) b. Ist dabei der explizite Umgang mit Kindern jihadistischer Rückkehrer /-innen Inhalt des Konzepts? Wenn ja, wie ist das konkret darin angelegt? (Bitte inhaltliche Berücksichtigung erläutern.) Es handelt sich um einen „Rückkehrerleitfaden“, den die Beratungsstellen Legato, PROvention, kitab und beRATen (siehe Antwort zu 3.) unter Beteiligung eines Experten des europaweit tätigen Trägers RadarEurope und des Generalbundesanwalts gemeinsam entwickelt haben. Der Leitfaden setzt professionell Standards, zum Beispiel in Begriffsklärungen und Vorgehensweisen, die die Beratungspraxis unterstützen , jedoch nicht bindend sind. Erörtert werden besondere Aufgaben, Herausforderungen und Ziele der Beratungsarbeit mit der Zielgruppe sowie einschlägige Normen. Kinder wurden bisher nicht berücksichtigt. Der Leitfaden liegt im Eigentum der beteiligten Träger, die ihn auf Anfrage an Fachkräfte verschicken. 6. Wurden bereits (Stand 20.2.2018) Kinder und Jugendliche jihadistischer Rückkehrer/-innen in Hamburg eingeschult? Wenn ja, wie viele, welchen Alters, in welche Jahrgangsstufen welcher Schulform und wann? (Bitte in absoluten Zahlen in einer Excel-Tabelle angeben.) a. Wenn nein, warum nicht? Der für Bildung zuständigen Behörde sind keine rückkehrenden Kinder und Jugendliche bekannt. Im Übrigen siehe Antworten zu 2. und 2. a. und zu 3. 7. Wie erfolgt die (Re-)Integration von Kindern jihadistischer Rückkehrer/ -innen in die Schule oder in den Kindergarten? Gibt es ein konkretes Konzept zu deren (Re-)Integration in die Schule oder in den Kindergarten ? Wenn ja, bitte als Datei anfügen. a. Falls kein konkretes Konzept dafür vorliegt, mit welcher sachlichen und fachlichen Begründung nicht? Siehe Antwort zu 3. 8. Wie viele aus Hamburg stammende Frauen, die sich jihadistischen Gruppierungen in Syrien oder im Irak angeschlossen hatten oder dort Jihadisten heirateten, sind nach Kenntnis des Senats bis heute (Stand 20.2.2018) wann zwischenzeitlich wieder nach Hamburg zurückgekehrt? (Bitte in absoluten Zahlen in einer Excel-Tabelle abgeben.) Drucksache 21/12086 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. Gegen wie viele dieser Frauen wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren aufgrund welcher Straftatbestände und mit welchem Ergebnis eingeleitet? (Bitte entsprechend in der Tabelle zu 8. angeben .) In der für die Verfolgung von Staatsschutzstrafsachen zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg ist ein Verfahren gegen eine sogenannte Rückkehrerin im Sinne der Frage anhängig, die mit einem Beschuldigten in Syrien oder im Irak zusammengelebt haben soll. Der Vorgang befindet sich in der Überprüfung im Hinblick auf eine mögliche Abgabe an den Generalbundesanwalt, es handelt sich um keine Haftsache. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg sind keine Verfahren gegen Rückkehrerinnen im Sinne der Fragestellung anhängig, gegen die als Mitglieder einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung Tatverdacht wegen Straftaten nach §§ 129a, b StGB besteht. Soweit sich die Fragestellung auf weibliche Rückkehrerinnen aus Syrien und dem Irak bezieht, gegen die der Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 129a, 129b StGB besteht, das heißt der Verdacht, sich einer ausländischen terroristischen Vereinigung angeschlossen oder eine solche unterstützt zu haben, fällt die Verfolgung derartiger Straftaten in die Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes (GBA), § 142a Absatz 1, 120 Absatz 1 GVG), der nur in Fällen minderer Bedeutung diesbezügliche Verfahren an die Generalstaatsanwaltschaften der Länder abgibt. Im Übrigen siehe Drs. 21/11459. b. Wie viele dieser Frauen kamen nach ihrer Rückkehr in Untersuchungshaft oder befinden sich derzeit noch in Untersuchungshaft? (Bitte entsprechend in der Tabelle zu 8. angeben.) c. Was geschieht mit den Kindern der sich in Untersuchungshaft befindenden Frauen? Die in der Fragestellung erbeten Informationen liegen im Zuständigkeitsbereich des Bundes, da etwaige Verfahren (auch als Haftsachen) vom Generalbundesanwalt geführt werden.