BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/12174 21. Wahlperiode 06.03.18 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 27.02.18 und Antwort des Senats Betr.: Abrechnungs- und Leistungsbetrug in der ambulanten Pflege Laut Pressemitteilung vom 21.04.2016 hat die Gesundheitsbehörde gemeinsam mit den sieben Bezirken ein Projekt zur Kontrolle und Nachverfolgung von Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Leistungen in der ambulanten Pflege gestartet. Dafür sollte ein Einsatzteam mit fünf sogenannten Abrechnungsprüfern gebildet werden. Hintergrund der Initiative sind vermehrte Berichte über Abrechnungsbetrug durch ambulante Pflegedienstleister, die laut Einschätzung des BKA die Sozialkassen mit Beträgen in Milliardenhöhe betrogen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Während des Projektes „Abrechnungsprüfdienst des Sozialhilfeträgers“ wurde deutlich , dass die rechtlichen Grundlagen für einen wirksamen Prüfdienst noch nicht ausreichend sind. Im SGB XI und SGB XII sind – nach übereinstimmender Auffassung der Länder – keine ausdrücklichen Prüfrechte des Sozialhilfeträgers für Leistungen von Pflegediensten vorgesehen. Während der Projektlaufzeit hat der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA) in Hamburg seine Mitglieder über seine Auffassung informiert, dass der Träger der Sozialhilfe aufgrund fehlender Rechtsgrundlagen nicht berechtigt sei, Daten bei den ambulanten Pflegediensten vor Ort zu erheben oder schriftlich abzufordern. Das Projektteam konnte auf dieser Grundlage keine weiteren Vorortprüfungen durchsetzen. Die Auswertung einer von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz durchgeführten Tagung zum Erfahrungsaustausch mit anderen Städten und Ländern führte zu keiner kurzfristigen neuen Perspektive . Die Projektlaufzeit wurde in der Folge zum 31.12.2017 vorzeitig beendet. Hinsichtlich der fehlenden Prüfrechte des Sozialhilfeträgers wurden durch das Bundesteilhabegesetz im § 78 SGB XII ab dem Jahr 2020 ausdrückliche Prüfrechte des Sozialhilfeträgers gesetzlich normiert; allerdings gilt dies nicht für die Verträge über ambulante Pflegeleistungen nach SGB XI, die die wesentliche Leistungsgrundlage für ambulante Pflegedienste sind. Auf der Grundlage eines Hamburger Antrags bei der 94. Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Dezember 2017 haben die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder erklärt, dass sie zur Ergänzung der bereits geschaffenen Vorschriften eine Regelung für notwendig halten, in der auch dem Träger der Sozialhilfe gesetzlich verankerte Prüf- und Informationsaustauschrechte im Bereich der Pflege eingeräumt werden. Sie schlagen daher der Bundesregierung vor, ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Erforderlich ist hierzu eine Ergänzung des geltenden § 75 Absatz 5 SGB XII um ein Recht zu anlassbezogenen, unangekündigten Prüfungen von Wirtschaftlichkeit, Qualität und Wirksamkeit der Leistungen für den Träger der Sozialhilfe. Dabei soll klargestellt werden, dass sich die Prüfung auch auf Pflichten der Einrichtungen beziehen Drucksache 21/12174 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 kann, die sich aus Vereinbarungen nach dem SGB XI ergeben. Letztere Ergänzung ist auch in dem ab dem 01.01.2020 geltenden Prüfrecht nach § 78 SGB XII erforderlich. Für die Leistungserbringer sind Verpflichtungen zur Mitwirkung an der Prüfung (insbesondere Erteilung von Auskünften und Vorlage von Aufzeichnungen) gesetzlich vorzusehen . Darüber hinaus sind Regelungen im SGB XII aufzunehmen, die die erforderliche Zusammenarbeit und den Informationsaustausch mit den Landesverbänden der Pflegekassen und den nach heimrechtlichen Vorschriften zuständigen Behörden ermöglichen beziehungsweise dazu verpflichten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse hat der Senat über Abrechnungsbetrug in der Pflege ? 2. Welche Informationen besitzt der Senat über die Strukturen und die Vorgehensweise beim Abrechnungsbetrug? Welche Methoden wenden die Betrüger an? In einem Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) über Abrechnungsbetrug durch Pflegedienste spricht das BKA 2016 von organisiertem Vorgehen, das durch mangelnde Vernetzung der Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämter begünstigt werde. Eigene Erkenntnisse liegen dem Senat dazu nicht vor. 3. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden in Hamburg in Bezug auf Abrechnungsbetrug in den Jahren 2016, 2017 und bis zum Stichtag 31.01.18 eingeleitet? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die statistische Erfassung eines Falles erfolgt in der PKS mit Abschluss aller polizeilichen Ermittlungen durch die für die abschließende Bearbeitung zuständige Dienststelle bei endgültiger Abgabe des Ermittlungsvorgangs an die Staatsanwaltschaft. Die Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren wird nicht erhoben. Die Aussagekraft der PKS ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger Daten in diesem Zusammenhang siehe Drs. 16/4616. In der PKS werden Straftaten im Deliktsbereich Abrechnungsbetrug unter dem Straftatenschlüssel 518110 „Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen“ und dem Straftatenschlüssel 518179 „Sonstiger Abrechnungsbetrug“ erfasst. Das Merkmal „ambulante Pflege“ wird in der PKS nicht erhoben. Zu den in der PKS registrierten Fällen siehe folgende Tabelle: Jahr PKS-Schlüssel 518110 PKS-Schlüssel 518179 2016 66 135 2017 17 149 Darüber hinaus wäre für die Beantwortung eine manuelle Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums beim im Landeskriminalamt zuständigen Fachkommissariat Allgemeine Wirtschaftsdelikte, Sachgebiet „Delikte im Gesundheitswesen “ (LKA 532) erforderlich. Die Auswertung mehrerer Zehntausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Besteht eine Ermittlungsstelle bei der Staatsanwaltschaft mit dem Schwerpunkt Abrechnungsbetrug in der Pflege? Wenn ja, wie viele Stellen umfasst diese Stelle? Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg gibt es kein Sonderdezernat für Abrechnungsund Leistungsbetrug in der Pflege. Fälle des Abrechnungsbetrugs (sowohl durch Ärzte als auch durch Verantwortliche beziehungsweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen oder -diensten) werden aufgrund ihrer Komplexität von den fünf Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12174 3 Sonderdezernentinnen und Sonderdezernenten der Hauptabteilung III, die darüber hinaus noch für weitere besonders zugeschriebene Verfahren aus anderen Deliktsfeldern zuständig sind, bearbeitet. Dies führt dazu, dass diese Dezernentinnen und Dezernenten über ein erhöhtes Maß an Fachwissen verfügen. Welcher Stellenanteil auf den Abrechnungsbetrug beziehungsweise speziell den Bereich des Betrugs in der (ambulanten) Pflege entfällt, kann nicht beziffert werden. 5. Besteht eine Ermittlungsstelle oder Ähnliches beim MDK Nord? Wenn ja, wie viele Stellen umfasst diese Stelle? Der Medizinische Dienst der Krankenkassen Nord nimmt im Rahmen seiner Prüftätigkeit gemäß §114 SGB XI bei ambulanten Pflegeeinrichtungen regelmäßig auch Abrechnungsprüfungen vor. Dabei handelt es sich um eine regelhafte Prüftätigkeit innerhalb des Prüfauftrags der Landesverbände der Pflegekassen in Hamburg zu Qualitätsprüfungen. Eine gesonderte „Ermittlungsstelle“ gibt es beim MDK Nord nicht. 6. Bestehen noch bei anderen Institutionen (zum Beispiel Krankenkassen, Kriminalpolizei oder andere) Abteilungen oder Stellen zum Thema Abrechnungsbetrug? Falls ja, wo und mit wie vielen Stellen jeweils? Nach § 197a SGB V richten die Krankenkassen, wenn angezeigt ihre Landesverbände , und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen organisatorische Einheiten (Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen) ein, die Fällen und Sachverhalten nachzugehen haben, die auf Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen Krankenkasse oder des jeweiligen Verbandes hindeuten. Sie nehmen Kontrollbefugnisse nach § 67c Absatz 3 SGB X wahr. Nach § 47a SGB XI gilt § 197a SGB V für den Bereich der sozialen Pflegeversicherung entsprechend; § 197a Absatz 3 SGB V gilt mit der Maßgabe, auch mit den nach Landesrecht bestimmten Trägern der Sozialhilfe, die für die Hilfe zur Pflege im Sinne des Siebten Kapitels des SGB XII zuständig sind, zusammenzuarbeiten. Die organisatorischen Einheiten nach § 197a Absatz 1 SGB V sind die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei den Pflegekassen, ihren Landesverbänden und dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen. Daten zum Umfang des Personals, das bei den einzelnen Krankenkassen ausschließlich bei den Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen beschäftigt ist, liegen dem Senat nicht vor. Die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen sind organisatorisch in der Regel am rechtlichen Sitz der Krankenkasse beziehungsweise des Landesverbandes angesiedelt. Bei der Polizei ist das LKA 532 unter anderem für Delikte im Zusammenhang mit Betrug bei Abrechnungen medizinischer Leistungen durch Leistungserbringer (medizinische Fachkräfte) zuständig. Die verfügbare Personalkapazität (VPK) für die Sachbearbeitung beträgt derzeit 6,833 VPK; hinzukommen die Sachgebietsleitung und zwei Tarifbeschäftige. 7. Wann wurde das Kontrollteam mit wie viel Personal gegründet und ist das Kontrollteam immer noch im Einsatz? Wenn ja, wie viel Personal (VZÄ) wird aktuell im Kontrollteam eingesetzt ? Wenn nein, wann wurde das Team mit welcher Begründung aufgelöst? 8. Was gehört beziehungsweise gehörte alles zum Aufgabenbereich des Kontrollteams? 9. Mit welchem Prüf- und Kontrollkompetenzen wurde das Kontrollteam auf welcher Rechtsgrundlage ausgestattet? Siehe Vorbemerkung. Drucksache 21/12174 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Nach Abschnitt VII a der Anordnung zur Durchführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ist das Bezirksamt Eimsbüttel zuständig für die Bekämpfung von Abrechnungsbetrug ambulanter Pflegedienste gegenüber dem Sozialhilfeträger der Freien und Hansestadt Hamburg sowie für die Zusammenarbeit mit den Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen nach § 197a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und § 47a des Elften Buches Sozialgesetzbuch. Das Projekt Abrechnungsprüfdienst des Sozialhilfeträgers (PApSt) startete am 01.07.2016 mit 5,0 Vollzeitstellen und wurde am 31.12.2017 beendet. Das beim Bezirksamt Eimsbüttel angesiedelte Projektteam sollte für den Zuständigkeitsbereich der Freien und Hansestadt Hamburg Bewilligungen, Rechnungen, Leistungsnachweise, Dienst- und Tourenpläne in Bezug zu ausgewählten Personen im Sozialhilfebezug zum Abgleich mit den Daten der Pflegekassen sammeln, Abweichungen und Unregelmäßigkeiten zusammenstellen, in Zusammenarbeit mit den bezirklichen Rechtsämtern Informationen für eine Strafanzeige und Unterlagen zur Begründung eines Durchsuchungsbeschlusses vorbereiten, an kombinierten Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen des MDK bei ambulanten Diensten gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Wohn-Pflege-Aufsicht (WPA) teilnehmen, mit der bezirklichen WPA, den Pflegekassen, dem MDK, der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz und gegebenenfalls dem Landeskriminalamt kommunizieren und gegebenenfalls Vorgehensweisen absprechen, durch den Sozialhilfeträger gezahlte Beträge für nicht erbrachte Leistungen zurückfordern und dies für die Sachbearbeitung in den bezirklichen Fachämtern für Grundsicherung und Soziales vorbereiten und aufdecken, ob Angehörige, die ihre eigenen pflegebedürftigen Angehörigen pflegen , beim diese Leistungen abrechnenden Pflegedienst angestellt sind, um dann auf Pflegegeldbezug umzusteuern. 10. Wie viele Betrugsfälle hat das Kontrollteam seit seiner Gründung bis zum Stichtag 31.01.18 aufgedeckt? Welche Sanktionen wurden wie häufig ausgesprochen? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.) 11. Wie viele Strafanzeigen hat das Kontrollteam seit seiner Gründung erstattet? (Bitte nach Jahren bis zum Stichtag 31.01.18 aufschlüsseln.) 12. Wie hoch waren die Rückforderungen gegenüber den Dienstleistern und welche Geldsumme wurde bis jetzt tatsächlich zurückgezahlt? Das Projektteam hat insgesamt rund 500 Einzelfallakten in den Bezirksämtern prüfen können. Dabei wurden Rechnungen von rund 50 ambulanten Pflegediensten geprüft. Im Projektzeitraum umfasst das geprüfte Rechnungsvolumen (nicht nur Sozialhilfe) insgesamt rund 3 Millionen Euro. Davon konnte knapp 1 Prozent als scheinbar auffällig identifiziert werden. Die Pflegedienste wurden vom Projektteam zwecks Klärung von Unstimmigkeiten aufgefordert, weitere Unterlagen wie beispielsweise Handzeichenliste , Tourenpläne einzureichen. Dieser Aufforderung wurde nur teilweise nachgekommen . Anhand der eingereichten Unterlagen konnten jedoch keine Betrugsfälle nachgewiesen werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 13. Welche Finanzsumme hat der Senat für die Arbeit des Kontrollteams seit seiner Gründung bis zum Stichtag 31.01.18 zur Verfügung gestellt? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.) Die Finanzbehörde hat im Rahmen des Fonds zur Effizienzsteigerung (EFFI) Mittel in Höhe von insgesamt bis zu 658.000 Euro an Personalkosten für fünf VZÄ nach Einstufung Entgeltgruppe E 9 (2) TV-L (Teil 1, Allgemeine Tätigkeitsmerkmale für den Verwaltungsdienst inklusive Büroarbeitsplatzpauschalen für den Zeitraum von 01.07.2016 bis 30.06.2018, längstens jedoch für die Dauer von 24 Monaten) bereitge- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/12174 5 stellt. Detailliertere Angaben stehen vor erfolgtem Abschlussbericht des Projektes nicht zur Verfügung. 14. Welche weiteren Maßnahmen ergreift Senat gegen Abrechnungsbetrug in der Pflege? Siehe Vorbemerkung.